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Ausgabe:

1951

Spalte:

724-725

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Herbert, Jean

Titel/Untertitel:

Wege zum Hinduismus 1951

Rezensent:

Glasenapp, Helmuth

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. £2

dem Eindruck einer gewissen „Künstlichkeit" oder sagen wir
geradezu einer romantischen Sehnsucht nach dem Verlorenen
nicht ganz entwinden; tatsächlich hat sich die Spätzeit nach
den Umschichtungen des 3. Jhdts. immer mehr fremden, noch
unverbrauchten Gottheiten zugewandt, aber die traditionellen
Mysterien und natürlich die ländlichen Kulte haben sich noch
immer als ziemlich krisenfest erwiesen. Die Philosophie konservierte
nach wie vor die alten Götter, indem sie sie allegori-
sierte und sublimierte, ihnen damit aber auch das Blut verdünnte
, doch konnte andererseits in der Stoa auch eine sehr
persönliche Gottesvorstellung aufkommen. Auch das Bild vom
Kosmos hat die Philosophie nicht aus der religiösen Sphäre
abgleiten lassen, und man kann mit Nilsson S. 673 ff. sogar
einen maßgeblichen Einfluß der wissenschaftlichen Weltkonzeption
auf die Vorstellungen nicht nur vom Schicksal der
Menschenseelen, sondern auch von der Natur der Götter ansetzen
, die in die supralunare Region oder gar in die Transzendenz
entschwinden mußten. Es legte sich damit die Annahme
von Kräften nahe, durch die die Götter und insbesondere
ein höchster Gott das All planvoll lenkten, und von mehr
oder weniger persönlichen Zwischenwesen, die für oder aber
auch gegen die Götter in den Lauf der irdischen Dinge eingriffen
. Hier hat die Philosophie wirklich einmal eine religiöse
Wirkung in die Weite und Breite erzielt, aber dies ganz einzigartige
Phänomen wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht im
Volksbewußtsein längst allerlei göttliche Wesen minderen
Grades gelebt hätten, die üi diese öalßoveq aufgehen konnten
(vgl. S. 518L Rhein. Jahrb. f. Volkskunde I 1950, ii2ff.), und
wenn nicht überdies viel orientalisches Gut eingedrungen wäre.
Es war eine folgenschwere Entwicklung, die die großen Götter
zwar in eine reinere Sphäre erhob, aber zugleich auch dem
Tagesglauben entrückte und so das Feld den näheren Geistern
überantwortete. Dieser Dämonismus ist das beste Zeugnis für
die trotz aller entgegenstehenden Tendenzen fortwirkende
Macht des polytheistischen Gefühls; freilich wurde er auf
niedrigerem Niveau furchtbar verzerrt, nicht viel anders als
auch die oft mit ihm verquickte Vorstellung von övvdfisis bis
zum primitiven Fetischismus zurückgeführt hat. So hat die
Zauberei in weitem Umfange das Erbe der Religion angetreten,
wovon Gottheiten wie Hekate ihren Vorteil hatten, und ist in
Gestalt der Theurgie selbst üi die Philosophie eingebrochen.
Mystische Gnosis wird das Anliegen weiter Kreise, Abkehr von
der Materie und Transzendentalismus bestimmen die Haltung
der Spätzeit. Für das Hochkommen solcher Strömungen macht
Nilsson alte, vom Rationalismus nur zeitweise zurückgehaltene
Anlagen des Griechentums selber (S. 692) und die durch Einströmen
fremden Blutes beförderte Anfälligkeit für auswärtige,
besonders kleinasiatische Einflüsse verantwortlich. Die Astrologie
hatte der Hellenismus zwar noch systematisieren, aber
nicht mehr in ihren Voraussetzungen klären können, und sc
wurde sie in der Kaiserzeit eine Art volkstümlicher Universal-
religion, ohne daß man ihren Determinismus ganz ernst genommen
hätte.

Und doch blieb das Bedürfnis nach großen Götterpersön-
lichkeiten wach: Helios hat seine große Zeit gehabt, wenn er
auch durch seine physische Erscheinung gehemmt blieb, und
seit der hellenistischen Epoche gewannen Ankömmlinge aus
der Fremde Scharen von Anhängern. Mit Recht betont Nilsson
besonders im Falle der Isis die Assimilationskraft des hellenischen
Genius, und sogar die Mysterienform der Verehrung
dieser Ausländer hält er für eine Neuerung der Griechen nach
dem Vorbild ihrer eigenen althergebrachten Geheimkulte
(S. 2gif.). Das Entscheidende findet er in der Emotionalität
dieser Begehungen: es wurden in den Teilnehmern „bange Erwartungen
und vage Hoffnungen" erweckt, und nur einige
nachdenklichere Gemüter gaben sich mit der Deutung ab, die
ins Allegorische und Kosmologische ging; was zum Dienst der
Großen Mutter lockte, war ja geradezu Ekstatik. Immerhin
gibt Nilsson zu, daß die Mysterien unbeschadet der Sonderart
der einzelnen gewisse allgemeine Vorstellungen enthielten, und
wirft sogar die Frage auf, ob diese mehr aus dem Denken der
Zeit in die Mysterien übernommen waren oder aus den M37ste-
rien auf die Zeit wirkten. Eine feste Theologie scheint ihm aber
doch nicht nachweisbar, und erst recht ist er wenig geneigt,
eine bestimmte Terminologie anzuerkennen (WifStrand nach S.
671 f., 1). Tod und Auferstehung bzw. Wiedergeburt will er nur
von dem Ubergang des Mysten aus seiner bisherigen Situation
in den neuen Zustand der Weihe verstanden wissen, der sich
dann ohne Bruch im Leben nach dem Tode fortsetzen wird;
anders liegen Fälle wie der der „Mithrasliturgie", wo es
sich um eine temporäre Anlegung göttlicher Natur durch den
Zauberer handelt. Dem sakramentalen Mahl gesteht er keine
große Bedeutung zu und findet nur eine Kraftübertragung
darin; überhaupt bestreitet er eine eigentliche Vergöttlichung

des Mysten wie auch dessen Liebesvereinigung mit der Gottheit
(anders früher, s. S. 662, 8). Der Gedanke der Gotteskind-
schaft ist nach ihm noch gar nicht ausgebildet, und die acorrjQla,
die man in der Drangsal und Unsicherheit der Zeit ersehnt
(S. 309L), soll mit der Anwartschaft auf ein seliges Leben in
der zweiten Welt die Erlösung der Seele vom Zwange der
Heimarmene bringen. Aus all dem ergibt sich die These, daß
das Christentum in den Mysterien nur Ansätze fand, die es besonders
durch das Genie des Paulus entwickelt hat (S. 665).
Hier wird freilich auch angesichts von Nilssous Darlegungen für
Differenzen der Anschauungen noch Raum genug bleiben, wie
z.B. auch der Unterschied zwischen christlicher und heidnischer
Auffassung hinsichtlich des Fortlebens des Fleisches oder
der Seele bei den starken Fluktuationen hüben und drüben
rein religionsgeschichtlich nicht so kraß erscheint. Nilsson überrascht
aber auch selber mit der Feststellung S. 664, daß zu
dem oben bezeichneten Beginn des neuen Lebens bei der Einweihung
die christliche Taufe „eine genaue Parallele" biete,
indem sie mit einem Sterben verglichen werde, ein neues Leben
einleite und von der Herrschaft der Heimarmene befreie. Die
ganze Problemlage erscheint mir um so komplizierter, als wir
die Mysterien im wesentlichen nur aus der Kaiserzeit kennen
und ihre Entwicklung nicht zu verfolgen vermögen.

Für den Sieg des Christentums gibt Nilsson beiläufig je
nach Gelegenheit mannigfache Begründungen. Es schenkte
der Welt eine erhabene und doch persönliche Gottheit und
daneben noch einen menschennahen, barmherzigen Mittler,
der sogar eine historische, von Mythologie unbeschwerte Gestalt
war (S. 287. 445. 681. 697), und legte seinen Anhängern
eine lebenstaugliche allgemeine Moral auf (S. 555). Seitdem es
sich vom Gnostizismus losgemacht hatte, reagierte es gegen
„okkultistische Trugbilder und theosophische Dünste", und
wenn es auch den Dämonen- und Zauberglauben noch teilte,
so versprach es doch Schutz gegen die bösen Mächte (S. 444.
691). Während das Heidentum der Spätzeit „zu viel vom
Weltbild, zu wenig von echter Religion" hatte (S. 682), war
das Christentum imstande, sich die geistigen Waffen seines
Gegners anzueignen und doch den Vielen zugänglich zu bleiben
(S. 681 f. 7oof.). Die Mysterien im besonderen schleppten,
wenigstens äußerlich (S. 290), zu viel nationale Eigentümlichkeiten
ihrer Ursprungsländer mit sich und standen damit im
Gegensatze zu der neuen Religion, die einen totalen Universalismus
erstrebte (S. 672). Ihr kam es auf eine Gemeinschaft
aller, auch der Ärmsten, an (S. 381), die Mysterienkulte hingegen
konnten zwar Gemeinden bilden (S. 354), verzichteten
aber ihrer Natur nach auf Propaganda und Massenwirkung
und standen sich überdies gegenseitig im Wege; die Bedeutung
der Konkurrenz gerade des Mithraizismus wird meist überschätzt
, sozial und lokal beschränkt wie er war (S. 641). Bei
all dem hatte das Christentum die Fähigkeit, eine Organisation
aufzubauen (S. 305), aber — und das wollen wir nicht vergessen
— es hatte auch die innere Kraft zum Martyrium.

Dem ehrwürdigen Verf. gebührt inniger Dank, daß er sich
dieser ebenso dornigen wie lohnenden Aufgabe angenommen
hat: das Werk hat in denkbar guten Händen gelegen.

Bonn HansHerter

Herbert, Jean: Wege zum Hinduismus. Zürich: Rascherl951. VI, 123 S.
kl. 8° = Indische Weisheit, eine Bücher-Reihe hrsg. v. J. Herbert u. L. Rey-
mond. Lw. DM 8.80.

Jean Herbert ist ein begeisterter Anhänger Vivekänandas
und Aurobindos, der sich in zahlreichen größeren und kleineren
Werken darum bemüht, in weiteren Kreisen Frankreichs Interesse
für den modernen Vedänta zu erwecken. Die vorliegende,
vorzüglich ausgestattete, aber im Hinblick auf ihren geringen
Umfang ungewöhnlich teuere Schrift enthält fünf Aufsätze,
von denen sich die ersten drei mit dem Verhältnis des
Westens zum Osten, mit den Upanishaden und mit hinduisti-
scher Mythologie befassen, während die beiden letzten in die
Meditationspraxis des Yoga einführen wollen. Das Büchlein
enthält viele beherzigenswerte Gedanken und es ist anerkennenswert
, daß es gegenüber der heute noch im Abendlande
vielfach üblichen Ignorierung und Unterschätzung
indischer Weisheit auf ihre Bedeutung hinweist und dartut,
daß sie dem Westen viel zu geben hat. Der Autor schadet
aber seiner Sache durch Übertreibungen, so wenn er S. 4 behauptet
, daß es im vorbuddhistischen Indien und in Griechenland
Gesellschaftsformen gab, „die zum mindesten ebenso
demokratisch wie die unseren waren": die Adelsrepubliken
mit ihrem Sklavenweseu lassen sich kaum mit dem vergleichen
, was wir heute unter einer Demokratie verstehen.
Herberts phantasievolle Deutungen der indischen Mythologie
erscheinen als wenig glücklich, weil ihm jedes Verständnis da-