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Ausgabe:

1951 Nr. 12

Spalte:

709-716

Autor/Hrsg.:

Roth, E.

Titel/Untertitel:

Neuere englische Literatur zum Taufproblem 1951

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 12

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dem besonnenen Reden in den Versammlungen schätzt —
übrigens macht man sich oft eine übertriebene Vorstellung von
der Verbreitung des Zungenredens in den apostolischen Gemeinden
; es ist kaum zufällig, daß allein im 1. Korintherbrief
ausdrücklich davon die Rede ist. Der Maßstab, den Paulus an
die Charismen anlegt, ist bekanntlich nicht der Grad ihres
Gegensatzes zur Natur, sondern vielmehr das Maß ihrer Dien-
lichkeit zur Erbauung der Gemeinde. Aber so hoch er daher
die Prophetie schätzt, setzt er doch auch Grenzen für ihre Ausübung
in den Versammlungen, und sowohl Paulus als Johannes
fordern ja Kritik an der prophetischen Rede: „Glaubet nicht
einem jeglichen Geist, sondern prüfet die Geister, ob sie von
Gott sind!" Und das Kriterium ist charakteristisch genug das
Verhältnis der Rede zum Bekenntnis des Glaubens (1. Joh.
4, 1 f., vgl. 1. Kor. 12, 3). Insofern setzen sie die Tradition über
die Inspiration, gleichwie Paulus den Aposteln mit ihrer geschichtlich
gegebenen Botschaft vor den Propheten mit ihren
aktuellen Offenbarungen den Vorrang gibt (1. Kor. 12, 28).
Das bedeutet eine ganz wesentliche Einschränkung des Spielraums
des Enthusiasmus!

Und wenn es sich um die übrigen außerordentlichen
Gnadengaben der apostolischen Zeit handelt, sehen wir, daß
Paulus trotz aller Anerkennung ihres hohen Wertes schließlich
doch den allen Christen gemeinsamen Gaben, Glaube,
Liebe und Hoffnung, den Vorzug gibt (1. Kor. 13). Insbesondere
schätzt er die Liebe mit ihren echt menschlichen
Tugenden viel höher als die Charismen; mit anderen Worten,
er wertet das Ethische höher als das Charismatische. Und damit
steht er auf dem Boden der Bergpredigt (Matth. 7, 22f.).

Denken wir weiter an die Gemeindeordnung, so finden
wir nicht bloß enthusiastische Züge, sondern auch deutliche
Ansätze zur Regel und Form. Indem der Apostel fordert, daß
alles in den Versammlungen mit Anstand und in Ordnung vor
sich gehen soll (1. Kor. 14, 40), ist auch die Forderung der
Feierlichkeit und eines regelmäßigen Ganges im Gottesdienste
angedeutet. Auch das Vorbild der Synagoge wies in die gleiche
Richtung. Und alles deutet darauf/ daß besonders im Abendmahlsgottesdienst
früh feste Formen der Gebete und überhaupt
eine liturgische Ordnung sich gebildet haben. Auch bei
der Taufe mußte unwillkürlich ein fester Brauch, ein bestimmter
Ritus mit einem fest geformten Glaubensbekenntnis
im Anschluß an den Taufbefehl und das Kerygma der Apostel
sich entwickeln. Und wenn Taufe und Abendmahl wirklich als
Sakramente und nicht bloß als Zeichen oder Symbole galten —
wie die religionshistorische Exegese betont hat —, dann mußte
diese Anschauung als ein heilsames Gegengewicht gegenüber
einem spiritualistischen Enthusiasmus wirken.

Schließlich können wir auch auf dem Gebiete der Kirchenverfassung
feststellen, daß bereits in der ersten Gemeinde feste

Ordnungen und Ämter, Ältesten oder Presbyter, Episkopen
und Diakonen, sich finden. Und zum Amte der Ältesten bzw.
der Gemeindevorsteher gehörte nicht allein die administrative
Leitung oder das Präsidium in den Versammlungen, sondern
auch die Wortverkündigung, obwohl dieselbe auch anderen
dazu Begabten frei stand.

Wir konstatieren also, daß das Gemeindeleben der apostolischen
Zeit vom Enthusiasmus nicht so eindeutig geprägt war,
wie eine neuprotestantische Theologie es dargestellt hat, sondern
sich ebensowohl, ja noch mehr durch Besonnenheit, geschichtliche
Tradition und feste Ordnungen auszeichnete.

Die zwei Seiten der Sache stehen aber nicht unvermittelt
nebeneinander, auch bedeuten die nüchternen Momente
nicht eine uotgedrungene Reaktion gegen eine Wucherung
der enthusiastischen. In der Tat begegnet uns oft eine
Personalunion von Enthusiasmus und Besonnenheit wie bei
einem Paulus und einem Johannes. Und wenn beides bei denselben
Personen vereint sein konnte, dann hatte das einen
inneren Grund, nämlich daß der Geist, der in der Urkirche
waltete, in sich selber ein Geist der Besonnenheit und Ordnung
war. Wir sehen dies am besten im Leben des Herrn
selbst, wo wir überhaupt keinen Gegensatz zwischen inspirierten
und nichtinspirierten Zuständen, keine Ekstase, beobachten
können, sondern nur eine harmonische Verehiigung
von göttlichem Geist und menschlicher Vernunft. Die Ekstase,
die einer äußerlichen Betrachtung als ein Höhepunkt der
Geistesfülle erscheint, ist christlich beurteilt ein Symptom
einer nur unvollkommenen Durchdringung des menschlichen
Geistes von dem göttlichen; die Ausschaltung der menschlichen
Vernunft, des Nous, in der Ekstase erinnert mehr an
die Phänomene der Besessenheit. Wegen der menschlichen
Sünde bleibt immer noch eine Spannung zwischen dem Geist
Gottes und der Vernunft der Christen bestehen. Aber je mehr
der heilige Geist einen Menschen zu durchdringen vermag, um
so mehr wird diese Spannung von Harmonie abgelöst werden,
wie es sich am besten in den apostolischen Schriften zeigt. Eni
Pneumatiker im paulinischen Sinne ist nicht der Ekstatiker,
sondern ein Christ, dessen ganzes Leben vom heiligen und
heiligenden Geiste Gottes geprägt worden ist.

Die Ekklesia des Neuen Testaments unterscheidet sich
allerdings von der Kirche der Folgezeit durch ihre einzigartige
Geistesfülle und die damit verbundenen außerordentlichen
Gnadengaben. Aber darüber darf man nicht vergessen, daß
doch auch die neutestamentliche Kirche bereits diejenigen
Merkmale aufweist, die wir heute mit dem Begriffe der Kirche
im evangelischen Sinne verbinden. Den näheren Nachweis habe
ich hier nicht bringen können, aber in einem norwegischen
Buch ,,Kirken i Aposteltiden" zu liefern versucht. Auf Aufforderung
der Schriftleitung durfte ich indessen die Hauptgedanken
desselben in dieser Zeitschrift wiedergeben.

Neuere englische Literatur zum Taufproblem

Von E. Roth, Göttingen

Die Frage nach dem Wesen und der rechten Übung des
Tauf Sakraments wird nicht nur auf dem Kontinent diskutiert.
In England beteiligen sich fast alle großen Denominationen
an der historisch-theologischen Erörterung. Außerdem ist die
anglikanische Kirche, die seit Jahren dem Taufproblem besondere
Aufmerksamkeit zuwendet, unsern deutschen Kirchenleitungen
insoweit voraus, als sie dieses Thema sowohl in
Studienkommissionen als auch auf Synoden umsichtig bearbeitet
.

I. Für eine Ubersicht der wichtigeren Veröffentlichungen
im letzten Jahrzehnt setzt man am zweckmäßigsten beim NT
ein. Hier hat zunächst eine Monographie des Methodisten
Marsh1 eine schon länger bestehende Lücke in der englischen
theologischen Literatur gefüllt. Sie zeichnet sich aufs Ganze
gesehen aus durch sorgfältiges Eingehen auf die Schwierigkeiten
, durch Mannigfaltigkeit der Gesichtspunkte und besonnenes
Urteil.

Zum Nachteil gereicht ihr die ungleichmäßige Stoffbehandlung (87 S. für
Johannes den Täufer, nur 20 S. für Paulus und 16 S. für Acta), sowie einige
Lücken in der Literaturbenutzung (aus älterer Zeit fehlt Paul Althaus d. Ä.:
Die Heiisbedeutung der Taufe im NT, aus neuerer Zeit vor allem Oepkes Studie
in der Ihmels-Festschrift und — für die Fragestellung besonders bedauerlich —
die Schrift von Joachim Jeremias).

Der erste Teil befaßt sich mit dem Ritus bei Johannes dem Täufer, ein-

') Marsh, h. o.: The Origin and Significance of the New Testament
Baptism. Manchester: 1841. X, 221 S.

schließlich der Taufe Jesu. Fünf Merkmale kennzeichnen die Johannestaufe:
der eschatologische Charakter in der Vorbereitung auf das messianische Zeitalter
, die Wassertaufe ohne Mitteilung des Heiligen Geistes, ihre Notwendigkeit
für Heiden und Juden, ihre Verwandtschaft mit der proselytischen tebilah
in der Einmaligkeit ihres Vollzugs, schließlich ihre Abweichung von jüdischen
kultischen Waschungen wie auch der Proselytentaufe durch die ethische Qualifizierung
als Taufe der Buße. Die Schwierigkeit der Mk.-Lk.-Fassung „Taufe
der Buße zur Vergebung der Sünden" wird gelöst im Sinne von Luk. 1,77, wonach
das Amt des Täufers in der Vorausverkündigung der mit Christus anbrechenden
Sündenvergebung gesehen wird. — Die Taufe Jesu beschreibt M. unter Erwägung
der kritischen Einwände als ein historisches Faktum und faßt ihre
Bedeutung mit Goguel zusammen: ,,Le bapteme n'est ni un appel, ni une
vocation, c'est l'intronisation de Jesus comme Messie."

Im zweiten Teil stellt M. heraus, daß Jesus während seiner Erdenzeit die
Taufe wahrscheinlich mehr erlaubt als geboten habe. — Den Schlüssel für die
Stellung des Paulus zur Taufe und überhaupt zu den Sakramenten sieht M.
beachtlicherweise in dessen Glaubensverständnis. Indes, aufs Ganze gesehen
wird die paulinische Tauflehre in den drei Abschnitten: Reinigung von Sünde,
Mitteilung des Geistes und Vereinigung mit Christus nicht nach allen Seiten
hin ausgiebig genug behandelt. Das gilt zum Teil auch von den sorgfältiger
berücksichtigten Acta. — Die Erörterung der Kindertaufe, untergebracht in
dem Abschnitt ,,Taufe und Ritus", ist reichlich kurz (6 S.) geraten, ob-
schon sich gute Beobachtungen darin finden.

Als Ergebnis beurteilt M. die Gestimmtheit des NTs für
die Kindertaufe eher günstig als ungünstig. Auf der andern
Seite jedoch, bei der theologischen Beurteilung, wird der Taufvollzug
als solcher unterbetont. So fein die Beobachtung ist,