Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1951 Nr. 11

Spalte:

690-691

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Siegmund, Albert

Titel/Untertitel:

Die Überlieferung der griechischen christlichen Literatur 1951

Rezensent:

Irmscher, Johannes

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

089

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 11

690

Wunsch anmelden, daß hier die notwendige Kürze nicht über
die bibliographischen Gepflogenheiten triumphiert. Auch wäre
gelegentlich schärfere sachliche Gruppierung der Literaturnotizen
sehr zu begrüßen. Doch sei des Kritischen genug geboten
: jeder Leser wird hoffentlich aus der obigen Nachlese
bestätigt finden, wie wirklich überwältigend sorgfältig Altaner
verfahren ist. Die meisten nachgetragenen Titel betreffen mehr
oder weniger Kleinigkeiten, viele von ihnen stammen erst aus
den allerletzten Jahren und konnten daher wohl technisch
nicht mehr erfaßt werden. So bleibt es dabei: das Buch hat
seinen Ruf als zuverlässiger literarischer Handweiser nicht nur
behauptet, sondern noch vermehrt. Denn die zu leistende
Arbeit war infolge der langen Zwischenzeit und durch die
tragischen persönlichen Arbeitsbedingungen des hochverdienten
Verfassers ungeheuer schwierig geworden.

Im Vorwort (S. VI) weist der Verf. darauf hin, daß er gegenüber der
vorigen Auflage 13 Autoren neu aufgenommen habe. Ich würde dazu vorschlagen
, in den § 91 (Italische Schriftsteller) eine Notiz über Aponlus aufzunehmen
(vgl. Bardenhewer IV, 601/603), auf dessen Bedeutung für die
Primatsfrage A. v. Harnack, SbB 1927, 433ff. hingewiesen hatte. - Sehr geschickt
Ist die Zusammenfassung des Canon Muratori und der alten Prologe
zu den Evangelien und den Paulusbriefen zu einem Paragraphen (Seite 117f).
15er Leser findet sich knapp, aber ausreichend über die schwer auseinanderzuhaltenden
Gruppen der Prologe orientiert.

Bei meinem Hinweis auf Steidles Patrologic (ZNW 1937,
5. 157) hatte ich es begrüßt, daß dieses Buch auf die traditionelle
Behandlung der dogmatischen Loci bei den einzelnen
Vätern verzichtet, weil ich diesen Stoff vorteilhafter in zusammenhängender
Darstellung, d.h. also in der Dogmengeschichte
, untergebracht finde. Altaner ist wieder gegenteilig
verfahren, aber nicht ohne schmerzliche Folgen für den Umfang
seines Buches, z.B. widmet er in seinem Artikel über
Ambrosius (S. 329—341) ein Drittel der Darstellung eben
diesen Loci (S. 337—41). Ich will nicht bestreiten, daß er damit
nützliche Arbeit leistet, auch nicht, daß diese Methode
geschichtlich gesehen der Aufgabe der patristischen Disziplin
gerecht wird. Aber wenn er selbst (S.V) von seinem zutreffend
als Patrologie betitelten Buche als einer altchristlichen Literaturgeschichte
spricht, so würde dieser Begriffsbestimmung
recht eigentlich durch eine reinliche Arbeitsteilung mit der
Dogmengeschichte entsprochen worden sein. Neuerdings wird
freilich auch von protestantischer Seite (vgl. die Ausführungen
von W. Schneemelcher über Wesen u. Aufgabe der Patristik
innerhalb der evangelischen Theologie in ,,Ev. Theol." 1950/51,
S. 207—222) eine nicht nur literaturgeschichtliche, sondern
theologische Auffasssung der Patristik gefordert. Die theologische
Besinnung auf den Wert des Väterstudiums auch für den
evangelischen Theologen, der sich nicht an eine katholische
Lchrtradition gebunden, wohl aber in der „Kontinuität des
Hörens auf das biblische Wort" mit den Vätern verbunden
weiß, ist sicherlich sehr dankenswert. Aber auch von einer
solchen vertieften Auffassung aus, die gleichmäßig auch für
die Kirchen- und Dogmengeschichte zu gelten hätte, wird
kaum etwas gegen den Wunsch nach einer technischen Arbeitsteilung
zwischen den Disziplinen eingewandt werden können,
l'nd gerade w«i<*"die litcrargeschichtliche Behandlung der
l'atristik angeht, so stehen wir ja eigentlich noch immer da,
wo wir standen, als einst dieser Schlachtruf zuerst erklang,
d.h. vor fünfzig Jahren, wenn man nicht gar noch weiter bis
zu Overbecks programmatischem Artikel von 1882 in der Historischen
Ztschr. zurückgehen will. Wo hätten wir denn eine
Darstellung der formgeschichtlichen Entwicklung der altchristlichen
Literatur, der gegenüber man die Forderung anmelden
könnte, sie müsse den Mut haben, die theologischen
Hintergründe aufzudecken! Schon die Aufgabe einer Geschichte
der altchristlichen Literatur unter literarischen Kategorien
enthält offenbar eine innere Problematik, die nicht nur Jordan
seiner Zeit zum Scheitern brachte, sondern Harnacks großes
Werk nach dem 2. Bande stecken bleiben ließ. Dibelius hat in
engerem Rahmen seine „Geschichte der urchristlichen Literatur
" unter dem Gesichtspunkt der wachsenden Aufnahme
■weltlicher' Formen und Interessen wirklich entwicklungs-
mäßig darstellen können. Aber dieser Gedanke reicht gegenüber
der späteren literarischen Produktion der Kirche nicht
mehr aus. Ich sehe nicht, daß bisher außer dem bloßen Pragmatismus
für die altchristliche Literaturgeschichte eine tragende
Idee gefunden worden wäre. Ohne eine solche sind wir
eigentlich nicht in Gefahr, die theologische Betrachtung an sie
zu verraten, freilich aber können wir auch noch immer nicht
von einer wirklichen Geschichte der altchristlichen Literatur
sprechen. So bleibt es im Grunde auch heute noch bei der altehrwürdigen
,,Patrologia", d.h. der Darstellung von Leben,
Schriften und Lehre der Kirchenväter, die in besonders vorzüglicher
und erneuerter Form dargeboten zu haben wir Altaner
aufrichtigen Dank wissen müssen.

Marburg/Lahn W. Eltester

Siegmund, Albert, Dr. P., o. s. b.: Die Überlieferung der griechischen
Christlichen Literatur in der lateinischen Kirche bis zum zwölften Jahrhundert
. München-Pasing: Filser-Verlag 1949. VIII, 308 S. 8° - Bd.Vder
Abhandlungen d. Bayer. Benediktiner-Akademie. Veröffentl. d. Byzantinischen
Instituts Scheyern. DM 9.60.

Der Verfasser weiß seine Arbeit auf ein großes Ziel hin ausgerichtet
, auf die Untersuchung der Einflüsse, welche von der
Patristik auf das Geistesleben des Mittelalters ausgegangen
sind. Als Teilaufgabe greift er dabei die Nachwirkung der griechischen
Väterschriften heraus, die im Frühmittelalter bereits
in lateinischen Ubersetzungen vorlagen oder ins Lateinische
übersetzt wurden; die griechischen Originale wurden ja zu jener
Zeit im Abendlande so gut wie überhaupt nicht benutzt.
Zugleich begrenzt der Verfasser sein Thema auf die karolin-
gisch-ottonische Epoche, läßt also das späte Mittelalter, die
Blütezeit der Scholastik, die durch die Kreuzzüge herbeigeführte
Annäherung des Westens an den Osten, außer Betracht.
Was er bieten will, ist ,,Tatsachenforschung und Tatsachenfeststellung
: Was war oder wurde übersetzt, und wie war die
Verbreitung ?" (S. 2). Die Auswertung dieses Materials, primär
die Frage nach der Nachwirkung des ,,griechischen Geistes",
liegt im wesentlichen außerhalb des Themas der Arbeit.

Welcher Art ist nun jenes Tatsachenmaterial ? Da das
Buch der sichtbarste Träger geistiger Potenzen ist, ist seine
Verbreitung zugleich Beweis für die Verbreitung eines bestimmten
Gedankengutes. Für die vorliegende Aufgabe bedeutet
das, daß man die frühmittelalterlichen Handschriften
der einschlägigen Literaturwerke studieren muß — die Handschrift
ist ja das Buch des Mittelalters —, um die Nachwirkung
der griechischen Patristik zu den verschiedenen Epochen an
den verschiedenen Orten in ihren verschiedenen Wirkungsgraden
ermessen zu können. Diese „direkte Uberlieferung"
macht jedoch nur einen Teil des uns erreichbaren Quellen-
materials aus. Um ein vollständiges Bild zu erhalten, wird man
nicht umhin können, auch die indirekte Uberlieferung der Zitate
aus griechischen Vätern im Schrifttum des frühen Mittelalters
zu sammeln. Denn so manches Literaturwerk verdankt
ja seine Wirkung nicht so sehr seinem Eigenwert als vielmehr
dem Umstände, daß eine Autorität es heranzog und ihm so zu
Beachtung und Geltung verhalf. Drittens sind die mittelalterlichen
Bibliothekskataloge — leider sind sie nicht allzu zahlreich
erhalten — zu berücksichtigen. Diese geben den unmittelbarsten
Eindruck davon, welche Literatur in einem bestimmten
geistigen Zentrum zur Verfügung stand und auf seine
Gliederwirken konnte.

Der Verfasser stellt seine Bemühungen unter das Gesamt-
thema der Erforschung der frühmittelalterlichen Geistesgeschichte
. Darüber hinaus aber dienen sie einem vordergründig
philologischen Anliegen, nämlich der Erfassung des handschriftlichen
Uberlieferungsbestandes an spätantikeu und mittelalterlichen
lateinischen Ubersetzungen der griechischen Väterliteratur
. Siegmunds Buch könnte für die Herausgabe dieser
Schriften die gleiche Vorarbeit leisten, die Harnack und Preu-
schen für die vorkonstantinischen griechischen christlichen
Autoren und Ehrhard für die griechischen Martyrologien getan
haben. Denn vor dem zukünftigen Editor liegt hier noch ein
weites Feld — Berthold Altaner hat oft genug darauf hingewiesen
, wie wichtig und dringlich diese Arbeit für die Kirchen-
und Geistesgeschichte, aber auch aus rein philologisch-sprachlichen
Gründen ist —, so daß er jede Hilfe, die ihm zuteil wird,
begrüßen dürfte. Er wird daher ebenso wie der Historiker des
Mittelalters die Frage beantwortet wissen wollen, inwieweit
Siegmunds Arbeit jenen Erwartungen gerecht wird. Indessen
dürfte bereits unsere oben gegebene Ubersicht über die thematische
Abgrenzung der Siegmundschen Arbeit gezeigt haben,
daß mit ihr die Erfassung des gesamten in Betracht kommenden
Handschriftenbestandes nicht gegeben ist. Allein die Beschränkung
der Untersuchung auf das Frühmittelalter entwertet
diese für jene philologische Aufgabe; denn der Editor
darf auch die jüngeren Handschriften nicht außer acht lassen,
welche nach dem Leitsatze „Recentiores, non deteriores" sehr
wohl die bessere Überlieferung bieten können. Siegmunds Studie
enthebt also den künftigen Herausgeber solcher Texte keineswegs
der Mühe, erneut die Handschriftenkataloge zu durchforschen
, schon auch darum, weil die hier gegebeneu Beschrei-