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Ausgabe:

1951 Nr. 11

Spalte:

659-662

Autor/Hrsg.:

Rengstorf, Karl Heinrich

Titel/Untertitel:

Zu Gal. 5,1 1951

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659

Theologische Literaturzeitung 195I Nr. Ii

660

Zu Gi

Von Karl Heinrich Ren

Gal. 5, 1 ist eine alte crux interpretum. Das hängt allerdings
weniger mit der stark auseinandergehenden textlichen
Uberlieferung des Verses zusammen, als daß es in ihr zum
sinnenfälligen Ausdruck kommt. Jedenfalls ist auch Albrecht
Oepke1 dieser Meinung, wenn er den Sachverhalt, wie er sich
in den verschiedenen Lesarten von Gal. 5, 1 darstellt, so erklären
möchte: „Der abgehackte Einsatz hat etwas Befremdendes
. Daraus erklären sich wohl die vielen Korrekturen."

Im folgenden soll nun nicht etwa das textliche Problem
der Stelle in seiner ganzen Breite von neuem aufgerollt werden.
Dazu besteht um so weniger Anlaß, als nach der Gründlichkeit,
mit der es längst untersucht worden ist, lediglich von einer
erneuten Durchprüfung der Textüberlieferung aus neue und
weiterführende Erkenntnisse und Gesichtspunkte nicht zu erwarten
sind. Vielmehr soll in Kürze ein Beitrag zum Verständnis
und damit auch zur Rechtfertigung jener Lesart gegeben
werden, die von den großen Zeugen der sog. ägyptischen Rezension
des neutestamentlichen Textes, aber auch von D* ververtreten
wird und für die sich in neuester Zeit trotz des
Widerspruches von Theodor Zahn, James Moffat u. a. etwa
Hans Lietzmann und Albrecht Oepke erklärt haben: rfj
i?.ev&eQl<f fjnäg XQiardg fjAEV&eQOiaev artjxerte oiv xal fit; stdXiv
£vyq> öovXslag ivixEO&E.

Das Gewicht des Sätzchens liegt offenbar in dem nachdrücklich
an den Anfang gestellten rfj iX.EV&EQiq, und zwar,
um mit seiner Hilfe den Nachsatz vorzubereiten, wobei in
diesem dem fiti stdXiv £vyc5 öovXslag ein entsprechendes Gewicht
innewohnt. Dabei liegt in dem vorangestellten rfj iXEv&eqtq. zugleich
eine Stichwortverbindung zu dem vorausgehenden
rixva . . . rfjg iXev&igag vor, wie wir sie vielfach in Darlegungen
des Rabbinats finden. Die innere Gemeinschaft von 4, 31 und
5, 1 ist aber auch abgesehen hiervon außerordentlich stark,
da die Worte fiij stdX.iv ^vyü öovXslag ivi%£0&e in einer bestimmten
und offenbar keineswegs unbeabsichtigten Rückbeziehung auf
die verneinende Aussage ovx iaftiv stäi6iax?]g rixva äXXd rfjg
iX.Ev&igag stehen, ohne indes jene einfach zu wiederholen oder
in eine neue Form zu bringen. 5, 1 bringt im Gegenteil durch
das vorangestellte rfj iXev&egtqi gerade einen neuen Gesichtspunkt
zur Geltung: nicht nur keine SovXela mehr, sondern
iXsv&Eo(a Insofern widerstrebt 5, 1 schon durch seine Fassung
innerhalb der ägyptischen Rezension jedem Versuch, ihn gedanklich
noch zum Vorhergehenden zu ziehen und den neuen
Gedanken und Abschnitt erst mit 5, 2 beginnen zu lassen.

Allerdings ist damit das Vorliegen eines neuen Gedankens
nurmehr aus der Form des Sätzchens erschlossen. Es bedarf
darüber hinaus seines Nachweises auch mittels inhaltlicher
Erwägungen. Was diese betrifft, so ist nun aber zweierlei an
ihm eigenartig und stärkerer Beachtung wert, als ihm im allgemeinen
zuteil wird. Einmal benutzt Paulus, um auszudrücken
, was er sagen will, hier nicht das Verbum i£ayoodCeiv
wie 3, 13; 4, 5, sondern ikev&egovv, und zum andern sagt er
rfj iXsvdsgia und nicht ist' iX.ev&Eglq wies, 13. Beider Prägnanz
dieser Stellen darf man den Wechsel im Ausdruck nicht für
mehr zufällig halten und sich etwa darauf beschränken, daß
man das rfj iXsv&Egla in 5, 1 eben von ist' iXev&Egtq in 5, 13 erklärt
im Sinne eines Dativs der Bestimmung, obwohl dies
natürlich richtig ist, oder daß mau, wie Heinrich Schlier2,
den sachlichen Gehalt von iXev&sgla bei Paulus erörtert und
hier fruchtbar zu machen versucht. Was Paulus in 5, 1 sagen
will, ist gerade so formuliert, daß er Erwägungen über das, was
für ihn die Freiheit, um die es ihm hier geht, einschließt, oder
auch über das, was sie zur Freiheit schlechthin für ihn macht,
eben nicht nahelegt, daß vielmehr alles Gewicht bei der Feststellung
eines Gegensatzes der Art liegt, daß es wohl eine Befreiung
zur Freiheit — einerlei, durch welches Mittel —, aber
eben auch eine Befreiung gibt, die für die Befreiten eben nicht
bei der Freiheit, sondern bei neuer Sklaverei endet.

Wie die Dinge hier liegen, wird solange nicht völlig deutlich
, als man sich zur Erklärung des Satzes au jene Formeln
auf griechischen Inschriften hält, auf die Adolf Deißmaun3
aufmerksam gemacht hat und in denen vom Verkauf von
Sklaven an eine Gottheit zum Zwecke ihrer Freilassung die

') Albrecht Oepke, Der Brief des Paulus an die Galater. Theologischer
Handkommentar zum Neuen Testament. IX. Leipzig 1937, S. 90 z. St.

2) Heinrich Schlier, Der Brief an die Oalater (= Meyer VII10), Döttingen
1949, S. 164f.

2) Adolf Deißmann, Licht von Osten4, Tübingen 1923, S. 274ff.

d. 5,1

gstorf, Münster (Westf.)

Albrecht Oepke zum siebzigsten Geburtstag

Rede ist. So gewiß hier verwandte Vorstellungen vorliegen'
so sollte allein schon das zur Vorsicht mahnen, daß die auf
die Freilassung sich beziehende Formel hier eben nicht wie
Gal. 5, 1 rfj iXev^Egtq, sondern ist' iXsv&Egi'q lautet und daß hier
auch nicht von einer Befreiung zur Freiheit, sondern von
einem Kauf oder Verkauf „zur Freiheit (oder unter der Bedingung
, daß er frei ist u. ä.)"1 die Rede ist. Aber auch das
betonte Voranstellen eines ist' iXsv&eglq kennen die von Deißmann
herangezogenen Inschriften nicht. Das will um so mehr
beachtet sein, als sich diese Voranstellung auch Gal. 5, 13, wo
in' iXsv&sgla begegnet, eben nicht findet. Es muß deshalb als
fraglich gelten, ob die Möglichkeiten des hellenistischen
Sklavenrechts, wie diese Inschriften sie belegen, wirklich der
geschichtliche Hintergrund von Gal. 5, 1 sind und deshalb zur
Erklärung dieses schwierigen Verses mit der Selbstverständlichkeit
und zudem noch Ausschließlichkeit herangezogen
werden dürfen, wie es heute im allgemeinen geschieht.

Richtig ist an den Ausführungen Deißmanns die Beobachtung
, daß Paulus Gal. 5, 1 juristische und nicht theologische
Kategorien benutzt, um sein seelsorgerliches Anliegen
auszudrücken. Diese Kategorien hat er aber — und zwar mit
Einschluß jenes eigentümlich betonten und von einem mitgedachten
fit) 71dX.1v t,vycö SovX.elag abgesetzten rfj iXevfteglq —
gerade nicht dem hellenistischen, sondern dem ihm viel näher
liegenden jüdischen Sklavenrecht entnommen. Anders als das
hellenistische kennt das jüdische Sklaveurecht einen förmlichen
Sklavenkauf und -loskauf mit einer doppelten Möglichkeit:
Der losgekaufte Sklave kann in Zukunft entweder frei oder
aber von neuem Sklave, nur eben der Sklave eines anderen,
seines neuen Herrn sein. Die Mischna Gittin IV 4, eine Stelle,
die in ihrer Bedeutung für das Verständnis von Gal. 5, 1 bis
jetzt noch nicht ausgewertet ist, bestimmt:

Wenn ein Sklave gefangen wird und man ihn loskauft
(i*7S) — wenn zum Sklaven ("Qj? Diub)- 80 nuiß er weiter
Sklave sein, wenn zum Freien hinn "p Qmb)> so muß er
nicht weiter Sklave sein.
Die Vorstellung ist dabei, daß die Gefangennahme im Kriege
erfolgte, also unter Umständen, die sowohl für den Sklaven
wie für seinen bisherigen Herrn eine ganz neue Situation zur
Folge hatten. Aber nicht das ist hier das Entscheidende, sondern
die Tatsache, daß hier ein förmlicher Loskauf aus einer
Gefangenschaft im Sinne eines Verfallenseins an eine Macht
eben nicht zur Freiheit führen muß, sondern auch in neue
Sklaverei überführen kann. Wie man sich das konkret im
Rabbinat vorstellte, davon gibt die Gemara des babylonischen
Talmud zu Gittin IV 4 (b. Gittin 37 b ff.) einen guten Eindruck
.

Um einen Sachverhalt, der dem genau entspricht, geht es
Paulus in Gal. 5, 1. Sein Ziel ist, daß seine galatischen Christen
erkennen, daß es in der durch Christus bewirkten Befreiung
(r'iXEv&iQCOOEv) aus den bisherigen Bindungen um Befreiung
zum Zwecke der Freiheit mit allen Folgen eines solchen Aktes,
also mit Einschluß auch der nunmehrigen persönlichen Verantwortlichkeit
, geht, nicht aber lediglich um den Übergang
in ein neues Eigentums- und damit neues Sklavenverhälüiis.
Das rfj iXev&eglq von Gal. 5, 1 hat in dem "jiTin p DTEb

von Mischna Gittin IV 4 nicht allein seine sprachliche, sondern
auch seine sachliche genaue Entsprechung, und zwar mit
Einschluß seiner betonten Voranstellung, die in dem Mischna-
Satze nur wegen seiner Verklausulierung nicht so deutlich wie
bei Paulus hervortritt. Demgemäß trägt auch die zweite Hälfte
von Gal. 5, 1 ganz sinngemäß den Charakter einer Aufforderung
zu folgerichtigem Handeln auf Grund der durch den Loskauf
durch Christus (3, 13) geschaffenen ebenso neuen wie unerhörten
Situation: Es geht nun wirklich um die Betätigung
der durch Christus zugeeigneten freien Verantwortlichkeit.
Sie aber schließt eben jenes stdXcv SovXsvsiv, in dem Paulus die
eigentliche Gefahr für den Christenstand der galatischen
Cliristen als Freiheit erkennt, radikal aus (4,9; vgl. 1,9;
4» T9! 5- 3)- Diese Betätigung der freien Verantwortlichkeit
vor Gott bezeichnet Paulus hier wie auch sonst gern als
arfjxEiv, d. h. als Beharren in dem von Gott verliehenen,
durch Christus ermöglichten Stande der Freien. Wie das gemeint
ist, wird völlig deutlich, wenn man darüber hinaus bedenkt
, daß im Spätjudentum Zvydg / bij? der übliche Ausdruck

') Deißmann a. a. O., S. 274.