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Ausgabe:

1951 Nr. 10

Spalte:

616-617

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Wittig, Joseph

Titel/Untertitel:

Roman mit Gott 1951

Rezensent:

Fendt, Leonhard

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 10

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immer stärker und reiner geworden, und ich sehe ihn heute
mit stärkerem und reinerem Blick als je" (11).

Im Fortgang der Darlegung werden Jesu und Pauli Haltung
zum Gesetz in ihrer Unterschiedenheit von B. beschrieben
, wobei mir aber der von Schweitzer eindrucksvoll
herausgearbeitete Gesichtspunkt, daß Paulus mit einer Art
postmessianischer Logik argumentiert, nicht ganz zu seinem
Rechte zu kommen scheint. Die Verschiedenheit meiner Sicht
von der Bubersclien kann ich nur durch mein eigenes Paulusbuch
, an dem ich seit zehn Jahren schreibe, anschaulich
machen und muß mich daher hier auf das bloße Referat beschränken
. B.s Buch nimmt viele wichtige Themen auf, wie
die Einsätze der paulinischen Gesetzeslehre, Glaubensauf-
fassung und Christologie.

Ich nenne an Einzelheiten: Den Hinweis auf die pharisäische
Lischmah-Lehre (eine Sache um ihrer selber willen
tun), die der jesuanischen Nachfolgeforderung parallelisiert
wird (93ff.). Ferner die Vorstellung der Entrückung Henochs
und Elias' als eine Wurzel der personalen Präexistenz und Auferstehungslehre
im hellenistischen Judentum (101 ff.), ihre Ver-
koppelung mit dem von der Apokalyptik modifizierten Ewed
Haschern in der Verborgenheit, „da er wie ein unverwendeter
Pfeil in Gottes Köcher steckt (Jes. 41, 2)" (ioyff.). Beides gebe
sowohl das Geheimnis des messianischen Selbstbewußtseins
Jesu her (109) wie die Möglichkeit, den aus der Erden weit Erwählten
und Ermächtigten durch ein herabsteigendes Himmelswesen
zu ersetzen und so die messianische Gestalt zu vergotten.
Buber fragt, wie ,,die große Linie der alttestamentlichen
Kunde von der Nichtmenschlichkeit Gottes und der Nicht-
göttlichkeit des Menschen" (118) habe verlassen werden
können. Er gibt eine textkritische Untersuchung hierfür wichtiger
Aussagen der Evangelien, die ihn die Wurzel dessen nicht
in Jesu Aussagen — Jesus spreche immer nur als Glaubender
und nicht als möglicher Gegenstand eines Glaubens (128) —,
sondern in einem bestimmten Verständnis der jesuanischen
Aussagen sehen läßt. Und dies zuerst im Bericht des Zweiflers
Thomas, dessen Zweifel er so interpretiert: ,,Was er blitzartig
denkt, ist anscheinend: Da kein Mensch einzeln auferstehen
kann (dies nach der üblichen jüdischen Glaubensvorstellung),
ist dieser gar kein Mensch, sondern ein Gott. — Unter allen
Jüngern Jesu ist er der erste Christ im Sinne des christlichen
Dogmas" (i3of.).

Gleichwohl war aber das Werk der Vergottuug nicht Willkür
, sondern Folge einer inneren Nötigung; der bildlose Gott
wird eingeprägt in ein Bild, eine Gestalt, „das getreue Bild,
in dem der Unsichtbare dauernd sichtbar wird" (138). Buber
kommt den christlichen Glaubensansprüchen oft erstaunlich
weit entgegen und sieht „eine gewichtige Bezeugung des Heils,
das durch den Christusglauben zu den Menschen der Völker
gekommen ist" (136). Seine Wortwahl läßt keinen Zweifel
daran, daß er von der objektiven Realität des Christusereignisses
in dem Sinne überzeugt ist, daß sich hier heilsgeschiclit-
lich, d. h. von Gott her etwas für die Welt ereignet habe.

Die paulinische Theologie nun, die B. vom Gedankenkreis
des IV. Esra her entwickelt (Sündenerfahrung aus dem „bösen
Herzen" von 3, 2off., das Vollwerden der Sünde 5, 20 und die
Zwei-Äonenlehre), habe der Lehre Israels und ihrer Unmittelbarkeit
(Mittlerlosigkeit; direkter Mensch-Gott-Bezug durch
Gebet, Umkehr und Zedaka), die bei Jesus noch festgehalten
war, ihre unjüdische Form (Mittlertheologie) gegeben. Denn
Paulus habe die jüdische Umkehrlehre verlassen, zu der Jesus
und die Pharisäer aufgerufen hatten, weil er mit den Griechen
an das „Verhängnis" glaubt, das nur von Christus für die
Christen durchbrochen wird (164). Bei Paulus gebe es also
nicht mehr die jüdische Unmittelbarkeit zwischen Mensch und
Gott.

Der großartige Schlußteil des Bubersclien Buches stellt
die „paulinische" Theologie Emil Brunuers „Der Mittler" und
Franz Kafkas „antipaulinischeu" Roman „Das Schloß" gegenüber
, obschon Kafka ein „paulinischer Schilderer der Vorder-
grundhölle" gewesen sei (173). Aber Kafka halte au dem
„Trotz alledem" der jüdischen Emuna noch in einer verdüsterten
, von Gott verlassenen Welt mit Inbrunst fest. B.
kommt bei der Schilderung der jüdischen Gegenwartslage ganz
meinen eigenen Diagnosen nahe, wie ich sie schon vor 20 Jahren
gegeben habe, wenn er sagt: „In den Geschlechtern der Emanzipationszeit
spaltet sich das Glaubensvolk zunehmend in eine
Religionsgemeinschaft und eine Nation auf, die nur noch strukturell
, nicht mehr organisch miteinander verbunden sind. Die
Emuna hat in der säkularen Nation keine seelische Grundlage
mehr" (175). Und ähnlich beschreibt er die Krisis der christlichen
Pistis heutzutage, weil sich die Kluft zwischen der geforderten
Heiligung des Einzelnen und der hingenommenen

Unheiligkeit seiner Gemeinschaft zu einem Bruch der menschlichen
Seele ausgeweitet habe.

Buber schließt mit folgendem Ausblick: „Der Glaube des
Judentums und der Glaube des Christentums sind, in ihrer
Weise, wesensverschieden, jeder seinem menschlichen Wurzelgrund
gemäß, und werden wohl wesensverschiedeu bleiben, bis
das Menschengeschlecht aus den Exilen der „Religionen" in
das Königtum Gottes eingesammelt wird. Aber ein nach der
Erneuerung seines Glaubens durch die Wiedergeburt der Person
strebendes Israel und eine nach der Erneuerung ihres Glaubens
durch die Wiedergeburt der Völker strebende Christenheit
hätten einander Ungesagtes zu sagen und eine heute kaum
erst vorstellbare Hilfe einander zu leisten" (178).

Erlangen Hans Joachim Schoeps

LITERATURGESCHICHTE

Wittig, Joseph: Roman mit Gott. Tagebuchblätter der Anfechtung. Stuttgart
: Ehrenfried Klotz Verlag 1950. VIII, 132 S. 8». Br. DM6.80; Lw. DM8.50.

Dieser „Roman mit Gott", Joseph Wittigs letztes Werk,
hat ein Gegenstück in der Bibel, nämlich das Buch Hiob, das
ja auch ein „Roman mit Gott" ist. An Wittig sehen wir allerdings
nicht das alttestamentliche Ringen mit Gott, sondern
das eines katholischen Hiobiden unserer Zeit. Das ändert vieles
, aber nicht die Härte des Kampfes. Wittig geht es um den
Gott der scholastischen Theologie, den Großgott, den allmächtigen
, allwissenden, allweisen — der dennoch weder Allmacht
noch Allwissenheit noch Allweisheit gebrauchte in den Höllentagen
der Völker und in den Höllentagen und Höllenjahreii
Joseph Wittigs und der Seinen. Also, folgert Wittig, ist es
nichts mit diesem Großgott, er ist nichts als eine heinilich-
düstere Erbschaft aus der griechischen Philosophie, und diese
Erbschaft „Gott" hat sich an die Stelle gedrängt, wo das Kind
in der Krippe von Bethlehem und die hauchdünne Hostie des
Abendmahls-Jesus den liebenden, aber ach nur liebesmächtigen
, Vater zu uns brachte und bringt. Und auch das Kind in
der Krippe, auch den wandernden Jesus, auch den Gekreuzigten
suchten sie mit dem Großgott zu vermengen. So ging der
Christ zur Jungfrau Maria, zu Joseph, zu Judas Thaddäus, ZU
jedem Wanderer durchs Elend, um dem Großgott auszuweichen
und den Vater zu haben. Man wird Wittig recht verstehen
, wenn man sein Fazit so herausstellt: „In der Anfechtung
von innen und von außen bricht dem Theologen die ganze
Denktheologie zusammen; was bleibt, das ist die von Jugend
an geübte Frömmigkeit des kleinen Mannes". Eine ungeheure
These! Die Tafel „Lebensgefahr" für alle Theologen! Sie werden
sich sträuben, die These anzunehmen, sie werden die These
einengen wollen. Auf ihre Gefahr! Aber nur nicht gegen Wittig
die Ketzerkataloge bemühen — er kannte sie zu gut, und wie
er mit Humor (in dem Buch ist Humor!) immer wieder die
Dogmengeschichte repetiert, so ließe er sich von keinem Ket-
zer-Registrator dareinreden. Denn sein Buch will nicht Theologie
treiben, sondern (siehe das Buch Hiob!) es kämpft mit
Gott um den Vater Jesu und unseren Vater. Es ist auch keine
Dichtung („Was soll all die Lust, der Schmerz!"), sondern Bekenntnis
eines in Schmerzen Glaubenden zum Vater, zu Jesus,
zur Hostie — gegen den Großgott der Theologie. Das Buch ist
geradezu eine „Enttheologisierung" des katholischen Glaubens
zugunsten des „kleinen" Jesus von Nazareth und seiner „unansehnlichen
" Gefolgschaft. Sogar die „Methode" ist „ent-
theologisiert". Für richtige Theologen ein einziges Ärgernis —
wenn nicht in der Bibel das Buch Hiob stünde! Mau schreibt
am besten nichts gegen dieses Buch Wittigs, sondern liest es
und schauert. So stand auf alten Grabsteinen: „Siste, viator,
lege, luge!"

Man übersehe aber nicht, daß die „Anfechtungsmächte"
in Wittigs Tragödie angeführt werden vom katholischen Kir-
chenrecht. D.h. von der katholischen Hierarchie als der Beschützerin
des Kirchenrechts. Hier sah Wittig den Großgott
auf sich zutreten: im Namen Jesu. Wittig stand unter der Exkommunikation
, weil er der Indizierung sich nicht löblich unterwarf
und weil er sieh verehelicht hatte. Hier trat das Problem
auf: Kirchenrecht oder NT ? Kirchenrecht vor oder hinter
dem NT? Luther hatte postuliert: NT, nicht Kirchenrecht
! Das schlug durch. Wittig forderte: Kirchenrecht muß
im Sinne des Liebesethos angewendet werden! Das schlug nicht
durch. Gewiß war Wittigs Aufsatz „Die Erlösten" im Einklang
mit dem NT. Und wenn er die Ehe einging, so tat er das wieder
im Einklang mit dem NT. Nun erkannte aber Wittig nicht nur
das NT an, sondern auch das katholische Kirchenrecht! Und
das sagte: Nein. Und die dies „Nein" des Kirchenrechts gegen