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Ausgabe:

1951

Spalte:

45-48

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Benz, Ernst

Titel/Untertitel:

Wittenberg und Byzanz 1951

Rezensent:

Delius, Walter

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45

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 1

digen Darstellung der Entwicklung und Lehre Calvins sehnte,
paradoxerweise nichts übrig, als nach dem ausgezeichneten
katholischen Werk von Inibart de la Tour zu greifen (Les
Origincs de la Reforme, Bd. 4, ,.Calvin et l'Institution chre-
tienne"). Der französische Protestantismus war sich selbst,
der Ökumene und der Welt ein leicht zugängliches und doch
vollständiges Calviubuch schuldig geblieben. M. F. Wendel,
der Kirchenhistoriker bei der Theologischen Fakultät Straßburg
hat nun diese bedauerliche Lücke der französisch-
kirchengeschichtlichen Literatur meisterhaft ausgefüllt.

In einem knappen Band bringt er es fertig, eine wirkliche
ealvin istische Summe zu vermitteln. Selbstverständlich hat er
auf vieles verzichten müssen und hat als einziges Ziel die Darstellung
der calvinia tischeil Theologie vor Augen gehabt. Dies
bedeutet, daß er bewußt über die philosophischen, juristischen
und politischen Lehren Calvins so knapp als überhaupt möglich
schreibt, und daß auch, was die theologische Seite seines
Werkes anbelangt, er ständig eine Wahl zwischen hauptsächlich
und nebensächlich hat treffen müssen. Ihm lag vor allem
daran, die Originalität Calvins zu unterstreichen, so daß er
gewisse Punkte rasch behandelt, da wo Calvin sich mit der gesamten
, christlichen Überlieferung deckt, und diejenigen besonders
unterstreicht, wo Calvin seinen eigenen Weg als
Forscher und Erfinder geht. (Es werden also Punkte, wie die
Autorität der Schrift, das Problem der natürlichen Theologie,
des Extra-Calviuisticum usw. mit einer großen Ausführlichkeit
und Klarheit dargestellt.)

Es war notwendig, da M. Wendel als Geschichtshistoriker
die Lehre vom Lehrer nicht trennen durfte, auch eine kurze
Einleitung in das Leben Calvins dem theologischen Ilauptteil
vorangehen zu lassen. Und so erfahren wir viele neue Details
über die Jugend Calvins, über seine humanistische Periode,
sowie auch über seine Aufenthalte in Basel, Genf und Straßburg
. Hier auch liegt das Hauptinteresse von M. Wendel
darin, das zu sagen zu versuchen, was noch nicht gesagt
worden ist, das zu klären, was bis jetzt geheimnisvoll geblieben
war. So erfahren wir, zum Beispiel, wie der Kommentar
zu „De dementia" als eüie Herausforderung von Erasmus
wirken mußte, und es wird auch das heikle Problem der Bekehrung
Calvins sorgfältig behandelt.

Der Verf. hat eüie besondere Gabe, die Bibliographie
lebendig werden zu lassen. Bei der Behandlung des Lebens
und der Lehre Calvins, sowie bei der Besprechung der verschiedenen
Ausgaben der „Institutio" gibt er immer durch
zahlreiche, besonders interessante Notizen die Bücher und
Seiten an, die jeweils wichtig sind für das betreffende Thema
Und so ist das Buch von M. F. Wendel wie ein offenes Fenstei
auf eine ganze Bibliothek und ein Leitfaden durch die ganze
ealvinistische Literatur, in der der Verf. ganz genau bewandert
ist, wie seine treffenden Charakterisierungen der verschiedenen
Studien über Calvin beweisen.

M. F. Wendel hat für sein Werk eine streng historische
Methode angewendet, was das Biographische sowohl als das
Theologische anbelangt. Man fühlt ein ständiges Mißtrauen
jeder eigenen ideologischen Deutung gegenüber. Es soll so genau
wie möglich über Calvin referiert werden. Das ganze
Buch ist methodisch und klar wie ein Protokoll. Zwar spürt
man deutlich die Sympathie des Autors für den Reformator;
diese ist aber in keiner Weise kritik- und vorbehaltlos. Der
Mann Calvin erscheint in einem grellen Lichte, das ihn fast
unerbittlich beleuchtet und jedes Geheimnis aufzulösen versucht
. Die Lehre wird in ihren vier Kapiteln — den vier Teilen
der Institutio entsprechend — in ihren Elementen auseinandergelegt
; es werden die inneren horizontalen Verbindungen
aufgezeigt, sowie auch die vertikalen Beziehungen zur Ver
gangenheit (insbesondere zu den Kirchenvätern) und zur Zu
kuuft dargestellt. Der Leser erfährt viel und wird zugleich
zur Stellungnahme aufgefordert, denn die geschichtliche Ob
jektivität von M. Wendel zwingt zu einer subjektiven Eut
Scheidung.

' Und deshalb ist dieses Buch, bei dem man vielleicht geneigt
Ware, etwas Wärme und Schwung zu vermissen, ein sehr wich
tiger Beitrag zur Calvinforschung und wird sich wahrschein
ueli bald als unumgänglich durchsetzen.

Straßburg Georges Casalis

Benz, Ernst [Prof. D. Dr.]! Wittenberg und Byzanz. Zur Begegnung und
Auseinandersetzung der Reformation und der östlich-orthodoxen Kirche
Marburg: E|wert> Qrijfe & Unzef ig4g ,v 28g s 10Abb. 8°. Kart
UM lb.—.

i>f J!aS Blvh cuUlält den Wiederabdruck einer Reihe von
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Wjf. T?? vm (Kync-s/Y u. 5. Jg Zeitschr.f.slaw. Philo
iogie Bd. XVI; 3 u.4. Südostdeutsche Forschungen IV) ver

öffentlieht hatte. Sie sind damals, wie Benz feststellt, angesichts
der Kriegsereignisse unbeachtet geblieben, zum Teil
sind sie überhaupt nicht ausgeliefert worden. Es ist daher zu
begrüßen, daß diese Aufsätze überarbeitet, durch die neueste
Literatur ergänzt unter dem angegebenen Titel in Buchform
herausgegeben worden sind. Neu hinzugefügt worden ist die
Veröffentlichung von Briefen Hans von Ungnads und Philipps
von Hessen.

Der Ausgangspunkt für die Begegnung und Auseinandersetzung
der Reformation und der östlich-orthodoxen Kirche
ist nicht Luther, sondern Melanchthon. Sie beginnen im Jahre
1543 mit einem nach verschiedenen Seiten hin bemerkenswerten
Sehreiben des griechischen Adligen Antonios Eparchos
aus Korfu an Melanchthon. Der humanistische Briefschreiber
entwickelt hier in glänzendem Griechisch und klarer Gedankenführung
vom Standpunkt des Emigranten, der durch
die Türken aus Korfu vertrieben worden war, seüie Anschauungen
über die politische Lage Europas, die in manchen
Teilen aktuell wirken. Nach seiner Sicht kann die Bedrohung
des christlichen Europas durch die Türken angesichts der konfessionellen
Spaltung zum Verlust der abendländischen Kultur
und zur Vernichtung der europäischen Christenheit führen.
Angesichts dieser Gefahr kommt Antonios Eparchos zu einer
scharfen Kritik des humanistischen Fürsteuideals und der
durch die Reformation herbeigeführten konfessionellen Spaltung
in Deutschland. Die Reformation, deren Beurteilung in
seinem Brief immer heftiger wird, ist ihm offensichtlich Nebensache
. Melanchthon erscheint ihm als die einzige Persönlichkeit
, die noch einen konfessionellen Ausgleich herbeiführen
kann, damit der Türkengefahr begegnet und der Untergang
des christlichen Abendlandes aufgehalten werden kann. Ganz
humanistisch gedacht, aber Melanchthon als den engsten Mitarbeiter
Luthers verkennend macht er den Vorschlag dadurch
zur Rettung Europas aufzurufen, daß Melanchthon den Deutschen
, falls Beispiele aus der deutschen Geschichte nicht
überzeugen, antike Vorbilder vor die Augen stellt. Melanchthon
hat durch verschiedene Ereignisse voll in Anspruch genommen
keine Antwort auf den Brief gegeben. Die Beantwortung
übernahm Joachim Camerarius in Übereinstimmung
mit Gedankengängen Melanchthons. Camerarius Antwort erging
zunächst in einem Schreiben an den Würzburger Studenten
Matth. Ircnaeus Francus, der durch die Ausführungen
des Antonios Eparchos stark beeindruckt worden war, und
schließlich in einem direkten Brief an Antonios Eparchos, der
durch Jrenaeus Francus übermittelt wurde. Camerarius entwickelt
in diesen Schreiben melanchthonische Gedanken. An
dem Fehleu einer gemeinsamen Aktion gegen die Türken sind
nicht die Lutherischen, sondern die deutschen Fürsten schuld.
Er macht ihm ferner klar, daß die Glaubensfragen vor den
politischen Fragen den Vorrang haben. Wie stark die Argumente
des Antonios Eparchos Melanchthon lange Zeit beschäftigt
haben, macht Benz durch die Mitteilung einer Reihe
von Äußerungen Melanchthons deutlich. Zwölf Jahre später
hatte Melanchthon eüie weitere Begegnung mit Griechen, und
zwar mit JakobusIIeraklidesDespotaunddessenVetter Jakobus
Diassorinos, die beide brieflich die Freundschaft Melanchthons
suchten. Dieses Mal antwortete Melanchthon einige persönliche
Zeilen (1556). Außerdem empfahl er den Herakliden dem
dänischen König. Benz schildert dann das tragische Schicksal
des Herakliden. Melanchthon hatte bei dieser Begegnung die
Absicht, den Versuch zu unternehmen, den Herakliden zum
Vorkämpfer und Verbreiter der evangelischen Lehre in der
griechisch-orthodoxen Moldau zu machen. Der Versuch ist gescheitert
. Trotzdem ist diese Begegnung für Melanchthon
fruchtbar gewesen. Sie hat ihm nicht nur Anregungen für
seüie klassischen Studien gegeben, sondern ihm auch den Zugang
zur orthodoxen Kirche und zum byzantinischen Patriarchen
geöffnet. Mittler dieser Beziehungen war der Serbe
Demctrios, über den der dritte Beitrag handelt. Wohl nach
längeren Verhandlungen mit Demctrios richtete Melanchthon,
der sich nach verschiedenen Äußerungen sehr mit der griechischen
Kirche beschäftigte, im Jahre 1559 einen Brief an den
byzantinischen Pattiarchen. In dem Brief wird das ökumenische
Denken und das eschatologische Geschichtsbewußtsein
Melanchthons deutlich, der in dieser Endzeit für den Rest der
Gläubigen nur eine Vereinigung sieht, um gemeinsam auf die
Wiederkunft Christi zu warten. Daß ein solcher Zusammenschluß
möglich sei, dafür soll Demetrios Zeuge und Gewährsmann
sein. Die Möglichkeit zu einer ökumenischen Verständigung
sieht Melanchthon in der gemeinsamen altkirchlicheu
Tradition. Demetrios soll als Fürsprecher der Reformation in
Byzanz auftreten. Melanchthon übergibt ihm zu diesem Zweck
eine griechische Ubersetzung der Confessio Augustana zur
I Übermittlung an den Patriarchen. Gegenüber der bisherigen