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Ausgabe:

1951 Nr. 9

Spalte:

566-568

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Reding, Marcel

Titel/Untertitel:

Die Existenzphilosophie 1951

Rezensent:

Hessen, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 9

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einandersetzung zu finden mit dem christlichen Glauben. Das
Neue Testament wird allerdings in der Bibliographie unter
den zwölf Namen genannt (neben Plato, Aristoteles, Epictet,
Mark Aurel, Lucretius, Augustin, Thomas v. Aquin, Machia-
velli, Hobbes, Spinoza und Hegel), deren Schriften die grundlegende
Erkenntnis zugestanden wird, ,,that the life of action
aas a significant place as objective fact in the nature of things
and that its iuterpretation involves metaphysical principles in
the sense that its meaning lies in its relation to the world as
a whole and not in its relation to the actor". — Dieses Buch
wird der westlichen Welt nicht die „ethische Rekonstruktion"
geben können, deren sie in der Tat bedarf.

Frankfurt/M Hans Heinrich Harms

Hartniann, Nicolai: Philosophie der Natur. Abriß der speziellen Kategorienlehre
. Berlin: Walter de Oruyter 1950. XX, 709 S. gr. 8°. DM 27.50;
Lw. DM 30.—.

Der im vorigen Herbst verstorbene Göttinger Philosoph
gilt mit Recht als Bahnbrecher einer neuen Ontologie. In vier
starken Bänden hat er sie aufgebaut. Uber einer „Grundlegung
der Ontologie" (1935) erhebt sich die Untersuchung der Seins-
niodi und Seinsweisen, benannt nach ihrem Hauptproblem
..Möglichkeit und Wirklichkeit" (1938); dieser folgte „Der Aufbau
der realen Welt" (1940), eine allgemeine Kategorienlehre;
den Abschluß bildet das vorliegende Werk „Naturphilosophie
". Seinem Charakter als spezieller Kategorienlehre entspricht
seine Gliederung. Der erste Teil handelt von den
„dimensionalen Kategorien" (Raum und Zeit) und entwickelt
in eingehender Auseinandersetzung mit Kants „transzendentalem
Idealismus" eine realistische Auffassung. Der zweite behandelt
die „kosmologischen Kategorien". Unter ihnen nehmen
seit Kant Substanz und Kausalität die zentrale Stelle ein.
Aber sie erschöpfen nach Hartmanns Uberzeugung den Kreis
der kosmologischen Kategorien nicht. Dieser umfaßt vielmehr
im ganzen elf Kategorien: Substanz, Kausalität, Wechselwirkung
, Gesetzlichkeit, Prozeß, Zustand, Realverhältnis, dynamisches
Gefüge, Stufenbau, Determinationsform und dynamisches
Gleichgewicht. (H. betrachtet aber diese Reihe nicht
als abgeschlossen.) Besonders eingehend werden die vier ersten
Kategorien untersucht. Wichtig ist hier vor allem die scharfe
Scheidung von Kausalität und Gesetzlichkeit, eine Scheidung,
die nicht nur von den meisten Naturwissenschaftlern, sondern
auch von vielen Philosophen zum Schaden für ihre Gedanken-
bildung unterlassen wird. Ist so der zweite Teil des Werkes
den Kategorien der anorganischen Natur gewidmet, so wendet
sich der dritte den „organologischen Kategorien" zu. Sie umfassen
vier Gruppen von Kategorien: „das organische Leben",
„das überindividuelle Leben", „die Phylogenese", „die organische
Determination". Die zentrale Frage ist hier die Frage
"ach dem Wesen des Lebens, in der sich Mechanismus und
Vitalismus gegenüberstehen. Hartmann kommt zu dem Ergebnis
, daß beide verfehlt sind: der erstere, weil er eine Erklärung
„von unten", von der niederen Seinsschicht aus gibt;
der letztere, weil er eine Erklärung „von oben", von der
höheren Seinsschicht aus versucht. „Weder der Kausalnexus
noch der Finalnexus paßt kategorial auf das Eigentümliche
der Lebensprozessc zu" (S. 31). Im Organischen waltet eine
dritte Form der Determination, ein eigentümlicher Nexus
organicus, dessen Wesen uns unbekannt ist (S. 31 u. 689).

Damit haben wir den Aufbau des Werkes kurz umrissen.
Seine Vorzüge springen in die Augen: eine bewundernswerte
Vertrautheit mit den Ergebnissen und Problemen der heutigen
Naturwissenschaft, ein ungewöhnlicher Scharfblick für alle
Phänomene der Naturwirklichkeit, eine in letzte Tiefen vordringende
Analyse dieser Phänomene. Man kann nur wünschen
, daß recht viele Naturwissenschaftler dieses Werk lesen,
das wie kaum ein anderes geeignet ist, sie von jener unzureichenden
, weil an der Oberfläche haftenden Seh- und Denkweise
zu befreien, die wir „Positivismus" nennen. Daß kein
Philosoph, der sich um eine metaphysische Ausdeutung der
Naturwirklichkeit bemüht, an diesem Werk vorübergehen darf,
ist selbstverständlich.

Beim tieferen Eindringen in Hartmanns Naturphilosophie
werden freilich dem kritischen Blick auch ihre Grenzen sichtbar
. Sie sind bedingt durch eine gewisse Einseitigkeit des
Standpunktes, den Hartmann in verschiedenen Fragen einnimmt
. An drei besonders wichtigen Fragen sei das deutlich
gemacht.

Bei der Erörterung des Kausalproblems gibt H. die Begründung
des Kausalprinzips kurz wieder, die er in seinem
Werk „Möglichkeit und Wirklichkeit" ausführlich entwickelt

hat. Mit dieser Begründung habe ich mich in meiner Abhandlung
„Das Problem des Möglichen. N. Hartmanns Modallehre
in kritischer Beleuchtung" (Philos. Jahrb. Bd. 53, S. 145—166)
auseinandergesetzt und glaube gezeigt zu haben, daß sie nicht
stichhaltig ist, weil ihre Grundlage, der von H. konstruierte
Begriff der Realmöglichkeit, unhaltbar ist. — In der Substanzfrage
vertritt H. den Standpunkt, daß die Kategorie der Substanz
nur auf das anorganische, nicht dagegen auf das organische
und erst recht nicht auf das seelische und geistige Sein
anwendbar ist (S. 297, 298, 571). Daß bei richtiger Fassung
des Substanzbegriffs — H. engt ihn auf das „beharrende Substrat
" ein — der entgegengesetzte Stundpunkt sehr Wohl vertretbar
ist, dürfte die neue und neueste Diskussion um das
Substanzproblem gezeigt haben (vgl. mein Werk „Das Substanzproblem
in der Philosophie der Neuzeit", Berlin u. Bonn
J932). — Bei der Behandlung der Finalität lehnt H. jede Anwendung
dieser „hybriden Kategorie" auf außermenschliche
Bereiche mit bewußter Schärfe ab. Nur beim menschlichen
Wollen und Handeln gibt es den Finalnexus: das Vorsetzen
des Zweckes, die Rückdetermination der Mittel und die Verwirklichung
des Zweckes durch die Mittel (S. 332). Mit dieser
Verneinung jeder Naturteleologie steht H. in Gegensatz zu
den bedeutendsten Naturphilosophen der Gegenwart (Driesch,
Becher, Bavink, Wenzl u. a.). Es ist zu bedauern, daß H. in
dieser wie auch in den beiden andern Fragen auf jede Auseinandersetzung
mit zeitgenössischen Forschern verzichtet. Solche
monologische Art des Philosophierens birgt die Gefahr in sich,
daß mau hinter den Erkenntnissen anderer zurückbleibt.

Noch auf eine letzte Grenze der Hartmannschen Philosophie
mag in dieser Zeitschrift hingewiesen werden: es ist der
radikale Immanentismus, der alle seine Werke kennzeichnet
Jedes Transzendieren des endlichen Bereichs perhorresziert er.
Wenn er auf solche Versuche stößt, etwa in den Gottesbeweisen
, verliert er leicht die ruhig sachliche Haltung und
greift zu Epitheta, die fast wie Schimpfwörter klingen („naiv",
„populär", „mythisch", „superstitiös" usw.). Hier werden
nicht nur die wissenschaftlichen, sondern auch die menschlichen
Grenzen des großen Denkers offenbar: eine Nietzsche
verwandte und an ihm genährte Hybris schlägt ihn mit Blindheit
für die ins Transzendente weisenden Phänomene der Welt
und des Lebens. Die Denker, die sie sehen und bei ihrer metaphysischen
Ausdeutung zur Bildung letzter und höchster Begriffe
fortschreiten (als da sind ens a se, absolutes Sein, Weltgrund
u. a.), dürften in ihrer überragenden Mehrheit durch ihr
geistiges Niveau gegen eine psychologistische Entwertung ihrer
Gedankenbildung geschützt sein. Um einen besonders hervorragenden
Denker dieser Art aus der jüngsten Vergangenheit
zu nennen, weise ich auf Franz Brentano hin, diesen durch
logischen Scharfsinn wie durch schöpferische Kraft des
Denkens in gleichem Maße ausgezeichneten Philosophen. Sein
ideenreiches und tief bohrendes Werk „Vom Dasein Gottes"
(aus dem Nachlaß herausgegeben von A. Kastil, Leipzig 1929)
ist wie kein anderes geeignet, einem das Versagen des Hartmannschen
Denkens vor den letzten und tiefsten Fragen des
Menschengeistes zum Bewußtsein zu bringen.

Köln Johannes Hessen

Reding, Marcel: Die Existenzphilosophie. Heidegger, Sartre, Gabriel
Marcel und Jaspers in kritisch-systematischer Sicht. Düsseldorf: Schwann
11949]. 238 S. 8° = Philos. Beiträge zur Erkenntnis der Mcnschenwirklich-
keit Bd. I. Lw. DM 11.50.

Der Tübinger Dozent für katholische Theologie eröffnet
mit seiner aktuellen Schrift eine neue Sammlung, die sich
„Philosophische Beiträge zur Erkenntnis der Menschenwirk-
lichkeit" nennt und die mit dem Wort „Mensch" bezeichnete
Wirklichkeit unter dem dreifachen Aspekt der Ontologie,
Anthropologie und Ethik erforschen will. Der vorliegende
Band bietet eine systematische Darstellung und kritische
Würdigung der einflußreichsten philosophischen Strömung der
Gegenwart: der Existenzphilosophie. Diese wird zunächst in
den Zusammenhang der Geistesgeschichte hineingestellt und
in ihrem geschichtlichen Werden geschildert. Von der historischen
geht der Verf. dann zur systematischen Betrachtung
über und zeigt, welche Erfahrungsquellen nach Anschauung
der verschiedenen Existenzphilosophen für die Erschließung
der menschlichen Existenz in Frage kommen. (Bei Heidegger
sind es die Stimmungen, bei Jaspers die Kommunikation und
die Grenzsituationen usw.) Ein weiteres Kapitel beschäftigt
sich mit dem Existenzbegriff und seinen mannigfachen Abwandlungen
in der Existenzphilosophie und ein letztes mit
den verschiedenen, in wesentlichen Punkten sogar gegensätzlichen
Ausgestaltungen dieser Philosophie. Ein besonderes Verdienst
des Verf.s liegt in der ausführlichen und überall aus