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Ausgabe:

1951 Nr. 9

Spalte:

561-563

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Dyggve, Ejnar

Titel/Untertitel:

Das Laphrion 1951

Rezensent:

Gross, Walter Hatto

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 9

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sammenhang gehört der Globus, den er noch auf dem Hohen-
furter Altar in der Hand hält. Der Gestus der rechten Hand
mit ausgestrecktem Zeige- und Mittelfinger ist der antike
Sprechgestus, nicht Namengebung, wie mehrfach gesagt ist.
Freiburg i. Br. J. Kollwitz

°yggve, EJnar: Das Laphrion. Der Tempelbezirk von Kalydon. Mit
einem religionsgeschichtlichen Beitrag von Frederik Poulsen. Kopenhagen:
EJnar Munksgaard (in Komm.) 1948. 367 S. m. 317 Abb., XXXIX Taf.
4" -= Det Kongelige Danske Vldenskabernes Selskab. Arkaeologlsk-Kunst-
historiske Skrifter, Bd. I, Nr. 2. Kr. 60.—.

Gemeinsame dänisch-griechische Ausgrabungen in den
Jahren 1926, 1928 und 1932 mit einer Nachgrabung 1935
haben vor dem Westtor der aitolischen Stadt Kalydon (unweit
des modernen Mesolonghi) den heiligen Bezirk der Artemis
Laphria und, einige hundert Meter davon entfernt, in
der Südwestnekropole ein größeres Heroon aufgedeckt. Nach
einem vorläufigen Bericht von 1927 wurde 1934 die abschließende
Publikation des Heroon von Dyggve, seit 1932
federführendem Architekten der Grabung, Poulsen und K.
Rhomaios vorgelegt, ebenso wie der soeben erschienene Band
in den Schriften der um Ausgrabung und Veröffentlichung
hochverdienten kgl. dänischen Akademie der Wissenschaften.
Nach 14 Jahren erscheint nun die endgültige Bearbeitung der
Architektur des Laphrion. Die Schwierigkeiten der Kriegsjahre
machten eine Verbindung mit Rhomaios unmöglich, von
dem noch eine ausführliche Behandlung der Baukeramik aussteht
. Ebenso vereitelten sie die rechtzeitige Veröffentlichung
der Kleinfunde aus Ton und Bronze durch Poulsen; der vorzeitige
Tod des gelehrten Leiters der Glyptothek Ny Carlsberg
in Kopenhagen läßt leider befürchten, daß diese Lücke noch
länger bestehen bleiben wird. Um so dankbarer müssen
Schnelligkeit und Gründlichkeit anerkannt werden, mit denen
D. die Baugeschichte des Heiligtums dargestellt hat.

Der drucktechnisch vorzüglich ausgestattete Band bietet
nach einer kurzen Orientierung über das Laphriongebiet zunächst
eine ausführliche, durch reichliche Zeichnungen und
Abbildungen nach photographischen Vorlagen unterstützte
Baubeschreibung. Da die Stadt seit Augustus nicht mehr bewohnt
war und früh schon von den Nachbarn als Steinbruch
benützt wurde, reichen die in situ erhaltenen Reste selten über
die Fundamente hinaus, doch sind genügend Teile des Aufbaus
(in Bruchstücken) gefunden, um eine einigermaßen zuverlässige
Vorstellung wesentlicher Details zu vermitteln. Das
Heiligtum ist etwa 400 m lang. Es gehört damit zu den großen
griechischen Tempelbezirken, auch wenn seine Breite, geländemäßig
bedingt, überall nur gering ist. Es gliedert sich in
drei Zonen, deren erste die beiden Tempel enthielt, sowie eine
Reihe kleinerer Bauten, unter denen ein apsidenförmiger
kleiner Tempel (?) besonders bemerkenswert ist. Der große
Tempel steht zur Hälfte auf einer monumentalen Terrasse,
deren Aufbau in allem Wesentlichen erhalten ist und die dem
heutigen Besucher allem noch einen Eindruck von der großzügigen
Anlage zu vermitteln vermag. Zone II und III liegen
entlang dem heiligen Weg, auf dem die Prozessionen das
Tempelareal erreichten und der durch ein kleines Propylon
abgeschlossen war. II enthält neben kleineren Gebäuden vor
allem die große Stoa, III die Reste von 7—8 wohl richtig als
Thesauroi bezeichneten Bauten, die alle erst 1935 bei der
Untersuchung des Bezirkes durch D. aufgedeckt wurden. Sie
liegen sämtlich nordostwärts des Weges, wo allein genügend
Terrain zur Verfügung stand; auf dem abschüssigen Abhang
nordwestlich der Straße sind kerne Funde gemacht worden.

Das dritte Kapitel behandelt die Bauglieder und die Zierarchitektur
. Soweit das Material Stein ist, darf die Behandlung
als endgültig angesehen werden; bei der Baukeramik ist
nur auf Darstellung des architekturgeschichtlichen und technischen
Befundes abgezielt worden, die Veröffentlichung im
Einzelnen steht noch aus. Bis dahin können die ausgezeichneten
Abbildungen der wichtigeren Fragmente auch für stilistische
Untersuchungen als tragfähige Grundlage herangezogen
werden. Von allgemeinem Interesse ist vor allem der
Nachweis (93), daß zwei Schablonen verschiedener Größe für
die Kannelierung der Säulen verwandt wurden. Beide sind
Kreissegmente und zeigen, daß die Höhlung einer Kannelure
sich nicht mit der Abnahme der Breite proportional umbildet,
sondern daß der Radius der Hohlstreifen der gleiche bleibt.
Unter den Einzelteilen verdienen besonders (noff.) die Fragmente
eines Kassettengeisons und einer Sima mit Löwenköpfen
, die Tonprotomen des „bunten Daches", die Bruchstücke
bemalter Tonmetopen, die Wasserspeier des Löwen-
simendaches und die Akroterfiguren (Sphingen) Beachtung.

Hier wünscht man sich für die abschließende Behandlung der
Baukeramik ein paar zuverlässige Farbtafeln, sonst bleiben
Namen wie „das rote Dach", „das blaßgelbe Dach" usw. allzu
schemenhaft.

Die Anlage des Buches bringt es mit sich, daß man für jeden Bau an
mindestens drei Stellen nachschlagen muß, bis man die Grundlagen des Aufbaues
zusammen hat: in der Baubeschreibung, in der Behandlung der Bau- und
Zierglieder und schließlich in dem großen zusammenfassenden Kapitel IV, In
dem die Geschichte der Gebäude und des ganzen Heiligtums dargestellt wird.
Manchmal erscheinen die Kombinationen der Dachkeramik mit den Baugrundrissen
recht kühn; man wird D.s Aufstellungen zunächst als Arbeitshypothesen
zu verwenden haben und die Rekonstruktionen immer wieder von neuem
prüfen müssen. Die Anhaltspunkte dafür sind etwas schwach, ihre Tragfähigkeit
kann erst dann sinnvoll diskutiert werden, wenn alle Fragmente der Baukeramik
ausreichend publiziert sind. Sind D.s Hypothesen richtig, dann hatte
der kleinere Tempel A Knickgiebel, Löwenslma, bemalte Tonmetopen, Tonsphingen
als Eckakrotere und eine laufende Gorgo als Mittelakroter, er wäre
um 580/60 gebaut und hätte ohne Umbauten ungestört bis zum Ende der
kalydonischen Stadtgeschichte nach Actium gestanden. Der große Tempel B
hatte dagegen drei Bauperioden. Der älteste Bau, ein kleines templum In antis,
stammt aus dem Ende des 7. Jahrhunderts, der zweite aus etwa der gleichen
Zeit wie A, wobei noch eine Erneuerung des Daches in spätarchaischer Zeit
angenommen wird. Erst der dritte Bau steht auf der eigens für ihn errichteten
Terrasse, deren monumentale Abmessungen und feine Fassadengliederung von
hervorragender Wirkung gewesen sein müssen. Dieser dritte Bau, 14,94 zu
32,55 m (in der Euthynterie gemessen) ist ein dorischer Ringhallentempel mit
6: 13 Säulen und innerer Säulenstellung in der Cella. Er scheint um das Ende
des ersten Viertels des 4. Jahrhunderts erbaut zu sein. In ihm ist der Tempel
der Hauptgottheit von Kalydon, der Artemis Laphria, zu erkennen. Schwieriger
Ist die Frage, welchem der beiden neben Artemis bezeugten Götter,
Apollon oder Dionysos, Tempel A gehört hat und wo dann die fehlende Kultstätte
für den dritten zu suchen ist. Die Ausgräber stimmen in vorbildlicher
Zurückhaltung überein, daß diese Frage nicht sicher zu entscheiden sei, doch
zieht D. 299 Dionysos als Inhaber des Tempels A vor, während P. 341 mehr
Apollon zuneigt. Die komplizierte Geschichte der übrigen Bauten der Zone I
wird neben dem Text durch einen Plan erläutert, der zu einer Gesamtübersicht
über alle Baulichkeiten aller Perioden eine gesonderte Skizze für jede einzelne
Bauperiode enthält, in der alles angegeben ist, was zu dieser Zeit tatsächlich
stand (Taf. 39, vgl. 267 Abb. 253), eine außerordentliche Erleichterung für
jeden, der sich schnell orientieren will. Dem Apsidenbau D gehört offenbar die
besondere Liebe des Verf.s, der ihm außer einer ausführlichen Behandlung im
Rahmen des vierten Kapitels (271 ff.) noch drei von den vier Exkursen des
Werkes widmet (315ff.). Alle bekannten Beispiele apsidaler Bauten in griechischen
Heiligtümern werden herangezogen (274, 2 fehlt das Kalksteinmodell
aus Samos, AM. 55, 1930, Beil. 4), aus keramischem Material und Bauresten
Folgerungen für die Entstehung der Dreieckgiebel gezogen, an Hand reichen
Parallelmaterials eindringliche Studien zum Aufbau des Apsisgebäudes vorgelegt
, die wohl noch eine lebhafte Diskussion entfesseln werden. Überzeugend
wird kultische Bedeutung der Apsisbauten erschlossen. In Form einer vorsich-
sichtigen Frage wird angedeutet, es könnten Beziehungen zwischen den archaischen
Aspidenbauten und gewissen Coemeterialkapellen christlicher Heroen
bestehen. Hier wird Skepsis am Platze sein, bis die Zusammenhänge geklärt
und der Begriff des christlichen Heroon einwandfrei definiert ist.

Die Stoa der Zone II scheint hellenistisch zu sein, während
die Schatzhäuser der Zone III aus verschiedenen Jahrhunderten
herrühren, von der archaischen bis in die hellenistische
Zeit. Fragweise wird Bau H der Zone I in geometrische Zeit
gesetzt. Er wäre dann das älteste Zeichen des Kultes auf dem
Laphrionhügel, die Verehrung der Artemis dort bis in die Zeit
der homerischen Gedichte verfolgbar, in denen die kalydo-
nische Artemis (in der Erzählung des Phoinix, I 529ff.) eine
für Kalydon verhängnisvolle Rolle spielt. Eine Nachprüfung
ist nicht möglich, weil die geometrischen Scherben, auf denen
der Ansatz beruht, bisher nicht veröffentlicht sind; D. selbst
legt (294) kein großes Gewicht auf diese Hypothese. In
archaischer Zeit läßt die Baukeramik, die mindestens zum Teil
an Ort und Stelle gefertigt wurde (vgl. dazu jetzt noch L. H.
Jeffery, BSA 43, 1948, 203ff.), lebhafte Beziehungen zu Ko-
rinth erkennen, von wo die entscheidenden Einflüsse gekommen
sind. Der Kult auf der Laphrionhöhe ist auch nach
der Wegführung der Kultbilder und der Räumung Kalydons
auf Befehl des Augustus offenbar noch fortgesetzt worden,
wenn auch in bescheidenstem Ausmaß und wohl rein privat,
eine Angelegenheit der Hirten der Umgebung. Aus nach-
antiker Zeit liegen nur ein paar byzantinische Gräber vor,
dann stirbt das Leben dort wohl völlig ab. Heute steht im
heiligen Bezirk der Artemis neben ein paar Hütten ein Kirchlein
des Hl. Johannes, ein Beispiel mehr für die örtliche Kontinuität
des Kultes auch über den Wechsel der Religion hinweg
.

Dank der sehr reichlichen Ausstattung mit Bildern und
den ebenso gründlichen wie sorgsamen Beschreibungen D.s gehört
das Laphrion heute zu den am besten bekannten griechi-