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Ausgabe:

1951

Spalte:

557

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Rupp, Gordon

Titel/Untertitel:

Luther's Progress to the Diet of Worms 1521 1951

Rezensent:

Roth, Erich

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557 Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 9 _ 558

Rupp, Gordon: Luther's Progress to the Diet of Worms 1521. London:
SCM Press 1951. 108 S.

Der junge Methodist G. Rupp gehört zu den wenigen
Lutherexperten in England. Nach kleineren Anfängen hat er
sich auf dem Gebiet der Reformationsgeschichte erstmalig
einen Namen gemacht durch das Buch: Studies in the Making
of the English Protestant Tradition, Cambridge 1947. i.n
welchem er vor allem bemüht ist, die Adern der Theologie
Luthers in der Kirche von England unter Heinrich VIII. bloßzulegen
. Vorher schon gab ihm die reichlich plumpe Schrift
Wieners ,,M. Luther: Hitler's Spiritual Ancestor" Gelegenheit
zu der feinsinnigen Erwiderung: M. Luther Hitler's Cause — or
Cure? 1945.

Die vorliegende Schrift hat ein begrenztes Ziel. Dem Umstand
Rechnung tragend, daß die Lutherforschung der letzten
Jahrzehnte ihr Interesse besonders dem „jungen Luther" zugewandt
hat, will R. den englischen Leser über den bisher erarbeiteten
Stand der Dinge unterrichten. Er tut es in einer
überaus anziehenden konzentrierten Skizze von Luthers
äußerem und innerem Werdegang bis zur Wartburgzeit. Wenn
R. in diesem Rahmen auch bewußt davon absieht, Neues beizutragen
und es dafür im Vorwort für spätere Zeit ankündigt,
so handelt es sich doch um alles andere als ein bloßes Referat.
Die Lutherforschung ist ja nicht eben einheitlich zu nennen,
und der Reiz dieses englischen „jungen Luther" liegt in der
ebenso begeisternden wie besonnenen Art, in der der Verf.
schien Weg durch den Zauberwald der Lutherliteratur findet.
Bei einer Skizze muß man sich bekanntlich auf die Kunst
des Weglassens verstehen, und R. versteht sich darauf, man
wünschte sich mitunter sogar etwas weniger Zurückhaltung.

Obschon R. auch um negative Züge an Luther weiß, ist seine Darstellung
, was der Satz ausspricht: ,,I have tried to concentrate 011 a positive
presentation" (S. 7). Die Liebe des Verf.s zu seinem Gegenstand kann man
schon an den Mottos greifen, die aus Bunyans Pilgerreise den einzelnen Kapiteln
vorangestellt sind, im Bewußtsein der Kongenialität, wie sie etwa in
Bunyans Bemerkung zu Luthers Galaterkommentar zum Ausdruck kommt:
„I found my condition in his experience so largely and profoundly handled as
if the book had been written out of my heart" (S. 105f.). In Anbetracht dessen,
daß in England einerseits Luther in einem merkwürdigen Zerrbild an die Peripherie
gedrängt ist, anderseits die Pilgerreise immer noch das Hausbuch darstellt
, ist die gerechtfertigte Zusammenstellung Luther-Bunyan ein glücklicher
Griff, geeignet, Luther die Tür in England neu aufzutun. (Vgl. auch den Titel
dieser Schrift mit Pilgrim's Progress.)

Kap. I „Young Luther" S. 9—25 behandelt Luthers äußeren Werdegang
bis zur Übernahme der theologischen Professur, Kap. II ,,Mr. Feanng"
S. 26—35 Luthers Inneres Ringen in Verbindung mit seinem theologischen
Wachstum bis zum neuen Verständnis der Iustitia Del. Die psychologisch-
medizinische Deutungsmethode etwa Reiters wird als Irrweg angesehen (S. 31),
Luthers Verhältnis zu Staupitz auf der Linie des Buches von E.Wolf beurteilt.
Kap. III „In excitu Israel" S. 36—47 befaßt sich mit der exegetisch-theologischen
Entwicklung des Professors Luther. Das neue Verständnis der Iustitia
Del wird mit Vogelsang — trotz Wendorf — in die Zeit 1513/14 angesetzt
(S. 38). Holls Deutung der Rechtfertigungslehre Luthers sowie ihre besonders
seitens der skandinavischen Forscher erhobene Kritik wird übergangen (S. 41).
Gegenüber der Mystik weiß R. Luther entsprechend abzugrenzen (S. 43). —
Die nächsten beiden Kapitel „The Hubbub" S. 48—58 und „Great Argument"
S. 59—70 behandeln den Ablaßstreit bis nach der Leipziger Disputation. Es
folgen schließlich in Kap. VI „The Reformer" S. 71— 91 Luthers Hauptschriften
von 1520, und in Kap.VII „The Knight of Faith" S.92—102 die
Wormser Ereignisse. — Ein Epilog unterstreicht Luthers Bedeutung und zollt
ihm hohe Anerkennung: „Luther did in twenty years almost single-handed
what it took six notable Englishmen the span of two centuries to acconiphsh"
(S. 106).

Die Abgrenzung gegenüber der neuesten römisch-katholischen Forschung,
die nur im biographischen, nicht im theologischen Teil Luther gerecht wird, erfolgt
stillschweigend, wenn auch der Satz auf sie gemünzt ist: „the old asser-
tion that all that is good in Luther is Catholic, is a naive begging of the
question" (S. 104). — Im ganzen spürt man bei so manchem Knoten, daß der
Verf. mehr auf Lager hat als er hier herausrückt; dafür wird z. B. zur Frage
der Iustitia Dei vor Luther ein Beitrag angekündigt (S. 34). Unter der dort
aufgeführten Literatur fehlt der im ARG erschienene Beitrag von H. Bornkamm
zu diesem Thema.

Das kleine Buch ist bestens geeignet, in England zum
Studium Luthers anzuregen und berechtigt außerdem zu guten
Hoffnungen für die Weiterarbeit des Verf.s

Göttingen, z. Zt. Cambridge Erich Rotn

Hildebrandt, ' ranz: From Luther to Wesley. London: Lutterworth
Press 1951. 224 S. 8°.

Verf., der alter Dahlemer ist und sich durch die Berliner
Licentiatenarbeit „Est. Das lutherische Prinzip" wie auch die
Schrift „Melanchthon — Alien or Ally", Cambridge I94°> «{*"
reits bekannt gemacht hat, legt hier einen Versuch vor, die

Theologie Luthers und Wesleys auf dem Grunde des NTs zu
vergleichen. Die Ansprechbarkeit des Unternehmens ist durch
die dahinter stehende persönliche Note gesteigert, daß der Verf.
sein lutherisches Pfarramt mit einem methodistischeu vertauscht
hat, ein Schritt, den er nach dem Vorwort als „a trans-
lation rather than a break" ansehen möchte.

Der erste Teil, der die eine Hälfte ausmacht und auf Vorlesungen
am Wesley House zu Cambridge unter dem Titel
„Comparative study of Protestant doctrine" vom Jahre 1942
beruht, ist laut freundlicher Mitteilung des Verfs nach dem
Ubergang zum Methodismus ausgearbeitet worden. Er bringt
eine Synopse der wichtigsten Lehrstücke Luthers und Wesleys
, wobei die methodistischeu Choräle besonders berücksichtigt
werden. Es kommt dem Verf. dabei nicht darauf an,
wie es historisch mit Wesleys Abhängigkeit von Luther steht,
nur der Befund als solcher ist ihm wichtig. Darum werden auch
die Brüder John und Charles in der ganzen Schrift als ein
Wesley behandelt. — Der zweite Teil, als „Synthesis" überschrieben
und noch in der „lutherischen Zeit" des Verf.s konzipiert
, will Luther und Wesley im Lichte des NTs „zusammenbringen
", aber doch so, daß der Vergleich, was die Einlinigkeit
der Heilsgewißheit und ihre Auswirkung im praktischen
Christentum anlangt, zugunsten Wesleys ausfällt. — Ein
kurzer, keineswegs überflüssiger dritter Teil, „Harmonie", beurteilt
die Kirchenlieder auf beiden Seiten, besonders auch die
ins Englische übertragenen, samt den Melodien.

1 )as Bemerkenswerte an dem Buch ist die Ablehnung alles
Pietismus unter gleichzeitiger Beibehaltung seines Erust-
machens mit dem Christentum. Es ist im Grunde eine biblisch -
reformatorische Auffrischung und Betonung der Linie von
Theodor Jellinghaus, auf dessen Buch „Das völlige gegenwärtige
Heil durch Christum" der Verf. Bezug nimmt, wenn
er den programmatischen Satz formuliert: „The battle then
and now is indeed for the ,perfect, füll and present salvatiou
through Christ' against all .dialectics' in theology, but un-
spoiled by the flavour of Pietism; and this battle can only be
won by the united forces of Luther and Wesley" (S. 109).

Bei der Lektüre ist man zunächst verwundert, warum das Buch „Von
Luther zu Wesley" heißt und nicht „Mit Luther und Wesley". Nicht nur weil
die drei Teile des Stoffes die Überschriften „Synopsis", „Synthesis" und
„Harmony" tragen, und Verf. im Vorwort von sich spricht als „one who,
brought up with Luther and still .taking hittl for granted' ", sondern vor allem,
weil das Buch die Schlacht schlagen will „mit den vereinten Kräften von
Luther und Wesley". Auch in dem entscheidenden zweiten Teil wird im Sinne
des Söderblomschen Satzes operiert, wonach der Methodismus die eigentliche
englische Aneignung Luthers ist. Dennoch kommt in einer Spiegelung des
inneren Ringens, das dem Buch einen besonderen Bekenntnischarakter gibt,
dann heraus, daß jenes „völlige gegenwärtige Heil durch Christum" bei Wesley
in einer anderen Promptheit und Unmittelbarkeit des aktiven Lebensbezugs
zu greifen — theologisch zu greifen — ist als bei Luther. Auf der andern Seite
ist ein ganzer Abschnitt — Reformation of the Revival — dem Bemühen gewidmet
, Wesleys Härten durch Luther zu korrigieren.

Keine Frage, daß das Buch, dessen eigentliches Thema um die Fragenkomplexe
Rechtfertigung und Heiligung, Gesetz und Evangelium kreist, an die
entscheidenden Dinge rührt. Es soll nicht bestritten werden, daß jenes „völlig"
in Luthers Welthaltung so stark nicht hervortritt als bei Wesley, der als Missionar
in die Welt zog und zur Sklavenbefreiung seinen Beitrag leistete. Und doch
regen sich gegen den vorliegenden theologischen Versuch auch einige Bedenken
.

1. Zu dem entscheidenden Punkt, an dem Wesley über Luther hinausragt
(„From Romans 7 — that is the decisive step from Luther to Wesley —
we have to go on to Romans 8". S. 112), ist zu bemerken, daß die Arbeit ein
Kapitel über den Begriff der Sünde vermissen läßt und damit die eigentliche
Klärung des Verständnisses von Rüm. 7. Die Entscheidung darüber, ob Rüm.7
als ein Übergangsstadium aufgefaßt werden kann oder nicht, hängt davon ab,
ob man die Aktsünde als die eigentliche Sünde oder bereits als ihre Frucht ansieht
, hängt also an der Bewertung der coneupiscentia. Hier ist Rom. 7 das
Schibboleth aller Theologie, man könnte ohne in der Konzeption ungenial
zu sein geradezu eine Theologiegeschichte als Geschichte der Auslegung von
Rom. 7 schreiben. So sehr es dem Verf. um die Ablehnung alles Pietismus geht
(er ist als Methodist bemüht „to avoid the Company of Pietism at all costs and
in all respects" S. 7), er kommt um die Tatsache schwerlich herum, daß sowohl
Spener als auch Wesley und auch Jellinghaus, wie immer sie in der
Näherbestimmung differieren, darin einig sind, daß sie es gegen die Reformatoren
ablehnen, Rom. 7 als den „Normalzustand" des Christen zu begreifen.
So fein die Beobachtung ist, daß Wesleys Bruch mit den pietistischen Brüdern
aus dem gleichen Grunde erfolgte, aus dem Luther mit den Antinomisten
brach, die Schwierigkeit um Rom. 7 bleibt bestehen.

2. A1it der Tatsache, daß die Reformatoren in dein simul von Rüm. 7
und dem simul von Rom. 8 als zwei Ganzheiten zusammengenommen, also
nicht in Rüm. 7 allein, den „Normalzustand" des Christen sehen, hängt es zusammen
, daß das Leben eines Christen aus der vom Verf. abgelehnten „Dialektik
" und Paradoxie nicht herausbrechen kann in die mit Wesley erstrehte „Ein-