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Ausgabe:

1951 Nr. 9

Spalte:

555-556

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Heckel, Johannes

Titel/Untertitel:

Initia iuris ecclesiastici Protestantium 1951

Rezensent:

Schott, Erdmann

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 9

556

anderen Stufe als alle anderen Reliquien. Die Siudone von
Turin gehört zu den Evangelien! „Ein Gläubiger, der den Anspruch
erheben darf, für einen kritischen Kopf zu gelten,
wünscht Ungläubige und Glaubensschwache an diesem Wunder
teilnehmen zu lassen. Ein Lutheraner lädt insbesondere
seine Glaubensgenossen ein, von dem großen Wunder unserer
Tage den wohltätigen Gebrauch zu machen, den Gott Im
Sinne hatte, als er das Wunder wirkte." Gegenüber solcher
Verwirrung der Begriffe halten wir es wohl immer noch besser
mit Luther: „Denn ob wir gleich aller Heiligen Gebeine oder
heilige und geweihte Kleider auf einen Haufen hätten, so
wäre uns doch nichts damit geholfen, denn es ist alles tot
Ding, das niemand heiligen kann. Aber Gottes Wort ist der
Schatz, der alle Dinge heilig macht ..." (Gr. Kat. 3. Gebot,
Bek.Schr. S. 583). Auch gegenüber dein Turiner Grabtuch gilt
doch das Wort der Schmalk. Artikel: „Regulam autem aliam
habemus, ut videlicet verbum Dei condat articulos fidei et
praeterea nemo, ne angelus quidem" (Bek.Schr. S. 421).
Güttingen Wilhelm Schneemelcher

Gregor der Große, [Papst]: Ostermorgen. (Aus dem 2. Buche der „Vierzig
Homilien zu den Evangelien" ausgewählt 11. übertragen von Ludwig
Deimel.) Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag o. J. 16 S. 8°. DM 1.40.
Es ist stets verdienstlich, die Predigten großer Väter der
Kirche zu uns Heutigen |redeu zu lassen. Das gilt auch
für die Ostcrhomilie Gregors I., gehalten 591. Bezeugt sich
doch so die alle Zeit überdauernde Gegenwartsbedeutung
des Evangeliums, zumal von der Auferstehung. Ein kleiner
Ausschnitt altkirchlicher Exegese und seelsorgerlicher Tätigkeit
zeigt uns kein aul3ergewölmliches, aber doch für Gregor,
für seine Zeit und seinen Standort Rom instruktives Bild.
Zweifellos steht er in der Tradition geformter allegorischer Auslegung
, die das im Evangelium berichtete Geschehen auf innerliche
Vorgänge bei Maria Magdalena und dem gläubigen
Christen überhaupt deutet. Die Erlösung der Seele von den
Todesbanden des Unglaubens, ihre tägliche Auferstehung
von der Schuld durch die Buße (Beichte und Absolution) - ist
die Homilie doch offenbar eine Aufmunterung zur Beichte -
sowie das altkirchliche Dogma von der Überwindung des
Teufels dadurch, daß er mit Antastung des Unsterblichen seine
Macht überschritten hat, sind die Gedanken Gregors. Zu
bezweifeln ist allerdings, ob der LIerausgeber und Ubersetzer
trotz ihrer inhaltlichen Gleichheit bzw. Anglcichuug die in der
Hauptsache gekürzt und zuweilen sehr frei wiedergegebene
Homilie 25 zu Joh. 20, 1. 11—16 (MPL 76, 1188—1196) am
Anfang durch einen Abschnitt der Homilie 22, 2 zu Joh. 20,
1—9 (MPL 76, 1174) und vor dem Ende durch einen Auszug
der Homilie 21, 7 (1. c. 1173) erweitern durfte, ohne sie in
Gregors angezogenem Text zu belegen, was hiermit nachgeholt
sei.

Königswinter A. Harne 1

KIRCHENGESCHICHTE: ZEIT DER REFORMATION
UND GEGENREFORMATION
Heckel, Johannes: Initia iuris ecclesiastici Protestantium. München:

Verl. d. Bayer. Akademie d. Wissenschaften, in Komm, bei C. H. Beck 1950.

128 S. 8" m Sitzungsberichte der Bayer. Akademie d. Wissenschaften, Phi-

los.-hist. Klasse, Jahrg. 1949, H.5. DM 12.—.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Initia
Lutheri, denen schon früher das besondere Interesse H.s galt
(vgl. Recht und Gesetz, Kirche und Obrigkeit in Luthers Lehre
vor dem Thesenanschlag von 1517, ZRG 57, kau. Abt. 26, 1937,
S. 285 ff.). Zugleich aber will H. einen Beitrag liefern zum evangelischen
Kirchenrechtsbegriff überhaupt; denn H. ist überzeugt
, daß sich bereits 1517 das neue reformatorische Verständnis
des Kirchenrechts in allen wesentlichen Zügen bei
Luther vorfindet: „Was er unter Kirchen-,Recht' verstand,
findet jetzt erstmals und zugleich endgültig Inhalt und
Form" (23).

H. interpretiert Luther folgendermaßen: „Auf zweierlei
Weise entstellt das Kirchenrecht. Da die Kirche . . . einerseits
als bloße Dienerin im regnum Christi seinen Amtsauftrag vollzieht
, andererseits als Gemeinschaft der Gläubigen selbst für
ihre Mitglieder tätig wird, so bringt sie auch das Kirchenrecht
in unterschiedlichem Verfahren hervor. Luther hält beide genau
auseinander und ist darin vorbildlich für die Bekenntnis-
Schriften der lutherischen Kirche geworden" (43). Im Anschluß
an diese von Luther vorgenommene Unterscheidung spricht
H. von „heterouomeni" und „autonomem" Kirchenrecht.
Das heteronome Kirchenrecht (im Sinne H.s) „steht und fällt
mit dem Urteil Gottes darüber, ob das kirchliche Amt im

konkreten Fall nicht nur im Namen, sondern im Sinn Gottes
gehandelt hat" (43). Das autonome Kirchenrecht „wird vom
Kirchenwesen, also außerhalb der Schlüsselgewalt, gebildet
und dient der Ordnung des äußeren Gemeinlebens derChristen"
(44). Es hat ein seelsorgerliches Ziel. Das autonome Kirchenrecht
„ist weder ratione auctoritatis noch materiae .geistliches
Recht'". „Die opinio necessitatis, die im Kirchengebot sich
kundtut, bezieht sich nicht auf die necessitas salutis, sondern
. . . auf die necessitas fratris" (49). Gott hat „dem Kirchenwesen
das Recht versagt, Befehle zu erteilen, denen als solchen
eine im Gewissen verpflichtende Verbindlichkeit zukäme" (50).
„Es steht in solcher Hinsicht im Kirchenwesen ganz anders
als in den weltlichen Reichen" (50). Im (autonomen) Kirchenrecht
ist der leitende Gesichtspunkt nicht die Ordnung, sondern
(in christlicher Freiheit) die Liebe. „Unter seinen Zeitgenossen
hat niemand so wie er (sc. Luther) die gottgewollten Ordnungen
gepriesen, ihre Notwendigkeit eingeschärft, ihre Beachtung
aus religiösen Gründen gefordert. Aber hat er je von der
äußeren Kirchenordnung so gesprochen ? Mit gutem Grund erwähnt
er nur die Ordnungen, welche dem weltlichen Regiment
unterstellt sind" (59). Dem (autonomen) Kirchenrecht fehlt
„der formale Geltlingsanspruch" (64).

Wir müssen es uns aus Raumgründen versagen, die bedeutsamen
Ausführungen H.s im einzelnen weiter darzustellen,
z. B. seine Kritik an Holl (45ff.) oder seine Bezugnahme auf
Sohm (48t., 52) oder seine Deutung von WA I 529, 25, wo
Luther in starken Worten seine Bereitschaft erklärt, sich dem
Spruch Leos X. zu unterwerfen (79). Nur ein wichtiger Punkt
sei noch berührt: die rechtliche Struktur des Bußsakraments.
Während die Scholastik neben dem Forum Dei ein doppeltes
Forum ecclesiae kennt: internum (Bußsakrament) und exter-
num (excommunicatio), weist Luther dein Forum Dei die
poenitentia sowohl interna wie externa zu; poen. externa ist
vor allem die nova vita. (H. macht darauf aufmerksam, daß
Luther hier den Ausdruck exteruus zum erstenmal in der Bedeutung
gebraucht, in der er später von den notae .externae'
ecclesiae redet [94].) Das Bußsakrament wird also nicht mehr
zum Forum ecclesiae gerechnet, sondern zum Forum Dei. Der
bußfertige Sünder kann nämlich „gemeinhin . . . den priester-
lichen Losspruch nicht entbehren. . . . Die priesterliehe Absolution
als Einrichtung des göttlichen Rechts ist mithin zwar
nicht die begriffsnotwendige, aber doch die praktisch regelmäßige
und insoweit gottgewollte Voraussetzung für den
Empfang der Bußgnade" (98). Diese neue reformatorische
Wertung der Absolution ist kirchenrechtlich sehr folgenreich:
„Da der Priester seine zentrale Stellung im Bußsakrament an
den peccator contritus verloren hat, rückt er jetzt in diejenige
eines geistlichen Helfers des Beichtenden. Aus dem minister
sacramenti wird ein minister confitentis in sacramento" (103).
Der Priester kann darum auch keine Satisfaktionen auferlegen
. Selbst die Vorschrift, Beichtterinine einzuhalten, stellt
sich nun als „eine Zustäudigkeitsüberschreitung der kirchlichen
Obrigkeit" dar (97). Und die komplizierte kauouistische Doktrin
hinsichtlich der clavis errans vereinfacht sich außerordentlich
. „Von allen in der Scholastik behandelten Bc-
standsmängeln bleibt nur einer übrig, nämlich daß der Beichtvater
von dem Beichtenden über das Vorhandensein der Buß-
gesinnung arglistig getäuscht wird" (104). Das Forum internum
ecclesiae existiert für Luther nicht mehr; damit ist
„dein kanonischen Bußverfahren überhaupt die religiöse
Grundlage entzogen" (107). „Die Tätigkeit des Priesters verwandelt
sich aus einem Akt der Gerichtsbarkeit in einen
solchen der Seelsorge. Damit wird indessen die Buße nicht
etwa ihres gerichtsmäßigen Gepräges entkleidet. . . . Das ganze
Verfahren spielt sich in Foro Dei ab" (115). Vor das Forum
ecclesiae gehören nur die öffentlichen Sünden, die „wegen ihrer
Schwere ein Ärgernis bei der christlichen Gemeinde erregt
haben" (115; cf. io8ff.). Das Zuchtrecht, das der Kirche hier
zusteht, „muß natürlich im Geist des autonomen Kirchenrechts
geübt werden. Daher dürfen die Zuchtmittel nur dem
Erziehungs-, nicht dem Vergeltungszweck dienen" (111).

Wir brechen ab. Es gäbe noch manches zu erörtern, z. B.
den Kirchenbegriff (13ff.), das neue Verständnis des jus divinum
(23ff.), die Rechtsqualität des Kirchenrechts im Blick
auf den modernen Staats- und Rechtsbegriff (55f.), Luthers
neue Deutung von Rom. 13, iff. (nyff.), die reformatorische
Begrenzung der kirchlichen Gehorsamspflicht (122 ff.) u. a. m.:
Es wäre im einzelnen da auch manche Frage zu stellen, aber
im ganzen gewinnt man den Eindruck, daß H. seine bedeutsamen
Erkenntnisse gut begründet und daß von ihm viel zu
lernen ist. Möchte es ihm bald möglich sein, die in Aussicht gestellte
(12) Untersuchung über die Entwicklung des Kirchen-
gedankens bei Luther vorzulegen.

Dersekow bei Greifswald E.Schott