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Ausgabe:

1951 Nr. 9

Spalte:

553-555

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Hynek, Ralph W.

Titel/Untertitel:

Golgotha 1951

Rezensent:

Schneemelcher, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 9

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10. Meyer, R. T.: St.Athanasius, The Life of St.Antony. 1Ü50. 154 S.

In der neuesten Zeit hat sich die Forschung mit dem für die Typisierung
der altchristlichen und mittelalterlichen Heiligenvita vorbildlichen Athanasius-
Werk intensiv befaßt, und so hat denn auch der Verf. wertvolles Material benützen
können. Es ist nicht verwunderlich, daß ihm trotzdem manches unter
dem hemmenden Einfluß des Weltkrieges entgangen oder nicht zugänglich
gewesen ist. Ich erwähne einiges: J. Stoffels, Theol. und Glaube 1910, 721—732,
800—830 (zur Kritik der Dämonologie); Festugiere, Rev. Et. Grecques 1937,
470—502 (Einfluß antiker Viten); Gäritte, Bull. Instit. Hist. Beige, Rome 22,
1942/43,5-29 (Geschichte des griechischen Textes); Dörries, Nachr. Gott. Akad.
Wiss. 1949, 359—410 (die Vite als Geschichtsquelle).

U. Davis, H.: St.Gregory the Great, Pastoral Care. 1950. 281 S.

Die Einleitung orientiert (S. 3—15) u. a. über die Quellen und auf Grund
einer in den USA (Ithaka 1936) erschienenen Dissertation von D.M. Wcrtz über
den Einfluß der Schrift auf die Formung der mittelalterlichen klerikalen
Lebenshaltung. Zu den erläuternden Noten gebe ich folgende ergänzende Hin-
Weise. In II 5 ist nicht, wie S. 247f. n. 38a angenommen wird, von der privaten
sakramentalen Buße die Rede, sondern von der Beichte als Mittel der
therapeutischen Seelenführung; vgl. Poschmann, Theol. Revue 1934, 355ff.;
jetzt auch derselbe im Handbuch der Dogmengeschichte IV 3, 1951, 63f. Zu
S. 248 n. 42 wäre nicht nur auf die Regula Benedicti c. 64, sondern vor allem
auf den bei Augustinus wiederholt vorkommenden gleichen Gedanken als
Quelle hinzuweisen; zu den bei C. Butler, Regula s. Benedicti, 1935, 118 n. 23
verzeichneten drei Fundstellen bei Augustinus ist noch Ep. 134, 1 hinzuzufügen
. Zu S. 258 n. 166 bringt St. Giet, Rech. Sc. Rel. 1948, 55—92 wertvolle
Feststellungen.

Würzburg Berthold Altaner

Hynek, R. w., Dr.: Golgotha im Zeugnis des Turiner Grabtuches.

Erweit. Neuaufl. von: Golgotha, Wissenschaft und Mystik. Karlsruhe:
Badenia-Verlag [1950J. 223 S., 17 Taf. Geb. DM 6.80.
Meissinger, Karl August: Das Turiner Grablinnen. Gräfelfing: E. Gans
1949. 47 S., 4 Abb. Kart. DM 1.80.

Unter den mehr als 40 Grabtüchem (nach Meissinger S. 10
sogar mehr als 130), die den Anspruch erheben, echte Reliquien,
d. h. das echte Grabtuch, in dem der Leichnam Christi eingehüllt
wurde, zu sein, hat das seit 1578 in Turin befindliche
Linnen seit langem besondere Beachtung gefunden. Seitdem
1898 der Photograph Pia dieses Tuch photographierte und dabei
das genaue Abbild eines gekreuzigten Mannes darin entdeckt
zu haben meinte, ist der Kampf um diese Reliquie nicht
verstummt. Besonders der Franzose U. Chevalier hat sich
heftig gegen die Echtheit des Turiner Tuches gewandt. Der
Prager Arzt R. W. Hynek dagegen hat schon mehrfach in die
Diskussion eingegriffen und sich dabei als einen energischen
Verfechter der Echtheit gezeigt. In seinem Buch: Golgotha,
Wissenschaft und Mystik, eine medizinisch-apologetische
Studie über das heilige Grablinnen von Turin, Karlsruhe 1936,
hat er das ganze Material, das zu diesem Thema gehört, zusammengestellt
. Jetzt liegt nun die 2. Auflage dieses Buches
vor, die erheblich übersichtlicher und besser lesbar ist als die
erste, auch wenn das Ineinander von Wissenschaft und Erbauung
wie in der 1. Auflage noch durchaus das Kennzeichen
des Werkes ist (vgl. die Kritik Meissingers S. 14 Anm. 1).

In dem ersten Teil (Corpus delicti Golgothae) schildert H. zunächst die
Geschichte der Reliquie, aus der hervorzuheben ist, daß sie eigentlich erst mit
der Kaiserin Eudoxia 438 beginnt. Die Zeugen für das Vorhandensein des
Tuches in Jerusalem in der Zeit von 311—438 werden zwar als vorhanden vorausgesetzt
, aber nicht genannt, was allerdings wohl auch schwierig sein dürfte.
Wie dem auch sei: aus der Zeit vor 311 gibt es kein Zeugnis für das Vorhandensein
des Tuches. Von 438 ab existiert nun aber — nach H. — eine ununterbrochene
Kette von Zeugen, die zeigt, daß wir es bei dem Turiner Tuch, im
Oegensatz zu anderen Nachahmungen, mit dem echten Grabtuch (d.h. zumindest
mit dem, das 438 nach Konstantinopel kam) zu tun haben. Eine
Schilderung des äußeren Befundes macht deutlich, daß es sich bei den Abdrücken
auf dem Tuch nicht um Malerei oder etwas ähnliches handeln kann,
sondern nur um Abdrücke eines Leichnams, der noch blutete, als er in das Tuch
gelegt wurde. Die Photographie zeigt, daß es sich um „Negative" handelt,
d. h. „das bloße Auge sieht die Abdrücke negativ, die Spuren von Blut
und Wunden positiv" (S. 29). Wir bekommen damit eine „Photographie der
Seele und wahres Bildnis des Gottmenschen" (S. 41). Alle Einwände gegen die
Echtheit sind auf naturwissenschaftlichem Wege zu entkräften: Das Tuch ist
ein antikes Tuch, der Leichnam, der darin eingewickelt war, zeigt noch keine
Spuren der Verwesung usw. Vor allem ist für H. wichtig, daß die gesamte
mittelalterliche Darstellung der Gestalt Christi von dem, uns heute mit Mitteln
der Naturwissenschaft genau und deutlich erkennbaren, Bilde auf dem Turiner
Tuch abhängig ist. Auch das sog. Schweißtuch der Veronika ist nichts anderes
als eine Kopie dieses Tuches. Weder historische noch kunstgeschichtliche noch
Phototechnische Oründe können Zweifel an der Echtheit erregen. Daß die
Päpste sich oft für dieses Tuch ausgesprochen haben, stützt nach Meinung des
Verf.s seine These. So bleibt nur übrig, auf die Knie zu fallen und Gott für sein

himmlisches Gnadengeschenk zu danken: „Das heilige Grablinnen von Turin
ist ein Corpus delicti Golgothae" (S. 82).

Aber trotz dieses Triumphgesanges hält es der Verf. für nötig, noch einen
zweiten Teil folgen zu lassen: „Golgotha, vom Arzt gesehen", in dem nun die
Naturwissenschaft „das letzte und entscheidende Wort" (S. 79) spricht. Hier
versucht H. nun in einer wunderlichen Mischung von medizinischen, gerichts-
niedizinischen, kulturgeschichtlichen und exegetischen Darlegungen die letzten
Beweise für die Echtheit zu führen, um dann in einem Schlußwort noch einmal
den Wert „dieser kostbarsten Reliquie der Welt" (S. 215) herauszustreichen
und seine Meinung mit einem Zitat aus Paul Claudel zu bekräftigen: „Dies ist
ein neues Testament, und der es errichtete, ist damit selbst in unsere Hände
gelegt" (S. 215). In der Tat ist dieses Wort Claudels keine schlechte Charakteristik
des Eindrucks, den man bei der Lektüre des ganzen Buches hat: Hier ist
ein Arzt am Werk, der sich freut, mit allen Mitteln seiner Wissenschaft, mit
Blutuntersuchungen und Erstickungsversuchen usw. an der Person Jesu Christi
herumexperimentieren zu können, ihn selbst in der Hand zu haben und damit
seinen Glauben zu stärken. Trotz vieler Beteuerungen der Ehrfurcht fehlt gerade
diese dem Buch und das macht die Lektüre so unerfreulich.

Zur Kritik im einzelnen sei noch bemerkt: 1. die mangelnde Bezeugung
des Tuches in der alten Kirche ist einfach nicht zu überbrücken. Solange nicht
nachgewiesen ist, daß dieses Tuch vor 438 (und vor allem vor 3111) vorhanden
war, steht es von vornherein im Verdacht der Unechtheit. 2. Damit
hängt zusammen, daß die Christus-Darstellung, die sich angeblich auf diesem
Tuch finden soll (eine Nachprüfung war mir nicht möglich, da ich auf die Photographien
des Buches angewiesen war), einem Typ angehört, der erst in theodo-
sianischer Zeit auftritt. (Man vgl. nur z. B. die Abb. 69—71 und 95—97 bei
Fr. Gerke, Christus in der spätantiken Plastik, Berlin 1940.) Der Versuch, alle
Darstellungen Christi („des nazarenisch-byzantinischen Typus") von diesem
Tuch abzuleiten und somit in diesem Typus eine getreue Wiedergabe der
wahren Gestalt Jesu zu sehen, dürfte — gelinde ausgedrückt — unwissenschaftlicher
Unfug sein.

Eine eingehende Stellungnahme zu dem naturwissenschaftlich-medizinischen
Teil des Buches ist mir nicht möglich, da mir die Fachkenntnisse fehlen.
Manche Einzelheiten der Kreuzigung und der näheren Umstände dabei mögen
durch H. verständlich gemacht sein, wenn auch seine Exegese der neutesta-
mentlichen Stellen jeden kritischen Urteils entbehrt und die Dinge in unvorstellbarem
Maße simplifiziert.

So ist man trotz des aufgebotenen Scharfsinnes und der
angewandten Mühe, trotz des immer wieder betonten Glaubeus-
eifers und des Anrufens vieler wissenschaftlicher Kapazitäten
in keiner Weise überzeugt, hier irgend etwas für den christlichen
Glauben oder die Theologie Wesentliches gelesen zu
haben. Die Echtheit dieser Reliquie bleibt nach wie vor strittig
und der Wert solcher Reliquien — selbst, wenn sie echt wären
— wird durch solche Auswertung uns nicht gerade nahe gebracht
.

Die offizielle katholische Kirchenlehre ist allerdings — das
sei betont — in dieser Hinsicht etwas vorsichtiger. Denn für sie
gilt, was Pius X. in der Enzyklika „Pascendi" ausgesprochen
hat: ,,Die Kirche tritt nicht für die Wahrheit einer Tatsache
ein, sondern erlaubt nur, daran (mit menschlichem Glauben)
zu glauben, wo menschliche Beweise für die Glaubwürdigkeit
sprechen usw.". Aber — und auch das muß ausgesprochen
werden — die Gefahr, die durch solche pseudowissenschaftliche
Literatur, wie das Werk von H., heraufbeschworen wird, ist
nicht gering. Vestigia terrent! Man denke nur an die Assumptio
Mariae! Daher ist zu diesem Buch von H. nur ein deutliches
Nein zu sagen. Wir lassen uns weder das Turiner Grabtuch,
noch das Heilige Land, noch J. S. Bach als 5. Evangelium aufreden
!

Daß dieses Nein klar und deutlich gesagt werden muß,
zeigt nicht nur die Wertschätzung, die das angebliche Bild des
Turiner Grabtuches in protestantischen Kreisen genießt, sondern
in geradezu erschreckendem Umfang auch die Schrift des
„Lutheraner" (S. 42) K. A. Meissinger. M. bietet zunächst
weitgehend eine Zusammenfassung des Materials, das H. in
der 1. Auflage seiner Schrift vorgelegt hat: 1. Befund, 2. Geschichte
. Wichtig ist dabei der bei H. fehlende Hinweis auf die
Mutter Konstantins, Helena (S. 26), die sich besonders um die
Reliquien der Passion bemüht hat. Tatsächlich wird man die
„Entstehung" einer solchen Reliquie wie das Grabtuch von
Turin in dieser Zeit anzusetzen haben. In einem dritten Abschnitt
werden von M. „Gewissensfragen" erörtert. Da in dem
Tuch das wahre Antlitz, die wahre Gestalt und die wahren
Spuren von der Passion des Heilandes erhalten sind, ist damit
grundsätzlich die Frage nach dem Wesen und der Gottgefälligkeit
der Reliquienverehrung gestellt, die immer noch besser
ist — „vom Standpunkt eines lutherischen Christen gesprochen
" — als der humanistische Geniekult, der sich z. B.
auch in der Lutherverehrung des Protestantismus breit gemacht
hat. Luther wie aucli der Verf. können nur als Zeugen
für eine echte Verehrung dieser „hochheiligen" Reliquie angeführt
werden. Denn diese Reliquie steht doch auf einer ganz