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Ausgabe:

1951 Nr. 9

Spalte:

525-532

Autor/Hrsg.:

Fendt, Leonhard

Titel/Untertitel:

Evangelische Liturgik 1951

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 9

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6; 24. !5)- Jedenfalls hätte Paulus nach dem Ausweis der
(allerdings etwas späteren) Inschriften sehr wohl das Ohr der
Führer der römischen Judenschaft gefunden, wenn er auch
dort von ihr ausgegangen wäre (Ag. 28, iyff.). I" der Auf-
erweckung Jesu war ein für Paulus durchschlagender Ent-
scheidungsgrund in dem jüdischen Streit um die Auferstehung
schlechthin gegeben (auch dafür war ihm 1. Kor. ig, 3 ff-
wichtig). Auch damit hängt die Bedeutung zusammen, die für
Ihn der Gedanke des Mitauferstehens mit Christus hat: in dem
Auferstandenen Ist der Anfang der neuen Menschheit gesetzt;
•He neue Gemeinde ist die Schar derer, die an Ostern teilhaben
und von Ostern her auch der kommenden leiblichen Auferstehung
gewiß sind. Damit ist die Hoffnung des Judentums

vneQExneQioowg erfüllt. Die — betonte — Leiblichkeit der Auferstehung
zieht einen tiefen Trennungsgraben zwischen aller
hellenistischen Zukunftserwartung und der des Neuen Testaments
(ganz abgesehen etwa von dem Gegensatz zwischen
Geschichtslosigkeit und Geschichtsgebundenheit, Individualismus
und Gemeinschaftsdenken, der beide voneinander scheidet
). In der jüdischen Hoffnung ist formal, religionsgeschicht-
lich, die Auferstehungstheologie des Paulus weit emdeutiger
begründet als in den Mysterien '.

') Wie fremd sie in ihrem Ansatz auch dem spätgriechischen Empfinden
ist, zeigt bekanntlich Ag. 17,32. Die Vermutung, Anastasis sei eine Göttin,
liegt übrigens dort nicht fern, wo man den jüdischen Namen Anastasios kennt.

Evangelische Liturgik

Von Leonhard Fendt, Bad Liebenzell

Begreift man heute (nach vielen Streitigkeiten) unter
Liturgie den ganzen Umfang des öffentlichen Gottesdienstes
in der Christenheit, so hat eine evangelische Liturgik
diese Liturgie in ihrem ganzen Ausmaße mit den Mitteln der
Geschichtswissenschaft zu erforschen, mit den Mitteln der
Systematik zu beurteilen, von Historie und Systematik aus
zu erklären, und für die etwaige Ausarbeitung neuer liturgischer
Stücke Grundsätze aus Historie und Systematik darzubieten
. Daneben sind die Zusammenfassungen des jeweils
mit Historie und Systematik Erreichten, welche man Lehrbücher
oder Handbücher der Liturgik nennt (kurzweg auch
,,Liturgik"), Rechenschaftsberichte über den jeweiligen Stand
der Forschung, nämlich über die jeweilige Erforschung der
Einzclgebiete, über die jeweiligen Resultate, über die jeweils
offen bleibenden Fragen, auch über die jeweils mögliche Zusammenschau
des ganzen Gebiets. Diese Hand- oder Lehrbücher
sind ein unumgängliches Mittel, den Nachwuchs in die
Liturgik einzuführen — für den Liturgiker sind sie ein unumgängliches
Nachschlagewerk. Die Hauptarbeit in der Liturgik
geschieht aber dort, wo die Quellen studiert, ediert, beschrieben
, verglichen, beurteilt werden; denn das ist Liturgie geworden
, was in den Quellen steht, daraus müssen die Schlüsse
gezogen werden, daran muß die Systematik ihr Urteil üben.
Auch wer nur ein Teilgebiet, etwa die Liturgien der Reformation
und die Liturgien der Nachreformationszeit, behandeln
will, kommt nicht darüber hinweg, diese Liturgien in ihrem
Zusammenhange mit allen Liturgien der Christenheit zu erforschen
— und die Kenntnis aller Liturgien kann ein Forscher
nur so erringen, daß er in der Vergangenheit mitforscht, auch
wo sie römisch-katholisch oder syrisch war. Das wußte Hans
Lietzmann und handelte darnach. Evangelische „Liturgik",
welche sich bloß auf die heutige Heimatliturgie und etwa die
Reformationsforschung stützt, ist nicht eigentliche Liturgik,
sondern (sicherlich als solche hochachtbare) „Einführung in
die Agende". Evangelische Liturgik sieht gewiß im Vordergründe
die Reformationsliturgien und die Liturgien der Nachreformationszeit
— aber nicht als isolierte Erscheinungen, sondern
als Landschaften innerhalb des gesamten liturgischen
Kosmos. Die lutherischen Messen des 16. Jahrhunderts (die
im 19. Jahrhundert erneuert wurden), die Abendmahlsfeiern
der Reformierten, die Tauf-Agenden der Evangelischen, die
Liturgien der sog. Amtshandlungen — sie werden, soweit man
heute ungefähr urteilen kann, im Ganzen aller christlichen
Liturgie nicht schwächer, sondern stärker; man kann das von
vornherein aus der Tatsache abnehmen, daß die Reformation
über „die Zeit der Formulare" wieder auf jene Zeit zurück-
griff, welche Liturgien zu produzieren (nach einem allen selbstverständlichen
Schema) jedem Liturgen zubilligte, der es konnte.
Dann wird man auch über die Frage Bescheid geben können,
ob die Übernahme des Schemas und vieler Einzelstücke aus
dem mittelalterlichen Katholizismus wirklich schlechthin in
einem neuen Geiste geschah — oder ob dieses Schema und
diese Stücke ihren Geist in die Reformation eintrugen! Und
das geht doch die Reformationsgeschichtsschreibung hart an.
Auch die Frage wird brennend, ob die Liturgien wirklich als
Ausdruck des „Christentums zweiter Ordnung" (und etwa
das „gelehrte Christentum" als Ausdruck des „Christentums
erster Ordnung"!) zu werten sind — es könnte ja auch umgekehrt
sein. Erst dann kann auch die Systematik ihr Urteil
abgeben, sonst geht es wie mit Sommerlaths ausgezeichnetem
Buch „Der Sinn des Abendmahls" (1930), von welchem
Pinsk, im Jahrbuch für Liturgiewissenschaf't 1930, X. Band,
S. 399 konstatierte: „Nach der Darstellung Sommerlaths steht
Luther in allen entscheidenden Hauptpunkten auf dem Standpunkt
der offiziellen katholischen Kirchenlehre, was Sommer-
lath selbst allerdings kaum zum Bewußtsein zu kommen
scheint". Das ist gewiß kein Mangel bei Sommerlath, der eben
Luthers Abendmahlslehre um 1528 darstellen wollte und
richtig darstellte, aber es ist ein Notabene für polemisierende
Systematiker, die erst festen Boden bekommen müßten - und
den können sie nur von allseitiger evangelischer Liturgik her
bekommen. Ob wir in dieser Angelegenheit nicht doch viel zu
viel Schlagworte haben, auch gelehrte Schlagworte ?

In diesem Zusammenhang ist auf jeden Fall die Liturgik
der theologischen Fakultät der Universität Lund ein starkes
Plus. Hier macht man Editionen und zieht die Folgerungen
aus den Quellen, die man in das Ganze der schwedischen, überhaupt
skandinavischen, dann deutschen, englischen, französischen
usw. Quellen, und endlich in das Gesamte der christlichen
Liturgie einstellt. Der ThLZ liegen zwei solche Editionen
aus jüngster Zeit vor, auf die hinzuweisen mehr bedeutet als
eine bloße Buchanzeige. Hilding Johansson1 gab das bisher
ungedruckte Manuale (= Rituale) von Hemsjö (im früheren
Bistum Skara) heraus — mit einer Studie, welche nichts
anderes bedeutet als eine gediegene Einführung in die
Ritualienforschuug. Ritualien (damals Manualien genannt) für
die Dienste der Mönche und Priester machten sich zuerst die
Klöster zurecht, und von diesen Klosterritualien her begannen
die Manualien für Weltpriester, und das erst im 14. Jahrhundert
. Das Manuale von Hemsjö setzt Johansson um 1400
an. Johansson hatte bei seiner Arbeit die Hilfe von Kjöl 1 erström
, Pleijel, Maliuiemi, Strömberg, Lenhart (O. C.
in Pittsburg). Schon Adolf Franz („Das Rituale von St. Florian
aus dem 12. Jahrhundert" 1904) klagte darüber, daß für
das Gebiet der Ritualienforschung ungeheure Schätze in den
Bibliotheken liegen, aber kaum ediert werden. Auch Johansson
weist darauf hin, daß in der Universitätsbibliothek Uppsala
und in der königlichen Bibliothek zu Stockholm eine Fülle
solcher Manuskripte der Edition harren; und daß die deutsche
und die englische Ritualien-Tradition wenig bekannt
ist, noch weniger die französische ; kein französisches
Rituale ist im Druck erschienen. Was Johansson mit seiner
Edition und Einführung erreicht, ist nicht weniger als ein
helles Licht über die katholische Vergangenheit des schwedischen
Volkes, welche Vergangenheit der Schwede als seine
Vergangenheit, die Vergangenheit seiner Kirche anzusehen
gelernt hat. Der lutherische Schwede! Es zeigt sich, wie
konservativ die katholische schwedische Liturgie war; welche
Einflüsse die Bistümer darin aufeinander ausübten; welche
Einflüsse aus England, Deutschland (Augsburg! Obsequiale
Augustense 1487, besonders für Aschermittwoch) — beides im
Endpunkt über Dänemark und speziell über Lund — kamen
(kein Rituale von Lund ist erhalten); hingegen ist der
(zweite) französische Einfluß (über das Rheinland her) als
Einfluß der Dominikanerliturgie in Abo, Uppsala, Linköping
zu konstatieren, aber nicht ebenso in Skara, gar nicht im
Manuale von Hemsjö; die original-schwedischen Züge führt
Johansson auf das Gelasianum (welches ?) und Gregorianum
(welches ?) zurück, auf das Bobbio-Missale und den Ordo Ro-
mauus vulgatus. — Eine besonders willkommene Zugabe bietet
Johansson mit dem „Verzeichnis gedruckter Ritualien bis zum
Jahre 1530". — Dankbar sei festgestellt, daß der Verf. die alte

') Johansson, Hilding: Hemsjömanualet. En liturgi-hlitorlsk

Studie. (Mit. e. Zusammenfassg. in dt. Sprache u. e. Verzeichnis gedruckter
Ritualien.) Stockholm: Svenska Kyrk ans Diakonistyrelses Bokförlag [1950].
242 S. gr. 8° Samlingar och Studier tili Svenska Kyrkans Historia utg.av
Hilding Pleijel 24 (= Acta Historico-Ecclesiastica Suecana). kr.10.—,