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Ausgabe:

1951 Nr. 9

Spalte:

521-526

Autor/Hrsg.:

Delling, Gerhard

Titel/Untertitel:

SPERANDA FVTVRA 1951

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 9

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die Liturgiegeschichte die Erkenntnis regionaler Typen das A
und O ist, hat jüngst wieder G. Kunze1 gezeigt.

Diese Fragestellungen mag M. in anderen Teilen seiner
Dissertation berührt haben; der hier vorliegende läßt nichts
davon erkennen. Er macht keinen Versuch, seine Zeugen für
den /-Text zu gruppieren, etwa auch nur festzustellen, in
welchen bestimmte Färbungen vorwiegen. Er behandelt sie
durchweg als eine Einheit, obwohl sich darunter so ausgesprochene
Außenseiter wie C 947 und / 32 befinden. Letzteres
differierte bei einer von mir vorgenommenen Stichprobe
jn 91 möglichen Fällen 27mal von dem ihm nächstliegenden
' l663, 42mal von dem ihm am fernsten stehenden C 947.
Soweit ich sehe, bilden nach dem Textbestand am ehesten
«ne Gruppe: / 12 — / 374 — / 1634 — / 303 — / 333. Aber
dazu müßten, wie oben gesagt, noch viele andere Daten herangezogen
werden. Jedenfalls kann die Untersuchung nicht begründet
werden auf ein Dutzend mehr oder weniger zufällig
verfügbarer /. Sondern Colwells Forderung einer Erforschung
.■lection by lection" ist zu erweitern: nicht nur „lection by
lection", sondern auch „lectionary by lectionary".

Wieviel Dank und Anerkennung trotz aller hier erhobenen

') 0. Kunze, Die gottesdienstliche Schriftlesung. Teil I: Stand und Aufgaben
der Perikopenforschung 1947.

Einwände M. gebührt, wird der Leser unschwer ermessen,
schon wenn er nur bedenkt, daß M. gleichzeitig das Material
zur Verfügung stellt, an Hand dessen wesentliche weitere
Schritte auf dem Wege zur Erforschung des /-Textes getan
werden können. Aber selbst wenn, was ich nicht glaube, seine
Ergebnisse sich bei weiterer Erforschung als irrig erweisen
sollten, hätte er mit seiner Arbeit eine sehr lebhafte Anregung
gegeben, indem er aufs neue zeigte, daß sich in die unübersichtliche
Buntheit der / doch eine gewisse Ordnung
bringen lassen muß. Vielleicht wird sie im Endergebnis etwas
anders aussehen, als er sie hier vorlegt. Das mindert aber sein
Verdienst nicht. Vielmehr wäre ihm vor allem in Deutschland
ein lebhafter Widerhall zu wünschen. Nicht nur die Liturgiegeschichte
steht, wie Kunze a. a. O. mit Recht klagt, bei uns
anscheinend vor dem Aussterben. Auch die Textkritik des
NT ist vor anderen, im engeren Sinn theologischen, zweifellos
sehr wichtigen Aufgaben so sehr In den Hintergrund getreten,
daß die große, von Tischendorf und seinen Vorläufern begründete
Tradition in unserem Lande abzureißen droht. Die
weiten, hier der Erforschung noch harrenden Gebiete aufzuzeigen
, die Lust zu wecken, mit Hand anzulegen, die bei uns
darniederliegende Arbeit wieder aufzunehmen und das Aussterben
einer großen textkritischen Tradition zu verhüten, —
diesem Ziele möchte diese ausführlichere Buchbesprechung an
ihrem Teil dienen.

SPERANDA FVTVRA
|üdiscbe Grabinschriften Italiens über das Geschick nach dem Tode

Von Gerhard Delling, Halle

Für die Frage nach der Wirkung des Evangeliums auf die
Menschen, denen es zuerst verkündet wurde, ist das Verständnis
der religiösen Eigenart der neutestamentlichen Umwelt von
Bedeutung. Im folgenden soll in der dreifachen Beschränkung
auf eine sachliche Teilfrage innerhalb einer bestimmten Religion
des Altertums in einem begrenzten geographischen Raum
(in kleines Stück weiterer Vorarbeit dafür geleistet werden.

Die jüdische Diaspora Italiens ist in ihren Äußerungen
am Grabe zunächst auch vom Heidentum beeinflußt. Das wird
deutlich in dem Zuruf: „Sei ruhig (Mgaei), niemand ist unsterblich
!"1. Die Aufforderung ist überwiegend an den Toten
gerichtet2, gelegentlich auch, wie es scheint, an einen trauernden
Hinterbliebenen3. Bei dem Toten der letztgenannten Inschrift
handelt es sich um den äexa>v einer Synagoge; hier ist
die banale, trostlose Wendung besonders auffällig; ebenso bei
Nr. 401, wo Leuchter und Toraschrein der Inschrift zugefügt
sind (der jüdische Leuchter auch bei Nr. 335 und angeblich
450). Im übrigen enthalten die genannten Inschriften keinerlei
weitere Andeutungen über eine Stellung zum Tode. Wenn man
in all diesen Fällen einfach die heidnische Akklamation übernommen
hat, so spricht das wohl dafür, daß in den Kreisen der
Hinterbliebenen ein besserer Trost nicht lebendig war; vielleicht
lehnen sie, auch wenn sie (wie die genannten Embleme
andeuten) an Tora und jüdischer Festfeier festhalten, den Auf-
erstehungsgedanken ab. Besonders merkwürdig ist es ja, daß
sich der Zuruf normalerweise an den Toten wendet, zumal die
beiden dafür oben genannten jüdischen Grabschriften kleinen
Kindern gelten; beabsichtigt ist indessen die sarkastische Wirkung
wohl nicht. Das bloße &dgo(e)i am Anfang von Nr. 123,
an die vierzigjährige Tote gerichtet, könnte an sich Tieferes
meinen; doch wird im folgenden kein religiöser Gedanke angefügt
. Wahrscheinlicher geht es daher in der Linie der Impe-

') Jean-Baptiste Frey, Corpus Inscriptionum Judaicarum I (1936)
Nr. 314.450.539. 544.551 c, zum Teil rekonstruierte, aber glaubhafte Lesungen.
Im folgenden sind die Nummern immer nach Frey gegeben. Frey verzichtet
meist auf eine Datierung der Inschriften. Nikolaus Müller und Nikos A. Bees,
Die Inschriften der jüdischen Katakombe am Monteverde zu Rom (1919) geben
öfter vorsichtige Vermutungen, nach denen die meisten für unsere Frage wichtigeren
der von ihnen behandelten Inschriften dem 2.-3. Jahrhundert n. Chr.
angehören.

*) Frey Nr. 335. 401; Der Name des Toten wird vokativisch wiederholt.
Die Akklamation findet sich häufig auch in Ägypten (vgl. Friedr. Preisigke,
Sammelbuch griech. Urkunden aus Ägypten [191 5ff.] Indices s.v. dd-dvaroe)
auf Mumienschildern und Grabsteinen, meist mit dem Imperativ firj AvnfjS oder
Avnov, auch mit eivi'x(e)i (Nr. 5018) und 0-dpoei(Nr. 5939); einige Male ist ausdrücklich
die Anrede an den Toten gebraucht; aber daß dieser angesprochen
ist, ist jedenfalls bei den Mumienschildern selbstverständlich.

») Frey Nr. 380. Oder ist Ablabius ein Übername des Toten?

Albrecht Oepke zum 70. Geburtstag

rative, die einfache Abschiedsgrüße an den Dahingegangenen
sind: evy>vx(e)i (Nr. no), Evipvy(£)i, ev<pQ6v(e)i1.

Diesseitig gemeint ist jedenfalls zunächst auch der
Wunsch, daß man der Verstorbenen gedenken möge (Nr. 496):
es ist an das Fortleben in der Erinnerung gedacht. In seiner
Linie geht die öftere Anführung von Prov. 10, 7, in mehr oder
weniger genauer Anlehnung an die LXX2.

Aber den Inschriften ist der Gedanke der Fürbitte für die
Verstorbenen nicht unmöglich. Aus einer Katakombe an der
Via Appia sind uns für drei Glieder einer Familie Grabinschriften
überkommen, von denen eine das Gebet der Eltern
für den friedlichen Schlaf des zweijährigen Joses erwähnt3.

Nun ist der Friedens wünsch auf den Grabinschriften
Roms freilich sehr häufig4. Für die Mehrzahl der Fälle ist mit
der Möglichkeit zu rechneu, daß er mechanisch eingefügt
ist. Aber einmal findet er sich doch keineswegs immer; eine
ganze Anzahl von Inschriften enthält nur den Namen (oder
noch Altersangaben, Namen von Hinterbliebenen usw.). Und
sodann ist die Formel „Sein Schlaf in Frieden" ja jüdisch zu
deuten; das zeigt schon die Tatsache, daß sie gelegentlich auch
in der kurzen hebräischen Fassung qi^tü dem griechischen
Text zugefügt ist5. Allerdings begegnet mitunter an den Grabstätten
auch die hebräische Inschrift „Friede über Israel"
(Nr. 397, 599 usw.). Aber es ist unwahrscheinlich, daß das
bloße ot^tü auf den Inschriften nur einfach im Sinne von
Ps. 125, 5; 128, 6 auf das gegenwärtige Heil der lebenden Glieder
des jüdischen Volkes zu deuten ist8. Vielleicht liegt sogar

') Frey Nr. 303, an ein kleines Kind; die Zusammenstellung auch heidnisch
, Müller-Bees S. 115; vielleicht auch eiödei, Frey Nr. 262.

*) Besonders Frey Nr. 201; erweiternde Umformung 86; mehr an den
hebräischen Text anklingend 370 (Deißmann bei Müller-Bees S. 108f. Anm.
vermutet hier Benutzung des Aquilatextes. Zur Verwendung von Prov. 10, 7
überhaupt vgl. Müller-Bees S. 108); in späterer Zeit auch hebräisch zitiert,
Frey Nr. 625. 629. 635. Vielleicht vermutet Frey mit Recht für die Formel
„dein (sein) Gedächtnis", Nr. 119. 343, daß zu ihr „zum Segen" zu ergänzen ist.

*) Frey Nr. 126; bei der Mutter Crispina (Nr. 132) ist der Akk. iv f/pijrfl
Tijv xoifirjoiv aixije vielleicht auch als Gebetswunsch zu deuten, vgl. Frey z. St.
Bei dem Säugling Maria (137) steht allerdings der Nominativ. „Schlaf" ist einfach
allgemeiner Euphemismus der alten Welt für den Tod, ohne theologischen
Hintergrund zunächst auch im Judentum, vgl. die Belege bei Str.-Billerbeck I
523. 1040f. III 634; Joh. Leipoldt, Der Tod bei Griechen und Juden (1942) 94f.

*) In dem Wortindex bei Frey zähle ich etwa I55mal den Dativ elprjvu
in italischen, überwiegend römischen Inschriften.

*) Frey Nr. 283. 319. 497 (4mal, mit 2 Leuchtern); ohne griechischen
Text 292; usw., vgl. Frey Index S. 604c.

') Ihr letzter Ursprung ist natürlich in alttestamentlichen Wendungen
zu suchen. So wird Berakh. 64a die Anweisung gegeben: „Wer sich von einem
Toten verabschiedet", sage zu ihm: iGehe hin in Frieden», unter Berufung auf