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Ausgabe:

1951 Nr. 8

Spalte:

497-498

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Guttmann, Bernhard

Titel/Untertitel:

Das Ende der Zeit 1951

Rezensent:

Delekat, Friedrich

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497

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 8

498

und immer seltener auf dem einfachen Wege über die Entwicklungslehre
. Schon das endende 19. und das beginnende 20. Jahrhundert
zeigen die neue philosophisch-anthropologische Fragestellung
unter vielerlei Bezeichnungen: als Charakterologie, als
Philosophie der Individualität, als Psychologie der Person, als
Weiterbildung des Pragmatismus in mannigfacher Richtung."
Mit einer dem Verf. von jeher eigenen Einfühlungskunst und
einer seltenen tiefeindringenden Kenntnis der Werke der deutschen
, englischen, französischen, italienischen, amerikanischen
und russischen neueren Philosophen weiß der Verf. das Charakteristische
ihrer besonderen Denkformen herauszugestalten.
Diese philosophische Porträtgalerie enthält unter den bekanntesten
die Namen: Nicolai Berdjajew, Ernst Cassirer, Bene-
dette Croce, Max Dessoir, Hans Driesch, John Dewey, Nicolai
Hartmann, Martin Heidegger, Werner Heisenberg, Willy Hell-
pach, Johan Huizinga, Julian Huxley, Karl Jaspers, Carl
Gustav Jung, Theodor Litt, Gabriel Marcel, Emmanuel Mou-
nier, Jose Ortega y Gasset, Max Planck, Bertrand Russell,
George Santayana, Jean-Paul Sartre, Heinrich Scholz, Albert
Schweitzer, Eduard Spranger, Arnold J. Toynbee, Jakob von
Uexküll, John B. Watson u. a. Das vom Verlag mit ausgezeichneten
Bildnissen einzelner Philosophen ausgestattete
Buch vermag gerade der jüngeren Generation, vor allem auch
durch den aufschlußreichen biographischen und bibliographischen
Anhang eine wertvolle Einführung in die moderne
Geistesstruktur der Gegenwart zu geben.

München-Orünwald R.F.Merkel

Guttmann, Bernhard: Das Ende derZelt. Freiburg /Br.: Zähringer Ver.
lag 1948. 270 S. 8». Pp. DM 10.—.

Es ziemt sich, die Besprechung dieses Buches mit einem
kurzen Dank zu beginnen. Wie niedergeschlagen, verängstigt
und orientierungslos war die Welt der Gebildeten in Deutschland
unmittelbar nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945.
Der Druck des nationalsozialistischen Meinungszwanges war
zwar gewichen. Aber wie unbefriedigend war das, was zunächst
an die Stelle trat. Da erschien „Die Gegenwart", in
gutem Deutsch geschrieben, sachlich berichtend, zuverlässig,
die besten Traditionen deutscher Journalistik fortsetzend.
Einer ihrer Herausgeber war Bernhard Guttmann, nicht ein
..getaufter Jude", sondern ein „Christ aus Israel". Wie konnte
gerade er der deutschen Bildungswelt in jener Krisenzeit
diesen Dienst tun, nach allem was vorangegangen war ? Wie
brachte er das über sich, von dieser Vergangenheit überhaupt
dicht zu reden, die doch so viele andere auch heute noch nicht
vergessen können, sondern da anzusetzen, wo man nun war,
bei der „Gegenwart" ?

Man geht wohl nicht fehl, wenn man die Antwort auf diese
Fragen in dem vorliegenden Buch sieht. Es ist das Bekenntnis
eines Juden zu Christus, ein selbstkritisches und sachkritisches
Bekenntnis, wie man es von einem hochgebildeten Mann erwartet
. Das Buch Guttmanns ist nicht eigentlich ein wissenschaftliches
Buch. Es will nicht nur Erkenntnis vermitteln,
obwohl es voll tiefer Einsichten ist. Es will vielmehr die Gründe
einer nach allen Seiten hin durchdachten und in einer reichen
Lebenserfahrung bewährten Glaubensüberzeugung darlegen.
Nicht nur die Untersuchungen der Theologie über Inhalt und
Sinn der Bibel sind verwertet; Guttmann verfügt zugleich
über eine erstaunliche Kenntnis aller Persönlichkeiten der
deutschen Geistesgeschichte, die auf der Grenze zwischen
Judentum und Christentum standen. Er läßt den Leser hineinblicken
in die innere Unsicherheit jüdischen Geisteslebens, in
das Leiden der jüdischen Seele, in ihr Ringen um die Wahrheit
. Auch wenn man es wollte, kommt man an der Person
Christi nicht vorbei und selbst, wenn man frivol ist, redet man
noch aus der Furcht vor der Begegnung mit dem Absoluten.
Es ist für den christlichen Theologen von größter Wichtigkeit,
sich darüber belehren zu lassen, wie ein Jude das Neue Testament
liest, wie er die Gestalt Jesu, der Apostel, der Urgemeinde
sieht. Dabei wird ihm klarer, was ihn glaubensmäßig mit den
Juden verbindet und was ihn trennt. Auf Einzelheiten möchte
ich nicht eingehen, sondern nur die Schlußsätze dieses Buches
wiedergeben:

„Die Wahrheit ist in Christus, doch sie bedarf, um fruchtbar zu werden,
einer von Oott selbst erschlossenen Schicht in der Brust. Über den Abgrund
der Vernichtung ist ein Steg geworfen, von dem unser Geist niederblickt mit
einem aus Hoffen und Bangen gemischten Gefühl. In Liebe verbundenen Men-
»chen, die sich Im untergehenden Schiff umfaßt halten, mag eine Minute gleich-
ze'tigen Entzückens und Erbebens beschieden sein, wie sie das Glück allein
und das Leid allein nicht kennen, in der Zerbrechung der Existenz und in
se'iger Erfülltheit eines Werdens. Was einst ungeschieden war und in der Zeit
auseinanderklafft, kehrt durch unerklärbarc Heilung versöhnt zu sich zurück.
wie sich im Judentum das Kreaturgefühl unendlichen Abstandes vom Schöpfer
In Demut fixiert, wie dem Buddhisten durch den Dunst der Täuschungen im

milden Schein die Wonne des Entwerdens grüßt, so erlebt mit Christus das
Gemüt seine trostlose Verlassenheit und unbegreifliche Wiederfindung. Zwischen
den beiden Sphären zu kreisen, in der Spannung von Todesgegenwart
und Gewißheit nicht endenden Lebens, das war das Christentum der ersten
Gemeinde. Die, in denen es anhebt, sind die Begnadeten der Bergpredigt.
Mainz Friedrich Delekat

Mitteis, Heinrich, Prof. Dr.: Über das Naturrecht. Berlin: Akademie-Verlag
1948. 47 S. 8° = Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Vorträge
und Schriften H. 26. DM 2.75.

Nach einer Vorbesinnung über den Sinn des Wortes
„Naturrecht" (5 ff.) handelt M. 1. über die Idee des Naturrechts
in ihren verschiedenen Ausdrucksformen (8 ff.), 2. über
die historische Gestalt des Naturrechts im klassischen Naturrechtszeitalter
der europäischen Rechtsgeschichte (17ff.),
3. über die Bedeutung des Naturrechts für das heutige Rechtsleben
(3off.). M. faßt das Naturrecht als „dasjenige Rechtssystem
" auf, „das der Natur des Menschen gemäß ist, aber freilich
nicht des Menschen als Einzelindividuum oder Naturwesen,
sondern des Menschen als Glied der Gemeinschaft" (7). Es
steht in einer dialektischen Spannung zum positiven Recht,
die „in Epochen echter Rechtskultur auch bewußt empfunden
wird" (7). Das Naturrecht ist „das Gewissen des positiven
Rechts" (37). Im praktischen Leben kann das positive Recht
durch das Naturrecht auf mehreren Wegen friedlich beeinflußt
werden, einmal durch die Auslegung, ferner durch die Analogie
(z. B. Beziehung auf die Grundnorm von Treu und
Glauben) und in größtem Maßstabe im Zeichen der Billigkeit.

M.s flüssig geschriebene und historisch gut unterbaute
Schrift ist von einem starken Optimismus erfüllt. M. meint
nämlich, in der „Konsequenz" den bisher vergeblich gesuchten
Grundgedanken aller naturrechtlichen Axiome gefunden zu
haben: ,, So erkennen wir in der Konsequenz ein Grundprinzip
des menschlichen Gemeinschaftslebens und zugleich ein Ur-
phänomen der Gerechtigkeit. Konsequenz ist das Schlüsselwort
, mit dem das wahrhaft allgemein und in jeder konkreten
Lage sachgemäße menschliche Handeln bezeichnet wird" (35).
Uns scheint hier ein Fragezeichen gemacht werden zu müssen;
denn der Grundsatz der Konsequenz allein dürfte kaum geeignet
sein, der Rechtsidee einen hinreichenden und zutreffenden
Inhalt zu geben. Aber obwohl wir M. an dieser Stelle nicht
zu folgen vermögen, begrüßen wir seine Schrift im Ganzen als
einen wertvollen Beitrag zu einem heute im Brennpunkt des
Interesses stehenden Problem.

Dersekow bei Greifswald E. Schott

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Prautzsctl, Hans: Der Gottesdienst. Eine kleine Gottesdienstlehre für
Pfarrer und Gemeinden. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt [1950]. 75 S.
8°. Pp. DM 3.60.

Die Schrift ist im Zusammenhang mit der Neuordnung
des Gottesdienstes in der Kirchenprovinz Sachsen entstanden,
dem Verständnis der dortigen, auf Grund einer Vorlage von
Lic. Hanne ausgearbeiteten „Ordnung des sonn- und festtäglichen
Hauptgottesdienstes für die lutherischen Gemeinden"
will sie dienen. Eine ausgesprochen wissenschaftliche Absicht
verfolgt der Verf. also nicht. Er will Pfarrer, (nebenamtliche)
Kirchenmusiker und Gemeindeglieder belehren, die mit der
Liturgie, aber nicht mit der Liturgik vertraut sind. Er will
ihnen von der Heiligen Schrift her und aus der Geschichte des
Gottesdienstes Wege zum willigen und verantwortlichen Aufnehmen
der neuen Ordnung eröffnen.

Die Ordnung selbst ist auf S. 50—65 abgedruckt. Sie steht hier aber nicht
zur Besprechung.

In der Folge der einzelnen Stücke wie in der Grundstruktur eines lutherischen
Gottesdienstes, der Wortverkündigung und Feier des Altarsakraments
umfaßt, hält sie sich im wesentlichen auf der auch sonst aus der liturgischen
Arbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland heute bekannten Linie. Bei
einem Vergleich mit der Kirchenagende, herausgegeben im Auftrage der liturgischen
Ausschüsse von Rheinland und Westfalen in Gemeinschaft mit anderen
von Joachim Beckmann, Peter Brunner, Hans Ludwig Kulp, Walter Reindell,
Bd. 1, Oütersloh (1949), fällt die Einfügung von Anamnese und Epiklese und
die Stellung des Vorbereitungsgebetes (Confiteor) vor dem Eingangslied auf.
Ordnungen für Predigtgottesdienste ohne Abendmahlsfeier und bei Volksmissionswochen
sind angefügt.

Die erfreuliche Prägnanz und Konzentration, mit der Prautzsch In je
etwa zehn kleinen Druckseiten das Zeugnis der Schrift vom Gottesdienst, die
geschichtlichen Voraussetzungen, die Neuordnung und die einzelnen Stücke
der Gottesdienstordnung erörtert, hat doch auch den Nachteil, daß manches
für Leser, die mit dem Stoff nicht schon sonst vertraut gemacht worden sind,
apodiktisch und unbegründet wirkt. Der Verf. Ist sich dessen bewußt, wenn