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Ausgabe:

1951 Nr. 8

Spalte:

485-486

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Friz, Karl

Titel/Untertitel:

Die Stimme der Ostkirche 1951

Rezensent:

Stratenwerth, G.

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Seite 1

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485

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 8

486

Sehr im Unterschied zu einer protestantischen Oeistesart, die vor lauter Innerlichkeit
den objektiven Bezug, die Wirklichkeit verloren hat. Der abstrakte
Paulinismus ist ungleich gefährlicher als sein petrinisches Oegenspiel" (213f.).

L. verarbeitet eine Fülle von Gesichtspunkten, die er
geistvoll vorträgt und durch seine Gesamtkonzeption in eine
eigenartige Beleuchtung rückt. Gleichwohl wird der evangelische
Leser den Eindruck nicht los, daß L. mit seiner phänomenologischen
Methode zwar mancherlei Wesentliches und
Erwägenswertes aufzeigt, aber dem reformatorischen Anliegen
doch nicht gerecht wird. Wie weit die katholische Kirche sich
in dieser phänomenologischen Zeichnung wiederzuerkennen
vermag, muß sie selbst entscheiden. Uns jedenfalls scheint die
phänomenologische Ebene nicht geeignet zu sein, um auf ihr
die Entscheidung für die eine oder die andere Kirche zu fällen.
Die Phänomenologie haftet notwendig an der Betrachtung der
geschichtlichen Ausprägungen der Konfessionen, am Menschentum
. In dem Gegensatz zwischen katholisch und evangelisch
geht es aber letztlich nicht um ein Menschentum oder
auch Kirchentum, sondern um die Stellung des Menschen
zu Gott und Gottes zum Menschen.

Dersekow bei Greifswald E. Schott

Friz, Karl: Die Stimme der Ostkirche. Stuttgart: Evang. Verlagswerk
[1950]. 175 S. 8°. Lw. DM7.20.

Das Büchlein von Friz ist als Beitrag zum Gespräch mit
der Orthodoxen Kirche deswegen besonders zu begrüßen, weil
es mit seinem Schwerpunkt die griechische Kirche darstellt.
Wir stehen in Deutschland in der Gefahr, die Orthodoxie nur
als russische Orthodoxie zu sehen. Wenn die russische Orthodoxie
auch an Zahl ihrer Gläubigen so stark ist, daß — statistisch
gesehen — die nichtslawischen orthodoxen Kirchen
nur ein geringes Gewicht haben, so wird doch das Verständnis
für die Orthodoxie erschwert oder unmöglich gemacht, wenn
man sie, wie das aus verständlichen Gründen gerade bei uns
in Deutschland geschieht, vorwiegend unter dem slawischen
Aspekt sieht. Nahezu ein halbes Jahrtausend orthodoxer
Kirchengeschichte ist ohne slawischen Beitrag verlaufen.
Dieses Halbjahrtausend aber ist der Wurzelgrund sowohl für die
slawische als auch für die griechische Orthodoxie von heute
und damit für die Orthodoxie überhaupt. Wer nur die slawische
Orthodoxie sieht, wird kaum den Fehler vermelden
können, manches als typisch orthodox anzusprechen, was Ausdruck
slawischen Seelentums ist. Darum tut dieses Büchlein
von Friz, das wissenschaftlich wohl fundiert ist, jedoch keine
wissenschaftlichen Prätensionen hat, sondern in einem erfreulich
lebendigen und durchsichtigen Stil geschrieben ist, einen
Dienst, der vor allem den Pfarrern im Gemeindepfarramt und
auch den Gemeinden selbst wichtige Hilfe leistet.

Die Absicht ist, „Die Stimme der Ostkirche", die wir —
trotz ihrer Mannigfaltigkeit — als eine Einheit nehmen dürfen,
zum Hören zu bringen, weil sie vielleicht ,,aus einer Tiefe
kommt, die dem, was wir brauchen, näher liegt, als wir aus
mangelnder Kenntnis heraus gemeinhin meinen". Aus dieser
Überzeugung gibt Verf. auf den ersten 70 Seiten eine gedrängte
, aber äußerst aktuelle Übersicht über die Geschichte
der Ostkirche und die Fragen, die sich vom Wesen dieser
Kirche aus für die Kirchen der deutschen Reformation stellen.

Methodisch vergleicht Verf. die beiden Kirchen, orthodoxe
und reformatorische, je nach ihrem Selbst Verständnis.
Er vermeidet bewußt den häufigen Fehler, das eigene Ideal
mit dem Alltag auf der anderen Seite zu vergleichen. Den
mancherlei nüchternen Fragen, die er stellt, sollten wir darum
in ernster Besinnung nachgehen.

Der Orthodoxie verdanken wir die Urform der Liturgie
(27). Von der Ostkirche aus wurden der Westen, der Osten, der
Nordosten und der ferne Osten missioniert. Selbst auf deutschem
Boden haben östliche Wanderbischöfe noch vor den
Iroschotten gewirkt. Bis hin nach China, Tibet und Sumatra
gehen die Ausstrahlungen dieser großen Missionsbewegungen.
Der Untergang vieler von diesen einst glänzenden Kirchen
stellt vielleicht das tragischste Kapitel der gesamten christlichen
Kirchengeschichte dar und ist ein mahnendes Zeichen
des Gerichts für uns. Verf. warnt vor einem hochmütigen
Pharisäismus dieser Katastrophe gegenüber und erinnert
daran (34), daß das christliche Abendland „den christlichen
Kirchen des Ostens vielfach nicht Arznei, sondern Gift gereicht
habe". Siehe die neueste Geschichte, vor allem der
Armenier und der Nestorianer.

Im einzelnen werden einige reformatorische Grundlehren
mit der Orthodoxie konfrontiert. Gegenüber dem reformatorischen
Schriftprinzip wird darauf hingewiesen, daß die
Kirche auch schon in der Zeit vor der Entstehung der Schrift

gelebt habe und das Neue Testament eine Schöpfung der
Kirche sei (37). Das in der Schrift verfaßte Wort Gottes hat
darum für das Glaubensleben des einzelnen eine wesentlich geringere
Bedeutung als für uns. Seine zentrale Stellung hat es
in der Liturgie.

Die entscheidende Frage, die Verf. der reformatorischen
Kirche stellt, ist die, ob die Reformation mit ihrem Willen zur
Konzentration nicht auch einer bedenklichen Reduktion verfallen
ist. In großartiger Unbefangenheit öffnet die orthodoxe
Kirche dem griechischen Geist die Türen (46). „Was immer
bei allen als wertvoll bezeichnet wird, das gehört uns Christen"
(Justin). Leben und Erkenntnis „haben einen stärkeren Akzent
als Vergebung". Die Gottebenbildlichkeit des Menschen ist
durch den Sündenfall nur verhüllt und verdunkelt, nicht völlig
verloren gegangen. Das gilt auch dann, wenn das ursprüngliche
Bild bis zur Unkenntlichkeit verdorben ist (47). Die reformatorische
Lehre von der radikalen Sündhaftigkeit, einst
durch Augustin in das Bewußtsein gebracht, ist für die Orthodoxie
darum eine Herabsetzung des Menschen und Verachtung
der Schöpfung durch Gott (48). Diese Weite und Fülle wird
durch die Reformation reduziert. „Ist Paulus wirklich das
Ganze?" (49). Ist aus dem lutherischen Willen zur reduetio
nicht tatsächlich ein restrictio geworden:,,Abendmahl, Einzelbeichte
, Form des Gottesdienstes, Bestreitung der Dreieinigkeit
im Protestantismus" ? Lebendig blieb schließlich nur noch
das Kreuz, das den Auferstandenen überwand. Es blieb für
das christliche Denken eine Theologie des Kreuzes als Inbegriff
der reformatorischen Wahrheit, „der Glaube an den Geist
wanderte ins Profane aus" (50). So erhält der Karfreitag den
Vorrang vor dem Christfest und vor Ostern. Die Unterschiede
werden weiter verdeutlicht bei der Frage der Christologie. Das
„ungeheure kosmische Bewußtsein" der Orthodoxie ist bestimmt
durch die Christologie. Die Auferstehung ist ein kosmisches
Ereignis, „alle Teile der Schöpfung hat der Herr berührt
" (Athanasius) (56). Mag von reformatorischer Seite angesichts
des dithyrambischen Stils vieler ostkirchlicher Äußerungen
auch der Vorwurf erhoben werden, hier begegne uns
Pantheismus, Mystik, Philosophie, Hellenismus, so fragt Verf.
doch und nicht ohne Recht: „Ist das alles nur Philosophie, mir
Hellenismus" ? (61). Es kann hier nicht der Ort sein, die Fülle
der aufgeworfenen Fragen darzustellen, das wenige Zitierte
soll nur zeigen, wie aktuell das kleine Werk ist, von dem man
wünschen möchte, daß es viele evangelische Theologen anregt,
sich näher mit der Ostkirche, besser vielleicht noch mit der
Alten Kirche, auseinanderzusetzen.

Das eigentümliche Verhältnis zwischen Kirche und Staat,
Bilderverehrung und andere Fragen, die in der Regel als erste
Fragen von uns an die Orthodoxie gerichtet werden, werden
ebenso knapp wie die anderen Probleme aber ebenso anschaulich
behandelt.

In der zweiten Hälfte des Büchleins bringt Verf. Zeugnisse
des Glaubens, Betens und Denkens. Manches dieser Worte
könnte in unseren Tagen gesprochen werden. Chrysostomus
bei seiner Ansprache an das Volk von Konstantinopel, als er
in die erste Verbannung abreist: „Bilden denn die Mauern die
Kirche ? Nein, die Menge der Gläubigen, das ist die Kirche"
(91) und „Wo Gott will, daß ich sei, danke ich Ihm" (92). In
diesen Zeugnissen kommen u. a. neben Johannes Chrysto-
stomus, Athanasius, Gregor von Nazianz, Ephraim der Syrer,
Gregor von Nyssa, aber auch Moderne wie Chomjakow und
Berdjajew und Solowjow zu Wort.

Man kann manches in diesem Büchlein vermissen, man
kann da und dort auch fragen, ob nicht an der einen oder
anderen Stelle im Blick auf die Ostkirche die kritische Sonde
tiefer hätte angelegt werden sollen; was Verf. will, ist nicht
eine gelehrte Abhandlung, sondern ein Dienst für Pfarrer und
Gemeinden, gegründet auf zuverlässiger Sachkenntnis und
großer Liebe zur eigenen Kirche wie zur Ostkirche, die in ganz
anderer Weise als die Kirchen der Reformation in Kontinuität
mit der Alten Kirche bleiben durfte.

Zum Schluß sei mir erneut eine schon an anderen Stellen
wiederholt ausgesprochene Bemerkung erlaubt, ein ceterum
censeo: Auch dies Büchlein zeigt wieder, wie brennend notwendig
es ist, daß unsere Theologenausbildung in Deutschland
den heranwachsenden Pfarrer viel stärker mit den Kirchenvätern
vertraut macht, denn erst dort finden wir den Boden,
von dem aus wir die orthodoxen Brüder heute verstehen können.
Wissen, was der andere überhaupt meint, aber ist die erste
Voraussetzung, um ihm von dem, was uns selbst geschenkt
ist, so zu künden, daß es gehört zu werden vermag.

Frankfurt/M. 0- Stratenwerth