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Ausgabe:

1951 Nr. 8

Spalte:

481

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Ehrenberg, Hans

Titel/Untertitel:

Luthertum ökumenisch und deutsch 1951

Rezensent:

Künneth, Walter

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481

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 8

482

Ehrenberg, Hans: Luthertum ökumenisch und deutsch. Gütersloh:

Bertelsmann [1947]. 84 S. kl. 8° = ökumenische Erfahrungen. Theologische
Beiträge aus verschiedenen Kirchen H. 1. Kart. DM 1.80.

Es ist ein Verdienst, wenn die Fragen der lutherischen
Kirche im Zusammenhang mit den ökumenischen Problemen
sachkundig zur Diskussion gestellt werden. Hans Ehrenberg
unternimmt diesen Versuch in einer kleinen Studie nach einer
grundsätzlichen Einleitung in der Form zweier an E. Schlink-
Heidelberg gerichteten Briefe. Die Untersuchung trägt den
Schwung der kirchlichen Bewegtheit des Jahres 1947 im Unterschied
zu der inzwischen wieder eingetretenen verfestigten
konfessionellen heutigen Situation. Gleichwohl enthält die
Schrift wertvolle Gesichtspunkte von bleibender Gültigkeit.
Richtig gesehen ist, „daß das Luthertum, wenn es sein eigenes
Haus in Ordnung bringt, damit auch seinen Beitrag dazu liefert
, das ganze Haus der deutschen Kirche in Ordnung zu bringen
". Dagegen wäre zu fragen, ob die Gleichstellung von Barmen
mit der Augustana theologisch und ökumenisch gesehen
der universalen Bedeutung der Augustana gerecht wird.

Wer sich über die wichtigsten konfessionellen Gesichtspunkte
in dem gegenwärtigen Gespräch orientieren will, dem
sei diese Untersuchung empfohlen, auch wenn er nicht zu jedem
Urteil ein Ja sprechen kann. Auch der nichtlutherische
Christ aber sollte die ernste Erkenntnis Ehrenbergs nicht vergessen
: „Der Calvinismus und seine Tochterkirchen haben gar
oft die evangelische Predigt zur Verkündigung des ganzen
Christus zurückgerufen, aber ihr dauernd drohender Rückfall
in Legalismus ruft immer aufs neue nach der lutherischen
Theologie von Gesetz und Evangelium."

Erlangen W. Künneth

Die Kirche in der Welt. Wegweisung für die katholische Arbeit am Menschen
der Gegenwart. Ein Loseblatt-Lexikon. l.Jg. 1948, 3. Lfg. Münster:
Aschendorff 1948. S. 305—468. gr.8°. DM 4.—.

Die Einrichtung dieses katholischen Loseblatt-Lexikons
und seine Sektionen habe ich im Jahrgang 1949, Nr. 8 dieser
Zeitschrift bei Gelegenheit der Rezension von Lieferung 1 und
2 näher gekennzeichnet. In der dritten Lieferung ist die Sektion
F. „Gesellschaft und Wirtschaft" (bisher „Wirtschaft und
Sozialpolitik") betitelt worden. Bei „Gesellschaft" wird au
..Fragen des Wesens und der Ordnung der Gesellschaft, der
Sozialpolitik und der Wohlfahrtspflege" gedacht.

Die Vorzüge der in diesem „Lexikon" gebotenen enzyklopädischen
Behandlung aller Wissens- und Lebensfragen des katholischen
Christentums; Übersichtlichkeit, relative Kur/.e
(wiewohl sich auch längere Artikel, etwa von sieben Seiten,
finden), Klarheit des Ausdrucks, Aktualität, Geschick der
Orientierung auch über das Neueste usw. zeigen sich wieder 111
dieser Lieferung. Polemik gegen den Protestantismus ist so gut
wie nicht vorhanden. Der katholische Grundcharakter des
Ganzen muß aber, trotzdem der protestantische Leser für
vieles dankbar sein kann, im Auge behalten werden.

Er zeigt sich einmal schon In der sicheren Redeweise. Wenn H. Kunisch
In seinem, übrigens vorzüglichen, Artikel über die Religiosität Rilkes schreibt
(458), dieser habe ,,in ganz unerhörtem Maße die Gabe, problematische, durchaus
ungesicherte und in der Schwebe sich befindende" Dinge als.....selbstverständlich
, so und nicht anders sein könnend, hinzustellen", so liegt das
ja auch dem Katholizismus, und diesem Lexikon ebenfalls, nicht fern. Dem
Protestantismus ist der Duktus der Untersuchung und Frage angemessener.
Und wenn er seit einiger Zeit auch wissenschaftlich nicht selten den anderen
Ton anschlägt, so ist das für die Aufgabe seiner Theologie Wächter der Wahrheit
zu sein, schwerlich das Rechte.

Der katholische Charakter des Werkes zeigt sich weiter in der maßgebenden
Bedeutung, die etwa in der Enzyklika „Quadragesimo anno" beigemessen
wird, z. B. in dem Wunsche nach „Berufsständen als eigenständigen
Korporationen" oder bei dem Prinzip, in paritätischen Wirtschaftsorganisationen
„über die gesonderten Interessen der Unternehmer und Arbeitnehmer
««trennt zu beraten und zu beschließen" (429). Bekanntlich hat ein Dissensus
im katholischen Lager über den letzten Punkt zu einem päpstlichen Entscheid
ta Jahre 1950 (entgegen dem Katholikentag in Bochum 1949) geführt. — Die
Frage selbst berührt uns hier nicht.

Katholisch ist ferner — und evangelische Theologen und
..Laien" dürfen das, wenn sie nicht selten verwandte Gedankengänge
pflegen, nicht verkennen — der vielgegliederte und
überlegt aufgebaute Zug philosophischer, ethischer und rechtlicher
Begriffe wie auch wirtschaftlicher und konstitutioneller
Forderungen, die -im Bilde zu reden - wie eine Art irdischer Einholung
des übernatürlichen Herrn und der himmlischen Glau-
bensgeheimnisse wirkt. Ich denke bei diesen mehr von unten
und von der Ratio her sich aufbauenden Begriffen und Gebilden
nicht nur an die soeben erwähnte berufsständische Idee
oder an andere Gesellschaftsordnungen, denen (vermeintlich)
bloß aufgelegt ist, daß sie dem Christentum nicht widersprechen
sollen, sondern auch an den immer wieder unterstrichenen
Ausgangs- und Leitbegriff der menschlichen Person (mit ihrer
Freiheit und ihrer Sonderstellung als Mensch, vgl. 367ff., 345,
403 u.ö.), hinter der erst der Gemeinschaftsbezug rangiert.

Vgl. Sätze wie: Der Mensch Ist „zuerst Einzelperson und dann erst Gemeinschaftswesen
". Denn der Mensch hat „Ewigkeitswert", während alle
menschliche Gemeinschaften außer der Kirche nur Zeitlichkeitswert besitzen"
(403, Höffner). Oder: „Die Gemeinschaft hat zwar ein eigenes, vom Individuum
verschiedenes Sosein, nicht aber eine eigene Wesenheit, Natur. Sie ist
kein Selbstandwesen, die Einzelperson aber wohl" (349, Hengstenberg). — Ist
aber, so fragen wir, die darin liegende Wahrheit wirklich getroffen? Wenige
Zeilen nach dem ersten Zitat steht, das „Sein des Menschen" sei „ebenso ursprünglich
Fürsichsein als auch Miteinandersein". Ebenso also? Und Ist die
Gemeinschaft wirklich nicht „Selbstandwesen", wenn schon einmal solche
aristotelisch-neuscholastische Terminologie gelten soll? Ob wirklich die geschichtlichen
Gebilde trotz ihrer Vergänglichkeit, ohne „Ewigkeitswert" sind?
Und ob „die Kirche", statt von der Gemeinschaft Gottes mit den Menschen
zu reden, der prädestinierte Ewigkeitsträger ist ? 1 Ich glaube schon, daß das
menschliche Ich durch keine Sozialität absorbierbar ist. Aber das ist das von
Gott benannte Ich, nicht das „freie" Vernunft- und Willenswesen; und es ist
nicht — auch nicht menschlich — gemeinschaftslos, und zwar seinem Begriffe
nach nicht.

Zu den — so könnte es auch heißen — der eigentlichen Offenbarung vorgebauten
Begriffen, über deren Bereich als über die geschaffene „Natur" sie
dann kommen wird, gehört aber nicht nur dieser Persönlichkeitsbegriff, sondern
ein ganzer Aufbau von Begriffen und Gebilden, die „Zweckstufenordnung des
Seienden" (Hengstenberg), sowohl Im Einzelwesen wie Im Ganzen, die
„identisch mit der Schöpfungsordnung" (345) ist. Sie wird uns in Gestalt
einer ,,Ordnungs"lehre auf aristotelischer Grundlage, also auf Grund der
Skala von Materie, Leben, Oeist und „personalen" Werten (Sittlichkeit und
Religion) dargeboten (übrigens in Interessanter eigener Modifikation durch
Hengstenberg). Aber das wäre doch — meinen wir — eine auch ohne den
Schöpfungsglauben, erst recht ohne die zentrale Offenbarung, gewinnbare
Stufenreihe; und wenn sich auch H. bemüht, durch eine weitere Einteilung
der „Werte" — dieser Terminus übrigens ebenso wie der der „Ordnung" im
katholischen Denken üblich — Religion und Sittlichkeit auf Grund eines
„Hiatus" (349) den anderen, auch den geistigen „Werten", gegenüberzustellen
, so scheint mir nicht nur an der gewiß bemerkenswerten Durchführung
manches anfechtbar zu sein, sondern der ganze Ansatz läuft eben doch in
jener wissenschaftsbegrifflichen Bahn, die sich als Auffang und Fundations-
grundlage für die Welt Gottes anbieten soll. Dieser Ansatz trifft aber u. E.
schon für die Welt als Schöpfung nicht zu. Der Gottes- und Schöpfungsglaube
sucht nach einer eigenen Welt- und vor allem Zeitgliederung.

Ähnlich steht es mit dem „Primat des Geistes", mit der
Auffüllung des Naturrechts und mit manch anderem kategori-
alen Material. — Aber wir bekämen natürlich ein schiefes Bild
von den 30 Aufsätzen, wenn sie uns nur als „katholisch" anmuten
würden. Eindringlich und anschaulich redet z.B.
Steffes über „Christliche Existenz im technischen Zeitalter"
und verstellt es, davor zu warnen, daß sich „der technische
Mensch an die Stelle Gottes" setze und „ihm die hemmungs-
und verantwortungslose Ausbeute und Verwendung der Naturkräfte
freigegeben wird" (308). — Das ist in der Zeit der Atomwaffen
besonders ernst. — Vom Standpunkt des katholischen
Rechtsanwalts aus spricht, sehr verständnisvoll, Ursula Rehm,
über die Gründe der scheinbaren, und subjektiv wirkliehen,
Gleichgiltigkeit der verheirateten Jugend (etwa vom Jahrgang
1920 ab) in Sachen der Ehescheidung und verbreitet sich über
die Wege direkter helfender Einwirkung wie auch allmählicher
Behebung, allerdings ohne das Verbot der Ehescheidung durch
das katholische Kirchenrecht mit in den Bereich ihrer psychologisch
und soziologisch wertvollen Betrachtungen zu ziehen. —
Erwähnt sei ferner die eingehende Betrachtung des Mediziners
O. Graf über „Geburtenbeschränkung und Arzt", in der er die
viel diskutierte „periodische Enthaltsamkeit", d.h. den Verkehr
zu Zeiten, wo die Frau wahrscheinlich nicht empfangen
wird, mit großem Ernst bespricht und vor einer Ausschlachtung
dieser Methode warnt. — Roth würdigt in einem Aufsatz
„Um das Pfarrprinzip" die gelöstere Arbeit katholischer Priester
innerhalb der dem Christentum entfremdeten Bevölkerung
zumal im Proletariat unter Teilnahme an dessen Lebensbedingungen
, sehr hoch. In Frankreich ist solcher Einsatz am
weitesten voraus. Unbeschadet seiner Arbeit und ihrer Zunahme
müsse dennoch das Prinzip der Pfarrei bleiben, sich
aber in volksmissionarischem Sinne reformieren. — Weiter: als
verwandt in Verständnis und Auffassung wird man es in größeren
evangelischen Kreisen empfinden, wenn unter dem Thema
„Das Reich Gottes" andringlich von dem Anspruch der Herrschaft
Gottes und Christi in der „christlichen Existenz" auch
heute, und zwar in allen Lebensfragen und Lebensgebieten geredet
wird. Auch die katholische Theologie und Morallehre habe
statt des biblisch „prophetischen Weckrufs zum religiösen
Höhenwandel . . . Nachgiebigkeit gegenüber menschlicher