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Ausgabe:

1951 Nr. 8

Spalte:

477

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Würtenberg, Gustav

Titel/Untertitel:

Nero oder die Macht der Dämonen 1951

Rezensent:

Künneth, Walter

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Seite 1

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477

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 8

478

Harry Breßlaus (2. Aufl., 2 Bde., 1912, 1931) für die Aktenzeit
ergänzen und fortsetzen sollte. Die jetzt vorliegende Urkunden
- und Aktenlehre setzt das Buch Breßlaus noch systematischer
und eindringlicher fort. Die Säkularisation im Raum
der Verwaltung ist auch im Aktenwesen schließlich eine totale
geworden, so daß wir außer dem „Konkordat" und dem ,.Kirchenvertrag
" kaum noch eine Verbindung zur Kirche finden;
lediglich der Duplikate der Kirchenbücher wird mit ein paar
Zeilen gedacht.

Nach einem Eingangskapitel über den Gegenstand, die
Methode und die Aufgabe behandelt Meisner zunächst die
Aktenkunde systematisch (S. 27—51), dann genetisch (S. 52
bis 96) und schließlich analytisch (S. 97—141). In einem letzten
fünften Abschnitt stellt der Verf. (S. 142—195) die ganze
Materie noch einmal unter den Titel: Erläuterungen in alphabetischer
Reihenfolge in Schlagworten zusammen. Diese Erläuterungen
werden durch ein vortreffliches Register (Sachweiser
S. 208—239) eindringlich erschlossen und auf den Text
abgestimmt (S. 27—149).

Besonders wertvoll ist in dem Buche eine ausführliche
Bibliographie (S. 196—207), die viele Bücher enthält, die die
normale buchhändlerische oder fachlich ausgerichtete Bibliographie
nicht bringt, Privatdrucke, amtliche Drucksachen und
Drucksachen für den Dienstgebrauch. Das ganze ist ein Lehrbuch
für Archivare, das auch dem höheren Verwaltungsbeamten
sehr nützlich sein kann. Es sollte auch dem Verwaltungsbeamten
in der Kirche von Nutzen sein, sofern da
noch auf Urkunden und Akten Wert gelegt wird.

Berlin Otto Lerche

Würtenberg, Gustav: Nero oder die Macht der Dämonen. Düsseldorf:

L. Schwann [1947]. 244 S. 8 Abb. auf Taf. 8°. DM 8.20.

Dieses historische und zugleich unter geschichtsphiloso-
phischer Perspektive geschriebene Buch verdient ernsthafte
Beachtung. Es geht ihm um die „Darstellung des geschichtlichen
Phänomens des Cäsarismus der julisch-claudischen
Zeit", deren symbolhafter Repräsentant Nero darstellte, in
dem sich „eine grausame Vollendung" jener. Epoche ereignete
und zugleich „die Macht der Dämonen" spürbar wurde.

In 14 Kapiteln, deren zeitnahe Uberschriften wie „Historie
und Dämonie", „Gelenkter Mythos", „Der Kronprinz und
seine Mutter", „Entfesselter Dämon", „Verbrecher, Narr und
Gott" vergangene Geschehnisse mit modernem Aspekt verbinden
, wird in packender, das Interesse erweckender Darstellung
jene Welt vor fast 2000 Jahren entfaltet. Es handelt
sich jedoch nicht nur um einen historisch-kritischen Tatsachenbericht
, sondern um das Bewußtwerden der „erschütternden
Parallelität jenes Zeitabschnittes der römisch-hellenistischen
Welt mit dem Geschehen und der inneren Struktur unserer
Gegenwart", um eine notwendige Geschichtsdeutung, welche
ufan Damals so vielfach das Heute und im Heute das Damals
wiederfand". Insofern ist dieses Werk, im Frühjahr 1946 geschrieben
, ein „politisches Buch", wenn es auch abgesehen von
der Einleitung und dem Anhang nicht direkt von der Gegenwart
spricht. Die Ausführungen, durch die Porträts der römischen
Kaiserzeit belebt, sind transparent für metahistorische
Visionen und lassen „die Notwendigkeit metaphysischer und
sittlicher Bindungen erkennen".

Man wird es dem Verfasser danken, daß er weiß, „letzten
Endes steht dahinter die Frage nach dem Absoluten, das ge-
rade in der Geschichte sich aufzulösen schien und dem wir doch
gerade in ihr erschütternd begegnen können."

Erlangen W. Künneth

GESCHICHTE DER CHRISTLICHEN KUNST
Barlach, Emst: Ein Selbsterzähltes Leben. München: Piper[i948j. 49s.,

Öl Taf. 4°. HIw. DM 14.—.

Diese Neuausgabe ist 20 Jahre nach der Erstauflage erschienen
.

Von den 15 Kapiteln bringen 12 das Wort: „Ich" in der
Überschrift, z. B.: ich fühle mich sehr, ich werde geschoben,
>ch beiße an. Dennoch wird mit einem sachlichen und zuweilen
schmunzelnden Abstand erzählt, ohne Bespiegelung
und ohne jede Wichtigtuerei, ein ehrlicher Versuch rückblickender
Selbstdurchleuchtung. Barlach schrieb mir am
Ende eines Briefes über seine Stellung zur Kirche (1932): „Die
Forderung des Erkenne dich selbst ist vielleicht die allerhöchste
und schwerste. Uber sich aussagen wollen ist doch
allermeist das Wagnis einer Unmöglichkeit".

So gibt diese Selbsterzählung weniger, als einer erhoffen
mag, der sie unter theologischem oder weltanschaulichem

Aspekt durchforschen wird. Aus der Kindheit wird berichtet:
da „fiel mir die Binde von den Augen, und ein Wesensteil des
Waldes schlüpfte in einem ahnungslos gekommenen Nu durch
die Gucklöcher zu mir herein, das Bewußtwerden eines Dinges,
eines Wirklichen ohne Darstellbarkeit, — oder wenn ich es
hätte sagen müssen, wie das Zwinkern eines wohlbekannten
Auges durch den Spalt des maigrünen Buchenblätter-
himmels". Dies „Glück des Einklangs in überpersönliches
Sein" begleitet ihn als Ahnung und Erleben durch sein ganzes
Leben und ist eine Quelle seines Künstlertums geworden. Aber
erst in seinem 36. Lebensjahr bricht sie ganz auf! Mit ihm
endet diese Worterzähluug, sehr zum Leid des Lesers. Barlach
hatte bis dahin, 20 Jahre lang, in allerlei Stilarten sich auszusprechen
versucht, hatte bei den Präraffaeliten und Sezessio-
nisten, in Berlin, Paris, Florenz angepocht, mit dem Ergebnis
des „Bewußtwerdens meiner ganzgänzlichen Uberflüssigkeit
... es langte bei meinem Treiben mit dem abhanden gekommenen
Mut so oft kaum zum Aufstehen, . . . ich wirtschaftete
ab, und das Leben ebbte mit so starker Strömung,
als wollte es sich wie die Elbe beim Ostorkan entleeren".

Halb widerwillig wurde Barlach damals von einem seiner
Brüder zu einer sechswöchentlichen Reise nach Rußland bewogen
und fand „freie Bahn . . . Ich dachte, das ist außen wie
innen, das ist alles ohnemaßen wirklich . . . Die unerhörte Erkenntnis
ging mir auf, die lautete, du darfst alles deinige, das
Äußerste, das Innerste, Gebärde der Frömmigkeit und Un-
gebärde der Wut, ohne Scheu wagen, denn für alles, heiße es
höllisches Paradies oder paradiesische Hölle, gibt es einen Ausdruck
. . ."

Der 2. Teil des Buches gibt einen Oeuvrekatalog und bietet
91 Abbildungen des plastischen Werks. Auch eine Selbsterzählung
! Barlach brannte von innerem Feuer. Er erfand
nicht in den Mußestunden, er mußte gestalten. Die Bilder
wurden ihm zugeführt, und sein Tun bestand darin, treulich
aufzunehmen und den Auftrag mit den ihm gegebenen Kräften
auszurichten. In der Rückschau konnte er wohl feststellen, ob
er ihm gerecht geworden war oder nicht. Er war gänzlich der
Sache, dem Auftrag hingegeben, und hat es leider als nicht
zur Sache gehörig angesehen, nun auch noch sein persönliches
Schicksal weiterhin zu berichten: der menschenscheue Sonderling
hielt von Güstrow aus 30 Jahre lang mit vielen repräsentativen
Geistern seiner Zeit Freundschaft; er war der letzte
Ritter der Klasse für Kunst und Wissenschaft des Ordens
pour le merite, die kurz nach seiner Wahl von Hitler aufgehoben
wurde; er geriet mit einer Bronze: Christus und
Thomas in die Ausstellung für Entartete Kunst und mußte
es noch vor seinem Tode im Herbst 1938 erleben, daß alle
seine öffentlichen Denkmäler verbannt wurden. Aber von
alledem erfahren wir durch ihn selber nichts!

Barlach war zugleich für die Plastik und für die Dichtung
begabt, was fast ohne Vorgang ist. Aus seinem Nachlaß wird
in den nächsten Monaten sein 8. Drama: Der Graf von Ratzeburg
veröffentlicht werden. Lange hat er geschwankt, ob er
Bildner oder Dichter werden sollte, und wurde schließlich
beides. Auch die sonst von ihm vorliegende Prosa zeigt die
Eigenart der hier vorliegenden Erzählung, die an das Wort
des jungen Lessing denken läßt: „Schreibe, wie du redest, so
schreibst du schön". Das Alltägliche wurde Barlach ohne Bemühung
gleichnishaft und in einem neuartigen Blickwinkel
von ihm ergriffen.

Durch sein ganzes Schaffen klingt fortan das religiöse
Thema hindurch. Im Gegenständlichen der Plastik etwa: der
Kruzifixus in der Elisabethkirche zu Marburg, der lehrende
Christus, das Wiedersehen, der Apostel, Moses, — aber ebenso
deutlich vernehmbar auch in anderen Gestalten der Graphik
und Plastik, in vielen Ausgestoßenen, Kämpfenden, Sehnsüchtigen
, Insichversenkten — und in allen seinen Dramen.
„Immer wieder kreist meine Lust und mein Schaffensdrang
um die Probleme des Lebenssinnes und die anderen großen
Berge im geistlichen Bereiche. Das kann wohl ein Gegenstand
sein, woran ich meine Zähne zu Stücken zerbeiße. — Aber
predigen, Lösungen präsentieren, Prädikate austeilen, Gut und
Böse definieren . . . das darf sich in meine Kunst nicht einschleichen
", erklärte er (1932) seinem dänischen Besucher
Georg Gretor. So haben auch wir die Schranke zu achten, die
Barlach für sich aufgerichtet hat, und smd dankbar dafür,
daß Gottes Stimme durch manches Werk dieses Großen zu uns
und zu den Menschen unserer Zeit spricht.

Zu der vorliegenden Neuausgabe bemerke ich im einzelnen:

Von den 83 Bildtafeln der 1. Auflage ist fast die Hälfte mit Recht fortgelassen
; so Ist Raum geschaffen, um das plastische Werk des Künstlers in
seinen letzten 12 Jahren aufzuzeigen. Aber dabei sind auch einige Abbildungen
ausgefallen, die für das Verständnis des Gesamtwerks wesentlich sind; es bleibt