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Ausgabe:

1951

Spalte:

473-474

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schweizer, Eduard

Titel/Untertitel:

Gemeinde nach dem Neuen Testament 1951

Rezensent:

Schneider, Johannes Ferdinand

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473

Theologische Literatlirzeitung 1951 Nr. 8

474

Lieder auf Christus hin. Aber mit Energie lehnt er die Identifikation
Christi mit dem Rötlichen von Edom 63, 1 ab und trotz
Lk. 4, i^ff. will er Jes. 61, 1 auf Christus nicht einengen. Immer
wieder sieht er Christus in dem Gesamtzusammenhang der
Propheten vor ihm und in der lebendigsten Gemeinschaft mit
der Gemeinde. Die Auslegung von 60, 1 ff. ist dafür ein klassisches
Beispiel. So kann die Auseinandersetzung mit der Auslegung
Calvins nicht bloß einen Gewinn bedeuten für den
praktischen Dienst des Pfarrers in der Gemeinde, sondern
auch für die grundsätzliche Klärung einer rechten christozen-
trischen Auslegung des Alten Testaments.

Berlin-Spandau M.AIbertz

NEUES TESTAMENT

Schweizer, Eduard: Gemeinde nach dem Neuen Testament. Zoiiikon-

Zürich: Evang. Verlag 1949. 28 S. 8° - Theologische Studien hrsg. v. Karl
Barth, H. 26. sfr. 2.—.

Die Schrift von Ed. Schweizer ist programmatischer Art.
Sie zeigt die Grundlinien auf, die für eine Darstellung des neu-
testamentlichen Gemeindebegriffes maßgebend sein sollen.
Schweizer unterscheidet drei Typen: die paulinische, die palästinensische
und die johanneische Gemeinde. Das Urchristentum
hat also verschiedenartige Begriffe von Gemeinde ausgebildet
, die in ihrer Eigenart erfaßt werden müssen.

Die palästinensische Urgemeinde hat am stärksten „amtliche"
Formen von der jüdischen Gemeinde übernommen. Da sie die entscheidende
Umgestaltung erst von der Parusie erwartet, weiß sie besonders um die Notwendigkeit
von Ordnung und Regel, solange sie noch in der alten Welt lebt.
Schweizer lehnt aber die These von Holl ab, daß die Urgemeinde sich als
hierarchisch gegliederte Anstalt verstanden hat, die nach göttlichem Kirchen-
recht von den Aposteln geleitet wird. In den Pastoralbriefen, „wo dogmatisch
und verfassungsmäßig vieles von der Urgemeinde weiterlebt", habe der In der
Urgemeinde geltende Kirchenbegriff seine stärkste Ausprägung gefunden.

In den johannelschen Schriften wird die Gemeinde als Bruderschaft,
a|s „Gemeinschaft miteinander" gesehen. Der Geistbesitz der Gemeinde läßt
alles Amtliche, alle Ordnung der Kirche außerordentlch zurücktreten. In der
Kirche des johanneischen Kreises ist „die alleinige und vollgenugsame Leitung
des Geistes und die Ablehnung allen Amtes so stark betont, daß manche Sätze
"alle an der Grenze der Gnosis stehen, wo es gar keine Gemeinde mehr gibt".
Stellen die Pastoralbrlefe die äußerste Grenze auf der einen Seite dar, so erreichen
die johanneischen Schriften die äußerste Grenze auf der anderen Seite.

In der Mitte zwischen Urgemeinde und Johannes steht Paulus. Schweizer
stützt sich bei der Darstellung des paulinischen Gemeindebegriffs vor allem
au' 1. Kor. 12. Grundsatz bei Paulus sei, daß der Dienst in der Gemeinde
..einem jeden" gegeben ist, entsprechend der Gabe des Geistes, die er empfangen
hat. Eine Unterscheidung zwischen charismatischen und nichtcharismatischen
Diensten gebe es bei Paulus nicht. Nun kennt Paulus freilich den
Begriff der Ordnung, aber die Ordnung der Gemeinde ist nur notwendig, um
den Dienst aller zu ermöglichen.

Was Schweizer über den palästinensischen und johanneischen
Gemeindebegriff sagt, ist im wesentlichen richtig. Aber
mir scheint doch, daß Joh. 20, 21—23 und 2I. J5—17 nicht genügend
von Schweizer gewürdigt werden. Hier handelt es sich
doch nicht nur um Sätze, die Johannes „noch aus der Gemein-
detraditiou übernimmt und nicht streichen will". Vielmehr
will Johannes betonen, daß der Auferstandene das „Hirtenamt
" will. Sehr beachtlich dagegen ist, was Schweizer über die
palästinensische Gemeinde sagt. Er knüpft hier an Schlatters
Buch über „Die Kirche des Matthäus" an und bedauert mit
Recht, daß der Anstoß, den Schlatter der neutestamentlichen
Forschung gegeben hat, noch nicht ernsthaft aufgenommen
oder gar zu Ende geführt worden ist.

Stärkere Bedenken sind gegen die Darstellung des paulinischen
Gemeindebegriffs geltend zu machen. Gewiß ist der
Grundthese von Schweizer zuzustimmen, aber Paulus hebt
doch die Bedeutung der charismatischen Amtsträger, der Apostel
, Propheten, Hirten und Lehrer viel mehr hervor, als das
oei Schweizer erkennbar wird. Auch sein Urteil über die Pastoralbriefe
ist anfechtbar. Es ist ohne Zweifel richtig gesehen, daß
in den Pastoralbriefen die Gemeindeämter in einer Weise betont
werden, wie das ähnlich in der palästinensischen Urgemeinde
geschehen ist. Aber — wer auch immer die Pastoralbriefe
geschrieben hat, hinter diesen Briefen steht doch irgendwie
die Autorität des Paulus. Die Gemeindeordnung der Pastoralbriefe
gilt Gemeinden der paulinischen Mission, deren
Entwicklung die hier gegebenen Ordnungen nötig machte. Es
führt durchaus eine Linie von den Ansätzen, die sich in den
früheren Briefen des Paulus finden, zu den Pastoralbriefen.
Gewiß stammen die Pastoralbriefe nicht unmittelbar von Paulus
, aber stärker als das palästinensische Vorbild haben m.E.

die Grundgedanken gewirkt, die in dem paulinischen Ordnungsbegriff
lagen, nun freilich durch die Erfordernisse, die in
der Situation der kleinasiatischen Gemeinden begründet waren
, verstärkt.

Aufs Ganze gesehen, stellt die Schrift von Schweizer eine
sehr beachtliche Studie dar. Schweizer hat erneut den Blick
auf die Vielschichtigkeit des urchristlichen Kirchenbegriffs gelenkt
. Seine Arbeit wird zu weiteren Untersuchungen in der
von ihm angegebenen Richtung führen müssen.

Berlin Johannes Schneider

Bockeler, Maura, O.S.B.: Das Große Zeichen. Apokalypse 12,1. Die
Frau als Symbol göttlicher Wirklichkeit. Mit einem Geleitwort von D. Dr.
Ildefons Herwegen, O. S. B., Abt von Maria Laach. Salzburg: Otto Müller-
Verlag [1947]. 588 S. 8°.

Im Katholizismus gibt es seit den Dreißigerjahren dieses
Jahrhunderts eine Literatur, welche die Wirklichkeit „Frau"
theologisch behandeln, nämlich im Schöpfungs- und Heilsplan
Gottes die besondere Stelle der Frau bezeichnen und auszeichnen
will. Hierher gehören (mehr oder auch weniger) Schriften
wie: „Die ewige Frau. Die Frau in der Zeit. Die zeitlose Frau"
von Gertrud von Le Fort {1934) — ..Vom Priestertum der
Frau" von Oda Schneider (1934) — ..Würde und Adel der Frau
im Christentum" von E. Kronenberger (1938) — „Die persönliche
Würde der Frau" von N. Rocholl (1940). Den Gipfel
dieser Literatur (die man mit der älteren bei Else Zurhelfen-
Pfleiderer RGG2 II Sp. 725t. verzeichneten vergleichen muß)
bildet zweifellos das uns vorliegende Werk der Benediktinerin
Maura Böckeier „Das Große Zeichen". Die Wirklichkeit
„Frau" ist nach dem biblischen und theologischen Urteil der
Verfasserin „das Zeichen" für den ganzen dem Schöpfer gegenüberstehenden
gottgeschaffenen Kosmos und zugleich „das
Zeichen" für den Hl. Geist in der Triuität. Dabei ist „Zeichen"
nicht eine Formel, sondern eine Wirklichkeit, welche durch die
Trinität ihren Ursprung und in der Trinität ihre göttliche Entsprechung
hat. Das wird an der Eva der Bibel, an der katholischen
Pneumatologie, Christologie, Mariologie, Ekklesiologie,
Eschatologie durchgeführt — man erhält geradezu eine „Dog-
matik" der Wirklichkeit „Frau". Diese „Dogmatik" dürfte
jedoch keineswegs in allem der katholischen Dogmatik genehm
sein (vgl. die Besprechung des Böckelerschen Buches
von dem Benediktiner Sturmius Grün im „Archiv für
Liturgiewissenschaft" I [1950], S. i62f. und die Bemerkungen
der Benediktinerin Aemiliana Lohr zu Gertrud von Le Fort
im gleichen „Archiv" S. 164). Dem evangelischen Bibelforscher
und Bibelhörer erscheint zwar der Gedanke groß und
fruchtbar, einmal die Bibel (und daran anschließend die biblischen
Theologen) über die Stellung der Frau im Schöpfungs-
und Heil.splan Gottes zu hören — aber die Böckelersche Methode
in dieser Angelegenheit muß er ablehnen. Zwar geht die
Verfasserin ständig von der Bibel aus, und das ernsthaft, mit
exegetischer Bemühung (im katholischen Sinn); aber alsbald
nehmen die Spekulationen der Kirchenväter, der griechischen,
syrischen, auch der lateinischen, den Bibeltext, um den es sich
handelt, in Beschlag; Hildegard von Bingen (der die Verfasserin
ihre Forscherarbeit gewidmet hat) und ihr „spekulativ-doktrinärer
" Zug (vgl. Ildefons Herwegen, Kirchl. Handlex. I
Sp. 1970) gewinnt Einfluß; die Verfasserin selbst verfolgt dann
diese Linie mit eigener Kraft (denn es ist wirklich Kraft!) mit
Unterstützung abendländischer und östlicher Theologen bis in
die entlegensten Trinitätsspekulationen hinein. Man bekommt
demnach nicht zu hören, was die Bibel wirklich (d. h. vor der
Umklammerung durch außerbiblische Autoren) zum Thema
„Frau" sagt, sondern was die biblischen Aussagen bedeuten
könnten (nicht einmal müßten), wenn die Kirchenväter, die
spekulativen Theologen und Theologinnen zuvor Recht
hätten. Wir stehen also hier vor einem Falle „theologischer"
Exegese — nicht von der evangelischeu Theologie aus, aber
auch nicht einfach von der katholischen Theologie aus, sondern
von einem gewissen Ausschnitt katholischer Theologie aus.
Denn z. B. die Kirchenväter sind auch der katholischen Theologie
durchaus nicht an allen Punkten festes veritatis, sondern
oft bloß testes der eigenen Spekulation, und hier bedarf es
genauer Untersuchung. Die Theologen wiederum sind danach
zu würdigen, nicht wie „tief" sie spekulierten, sondern wie
getreu sie die biblische Linie einhielten, gegen welche ja auch
die catholica veritas nicht verstoßen darf. Die Liturgie endlich
, welche die Verfasserin reichlich zu Worte kommen läßt,
hat das Vorrecht, ein magnificare magnalia Dei zu treiben,
das sich in Andacht ausströmt, aber nicht als Quelle von Erkenntnissen
entgegen der Bibel genommen werden darf.

Immerhin: indem die Verfasserin sieh über solche Bedenken
hinwegsetzte, schuf sie ein Werk, welches als Sammlung
und Weiterführung jener „spekulativen" Äußerungen der