Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1951 Nr. 8

Spalte:

472-473

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Calvin, Johannes

Titel/Untertitel:

Auslegung des Propheten Jesaja 1951

Rezensent:

Albertz, Martin

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

471

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 8

472

Nahüm-'el in der semitischen Namengebung kein Scitenstück
gibt. Uberhaupt ist das Arbeiten mit „Motiven", „Andeutungen
", „Anspielungen" (vgl. S. 88f.) bedenklich. Nun bewegt
sich freilich der Verf. bei alledem überhaupt auf einem Gebiet,
auf dem exakte Beweise schwer zu führen sind und die Intuition
ein ziemlich freies Spiel hat; und an Intuitionen fehlt es
dem Verf. wahrlich nicht. Daß man dieses Gebiet nicht betreten
dürfe, soll damit keineswegs gesagt sein. Im Gegenteil,
es ist wissenschaftlich notwendig, auch in diesen etwas gefährlichen
Bereich einzutreten; und ohne Intuitionen gibt es keinen
Fortschritt in der Wissenschaft. Ich sehe hier ein ausgesprochenes
Verdienst der vorliegenden Arbeit; und man wird die
Einsichten des Verf. immer wieder prüfen und erwägen müssen
auch da, wo man ihm schließlich nicht glaubt zustimmen zu
können. Und im ganzen wird man das Endergebnis, zu dem
der Verf. durch diese Ausführungen schließlich gelangt, doch
einleuchtend finden, daß nämlich das Buch Nahum aus „kultprophetischen
" Kreisen stamme (vgl. S. 153). Diese Einsicht
ist nicht neu; aber der Verf. hat doch zur Feststellung der kultischen
Sprache und Vorstellungswelt im Buche Nahum wesentliche
Beiträge geliefert und zugleich richtig darauf hingewiesen
, daß in dieser Sprache und Vorstellungswelt von politisch
-geschichtlichen Größen und Vorgängen die Rede ist (vgl.
S. 120), daß also das, was eigentlich gemeint ist, nicht im
kultischen, sondern im geschichtlichen Bereich zu suchen ist.

Im Zusammenhang damit aber vermißt mau ein Eingehen
auf Fragen, die der Verf. nicht stellt, die aber doch eigentlich
gestellt werden müssen. Gewiß will er nur „Studien" zum
Nahunibuch bieten und nicht eine allseitige Auslegung. Man
darf also von ihm nicht mehr verlangen, als was er selbst zu
geben willens ist. Aber er selbst führt an Fragen heran, die er
dann nicht beantwortet. Er lehnt wiederholt mit Entschiedenheit
die neuerdings vielfach angenommene Auffassung des
Buches Nahum als einer „prophetischen Liturgie" ab. Ich
würde persönlich meinen, daß er damit im Rechte ist. Aber er
begründet diese Ablehnung nicht, und noch viel weniger äußert
er sich zu der nun kaum zu umgehenden Frage, was denn das
Buch Nahum in Wirklichkeit sei. Er teilt das Buch Nahum in
einige größere Abschnitte ein, ohne jedoch die jeweils besondere
Art dieser Abschnitte deutlich zu machen. Eine eigentliche
Analyse des Aufbaus und der Zusammensetzung des
Buches, eine Charakterisierung der einzelnen Elemente des
Buches und ein Fragen nach dem „Sitz im Leben" für das
Ganze und seine Teile, das alles fehlt. Man erführe gern Genaueres
darüber, in welcher Weise sich denn eigentlich „die
politische Propaganda der kultischen Kreise" (S. 153) entfalten
konnte und entfaltete, deren Niederschlag uns im überlieferten
Buche Nahum enthalten ist.

Es ist im Voranstehenden von allerlei Bedenken gegen die
Ausführungen des Verfassers ziemlich ausgiebig die Rede gewesen
. Daraus möge hervorgehen, daß es nach meiner Meinung
sich lohnt, sich mit dem vorliegenden Buche gründlich auseinanderzusetzen
. Wenn es eine wissenschaftlich legitime und
sogar notwendige Aufgabe ist, Fragen anzuregen, auch wenn
diese Fragen nicht so leicht sicher beantwortet werden können,
so hat der Verf. jedenfalls eine wissenschaftlich wertvolle
Arbeit getan. Er hat sich — sonst vor allem mit dem Gebiet
der altorientalischen Religionsgeschichte beschäftigt — im vorliegenden
Buche einem speziell alttestamentlichen Gegenstand
gewidmet. Er hat auch dies von einem in erster Linie religionsgeschichtlichen
Interesse aus getan, hat aber doch eine gründliche
Beschäftigung mit dem überlieferten Wortlaut des Buches
Nahum zur Grundlage seiner Arbeit gemacht und damit
eine Probe von seinem Können auch auf dem Gebiet der Auslegung
des Alten Testaments gegeben. Ich sehe in seinen
„Studien" einen anregenden und damit wertvollen Beitrag zur
Arbeit der alttestamentlichen Wissenschaft.

Bonn Martin Noth

Fohrer, Georg: Glaube und Welt im Alten Testament. Das Alte Testament
und Gegenwartsfragen. Frankfurt/M.: Josef Knecht, Carolusdruckerei
[1948]. 259 S. 8°. Geb. DM 7.50.

Wie der Untertitel schon andeutet, geht es dem Verf.
darum, einem weitereu Leserkreis neue Einblicke in die unvergängliche
Lebendigkeit der alttestamentlichen Botschaft
zu vermitteln und ihm durch eine gemeinverständliche Einführung
in das Ringen Israels um die rechte Lösung seiner
Lebensfragen die Lust zum Lesen auch dieses so viel verkannten
Teiles der Bibel zu erwecken. So entrollt er in zehn
Kapiteln die Hauptprobleme der alttestamentlichen Lebensgestaltung
: Prophetie, Schuld und Schicksal, persönliche und
kollektive Schuld, Rätsel des Leidens, Geschichtsverständiiis,
Organisation und Geist, Kultus und Ethos, Gott und das
Recht, Religion und Politik, Krieg und Frieden. Uberall zieht

er feine Linien des Verständnisses und der Auseinandersetzung
in unsere Zeit und ihre Fragen hinüber. Die flüssige, angenehm
lesbare Darstellung und die geschickte Heranziehung der alttestamentlichen
Texte, die man an manchen Stellen gern noch
vermehrt sehen möchte, sind ebenso ansprechend wie die über
veraltete Fragestellungen hinausgewachsene Gedankenfüh-
ruug, die besonders in den Kapiteln über Kultus und Politik
längst totgelaufene Alternativen vermeidet und durch treffliche
Formulierungen überrascht (vgl. z. B. S. 174: „Entscheidend
sind also weder Kultus noch Ethos an sich, sondern
der von Gott ergriffene und gehaltene glaubende Mensch").
Erst recht läßt die grundsätzliche Ausrichtung auf das Wort
Gottes, das vom Alten Testament bezeugt wird und für alle
Zeiten Kraft und Autorität besitzt, das Buch als eine ihren
Zweck ausgezeichnet erfüllende Einführung in das Alte Testament
für weiteste Kreise erscheinen.

Von dem durchweg hohen Niveau der Darstellung fällt
nur das Schlußkapitel ein wenig ab, wo man den zentralen
Gehalt der Friedens- und Heilshoffnung Israels, die neue Gemeinschaft
Gottes mit seinem Volk, gern stärker betont gesehen
hätte, während jetzt alles auf eine sehr menschliche
Friedenssehnsucht der vom Krieg geplagten Volksschichten
herauskommt.

Basel W. Eichrodt

Calvin, Johannes: Auslegung des Propheten Jesaja. 2. Hälfte, übers, u.

bcarb. v. Prof. Dr. Wilhelm Boudriot. Neukirchen/Krs. Moers: Bnch-
handl. d. Erziehungsvereins [1949]. 639 S. gr. 8° = Johannes Calvins Auslegung
der Heiligen Schrift. N. R., hrsg. v. Prof. D. Otto Weber 7. Bd.
DM 25,—.

Es war seinerzeit ein großes Verdienst, das sich die Buchhandlung
des Erziehungsvereins in Neukirchen erwarb, als sie
unter der Hauptredaktiou von E. F. Karl Müller, Erlangen,
1901—1919 in 14 Bänden die Auslegung der Heiligen Schrift
durch Johannes Calvin in deutscher Übersetzung erscheinen
ließ. Während des „Dritten Reichs" unternahm nun der rührige
Verlag eine zweite Bearbeitung, deren Hauptredaktiou in
den Händen von Otto Weber, Göttingen, liegt. Der erste Band
dieser neuen Reihe erschien Im November 1937: Ernst Kochs
Auslegung des Jeremia, Band 8 der neuen Reihe. Hier wurden
die Grundsätze der neuen Bearbeitung dargelegt: Kürzungen
bei der Weitschweifigkeit des Vorlesungsstils, Streichung
grammatikalischer und anderer sprachlicher Exkurse, auch
von Auseinandersetzungen mit anderen Auslegern, Auslassung
fast aller Äußerungen in den sog. summae, klare Heraushebung
der doctrina. Es erschien dann November 1938 Band IX,
wiederum von Ernst Koch bearbeitet: Ezechiel 1—20 und Daniel
; ferner Mai 1941 die Bearbeitung der ersten Hälfte des
Jesaja-Buches (Kapitel 1—35) durch Wilhelm Boudriot. Die
nun vorliegende zweite Hälfte der Jesaja-Bearbeitung von dem
gleichen Verfasser ist eine Gabe des inzwischen heimgerufeuen
Forschers aus der Zeit des zweiten Weltkrieges, und man wird
es ihm glauben, wenn er selbst berichtet, daß der Umgang mit
Calvin ihm zur Erquickung und zur Festigung des Glaubens
gedient hat. Während in der Erstausgabe dieser Jesaja-Teil
488 S. umfaßt hat, liegen im neuen 639 S. vor.

Der Rezensent hat mehrere Monate hindurch bei Bibelstunden
über Deuterojesaja diesen Kommentar neben modernen
Kommentaren benutzt. Es ist ihm dabei die Arbeit
Calvins für die Klärung des theologischen Gehalts als die sorgsamste
und tiefste Auslegung des Deuterojesaja erschienen.
Die Exegese ist sauber und umsichtig, auch sprachlich
trotz aller Fortschritte der sprachlichen Kritik meist zutreffend
, selbst historisch von unseren jetzigen Erkenntnissen
gar nicht so sehr entfernt, als es angesichts der Erforschung
der historischen Umwelt eigentlich zu erwarten wäre. Die
konkrete Botschaft der Bibel wird mit allen Mitteln wissenschaftlicher
Umsicht und Klarheit herausgestellt. Man kann
das Buch in der flüssigen Ubersetzung Boudriots wirklich aufnehmen
, als sei es heute für uns geschrieben. Die Erklärung
von Kapitel 36—39 erscheint als besonders aktuell. Sie ist unverkennbar
getragen von der Existenz Calvins in seinem Genfer
Stadtstaat. Wie Genf zwischen den Mächten eingekeilt ist,
die es von Ost und West bedrohen, so ist in seiner Zeit die
Kirche Gottes ein kleiner, armseliger Haufe. Calvin ist klar
über ihre hoffnungslose Lage. Die Hilfe ist nur von Gott zu erwarten
. Der Glaube steht gegen den Schein der Vernunft, und
der Trost liegt allein bei dem Herrn. Man kann diese Ausführungen
unmittelbar übertragen auf die Existenz unseres Volkes
zwischen den Mächten von heute und der Kirche der
Ökumene als einer geringen Minderheit in der weiten Welt.
Auch in bezug auf die Frage der christozentrischen Auslegung
des Alten Testaments ist Calvin wieder modern geworden.
Selbstverständlich ist in ihm die Auslegung der ebed Jahve-