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Ausgabe:

1951 Nr. 1

Spalte:

31-33

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Festschrift für Gerhard Ritter zu seinem 60. Geburtstag 1951

Rezensent:

Hartung, Fritz

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 1

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klusivem" Verstand (a. a. O. 226). Die Formel „Sola fide" als
die genaue Bestimmung des ,,Sola gratia" ist die Sicherung
des „Christus pro nobis" und des „Christus allein" (a. a. 0.235).

G. Krüger greift in das augenblicklich viel verhandelte
Problem: „Christlicher Glaube und existentielles Denken" ein
und zeigt in feiner Weise das Trennende zwischen Christentum
und Existentialphilosophie, aber auch die Möglichkeiten
ihrer Berührung auf (S. 168—189). Die Situation hat sich seit
Kierkegaard wesentlich verschoben. Bei ihm geht es um die
entscheidende Frage, „wie mau Christ wird", während die
eigentlichen Philosophen der Existenz zu erkennen geben, daß
sie das Christentum ablehnen. Tatsache ist aber, daß philosophische
Aussagen gemacht werden, die neutestamentlich
und christlich klingen, die aber in Wirklichkeit anders gemeint
sind und auch anders aufgefaßt werden sollen. Was
eigentlich trennt, ist das Erbe der Aufklärung. Vor
allem ist das Verständnis von Freiheit und Geschichtlichkeit
dem moderneu Menschen im Wege, das Christentum anzuerkennen
. „Aber es wäre doch denkbar, daß sich die philosophische
Besinnung wieder an Plato anschlösse, der auch das
Denken der exakten mathematischen Wissenschaft auf die Erleuchtung
durch das göttliche Gute zurückführte, und an
Augustin, der mit der platonischen Tradition die durch das
Ereignis des Christentums geweckte Frage nach der Geschichte
verband. Dann entstünde aber auch für die christlichen
Konfessionen und für ihreTheologie eine neue Situation"
(a. a. O. 188).

Wenn der unbefangene Leser einen Einblick in diese Festschrift
gewinnt, dann fällt ihm die theologische und wissenschaftliche
Verschiedenartigkeit der Beiträge besonders auf.
Nicht nur die Probleme sind vielgestaltig (wie sollte es bei
* einer Festschrift anders sein ?), sondern auch die wissenschaftliche
Methodik und die Art und Weise der Durchführung sind
keineswegs einheitlich. Ja, man kann sogar sagen, daß die
l biologischen Ansätze und Ergebnisse manchmal in Spannung
zueinander stehen. Neigt ein Beitrag mehr zu einer kritischen
Auflösung des historischen Tatbestandes und einer Selbstauflösung
des kirchlichen Christentums (E. Fuchs), so ordnet ein
anderer biblisch-theologische Aussagen, ohne kritische Fragen
bzw. historische Entwicklungen allzusehr in Rechnung zu
stellen (J. Schniewind). In mehreren Beiträgen steht deutlich
das Interesse an der menschlichen Existenz oder am menschlichen
Dasein im Vordergrund, während wenigstens einer auf
die reformatorischen Grundlagen einer Theologie des Wortes
zurücklenkt (E. Wolf). Das Verhältnis von Sakrament und
Glaube ist von H. Schlier so gezeichnet, daß es weithin Bedenken
hervorrufen dürfte. So bleibt auch in Eiuzelfragen manches
problematisch und anfechtbar. Und doch wird das Ganze
nicht nur als Freundesgabe, sondern auch als wissenschaftlicher
Beitrag allseits Beachtung verdienen, zumal außer den
Genannten noch Männer wie H. Diem, H. G. Gadamer,
Fr. Gogarten, G. Harbsmeier, H. Karpp, J. Schniewind und
Fr. K. Schumann mitgearbeitet haben. Ihre Beiträge seien
wenigstens genannt:

H. Diem, Sören Kierkegaard S. 36—47; H. G. Gadamer,
Prometheus und die Tragödie der Kultur S. 74—83; Fr. Gogarten
, Die christliche Wahrheit 8.84—98; G. Harbsmeier,
Das Problem des Kultischen im evangelischen Gottesdienst
S. 99—126; H. Karpp, Kirchengeschichte als theologische Disziplin
S. 149—167; j. Schniewind, Aufbau und Ordnung der
exxhioia nach dem Neuen Testament S. 203—207; Fr. K. Schumann
, Gedanken Luthers zur Frage der Entmvthologisierung,
S. 208—220.

Tübingen O. Michel

Ritter:i Festschrift für Gerhard Ritter zu seinem 60. Geburtstag»

Hrsg. v. Richard Nürnberger. Tübingen: Mohr 1950. VI, 450 S., 1 Titelb.
gr. 8°. DM45.60; geb. DM 49.60.

Diese erst mit zweijähriger Verspätung herausgekommene
Festschrift umfaßt neben Beiträgen, die dem Interessenkreis
des Jubilars unmittelbar entstammen, auch Abhandlungen von
Freunden und Kollegen, die weit darüber hinausgehen, wenn
sie auch fast alle in irgendeiner Weise damit zusammenhängen.
So ist em stattliches Werk zusammengekommen, das vom
frühen Mittelalter bis in die Probleme unserer Zeit hineinführt.
Die Aufgabe des Rezensenten ist demgegenüber nicht leicht.
Selbst wenn er dem falschen Ehrgeiz entsagt, sein eigenes
besseres Wissen durch Bemängeln von Einzelheiten an den
Mann zu bringen, kann er nicht einmal die eigentliche Aufgabe
einer Anzeige erfüllen, nämlich anzugeben, inwiefern die einzelnen
Beiträge über den bisherigen Stand der Forschung hinausgehen
.

So möchte ich mich darauf beschränken, kurz den Inhalt
anzudeuten. An der Spitze steht G. Telleubach mit einer

Untersuchung „Vom Zusammenleben der abendländischen
Völker im Mittelalter"; sie liegt scheinbar weit ab von den
neuzeitlichen Forschungsgebieten Ritters und ist doch nicht
ohne aktuellen Einschlag, da auch unsere Zeit angesichts des
Verblassens des strengen Souveräuitätsbegriffs der Neuzeil
nach neuen Formen für das Zusammenleben der Völker sucht.
Im Anschluß daran betrachtet H. Aubin „Stufen und Formen
der christlich-kirchlichen Durchdringung des Staates im Früh-
mittelalter" und zeigt, wie langsam sich das Merowingisclu
Reich mit christlichem Gedankengut erfüllt hat, während das
Westgotenreich nach dem Ubertritt zum Katholizismus „das
erste Beispiel einer weitgehenden Verschmelzung von Staat
und Kirche im Mittelalter darstellt". P. E. Schramm führt
seine bisher vor allem England und Frankreich gewidmeten
Studien über das mittelalterliche Königtum mit einem Beitrag
über „das kastilische König- und Kaisertum während der
Reconquista" auf dem von der deutschen Forschung in der
Regel nur wenig beachteten Gebiet Spaniens weiter. FI. Heim -
pel zeichnet ein anschauliches Bild von „Karl dem Kühnen
und dem burgundischen Staat".

Mit den folgenden Beiträgen betreten wir das Gebiet, dem
der Jubilar selbst eine Reihe bedeutender Arbeiten gewidmet
hat und dem die Leser dieser Zeitschrift besonderes Interesse
entgegenbringen, das der Reformationsgeschichte. W.Maurer
fördert das „geschichtliche Verständnis der Abendmahlsartikel
in der Confessio Augustaua", indem er der Entstehungsgeschichte
vor allem des Art. 10 und den Unterschieden zwischen
der lateinischen und der deutschen Fassung im einzelnen nachgeht
und den Anteil Melanchthons daran festzustellen versucht
. Sein Ergebnis formuliert er (S. 209) folgendermaßen:
„Die beiden Fassungen des Art. 10 stehen nebeneinander, die
deutsche, strenger lutherisch, im Wortlaut fast zum mittelalterlichen
Dogma hinüberschillernd, die lateinische, des luthe
riachen Gewandes fast entblößt, es beinahe völlig abstreifend,
aus der humanistischen Vermittlungstheologie des Melaneh
thon geboren; . . . beide voneinander so sehr verschieden und
doch nicht einander widersprechend; beide einander ergänzend
, so wie lutherische Reformation und christlicher
Humanismus damals einander sich suchten und fanden and
heute aufs neue suchen, um sich gegenseitig aufs neue zu befruchten
". Unter dein Titel,, Luther zwischen den Konfessionen,
400 Jahre katholischer Lutherforschung" betrachtet H. Born -
kämm den Wandel des Lutherbildes, wie er m der neueren
katholischen Lutherforschung von Lortz, Herte und Hessen
gipfelt. Dabei ist vor allem beachtenswert, daß diese Annäherung
nicht wie in der Aufklärungszeit durch Auflockerung
des Dogmas, sondern durch Besinnung auf die religiöse Grundlage
erreicht wird. „Luther's struggle for faith", sein Ringen
um die Glaubensgewißheit im Kampf gegen die immer wieder
durchbrechenden inneren Anfechtungen, ist Gegenstand einer
Untersuchung von R. H. Bainton (New Häven). Gleichsam
eine Fortsetzung der Ausführungen über Melanehthon von
W. Maurer gibt C. Bauer, indem er „die Naturrechtsvor-
vorstellungeu des jüngeren Melanehthon" auf Grund der Ur-
fassung der loci communes darstellt. Eine Art Ergänzung zu
Bornkamni gibt E. W. Zeeden mit der Herausarbeitung des
„ökumenischen Gedankens in V. L. v. Seckendorfs Historia
Lutheranismi", die als der erste Ansatz zu einer besseren Würdigung
des Katholizismus in der protestantischen Geschichtsschreibung
aufgefaßt wird; auch hier wird als wesentlich betont
, daß die Intoleranz der früheren Forschung nicht aus
weichlicher Schwäche, sondern aus Innerlichkeit überwunden
wird.

„Leibuiz in der weltpolitischen Situation seiner Zeit" ist
der Titel einer Betrachtung von O. Vossler; das politische
System von Ludwig XIV. und die Tendenzen von Leibni/.
werden einander gegenübergestellt, eine Übereinstimmung in
den letzten Zielen und eine Gegensätzlichkeit in den Methoden
klar hervorgehoben. Ein von der Geschichtsforschung in der
Regel nicht genügend beackertes Gebiet betritt P.Rassows
Aufsatz über „die Bevölkerungsvermehrimg Europas und
Deutschlands im 19. Jahrhundert", der den Auswirkungen der
Bevölkeruugsvermehrung auf das gesamte Leben nachgeht
und sie insbesondere an der Umgestaltung des preußischen Offizierskorps
, der Stadtverwaltung, der Universitäten und der
höheren Schulen veranschaulicht. Als Ergebnis stellt er fest:
die Herrschaft des Berichts an Stelle des persönlichen Eindrucks,
die Typisierung des Menschen auf Kosten der Individualität
und damit im Zusammenhang eine Verarmung an mensch
lieber Substanz.

Es folgen zwei Studien über Ranke. C. Hinrichs be
handelt „Rankes Lutherfragment von 1817 und den Ursprung
seiner universalhistorischen Anschauung"; neben Luther hat
vor allem Fichte auf die geistige Entwicklung Rankes Einfluß