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Ausgabe:

1951 Nr. 1

Spalte:

29-31

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Festschrift Rudolf Bultmann 1951

Rezensent:

Michel, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 1

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Aus der Ergänzung, die ursprünglich beabsichtigt war, wird
ein Ersatz — dies um so mehr, wenn die Wiedergeburt so
grundsätzlich gefaßt und so konsequent durchdacht, andrerseits
so energisch von allem spekulativen Beiwerk befreit und
.so nüchtern auf die tägliche Erfahrung des Christen bezogen
wird wie bei Spener». In dieser eigentümlichen Verkürzung und
Verschlingung lebt Luther, der ja bereits die Wiedergeburtslehre
Schwenckfelds entscheidend mitgebildet hatte, im ursprünglichen
Pietismus wieder auf. Darum haben im Grunde
beide recht: Spener, der sich immer wieder auf den Reformator
, vorzugsweise auf seine Römerbriefvorrede und seinen
großen Galaterkommentar berief2 — und seine Gegner, die
ihn des Weigelianismus ziehen. Der Versuch, Luthers Anliegen
mit den Mitteln des Spiritualismus zur Geltung zu bringen,
führte weder nach der einen noch nach der anderen Seite zu einem
reinen Ergebnis, so folgerichtig er in sich selbst gedacht war3.

') Besonders bedeutungsvoll ist dabei die Tatsache, daß das in Predigten
, nicht In dogmatischen Lehrbüchern geschieht.

2) Darum konnte Spener auch den leichter greifbaren Spiritualismus in
Großgebauers Wiedergeburtslehre ablehnen. Vgl. Th. Bed. I, 164ff., III, 555.
Cons. et Jud. theol. lat. III, 24f.

3) In diesem Satze ist ausgesprochen, wieweit ich mich der Bestimmung
von Spencrs theologischer Eigenart anschließe, die Erich Seeberg (Gottfried

Im ganzen fällt dabei der Nachdruck auf den Perfektionismus1
. Er geht einerseits von einein substantiellen, unpersönlichen
Sündenverständnis aus. Er führt mit dem Drang, den
inneren Menschen völlig äußerlich werden zu lassen, den umgekehrten
Weg als Luther. Er bezeichnet zidetzt und vor
allem den Abstand in einem verschiedenen Gottesbegriff: Der
paradoxen Tatsache, daß Gott den Sünder wählt und liebt,
steht die rationale Forderung gegenüber, daß Gott nur eine
vollkommene Gerechtigkeit anerkennen könne.

Arnold 1923, 339f.) gegeben hat, und worin icli von ihr abweiche. Sie kommt
m. E. von allen der Wahrheit am nächsten. Ich stimme Seeberg hinsichtlich
des Doppelaspektes zu, den Speners Theologie bietet, jedoch nicht hinsichtlich
des „Halben, Verklausulierten, Unschöpferischen" (S. 340).

') Hier scheint mir auch die Antwort auf die schwierigste Frage gesucht
werden zu müssen, die in diesem Zusammenhange auftaucht. Es ist die, warum
nicht Nicolai, sondern Spener der Vater des Pietismus geworden Ist. Nicolais
Gottesbegriff, der ganz von der Liebe aus gedacht ist, bedarf des Perfektionis-
mus nicht im gleichen Maße wie der von der Gerechtigkeit aus entworfene
Speners. Daß diese für den letzteren den Angelpunkt bildet, wird überdies
biographisch aus dem Selbstzeugnis über seine erste pietistische Predigt vom
6 p. Trin. 1068 über die bessere Gerechtigkeit nach Matth. 5, 20 erwiesen
(Wahrhaftige Erzehlung 1697, 42, s. oben Sp.20Anm.l).

FESTSCHRIFTEN

Festschrift Rudolf Bultmantl, zum 65. Geburtstag überreicht. Stuttgart:
W. Kohlhamrner 1949. 251 S. gr. 8°. Kart. DM 18.—.

Die „Festschrift Rudolf Bultmann", die 1949 gedruckt
wurde, war schon zum 60. Geburtstag vorbereitet und nahezu
fertiggestellt und hat also eine bestimmte Vorgeschichte hinter
sich, über die E. Wolf in seinem „Vorwort" berichtet. Es ist
zu. begrüßen und die Wissenschaft ist dafür dankbar, daß aus
der ersten Sammlung von Beiträgen 1944 der schöne und wertvolle
Band entstanden ist, der 1949 in endgültiger Gestalt vorgelegt
werden konnte. Durch diese Vorgeschichte sind auch
Art und Zusammenstellung der Beiträge bestimmt, die in alle
theologischen Disziplinen und in verwandte Nachbargebiete
hinüberreichen. Man konnte vielleicht zwischen denen unterscheiden
, die grundsätzlicher Art sind und die ganze Weite
eines Fragekreises umschreiben, und solchen, die ein wissenschaftliches
Einzelproblem ins Auge fassen und nun von allen
Seiten her zu beleuchten versuchen. Dabei ist drucktechnisch
der Weg gewählt worden, daß die Anmerkungen anhangsweise
jedem Beitrag nachgesetzt wurden. Es bleibt die Aufgabe, auf
den Inhalt einzelner Beiträge einzugehen.

G. Hölscher tritt in einer kurzen Abhandlung: „Sinai
und Choreb" (S. 127—132) für die These ein, daß der Süiai,
den der Jahwist meint, im Norden der heutigen Sinaihalbinsel
zu suchen ist. „Will mau also eine Vermutung wagen,
so wäre der Sinai einer der Berge südöstlich von Kadesch,
unter denen die Karte 2 des Gutheschen Bibelatlas Höhen bis
zu 1015 m verzeichnet; es sind nach den Bergriesen im Süden
die höchsten Erhebungen der Halbinsel" (a. a. O. 129). Der
Choreb, von dem der Elohist spricht, ist im Lande Midian zu
suchen und nach Dt. 1, 2 zu bestimmen: man braucht 11 Tage
vom Choreb auf dem Wege nach dem Gebirge Seir bis nach
Kadesch Baruea. „Danach liegt der Choreb anscheinend östlich
oder südlich vom Gebirge Seir, weiter in die Wüste hinein
" (a. a. O. 129). Erst die Priesterschaft verlegt den Sinai
in den Süden der Halbinsel, in das heutige Sinaigebirge
(Nr- 33)- E. Balla stellt mit G. Hölscher Ez. 8, 1-9. « und
"< 24—25 als einheitlichen, aber unvollständigen Bericht
Ezechiels über ein ekstatisches Erlebnis zusammen. Falls die
Vermutung richtig ist, daß vor 11, 24 eine Strophe ausgefallen
ist, hat dieser Stoff einmal aus 20 Strophen zu je 7 Kurz-
yersen bestanden. Der Übersetzung und Erklärung des Textes
tolgen die wissenschaftlichen Anmerkungen mit einer kritischen
Auseinandersetzung in Einzelfrageu (S. 1—11).

E. Fuchs will in seinem Beitrag: „Jesus Christus als
terson" zum Problem.der Geschichtlichkeit der Offenbarung
owwnng nehmen. Ihm kommt es auf den Begriff und das Verls
8S cscllatologischen Begegnung mit Jesus an
der TVi « "Was er bringt, ist die klare, unerbittliche, aber
rnn., 1 Un , 9otte8 gewisse und darum auch gelassene Forde-
ireraH "'^ten" Stunde, des göttlichen Augenblicks, die
St n ln'Sl'm.un entscheidend wichtig macht, und nicht eine
erfassen" fa begegnen Jesus, indem wir diesen Augenblick
ft,„i__i,, o„ a,, • 53)- In der Auseinandersetzung mit dem
theologischen Verständnis der Offenbarung in der Geschichte

wagt E. Fuchs die Sätze: „Ontologisch handelt es sich dabei
um ein Seiusverständnis, das sich das Seiende im Grunde nur
als beständige Wirklichkeit vorstellen kann, so daß man von
der Meinung: was nicht vorhanden ist, ist nicht, gequält wird.
Man möchte eben einen persönlich vorhandenen Christus, um
an ihm die eigene Existenzberechtigung nachzuweisen. Der
Glaube erschöpft sich dabei in dem bekannten Postulat, daß
das Vorhandensein eines nicht Vorhandenen vorauszusetzen
ist" (a. a. O. 64). Es geht E. Fuchs um die Durchprüfung der
theologischen Denkvoraussetzungen.

G. Bornkamm geht in seiner Studie: „Der Paraklet im
Johauuesevangeliuin" (S. 12—35) von der Parallele zwischen
Jesus als dem Gesandten (und Offenbarer) und dem nachfolgenden
Parakleten aus und fragt: Woher stammt diese
eigentümliche Anschauung von zwei aufeinander folgenden
Offenbarer-Gestalten ? In Auseinandersetzung mit R. Bult-
mann behauptet G. Bornkamin, daß der Paraklet des Jo-
hannesevaugeliums mit den „Helfern" der mandäischen Texte
und der Oden Salonios nicht viel mehr als den Namen gemeinsam
habe; das Werk des johanneischen Parakleten bestehe
nicht in der Erlösung der Gläubigen. In Wirklichkeit gehe es
um das Vorläufer-Motiv, das im Spätjudentum und im NT
selbst manche Gestalt angenommen habe.

E. Käsemanns Aufsatz: „Eine urchristliche Taufliturgie
" (S. 133—145) verdient besonderes Interesse. Er beschäftigt
sich mit dem Hymnus Kol. 1, 15—20, kommt allerdings
zu einer anderen Analyse des Textes als E.Lohmeyers
Kommentar 1930. Das Partizip eöxaotarovvreg (1, 12) ist nach
Käsemanns Hinweis auf die Homologie, auf das hymnisch dargebrachte
Christusbekenntnis der Gemeinde. Ein vorchristlicher
Hymnus ist christlich überarbeitet und mit einer liturgischen
Einleitung versehen und stellt nunmehr eine Gemeinde
-Homologie dar, die vom Verfasser des Briefes im Anschluß
an sein Vorwort zitiert wird (a. a. O. 136). Die Betonung
des apostolischen Amtes in Kol. 2, 1—3 bedeutet, daß
die Gemeinde nicht nur an das Bekenntnis, sondern auch an
das Apostolat als Schutz des Bekenntnisses gebunden wird
(a. a. O. 144).

H. Schlier beschäftigt sich mit dem Verhältnis des
christlichen Freiheitsbegriffs zum antiken und stellt fest, daß
der christliche dem antiken widerspricht (a. a. O. 201). Die
christliche Freiheit wird uns im Ursprung unseres Daseins
durch die Taufe vermittelt, aber die Taufe betrifft nur das
Sein und nicht die Erfahrung des Menschen. Das wirksame
Zeichen wandelt den Grund, aber noch nicht den Vollzug
des Daseins. Personal ergriffen wird die in Christus Jesus erworbene
Freiheit im Glauben (a. a. O. 198).

E. Wolf bringt Erwägungen zur reformatorischen Recht-
fertigungslehre unter dem Thema: „Sola gratia?" (S. 221 bis
240) und führt damit in kontrovers-theologische Fragen ein.
Das „allein" in der Formel: „Sola gratia" ist für die Reformatoren
im strengen Sinn „particula exclusiva". Es läßt
schlechterdings nichts außer, neben, mit, in sich zu als die
Gnade, den Glauben, den Christus. Die katholischen Theologen
der Reformationszeit und schon vordem gebrauchen
auch das „allein", und zwar im gleichen Formelzusammen-
hang, aber, wenn man es einmal grob sagen darf, in ,,in-