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Ausgabe:

1951 Nr. 7

Spalte:

432-433

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Weber, Otto

Titel/Untertitel:

Versammelte Gemeinde 1951

Rezensent:

Albertz, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 7

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der dänischen Kirche hineinblicken läßt. Diese Kirche ist eine Schöpfung
Grundtvigs: „Entscheidend ist hier die starke Betonung der Tatsache, daß der
auferstandene Herr der Kirche als der Lebendige gegenwärtig ist, wo Menschen
sich am Taufbecken und am Abendmahlstisch versammeln" (S. 372). In einer
für uns sehr lehrreichen Weise setzt sich S0e mit diesem Kirchenbegriff Grundtvigs
auseinander.

S0e fügt seiner Ethik ein umfassendes literarisches Belegmaterial von
125 Seiten bei und erleichtert uns die Arbeit an seinem Werk durch ein Sach-
und Namensregister.

Feststeht, daß Soe das uns heute bewegende Material
einer evangelischen Ethik bereitliegen hat und auch vorträgt.
Es darf aber die Frage erlaubt sein, ob ihm der grundsätzliche
Teil seiner Ethik gelungen ist. See gehört seiner geistlichen
Heimat nach zum skandinavischen Luthertum, dessen moderner
Vertreter er ist. Zugleich aber denkt und arbeitet er als
dialektischer Theologe. Es mag dahingestellt bleiben, ob eine
Verbindung solcher theologischen Elemente überhaupt möglich
ist. Jedenfalls zeigt das Bemühen Sees dabei eine Bruchlinie
auf, die in einem doppelten Ansatz zu einer Ethik sichtbar
wird. Es wird abzuwarten sein, ob Soe diese Problematik überwinden
kann.

Berlin O. H. Dilschneider

Heim, Karl: Olaubensgewißheit. Eine Untersuchung über die Lebensfrage
der Religion. Vierte, v. Verf. m. neuem Geleitwort vers. Aufl. Berlin: Evangelische
Verlagsanstalt 1949. (Lizenzausgabe des J. C. Hinrichs Verlags,
Leipzig). VII. 276 S. gr. 8°. DM 7.— ; Hlw. DM 9.—. i

Dieser Neudruck der dritten, 1923 bei J. C. Hinrichs-
Leipzig erschienenen Bearbeitung von Karl Heinis grundlegender
systematischer Schrift versetzt uns in ein früheres
Stadium seiner Gedankenentwicklung, über das er in der
Tetralogie seines umfassenden Hauptwerkes, und wieder in
den verschiedenen Fassungen von dessen erstem Band (Glauben
und Denken, 1.-4. Auflage 1931-1937) in wesentlichen
Punkten hinausgeschritten ist. Doch gerade dies beständige
Neuanfangen gehört zum Wesen dieses halbjahrhundertlan-
gen gegenseitigen um einander Kämpfens von „evangelischem
Glauben" und dem „Denken der Neuzeit". Es bewahrt den
Denker wie den mitgehenden Leser vor dem Hängenbleiben
in den zeitbedingten Anknüpfungen und begrifflichen Konstruktion
smitteln, nötigt und hilft zu immer reinerem Herausarbeiten
des bleibenden Grundanliegens, das durch alle
Wandlungen und Wendungen der Fragestellungen hindurchgeht
. So treffen wir in der Fassung von 1923 eine verstärkte,
mit dem „Weltbild der Zukunft" von 1904 aufs stärkste kontrastierende
Aufnahme eines erkenntnistheoretischen Transzendentalismus
, der keineswegs, wie oberflächliches Katalogisieren
gemeint hat, im Dienst eines weltanschaulichen
„Idealismus" stand, vielmehr jedem unkritischen Gegenstandsdogmatismus
gegenüber den Weg für ein Weltbild freilegen
sollte, das dem Glauben an ein allgewaltiges, zugleich
durch und durch lebendiges Gotteswalten nicht von vornherein
den Zugang verbaut. Dies das gemeinsame Anliegen,
das Heim mit dem Anliegen z.B. Fr. K. Schumanns verbindet
, bei allem Dissensus über die denkerischen Hilfskonstruktionen
, die der Destruktion jedes weltanschaulichen Dogmatismus
dienen. — Dagegen fehlt noch durchaus, von einzelnen
mehr bildhaften Vorausnahmen abgesehen, die Lehre von den
„dimensionalen Spaltungen" und „Grenzen", wie sie Heim
im Hauptwerk seit 1931 vorträgt, nicht ohne sie in dessen
Weiterbearbeitungen durch selbstkritische Reduktionen zu
vereinfachen. Dort kommt die Lehre vom Nicht- (besser Vor-
und Uber-) Gegenständlichen zu umfassender Auswertung
durch die kühne Verbindung mit der Zeitlehre, die wieder zu
der Anklage auf — horribile dictu — Anleihen bei der schlimmen
Gesellschaft des spekulativen Idealismus verholfen
hat. — Wie es auch damit stehen möge, es bleibt als durchgehende
philosophische Grundlinie, die die erste Form der
Heimschen Lehre (1902/04) mit der mittleren (Glaubensgewißheit
1 und 2, Leitfaden der Dogmatik 1 — 3) und der
Entwicklung seit 1923 und 1931 verbindet: es ist die dialektische
Unterscheidung des Nochnichtentschiedenen und des
Entschiedenen, in Verbindung mit einem perspektivischen
Denken, das rein theoretisch gesehen, zum radikalen, auch
die Ethik auflösenden Relativismus führt, voluntaristisch gesehen
über den Schicksalsgedanken zur Stellung der allentscheidenden
Gottesfrage zwingt. Völlige Zerschlagung des
„Subjekt-Objektschemas" und seine kritische Wiederaufnahme
sind sekundäre Wendungen einer Dialektik, die wie
das ganze Bild dieser Entwicklung — mutatis mutandissimis -
an Fichte erinnert. — Dem entspricht der durchgehende Zug
einer Glaubenshaltung, die sich jeder wissenschaftlichen wie
ethisch-existenzialistischen Anfechtung wie ein Sankt Sebastian
oder vielmehr eddischer Baidur aussetzt, gewiß, in
solcher Zerschlagung jeder vermittelnden Apologetik eine
bessere Waffe gegen den Weltanschauungsdogmatismus in
jeder Gestalt zu haben, da dieser, um einen noch so versteckten
Wahrheitsanspruch zu behaupten, auf eine Absolut-
heitsopposition zurückgreifen muß. Auch das skeptische Ausweichen
zeigt die Unentrinnbarkeit einer absoluten Stellungnahme
, laute sie auf Ja oder auf Nein.
Es bleibt die Doppelfrage:

1. Wie verhalten sich letztlich philosophischer Anmarschweg
und Glaubensposition ? Wird jener durch diese zuletzt
als bloßer Um-, ja Irrweg aufgehoben, oder bleibt ihm durch
alle Aporien hindurch ein positiver Wert ? Es soll doch ein
„Weltbild" ermöglicht werden, das eine dem Glauben analoge
, von ihm letztlich getragene, ihn mit dem wissenschaftlichen
Denken unserer Tage in Beziehung setzende Denkhaltung
voraussetzt. — Auch hier zeigt Heims Entwicklung
eine stark gegensätzliche Bewegung: anfänglich Gleichschaltung
philosophischer und glaubender Haltung, Zurück-
führung beider auf dieselben Entscheidungsformen alles Wirklichen
. Von da aus wird kritisch weitergefragt: stehen nicht
vielmehr beide in gegenseitiger Aufhebung ? Oder endlich i
in einem gegenseitigen Sichgrenzen und zugleich Sichfordern ?
So nur in skizzenhafter Andeutung.

2.. Wenn das Letztgenannte gilt, und wenn ein Zurücksinken
in den alten, nach dem historischen Werk von 1911
durch die Reformation grundsätzlich überwundenen Gegensatz
von Thomismus und Okkamismus vermieden werden
soll — was folgt daraus für die Einführung und Festlegung
von Begriffen wie „Autopistie" der Schrift (Gewißheitsproblem
1911, 276ff.) oder der göttlichen Notwendigkeit (1923
bzw. 1949, 237ff. 248, A. 1; vgl. Glauben und Denken 1931.
332ff.) ? So gewiß sie die gegenständlichen Kategorien von
kausaler Notwendigkeit und Willkür bzw. Zufall überbieten,
so zerlegen sie sich für unsre Auffangsorgane mit (nicht nur
psychologischer) Notwendigkeit einer „logificatio post fe-
stum" in die (kritisch zu begrenzenden) Gesichtspunkte des
Kontingenten und des Sinnhaften. Christlicher Gottesglaube
unterscheidet sich doch von dem Schicksalsglauben primitiver
wie absinkender Gestalt durch das bewußte Merkmal
einer gottgesetzten Sinnhaftigkeit, die auch der ernstgenommene
amor fati mindestens als Frage in sich trägt. Damit
stehen wir vor der Frage: ist es nicht die „Kategorie" des
Sinnes, ohne die wir über einen am Modell des mathematischphysikalischen
Denkens orientierten Logizismus nicht hinauskommen
? Gibt es nicht noch einen anderen Denkweg als den
über die Selbstaufhebung eines formalen Rationalismus in
einen anti- oder doch alogischen Irrationalismus ?

Wie man auch zu diesen und anderen sich aufdrängenden
Fragen stehen möge: für Menschen mit ausschließlich oder
vorwiegend mathematisch-naturwissenschaftlich-technischer
Denkgewöhnung ist mit Heims Werk ein Dienst getan, wie er
in dieser von aller früheren Apologetik abweichenden Gestalt
sonst von kaum jemanden geleistet werden konnte. Fähigkeit
zu abstraktem Denken wird freilich bei aller beneidenswerten
Gabe der Bildhaftigkeit keinem Leser erspart. Es bleibt die
Doppelaufgabe: aus Heims Gesamtarbeit die Momente herauszuarbeiten
, die trotz jenes methodischen Primats des naturwissenschaftlichen
Denkens in einen anderen Zusammenhang
und eine andere Aufgabe hineinweisen: Auseinandersetzung
mit dem historischen Relativismus auf dem Weg
eines Geschichtsdenkens, das Geschichte und historische
Arbeit nicht einem dogmatischen Relativismus überläßt, vielmehr
dem analytischen Außenwerk der Historie eine Tiefensicht
überordnet, die auch allein uns über die unhaltbare,
durch den Gang der Arbeit an der neutestamentlichen Geschichte
heraufgeführten Lage, soweit das möglich, hinweghelfen
kann, ohne die unaufgebbare kritische Methodik einfach
über Bord werfen zu wollen, was, wenn ausführbar,
immer noch besser wäre als ihre altübliche Erweichung zur
Erlangung „positiver" Ergebnisse.

Möge es dem ehrwürdigen Tübinger Forscher vergönnt
sein, sein Lebenswerk zu vollenden!

Kilchberg über Tübingen R. Paulus

Weber, Otto, Prof. D.: Versammelte Gemeinde. Beiträge zum Gespräch
über Kirche und Gottesdienst. Neukirchen/Krs. Moers: Buchh. d. Erziehungsvereins
[1949]. 176 S. kl. 8°. Hlw. DM4.50.

Wer in konzentrierter Form sich über den theologischen
Ertrag des Kirchenkampfes in Deutschland, den die Vorläufige
Kirchenleitung und die Bruderräte geführt haben, für die Lehre
und Gestalt der Kirche, orientieren will, der greife zu dem
Büchlein von Otto Weber. Zwar hat Weber im Anfang des
Kirchenkampfs als reformierter Kirchenminister im ersten