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Ausgabe:

1951 Nr. 7

Spalte:

426-428

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Luthardt, Christoph Ernst

Titel/Untertitel:

D. Chr. Ernst Luthardt's Kompendium der Dogmatik 1951

Rezensent:

Althaus, Paul

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 7

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acht lassen, als Usurpatoren die bisherige Staatsordnung umstürzen
oder als tatsächliche Tyrannen durch Verachtung der
Religion und Rechtsbruch den Staat zugrunde richten. Dem
Usurpator gegenüber ist jeder Widerstand sowohl von dem
Naturrecht (Schutz des Lebens) wie vom bürgerlich-positiven
Recht des Staates aus erlaubt und geboten. Hat der Usurpator
sich freilich dennoch durchgesetzt und regiert er dann verfassungsmäßig
, so ist man auch ihm Gehorsam schuldig. Dem
rechtmäßigen König aber, der tatsächlich Tyrann geworden
ist, haben die Reichsstände als die Vormünder des Staates
Recht und Pflicht zur Gehorsamsauf küudigung und zum Widerstand
. Es handelt sich hier freilich nur um die, denen der Staat
anvertraut ist, die also irgendeine obrigkeitliche Funktion im
Gesamtstaat oder in den einzelnen Provinzen haben. Privatleute
dürfen einen Widerstand nicht leisten, sondern müssen
die Tyrannei als Unglück von Gottes Händen nehmen, dulden
oder im äußersten Notfall aus dem Lande fliehen. Dringt aber
ein solcher Widerstand der Stände nicht durch, so ist den
Untertanen der benachbarten Fürsten die Pflicht der nachbarlichen
Hilfe geboten. Sie wird begründet durch die Einheit
der Kirche, der alle Christenheit zugehört. Ist ihr Leib Verwundet
, gleicht sie einem brennenden Haus oder einem Schiff
in Seenot, so ist jede Hilfe für die Kirche erwünscht und geboten
.

Berlin-Spandau Martin Albertz

Hunscheidt, Walter, Dr. theoi.: Sebastian Mutschelle. 1749—1800.
Ein kantianischer Moraltheologe, Moralphilosoph und Moralpädagoge.
Bonn: Scheur 1948. 176 S. m. 1 Titelb. 8°. Kart. DM4.80.

Philipp Funk stellte in seinem Buche „Von der Aufklärung
zur Romantik" (1925, S. 101) fest: ,,Der Jesuitenorden
ist tatsächlich der einzige, in den die Aufklärung keinen Eingang
fand". Aber in einer Anmerkung fügte Funk bei: „Nur
Sebastian Mutschelle, der bis zur Aufhebung dem Orden angehörte
, könnte allenfalls als Ausnahme angeführt werden".
Gerade dieser Sebastian Mutschelle (der „allenfalls" angeführt
werden „könnte"!) ist es, dem Hunscheidt seine stofflich reichbeschickte
, mit anerkennenswerter Objektivität geschriebene
Studie gewidmet hat. Diese Studie, welche die Schriften
Mutschelles, Schriften und Äußerungen über Mutschelle, auch
archivalisches Material, verarbeitet, ist für die Kenntnis der
katholischen Philosophie, Theologie und Praxis, besonders im
Ethos und in der Ethik, im ausgehenden 18. Jahrhundert, von
Bedeutung.

Mit aller Klarheit geht hervor: Mutschelle war Kantianer
und wollte es sein. Freilich muß man sofort beifügen: Er war
Kantianer als Moralist. Er suchte für das Ethos die Quelle des
Guten, für die Ethik das Prinzip und Kriterium des Guten —
umsonst. Da stieß er auf die Ethik Kants und überzeugte sich
an Kant: Die Quelle des Guten liegt in der reinen, von aller
Erfahrung und Autorität unabhängigen Vernunft! Und
Mutschelle fuhr weiter: Auch die Lehre Jesu setzt diesen Sachverhalt
voraus, obwohl Jesus nicht ausdrücklich darüber handelt
, „denn sein Vortrag der reinen Sittenlehre war populär .
(Heute sagt man dies so: Das Ethos Jesu war und ist „einsichtig
"). Und zwar ist die Offenbarung eine von Gott gespendete
Hilfe für die von Gott gegebene Vernunft. So wird
für Mutschelle der kategorische Imperativ die Grundlage des
christlichen Liebesgebotes — die theologische Ethik des
Christentums ruht bei Mutschelle auf der Vernunftethik Kants
auf. Daß Mutschelle demgemäß in Schule und Kirche, als
Schriftsteller, Lehrer, Prediger, Seelsorger, am Ende als Professor
„der theologischen Moral, der Pastoral und der geistlichen
Beredsamkeit" am kurfürstlichen Lyzeum in München
die Vernunft (nämlich im Namen Gottes und Jesu!) leuchten
heß, das versteht man. Einige verstanden es auch damals. Aber
die meisten mißverstanden es. Nämlich: „Vernunft", das ist
"och „Aufklärung" — und Aufklärung ist Zerstörung des
Glaubens! War Mutschelle Kantianer, so war er ein Mann der
Vernunft, also ein Aufklärer, also ein Zerstörer des Glaubens.
Hat er doch selbst den Begriff Aufklärung für sich in Anspruch
genommen! Freilich so: „Nicht Unglaube, sondern guter Gebrauch
des Glaubens; nicht was aus der Fremde Neues kömmt,
sondern was den Menschen neue Weisheit und Festigkeit gibt,
das ist Aufklärung". Also, urteilt Funk (S. 54), „eine ethisch
ernste, erzieherisch gut wirkende Aufklärung". Aber eben:
Aufklärung. So faßt Hunscheidt zusammen: „Mutschelle war
und wollte nie liberal im kirchlichen Sinne sein ... Er war eine
makellose, gütige Priesterpersönlichkeit; freilich opferte er der
Aufklärungszeit seinen Tribut". Also bloß: der Aufklärungszeitl
Nun, Hunscheidts eingehende Untersuchung überzeugt gerade
davon, daß Mutschelle nicht der Aufklärung zugehörte —

gegen Hunscheidt und Funk! Mutschelle war gewiß Kantianer,
aber er war es als Voll-Katholik — und er war Kantianer gerade
an jener Stelle, wo der Katholizismus seit dem Mittelalter
die Funktion der Vernunft im Ethos (und darum in der Ethik)
ansetzt. Ob freilich die Kantische Ethik dieser Funktion der
Vernunft im Katholizismus genugtut, das ist eine andere
Frage; aber auf jeden Fall eine wissenschaftliche Frage, keine
Frage der Ketzerei. Aber als wissenschaftliche Frage eine legitime
Frage, gerade für die Zeit, da Kant aufstieg, also für
Mutschelle. Hatte Thomas von Aquin (Summa theol. I, II,
71, 6) statuiert: „Regula voluntatis humanae est duplex: una
propinqua et homogenea, scilicet ipsa humana ratio; alia vero
est prima regula, scilicet lex aeterna, quae est quasi ratio
Dei", wozu J.Hessen (DieWeltanschauung des Thomas von
Aquin, 1926, S. 94) sagt: Die lex aeterna erscheint zugleich als
lex naturalis, und die Übereinstimmung mit dieser lex aeterna
ist das tiefste und letzte Kriterium des sittlich Guten — demnach
Übereinstimmung mit der vernünftigen Natur des Menschen
ist zugleich Ubereinstimmung mit dem göttlichen Willen
— so war für Mutschelle Kant als Erforscher dieser Vernunft-
natur des Menschen eine willkommene Größe. Hatte Mutschelle
diesen Thomismus etwa bei den Jesuiten Vasquez und
Suarez studiert, so war er auf die Frage gestoßen, wodurch
das von Gott in die Natur gelegte Gesetz zum verpflichtenden
werde — bei Kant fand er eine Antwort. Und hatte dem „Anti-
kant" Benedikt Stattler die Wolffsche Philosophie, und Johann
Michael Sailer die Jacobische Philosophie (vgl. dazu Karl
Eschweiler in der Festschrift für Karl Muth 1927, S. 392ff.),
ja Thomas von Aquin die des Aristoteles jenen Dienst getan —
wie soll gerade Mutschelle um 1800 „der Aufklärungszeit
einen Tribut geopfert" haben, wenn er jene Vernunftseite des
Problems mit Kant anpackte ? Mutschelle ist nicht zur Aufklärung
zu stellen, sondern zur wissenschaftlichen katholischen
Ethik um 1800. Wie denn Hunscheidt mit Recht in den Titel
seines Buches nichts vom „Aufklärer" setzte, und nur den
kantianischen Moraltheologen, Moralphilosophen und Moralpädagogen
nannte. Daß Mutschelle vor seinem Tode 1800 noch
einen Ruf auf einen neuzuerrichtenden Lehrstuhl der Theologie
an der Universität Königsberg erhielt, stößt unser Urteil nicht
um; denn von Königsberg oder Berlin aus sah die Sache anders
aus. Aber befestigt wird unser Urteil durch die Tatsache, daß
J. M. Sailer Mutschelles Predigten empfahl — denn Sailer hatte
ein „Gespür".

Bad Liebenzell Leonhard Fendt

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Jelke, Robert, Prof. D. Dr: D. Chr. Ernst Luthardts Kompendium der
Dogmatik gegenwartsgemäß gestaltet und in 15. Aufl. hrsg. Heidelberg:
Jedermann-Verlag 1948. XIV, 479 S. gr. 8°. Hlw. DM20.—.

Seit der 13. Auflage (1933) hat R. Jelke Luthardts bekanntes
Kompendium besorgt. Die Paragraphen Luthardts wurden im
Ganzen beibehalten, aber z.T. anders angeordnet; die theo-
logiegeschichtlichen Uberblicke bis in die neueste Theologie
hinein fortgeführt, einige Paragraphen neugeschrieben, der Geschichte
der Dogmatik ein Anhang über die außerdeutsche
evangelische und die katholische Dogmatik beigefügt. Vor
allem aber suchte Jelke „die einzelnen Stücke als solche unter
ein in sich geschlossenes System zu stellen" (Vorwort zur
15. Aufl.), einmal durch strafferen Aufbau, der die schon erwähnte
Umstellung von Paragraphen und ganzen Teilen forderte
, sodann, indem er Luthardts Leitsätze, welche dieser der
Darbietung der Schrift- und Kirchenlehre vorangestellt hatte,
durch eigene zu Beginn und am Schlüsse jedes Paragraphen ersetzte
. Auf diesem Wege zum dogmatischen System ist Jelke
in der neuen, 15. Auflage (die 14. liegt mir nicht vor) einen erheblichen
Schritt weitergegangen. „Es mußte alles in ein System
gebracht werden, welches das Ganze durchgehend beherrscht
." Und zwar bietet Jelke sein eigenes System. Auf der
anderen Seite hat er auch jetzt die älteren biblischen und historischen
Übersichten Luthardts in der Hauptsache beibehalten,
mit den notwendigen Ergänzungen, auch in der Literaturangabe
. Das Buch hat seine Seitenzalil kaum verändert, bietet
aber bei dem wesentlich vergrößerten Satzspiegel weit
mehr Inhalt als die 13. Auflage. Die vielen Abkürzungen im
Texte, die von Luthardt her bis in die letzten Auflagen beibehalten
waren, sind jetzt fortgefallen.

Die 15. Auflage bringt eine ganze Reihe neuer Paragraphen
, vor allem in der Prinzipienlehre, über das Wesen und das
Problem der Religion sowie über die Offenbarung, die christ-