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Ausgabe:

1951 Nr. 7

Spalte:

423-425

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Hundeshagen, Carl Bernhard

Titel/Untertitel:

Calvinismus und staatsbürgerliche Freiheit 1951

Rezensent:

Albertz, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 7

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lesen, verstanden und geschrieben werden sollte, der sie beseelt
hat, wird ihn die Zoffsche Darstellung der Hugenotten —
trotz aller interessanter und farbiger Schilderungen weltlicher
Personen und politischer Verwicklungen des ausgeschnittenen
Jahrhunderts — ratlos und bekümmert machen und das Ganze
wird ihm einfach leid tun.

Saland/Zürich Chatnbon

Hundeshagen, Carl Bernhard: Calvinismus und staatsbürgerliche
Freiheit. — Languet, Hubert: Wider die Tyrannen. Hrsg. v. Laure

Wyß. Zollikon-Zürich: Evang. Vlg. 1946. 160 S. 8°.

Der Verleger des Evangelischen Verlags Zollikon-Zürich,
Arthur Frey, hat das Verdienst, in der vorliegenden Schrift
zwei fast vergessene Stücke darzubieten, die Laure Wyß neu
herausgegeben hat. Das Büchlein wird von ihm selbst bevor-
wortet.

Das erste Stück enthält eine Rektoratsrede von Huudes-
hagen, die er in der Berner Universität unter dem Titel „Der
Einfluß des Calvinismus auf die Ideen vom Staat und staatsbürgerlicher
Freiheit" 1841 gehalten hat. Hundeshagen gehört
zu den hervorragendsten Kirchenhistorikern des 19. Jahrhunderts
, die sich insbesondere mit der Ideengeschichte der
reformierten Kirche und Theologie beschäftigt haben. Seine
Rede verdient die Beachtung der heutigen Zeit um so mehr,
als sie einen wichtigen historischen Beitrag zu der Frage nach
dem religiösen Ursprung der Demokratie bietet. Er zeigt die
Wurzeln der liberalen Staatslehre in der Reformation reformierter
Prägung. Nach einem grundsätzlichen Abschnitt über
die Reformation und den Staat, in dem er darauf hinweist,
daß der Staatsbegriff im Calvinismus durchgreifend umgestaltet
wird, verfolgt Hundeshagen die geschichtliche Entwicklung
in dem Frankreich des hugenottischen Bundes mit
besonderer Ausführlichkeit, geht dann kürzer auf die englisch-
schottische und niederländische Entwicklung ein, vergleicht
sehr lehrreich die jesuitische Auffassung der Volkssouveränität
, die ohne jedes sittliche Substrat sei, mit der calvinischeu
Auffassung, die die staatsbürgerliche Freiheit begründet und
umgrenzt in einer starken persönlichen Zucht, und verfolgt
schließlich die Auflösung der calvinischen Freiheitsideen bei
Hobbes, Locke, dem amerikanischen Puritanismus, Montesquieu
, Rousseau und der nordamerikanischen und französischen
Revolution. Besonders gründlich behandelt wird und
besonders aufschlußreich auch für die heutige Situation ist
die Untersuchung des hugenottischen Bundes, der in starker
Wechselwirkung mit der calvinistischen Kirchenauffassuug im
16. Jahrhundert unter dem starken Einfluß Calvins entstanden
ist. H. weist auf das neue Staatsrecht hin, das im Laufe der
Hugenottenkämpfe entsteht und geht insbesondere auf de la
Boethie 1528, Franz Hottoman und Hubert Languet ein.
Nach dieser Staatslehre ist die Gewalt der Könige von der
höchsten Gewalt Gottes abgeleitet. Der König als Vasall Gottes
verfällt in Felonie, wenn er die Gebote seines Herrn übertritt
. Ein doppeltes Bundesverhältnis greift hier Platz, einmal
der Bund Gottes mit dem König, demzufolge es in Gottes
Hand steht, den König einzusetzen und abzusetzen. Von hier
aus ist Widerstand erlaubt gegen den Fürsten, der das Gesetz
Gottes niedertritt oder die Kirche untergräbt. Andererseits
wurzelt in dem Gottesbund der Bund des Königs mit dem
Volk, für dessen Innehaltung beide Partner zu bürgen haben.
Die Organe dieses Bundes sind nicht die ungeordnete Masse,
sondern das von Gott her in Alteste und Familienhäupter gegliederte
Volk und die Reichsstände des positiven Rechts.
Diese Volksrepräsentation steht über dem König. Ausdrücklich
wird das Recht der Verschwörung dieser Obrigkeiten gegen
den König unter Bezugnahme auf 2. Chron. 23 behauptet.
Gegen den Fürsten, der den Staat zugrunderichtet, hat das
Volk in seinen Obrigkeiten einzuschreiten und den von Gott
erwählten König an Stelle des Tyrannen einzusetzen.

Das zweite Stück ist entnommen der Schrift, die Hubert
Languet unter dem Namen Stephanus Junius Brutus Celtus
1580 lateinisch hat erscheinen lassen und die 1581 französisch
herausgegeben worden ist. Die Titel lauten : „Vindiciae contra
tyrannos, sive de principis in populum populique in principem
legitima potestate" und „De la puissance legitime du prince
sur le peuple et du peuple sur le prince". Hubert Languet, in
Padua und Bologna ausgebildeter französischer Jurist, wird
durch die deutsche Reformation, insbesondere durch Melanch-
thons loci communes, so beeindruckt, daß er 1548—1560 in
Wittenberg bei seinem Meister weilt. Er ist also von der deutschen
Seite her gesehen Philippist, wird nun aber in seiner
Entwicklung ohne Bruch der klassische Vertreter des calvinistischen
Widerstandsrechtes. Nach Melanchthons Tod tritt
Languet in den diplomatischen Dienst des Kurfürsten August
von Sachsen und wird ordentlicher Gesandter aller protestantischen
Fürsten Deutschlands in Paris. Dort erlebt er die
Bartholomäusnacht und damit das entscheidende Beispiel
einer tyrannischen Handhabung des französischen Königtums
. Später tritt er in die Dienste Maximilians II. und Wilhelms
von Oranien. Der Lebensgang dieses hervorragenden
Politikers und Juristen zeigt deutlich, wie wenig mit den Begriffen
lutherisch und reformiert in seiner Lebenszeit etwas
anzufangen ist. Man müßte ihn als guten Lutheraner melanch-
thonischer Prägung ansehen, wenn er nicht eben doch in seiner
Staatslehre der ausgeprägteste Vertreter reformierten Widerstandsrechts
wäre. Vielmehr ist er ein lebendiges Beispiel dafür
, daß trotz des Abendmahlsstreites es sich bis über die
Bartholomäusnacht hinaus um eine einheitliche evangelische
Bewegung handelt, die auch politisch zu einer Gemeinsamkeit
der protestantischen Mächte führt. Es würde sehr aufschlußreich
sein, wenn die diplomatische Arbeit Languets erforscht
und mit der des Grafen Rochus zu Lynar verglichen würde.
Beide Männer sind calvinistisch geprägte Diplomaten. Der eine
vertritt die protestantischen Stände Deutschlands bei dein
Hugenottenbund in Paris, der andere ist Colignys Botschafter
an den wichtigsten protestantischen Höfen Deutschlands. Für
beide bedeutet die Bartholomäusnacht die entscheidende Wendung
. Für Languet wird dieses Ereignis das Zeichen, daß der
Tyrannei mit aller Kraft Widerstand geleistet werden muß-
Für Lynar, der 1570 von dem Hof des reformierten Kurfürsten
Friedrich des Frommen in Heidelberg zu dem Hof des nachher
streng lutherisch gewordenen August von Sachsen nach
Dresden übersiedelt und 1571 bei dem Kurfürsten die Anerkennung
eines protestantischen französischen Glaubensbekenntnisses
des französischen Predigers von Frankfurt, Theo-
phil de Banos, erreicht hat, so daß nur noch Colignys eigenhändige
Bestätigung aussteht, um den Argwohn, daß die französischen
Protestanten Sakramentierer seien, endgültig zu zerstören
, erscheint nun der Weg frei für eine politische, vielleicht
auch militärische Unterstützung der Hugenotten durch den
vornehmsten lutherischen Reichsstand Deutschlands. Da zerstört
die Bartholomäusnacht die Durchführung dieser allgemein
protestantischen Politik, und zwei Jahre später eröffnet
der Sturz des Philippismus in Sachsen die Verengerung des
deutschen Protestantismus in Richtung auf das konkordisti-
sche Luthertum und die Zerstörung der allgemeinen protestantischen
Front, die Languet und Lynar zu erreichen versucht
haben. Es ist gewiß bedeutsam, von der deutschen Situation
aus gesehen, daß das Buch Languets in dem Augenblick erscheint
, in dem das Konkord ienbuch die endgültige Form der
lutherischen Rechtgläubigkeit geworden ist.

Aus dem Buch Languets ist nun schon 1846 die dritte Abhandlung
durch Richard Treitzschke ins Deutsche übersetzt.
Außer der Neuausgabe dieser Abhandlung bietet das vorliegende
Buch in starker Verkürzung noch die vierte Abhandlung
Languets über die Frage: Dürfen benachbarte Fürsten
oder sind sie sogar durch das Recht dazu verpflichtet, den
Untertanen anderer Fürsten Hilfe zu bringen, die wegen wahrhafter
Religion leiden oder durch Tyrannei unterdrückt werden
. Es ist verdienstlich, daß auch diese Darlegung der deutschen
Öffentlichkeit dargeboten worden ist, denn hier handelt
es sich gerade um die Frage der Beteiligung der deutschen
Fürsten an dem hugenottischen Widerstand.

Die uns zugänglich gemachten Äußerungen Languets
stützen sich wohl auf einige naturrechtliche Erinnerungen,
vielmehr aber auf das Alte Testament, auf viele Beispiele aus
der Antike und eine außerordentlich starke Kenntnis des positiven
Rechts der verschiedenen christlichen Nationen der Zeit.
Obwohl die Schrift eine polemische Auseinandersetzung wider
die Tyrannen ist, so sind doch von den acht Abschnitten sechs
im wesentlichen positiv. Das Volk ist mächtiger als der König,
die Wahl des Königs durch das Volk erfolgt auf Grund von
Gottes Gnaden wähl. Die Volksvertretung als Gesamteinheit
steht über dem König, beschützt die Rechte des Volkes und
überwacht den König. Seine Aufgabe ist die Fürsorge für das
Wohl des Volkes, die Abwehr aller Gewalttätigkeit durch das
Heer nach außen, durch eine gerechte Rechtsprechung nach
innen. Als Rechtspfleger steht der König unter dem Gesetz
und wird bei der Königswahl an Recht und Freiheiten gebunden
. Er darf das Schwert nur gebrauchen, wenn das Gesetz
es befiehlt. Er ist weder Herr über das Privateigentum der
Bürger des Staates noch über das öffentliche Vermögen des
Staates selbst. Er ist nicht einmal in der Nutznießung des
staatlichen Vermögens frei. Unnötige und überflüssige Ausgaben
können ihm von den Kontrollinstanzen des Staates
verwehrt werden. In dem Bund, der den König mit dem Volk
verbindet, ist er gehalten, gegen Gott gehorsam zu sein und
in seinem Volke Gerechtigkeit walten zu lassen. Tyrannen sind
nun solche Herrscher, die alle die genannten Bindungen außer