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Ausgabe:

1951 Nr. 7

Spalte:

417-421

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schelkle, Karl Hermann

Titel/Untertitel:

Die Passion Jesu in der Verkündigung des Neuen Testaments 1951

Rezensent:

Fascher, Erich

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 7

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sich denn das Präsens der metahistorischen Christuswirklichkeit
zu dem Unterschied von Glauben und Schauen, an dein
Paulus und das Johannesevangelium festhalten? Wie bei
E. Stauffer, so rächt sich auch in dieser, in Wahrheit einer
Gnosis verfallenen Schrift die Unterlassung der Analyse des
neutestamentlichen Glaubensbegriffs.

Tübingen E. Fuchs

Schelkle, Karl Hermann, Dr. Dr.: Die Passion Jesu in der Verkündi-

digung des Neuen Testaments. Ein Beitrag zur Formgeschichte und zur
Theologie des Neuen Testaments. Heidelberg: Kerle [1949]. 315 S. 8°.
Hlw. DM 9.50.

Der Titel dieses Buches, das nach dem Vorwort des Verf .s
in langjähriger Eüizelarbeit und durch Umarbeitung ausgereift
ist und in seinem Inhaltsreichtum dem Leser unmöglich in
einer Besprechung anschaulich gemacht werden kann, enthält
bereits Programm und methodische Zielsetzung, die sich der
Autor gestellt hat. Wenn er einen Beitrag zur Formgeschichte
und Theologie des Neuen Testaments liefern will, so ist damit
angedeutet, was der Verf. in seiner Einleitung (S. I—13) ,,Das
Evangelium vor dem Evangelium" nennt.

Sch. stellt positiv zur Zweiquellentheorie und zur formgeschichtlichen
Methode, weil diese uns auf Grund der Formungsgesetze
von Markus bis zu den Apokryphen Richtlinien
an die Hand gibt, um die „Literaturlose Zeit" vor Markus zu
studieren und die Entwicklung der Tradition über Jesus, die
in der gläubigen Gemeinde weitererzählt wurde, zu verfolgen.
Hinsichtlich der Geschichtskritik lehnt er die formgeschicht-
lichen Ergebnisse weitgehend ab (S. 6), betont aber, daß er sich
mit maßgeblichen katholischen Forschern in der Bewertung
der Richtigkeit des methodischen Ansatzes einig weiß. Auf
katholischer Seite höre man freilich Worte wie „Urgemeinde"
mid ,,Gemeindetheologie" nicht ohne Mißtrauen, aber „Gemeinde
" soll hier doch nur Ubersetzung von ixxkijala sein.
..Wenn wir aber nun statt Urgemeinde Urkirche, statt Gemeindetheologie
Kirchentheologie sagen, wie kirchlich, wie
katholisch ist dann das alles." Die Formgeschichte komme doch
nach Feststellung von J. Ranft (Ursprung des katholischen
Traditionsprinzips S. 245) im Grundsatz und Ergebnis der
kirchlichen Lehre von der traditio activa entgegen, die altehrwürdige
Rechtfertigung des Traditionsprinzips, „daß auch
die ,lex evangelica' durch eine bestimmte Zeit dem mündlichen
Wort anvertraut war", erfahre „durch die moderne
Formgeschichte der Evangelien nicht nur eine eindrucksvolle
Bestätigung, sondern auch eine nähere Illustration". Und der
Protestant O. Cullmann betone, damit werde die kirchliche
Exegese gerechtfertigt „gegenüber der liberalen Schule,
welche die Uberlieferung doktrinär als literarisch und bucli-
stabengebunden" verstand (S. 7 Anm. 13).

Die Traditionsgeschichte hat festgestellt, daß die Passions-
erzählung innerhalb der Evangelientradition eine Besonderheit
ist, insofern sie von vornherein im Zusammenhang erzählt
wurde und sogar als die älteste Märtyrerakte angesehen
werden kann. Da sie nun „so voll lautem Kerygmas und ur-
christlicher Theologie ist, so daß die Geschichte hierselbst
Evangelium ist" (S. 12), da auch in der Predigt der Apostel
keine andere Botschaft so wichtig war wie die vom Kreuz
(s- eignet sich gerade die Leidensgeschichte dazu, für die
Evangelien wie für die Briefliteratur des Neuen Testamentes
em Musterbeispiel zu bieten, aus dem man „die gesamte neu-
testamentliche Verkündigung eines urchristlichen Glaubenssatzes
erkennen" kann. Die geschichtliche Darstellung der Evangelien
und die „dogmatische Setzung" in den Briefen widersprechen
sich nach der Meinung des Verf.s also nicht. Hinter
ihnen steht das Evangelium vor den Evangelien. Form-
geschichtliche Forschung treiben heißt „die Absichten und
Sehnsüchte der tradierenden Kirche aufzuzeigen" und „letzt-
hch nach dem Glauben und Willen der neutestamentlichen
Verkündigung überhaupt zu fragen" (S. n). „Wie versuchte
und vermochte die Verkündigung aus dem Skandal des
Galgens das Rühmen des Kreuzes zu machen ? Dies ist inhalt-
«Ch die Frage und Gegenstand unserer Untersuchungen

Diese zerfallen in vier Hauptteile, denen ein prinzipielles Schlußwort
'»Igt. Der erste Hauptteil „Die Passion Jesu in ihrem Geschehen selbst"
(S. 17—126) behandelt in subtiler Untersuchung unter Heranziehung der
neuesten protestantischen Literatur und in fruchtbarer Auseinandersetzung
mit ihr „die menschliche Vordergriindigkeit der Geschichte (S. 13—56), insofern
der Versuch gemacht wird, das Versagen der Jünger mit Mitteln profaner
Historie zu erklären und zu entschuldigen, während die gläubige Uberlieferung
gleichzeitig zu berichten weiß, daß der Herr den Fall der Seinen im voraus gewußt
hat. So sehr also psychologische Motive (etwa im Sondergut des Luk.
und In den Abschiedsreden des Joh.) aufgewiesen werden können, so Ist hier
doch nicht weltliche Geschichte um des Erzählens willen geschrieben; auch die

„vordergründige Geschichte offenbart göttliche Tiefen". Wenn der Autor für
die gläubige Tradition den Begriff der „heiligen Geschichte" verwendet („letztlich
sind es überhaupt nicht mehr rein natürliche Kategorien, in welchen sich
solches Oeschehen bewegt" S. 20), so verwahrt er sich dabei gegen das Mißverständnis
, als ob damit „ein geschichtskritisches Urteil über geschichtliche Zuverlässigkeit
ausgesprochen sein soll" (S. 21). Man könne nicht Perikopen wie
Mark. 14, 18—21 und 14,27—31 einfach als unhistorische Legenden abtun.
Neben die Schuld der Jünger tritt die Frage nach der Schuld der Feinde (Juden
und Helden, S. 24—38). Der Verf. hält die Entlastung des Pilatus und die Beschuldigung
der Juden für geschichtlich richtig, auch wenn wir Zustände und
Zuständigkeit der damaligen Zeit nicht genau kennen. „Da es indessen Fragen
der historischen Kritik sind, darf ich sie hier übergehen. Das Interesse der
Kirche gilt dieser wesentlichen Entscheidung: Pilatus ist weniger schuldig,
schuldig sind die Juden. Indem die Uberlieferung weiter gegeben wird, wird
sie immer eindeutiger so ausgelegt" (S. 24f.). Verf. bringt für diese Auslegung
durch die gesamte neutestamentliche Überlieferung bis zum apokryphen
Petrusevangelium hin den Nachweis, so daß eine Stelle wie Apg. 3, 17 eine
Seltenheit ist. Daß diese Schuld eines verderbten und verworfenen Geschlechtes
seine Sühne finden muß, ist 1. Petr. 2, 23 (im Gegensatz zu Luk. 23, 34 a) als
Überzeugung Jesu ausgesprochen, und die in Apk. 19, 2 gehegte Erwartung „ist
gewiß das Äußerste, was im NT erträglich ist, aber sie sprengt nicht den Rahmen
der christlichen Verkündigung" und ist auch Motiv der Märtyrertheologie.
Gegen Jesu „Verbrechertod" war Apologie nötig, weil viele ihn als ein gültiges
und endgültiges Urteil ansahen. Indem die Kirche dem Gericht der Feinde
Jesu den Willen zur Gerechtigkeit absprach, wollte sie zugleich das Ärgernis
am Urteil aufheben (S. 38).

Der Verf. behandelt nun die theologischen Motive, die die Darstellung des
Oekreuzlgten beeinflußt haben und analysiert in Auseinandersetzung mit
protestantischen Formgeschichtlern die Passionsdarstellungen der einzelnen
Evangelien. Wiederum sieht er die Unterschiede zwischen den Synoptikern
und Johannes sehr klar (S. 42), doch liegt kein unüberbrückbarer Gegensatz
vor. Für Sehe, ist „der ganze Christus jener, dem die gegensätzliche Schilderung
der Synoptiker und des Johannes zusammen gilt", weil „kein Einzelner
ihn ganz begreifen konnte, noch ganz begreifen kann". Die Evangelisten müssen
sich begnügen, die verschiedenen Gesichte des ganzen Christus darzustellen.
Anschließend folgt die Darstellung über das, was „die Predigt der Apostel vom
Geschichtlich-Vordergründigen der Passion kennt". Ist die Kreuzespredigt des
Paulus in ihrer Knappheit und Kürze „eine feierliche Bekanntmachung im
Auftrag Oottes, einem Edikt vergleichbar", so ist 1. Petr. Zeuge für eine eigenartige
kirchliche Passionsbetrachtung, die sich an dem augenfällig vorbildlichen
Leiden Jesu erbaute (S. 52). Einige Stellen des Hebräerbriefes machen
eine auffallende Ausnahme. Hier liegt ein Interesse „am Menschlich-Bitteren
des Leidens" Jesu vor, der damit die von der Todesfurcht Geknechteten
erlöste (Hebr. 2, 14f.). „Eine solche Folgerung ist wahrhaft singulär
im NT." Die weitere Auseinandersetzung des Verf.s mit den Deutungen von
Michel und Käsemann möge man beim Autor nachlesen, der K.s Auffassung
zuneigt.

Sehe, macht nun (S.57ff.) „Die göttliche Hintergründigkeit der Geschichte
" in vier einzelnen Abschnitten deutlich, die wir zusammenfassend
wiedergeben. Erlösung ist das Ziel der Geschichte. Nach Gottes ewigem
Willen steht das Kreuz in der Mitte der Schöpfung. Im Plane Gottes stand
dieser Tag von Golgatha von Anfang an fest und auf das „Sühneinal in Jesu
Blut" (Rom. 3, 24—26) strebt die Entwicklung der Welt hin, versöhnt doch
Gott die Welt mit sich selbst. Die Synoptiker sprechen von solchem Heilsplan
Gottes nirgends ausdrücklich, lassen aber Jesus mit dem sicheren Bewußtsein
auftreten, daß er den Willen des Vaters zu erfüllen habe. Diesem Willen des
Vaters entspricht der Gehorsam des Sohnes, offenbar In seinen Reden, in denen
er seinen Tod voraussagt. „Jesu Vorauswissen ist aber in keiner Weise ein
zauberhaft Vermitteltes" (S. 60). Es sei auch nicht nur übernatürlich, sondern
erwachse aus der Kenntnis der Volksgeschichte, dem Geschick des Täufers, dem
Widerspruch der eigenen Verwandten und dem Haß des Volkes. An Mark. 12, 8
und seiner Wandlung in Matth. 21,39und Luk. 20,15, Joh. 19,17 und Hebr. 13,12
zeigt Sehe, eine sich entwickelnde Tradition auf. Er ist der Überzeugung, daß
die Leidensweissagungen ihre heutige Formulierung in der Überlieferung erhalten
haben und bestimmten Formgesetzen unterlagen, die er nachprüft, ohne
damit eine Ungeschicklichkeit dieser Weissagung zu behaupten (S. 64). Wertvoll
waren sie gegenüber den Feinden, die Jesu Göttlichkeit mit der Behauptung
bestritten, daß er seinen Feinden wehrlos zum Opfer gefallen sei. Verf.
zeigt dann (S. 78—81), wie die Tradition immer mehr die Freiwilligkeit des
Leidens Jesu betont. Die Bedeutung des Schriftbeweises wird eingehend erörtert
und gezeigt, wie die Leidensgeschichte dadurch entscheidend beeinflußt
wurde (S. 81—104). Daß dabei Vorgänge, die als erfüllte Weissagung von der
gläubigen Gemeinde gedeutet werden, durch profan-historische Zeugnisse als
bei Kreuzigungen üblich erwiesen werden, wird hervorgehoben (S.91L). Der
neutestamentliche Befund ergibt aber, daß Jesus aus dem AT lebte, so daß alle
Jesusworte, in denen mit alttestamentlichen Zitaten die Notwendigkeit seines
Leidens erwiesen wird, nicht als vaticinia ex eventu abgetan werden dürfen.
Jesu Bezugnahme auf Jes. 53 und das Leiden des Messias sei nicht jüdisch-
synagogalen Ursprungs, sondern originalchristlich, gehe auf Jesus selbst zurück
. Verf. unterscheidet sich von protestantischen Kritikern allerdings dadurch
, daß er für die außer- und nachkanonische Tradition zugibt, „daß der
Weissagungsbeweis Geschichte gezeugt hat" (S. 93), dagegen wirke er in den
kanonischen Evangelien „innerlich wahrscheinlich und erbauend; wer recht
urteilen will, muß diesen Unterschied zugeben".