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Ausgabe:

1951 Nr. 7

Spalte:

413-414

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Widengren, Geo

Titel/Untertitel:

Literary and psychological aspects of the hebrew prophets 1951

Rezensent:

Rost, Leonhard

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413

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 7

414

Schreiber II in der Odensammlung hinter dem Psalter die Septuaginta-Fas-
sung). Sie haben allerdings einander dann auch noch beeinflußt (p. 439), wie es
überhaupt vom 3.—5. Jahrhundert verschiedene Formen und auch später noch
Mischformen dieses Textes gegeben hat.

In der letzten Abhandlung (IV) faßt Schneider die Bedeutung der Geschichte
der griechischen Oden für den lateinischen Westen des Mittelalters ins
Auge und stellt fest, daß die lateinische Entwicklung immer wieder von neuem
— besonders in Italien — vom Osten her beeinflußt worden ist (p. 479). Das
geschah nicht nur durch das Vordringen der byzantischen griechischen Psalmodie
in den Westen, sondern vor allem auch in der Form der zweisprachigen
Psalmodie, die notwendig in den betreffenden Gebieten die Herstellung eines
griechisch-lateinischen Doppelspalters zur Folge hatte. Die Untersuchung dieses
Doppelpsalters bzw. dann auch des Nebeneinanders von griechischen Oden und
lateinischen Cantica in den verschiedenen westlichen Kirchengebieten fördert
interessante Ergebnisse in bezug auf die griechischen Oden zutage: sie sind
offenbar vielfach nicht originalgriechisch überliefert, sondern aus dem lateinischen
Text der Vulgata ins Griechische zurückübersetzt worden. Die „vielverzweigte
Rezensions- und Übersetzertätigkeit und die zweisprachige Psalmodie
erweisen, wie verbreitet und lebendig die Kenntnis des Griechischen auch
im frühmittelalterlichen Westen noch gewesen ist" (p. 491).

Im zweiten Teil der vierten Abhandlung bespricht der Verf. noch kurz
Paraphrasen, alte Kommentare und Katenen zu den griechischen Oden und
kündigt eine Bearbeitung der griechischen Katenen zu den biblischen Oden an,
'ür die er das von Lietzmann und Faulhaber einst gesammelte Material verwerten
und es vervollständigen wird. Die Erforschung der Odenkatenen bezeichnet
er als besonders wichtig für die Erkenntnis der patristischen Schriftauslegung
.

Eine knappe Zusammenfassung der Gesamtergebnisse aller vier Abhandlungen
(p. 497f.) und die Herausstellung noch verbleibender Aufgaben beschließt
die Arbeit. An wissenschaftlichen Aufgaben nennt er einmal die monographische
Bearbeitung der syrischen, koptischen, äthiopischen und armenischen
Oden nach den biblischen, liturgischen und patristischen Quellen und
zum andern eine gründliche Erforschung der Katenen und Kommentare zu den
Oden. Eine praktische Aufgabe sieht der Verf. für seine Kirche in der Aufnahme
von mancherlei Anregungen, die die alte Psalmodie für eine reichere
Gestaltung gewisser Gottesdienste geben kann.

Schneiders Abhandlung über die biblischen Oden ist das
Muster einer sorgfältigen, aus den Quellen gearbeiteten Monographie
. Mit überragender Sachkenntnis und bewundernswerter
Akribie hat der Verf. das weitschichtige Material gesammelt
und wohlabgewogen verwertet. Daß hinter einige
seiner Einzelergebnisse ein Fragezeichen gemacht werden
kann, mindert nicht den großen Wert, den diese Untersuchung
für die verschiedensten theologischen Disziplinen — insonderheit
die Kirchengeschichte und die Liturgik, aber auch die
Bibelwissenschaft — hat. Man kann nur wünschen, daß die
weiteren von Schneider angekündigten Arbeiten auf dem Gebiet
der Odenforschung bald erscheinen und in der gleichen
Weise ertragreich sind.

Zu fragen wäre, ob Paulus wirklich Eph. 5, 14 („Wache auf, der du
schläfst. ..") an Jes. 26, 18 (LXX) gedacht habe (p. 35), oder nicht etwa einen
uns unbekannten (Tauf-) Hymnus zitiert. Ebenso scheint es mir fraglich, daß
die altchristlichen Hymnen wegen Ihres literarischen Unwertes (p.42) fast völlig
untergegangen seien; vielmehr wird die Tatsache, daß viele dieser Hymnen inhaltlich
verdächtig (p. 43) waren, die gesamte Gattung der Hymnen in Mißkredit
gebracht und die Beschränkung auf die biblischen Oden gefördert haben.
°b die Aufnahme der Oden von Frauen wirklich ein typisches Kennzeichen
christlichen Geistes gegenüber dem jüdischen ist (p. 54) oder nicht eine zufällige
Erscheinung, ist ebenfalls zu fragen. — Eine kleine technische Bemerkung
sei mir noch erlaubt: Die Abkürzung Ko'pel für Konstantinopel und
des entsprechenden Adjektivs durch konsfisch (von p. 442 ab) ist unschön
und überflüssig.

Bethel Johannes Fichtner

Widengren, Geo: Literary and Psychological Aspects of the Hebrew
Prophets. Uppsala: Lundequistska Bokhandeln und Leipzig: Otto Harrassowitz
1948. 139 s _ uppsala Universitets Arsskrift 1948, 10 (Recueil de
travaux publie par l'Universite d'Uppsala).

Nach einer kurzen Einleitung, die die Geschichte des Problems
— Verhältnis zwischen mündlicher und schriftlicher
Überlieferung — von Nyberg, Studien zum Hoseabuch 1935
an verfolgt, behandelt der Verf. im 1. Kapitel die „mündliche
und literarische Abfassung unter den alten Arabern in
vorislamischer und frühislamischer Zeit", in Kap. 2 die
..mündliche und literarische Überlieferung des Korans und der
islamischen überlieferungs- und biographischen Literatur", m
Kap. 3 die ,.mündliche und schriftliche Überlieferung bei den
Israeliten, besonders in prophetischen Kreisen" und in Kap. 4
das Thema ,,der prophetische Führer, seine parapsychisenen
Erfahrungen und deren Bedeutung für die schriftliche Fixierung
der Offenbarungen". Eine „Zusammenfassung" ist von
einem Zusatz gefolgt, der stilistische Beobachtungen, vor
allem in Hmsicht auf die Paranomasie aus Jes. 24; 16; 22;
23; 26 als Korrekturen zum Apparat der BHK3 gibt.

Der Alttestamentier wird besonders dankbar für die weitausgreifende
und sorgfältig belegte Eniführung in das Problem
der arabischen Überlieferung sein. Hier liegt der Nachdruck
auf der Feststellung, daß bereits in den ältesten Zeugnissen
ein Nebeneinander von mündlicher Tradition und schriftlicher
Fixierung bezeugt sei, ja, daß die Dichter selbst gelegentlich
für beides Sorge getragen haben. Dabei wird der schriftlichen
Überlieferung die größere Bedeutung für die richtige Weitergabe
des Textes beigelegt, gleichzeitig aber darauf hingewiesen,
daß die Dichter selbst bei wiederholtem Rezitieren an dem
ursprünglichen Text geändert und gefeilt hatten, so daß wohl
nicht selten mehrere Variationen ein und desselben Gedichts
unmittelbar auf den Dichter zurückgehen und durch verschiedene
überlieferer weiter tradiert worden sind. Das sind
offensichtlich sehr wichtige Feststellungen, die auch für das
AT beachtet werden sollten. Nicht jede Variante muß einem
Mißverständnis eines überlieferers zugeschrieben werden.

Aber auch der Prosaüberliefcrung gilt Widengrens Interesse
. Die Sira des Propheten durch Ibn Ishäq und die spätere
durch Ibn Hisäni neben anderen frühislamischen Werken
werden auf ihre Überlieferung, aber auch auf ihre Kompi-
lationstechnik hin untersucht und festgestellt, daß auch hier
wie für den Koran mündliche und schriftliche Überlieferung
nebeneinander herläuft. Zur Kompilationstechnik hätte auf
das aufschlußreiche Beispiel aus dem Kitäb al-ajanni hingewiesen
werden können, das Brünnow-Fischer in ihrer Chrestomathie
S.2if. bringen, wo nacheinander vier Überlieferungen
über die Entstehung des Spitznamens Ta'abbata sarrän geboten
werden, von denen die erste und vierte, die zweite und
dritte auf eine gemeinsame Wurzel zurückgehen. Hier wird
das auf Kritik verzichtende Aneinanderreihen sich widersprechender
Traditionen deutlich, das im AT so häufig zu beobachten
ist. In diesem Zusammenhang mag darauf hingewiesen
werden, daß die „Verumständung" von Gedichten in
Diwanen gelegentlich auftaucht und nebeneinander nicht ver-
umständete und verumständete Gedichte stehen, wie ähnlich
auch in den alttestamentlichen Sammlungen von Propheten-
Sprüchen.

Nicht alles, was bei den Arabern bezeugt ist, läßt sich
ohne weiteres auf israelitische Verhältnisse übertragen. Und
hier hätte der Verf. gut getan, diesen LTnterschied gelegentlich
stärker hervorzuheben. Fast bei allen arabischen Literaturdenkmälern
kennen wir den Verfasser, der zwar seinerseits
ältere Quellen aufgenommen haben mag und sie nicht selten
unter Angabe seines Gewährsmannes oder der silsile des Isnäd
ausdrücklich als aufgenommen kennzeichnet. Für die alttestamentlichen
Propheten jedoch kennen wir, wie A. S. Kapelrud,
Joel Studies 1948 betont hat, nur den Initianten einer solchen
Sammlung, den Propheten selbst, dessen Werk aber im Laufe
der Tradierung mancherlei Umformungen, Ergänzungen,
Glossen und Korrekturen über sich ergehen lassen mußte.
Die Schlußredaktoren sind uns bei Prophetenschriften nie bekannt
. Freilich der Satz, den der Verf. auf S. 39 über die
islamische Überlieferung schreibt: „Der letzte Autor ... ergänzt
eher die Werke, die er vorfindet, als daß er sie neu
schreibt", ist eine Feststellung, die man auch und gerade bei
der Arbeit am AT nicht aus dem Auge verlieren darf. Aber
dieser letzte Verfasser ist eben in der arabischen Literatur eine
mit Namen bekannte Persönlichkeit, im AT ein hinter seinem
Werk zurücktretender Tradent, Kompilator, Redaktor.

Im Kap. 4 wird, ausgehend von Hölscher, Die Profeten,
die religionsgeschichtliche Einordnung der israelitischen Pro-
phetie weitergeführt und vor allem das plötzliehe Verschwinden
, Fliegen m der Luft und ähnliche Erscheinungen durch
Beispiele aus der Frömmigkeitsgeschichte des Vorderen Orients
illustriert. Bei der Untersuchung der Visionen hätte vielleicht
schärfer noch geschieden werden sollen zwischen Wahrnehmungen
, die an sich nichts Ungewöhnliches enthalten, aber
durch das Gotteswort eine Überhöhung und Ausdeutung erfahren
, und solchen, die an sich schon ungewöhnlich sind und
kaum mit den Realitäten dieser Erde in Einklang stehen. Der
Nachdruck liegt nun freilich auch hier auf der Frage, ob
schriftliche Überlieferung oder nicht. Dieses schwierige Problem
liegt sicher für jeden Propheten anders. So ist es z. B.
kaum denkbar, daß der Cento aus echten Amosworten in
Am. 3, gff. auf den Propheten selbst zurückgeht, so wenig wie
Jes. 2, 9—11. 19—22; 5, 15 mit seinen wiederholten Versuchen,
den gleichen Gedanken in verschiedenem Metrum wiederzugeben
, in der vorliegenden Reihung von Jesaja herrühren
kann. Hier bedarf es sicher noch mancher Einzeluntersuchung.
Aber man würde auf kostbare Vorarbeiten und wertvolle Hinweise
und Anregungen verzichten, wenn man die sorgfältigen Untersuchungen
Widengrens nicht gründlich zur Kenntnis nähme.
Berlin Leonhard Rost