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Ausgabe:

1951 Nr. 7

Spalte:

399-404

Autor/Hrsg.:

Koepp, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Versuch einer Anthropologie als Philosophie des Geistes 1951

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399

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 7

400

Gegen die i^ovaiai, die in der Pilatuslinie stehen, braucht ja
die Kirche die Waffenrüstung Gottes zum geistlichen Kampf.
Wenn die noXireta 'lagaijk von Eph. 2,12 zur Feststellung einer
Analogie zwischen Kirche und Bürgergemeinde dient, so ist
hier übersehen, daß doch offenbar das Volk des alten Bundes
Hinweis auf das neue Bundesvolk, die Kirche, ist. Sie ist die
Zwischengestalt zwischen der alten Ttolvzäa und der zukünftigen
nohq, dem himmlischen Jerusalem, in welchem sie
nicht aber die Staaten, vollendet wird. Die ägxat und Hovatai
werden vielmehr überwunden und aufgehoben werden (1. Kor.
15. 24).

So sehr also die Klammer zu betonen ist, die in Christus
alles zusammenfaßt, ist festzustellen, daß nach dem NT ein
relativer, vorläufiger Dualismus innerhalb dieser Klammer
besteht. Sonst wird auch hier das Eschaton preisgegeben. Bis
bei Gottes jüngstem Gericht alles ihm Untertan wird, besteht
ein grundsätzlicher Unterschied zwischen der geschaffenen,
aber im Ungehorsam abgefallenen Welt und der durch Christi
Kreuzesblut erlösten Kirche. Nur in ihrem Bereich sind die
äyiot, wirkt das nvevfia. Und es ist nicht Demut, sondern Ungehorsam
, wenn sie ihre Gabe verachtet und sich dadurch
ihrer eigentlichen Aufgabe an der Welt entzieht, die Salzkraft
verliert. Es geht hier nicht nur um die schriftgemäße Verkündigung
von der Kirche, sondern um die Bedeutung des
Heilswerks Christi. Muß es nicht verblassen, wenn das schon
in der Schöpfung und Erhaltung enthaltene „durch Christus"
dem „Christus in euch" des fivOTrjgtovTov Xqiotov, das Kol. verkündigt
(1,27), nahezu gleichgestellt wird ? Mit Unrecht lehnt
Barth es in „Rechtfertigung und Recht" ab, daß Dehn und
Schlier die ekovoiai in den ersten Artikel einordnen1. Sie

') A.a.O., S. 24 und S. 33.

sind Schöpfung, aber gefallene Schöpfung. Vor dem statischen
Dualismus bewahrt hier eine rechte trinitarische Verkündigung
von der Schöpfung. Sehr schön reduziert Wolfgang
Schweitzer1 die Barthsche Auswertung der el-ovolai-Exegese
im Wesentlichen auf die nüchternen Ausführungen von
Dehn2. Er sagt zur heilsgeschichtlichen Rolle des Pilatus:
„Joh. 19,11 (Du hättest keine Macht über mich . . .) darf
nicht aus dem ersten Artikel herausgelöst und in den Dienst
des zweiten gestellt werden." Er betont die Vorläufigkeit des
Staates, seine Bindung an diesen alten Aeon, um die er auch
wissen soll.

Es wird hier, wie an vielen anderen Stellen unserer heutigen
theologischen Problematik auf eine rechte trinitarische
Verkündigung ankommen, die die tritheistische Zerspaltung
und die ungarische Vereinerleiung gleicherweise vermeidet.
Eine solche finden wir gerade in unseren beiden Briefen. Die
Einheit der Trinität bewahrt vor jedem grundsätzlichen Dualismus
. Die Unterscheidung in der Trinität läßt Raum für
die Lehre vom Sündenfall, für einen relativen Dualismus und
damit für eine echt heilsgeschichtliche Verkündigung von dem
Werk Christi und der Sendung seiner Kirche. Beides geschieht
im Eph. und Kol.

') Wolfgang Schweitzer, Die Herrschaft Christi und der Staat Im NT.
München 1949.

2) Günther Dehn, Engel und Obrigkeit, in „Theologische Aufsätze Karl
Barth zum 50. Geburtstag" München 1936. Die von ihm und neuerdings vielen
anderen vertreteneMeinung, daßderGebrauch von „S.Q%ovtee" und,, Qovaitxi"
im NT zur Bezeichnung zugleich für Engelmächte und Obrigkeiten nicht nur
eine sprachliche, sondern auch eine inhaltliche Bedeutung habe, dürfte nicht
von der Hand zu weisen sein, obwohl sie auch heute noch umstritten ist.
Literatur bei W. Schweitzer, A.a.O. S.55ff.

Versuch einer Anthropologie als Philosophie des Geistes1

Von Wilhelm Koepp, Greifswald

Litt baut den modernen ontologistischen und biologisti-
schen Anthropologien entgegen einen Versuch einer idealistischen
Anthropologie auf, die, umwittert von den Zweideutigkeiten
menschlichen Seins, in einem unerschütterlichen
Kernzug einer Wahrheit Hegels gipfelt. Aus dem Allhimmel
des absoluten Geistes im Hegelschen Panlogismus wird diese
letzte Wahrheit herabgeholt und eingefangen zum Kern einer
ganz und gar primär am Geist orientierten Menschendeutung.
Wo heute nach den großen Zusammenbrüchen menschlichen
Seins im letzten halben Jahrhundert das alte Abendland wieder
Besinnung zu sich selbst sucht, wird man auf diesen neuen
begrenzteren Versuch hören.

Auch Theologen, die gern das alte Bündnis zwischen
Idealismus und Theologie erneuten — mögen biblische und
reformatorische Wahrheiten dazu in heftiger Spannung
stehen —, werden eine derartige philosophische Anthropologie
zumindest als „Anknüpfungspunkt" willkommen heißen.
Sie werden es besonders in dem Maße tun, als dieselbe schon
von sich aus die Fraglichkeiten menschlicher Existenz neben
einem unerschütterlichen idealistischen Kern weithin zu
Worte kommen läßt.

Litt umrahmt seine philosophische Menschdeutung ausdrücklich
mit einem theologischen Horizont (MuW S. n/8,
278). Die Widerlegung dieses Horizontes alles abendländischen
Denkens vor 1900 ist nicht geglückt. In der christlichen
Menschdeutung stehen sich aber zwei Linien gegenüber. Einerseits
betont Luther die Geschöpflichkeit, Gebundenheit und
Gefallenheit des Menschen, die Unverdientheit der Gnade und
Unmöglichkeit aller Anmaßung. Andererseits votiert Erasmus
gegen jede Knechtsgesinnung für die Freiheit und Eigenkraft
des Menschen auf dem Weg zur Völlendung und bei der Gestaltung
der Welt durch den Geist. Heute sind die humanistischen
Tendenzen von den Naturwissenschaften und der
Biologie her immer stärker antireligiös radikalisiert. Andererseits
ist die christliche Menschdeutung weit stärker auf den
homo peccator konzentriert, der nur aus dem Jenseitigen erweckt
werden kann. Mitten in diesen Zusammenhängen wäre
vielleicht eine philosophische Deutung recht am Platze, die
den Menschen „weder vom Leib noch von der Seele noch vom

*) Litt, Theodor: Denken und Sein. Stuttgart: S. Hirzel 1948. VI,
266 S. gr. 8°. Hlw. DM 14.—.

— Mensch und Welt. Grundlinien einer Philosophie des Geistes.
München: Federmann 1948. 336 S. gr. 8° = Ernst Reinhardt Bücherreihe.
DM 14.—, Hlw. DM 16.—.

Geist her" einseitig zu klären versuchte, sondern ohne Vorbehalt
nach allen Seiten „ausschließlich aus der Kraft des nur
sich selbst verpflichtenden Denkens" und „unter Absehen
von jeder transzendenten Erleuchtung" vorginge. Dem Christentum
wesentliche Züge wären dabei nicht schon sogleich
ausgeschlossen, vielleicht auch philosophisch erreichbar.
Wenn die philosophische Selbsterforschung des Menschen
ihrer eigenen Autonomie auf den letzten Grund geht, wird sie
den christlichen Deutungen sogar überraschend nahe kommen
. — Zugreifend oder bedenkenvoll wird die Theologie hier
achtsam hören.

Bei allseitigster Umschau entwirft Litt seine Menschdeutung
rein „denkend", also doch irgendwie vom Geist her.
Den Grund hierfür legt er sehr sorgfältig im Buch „Denken
und Sein" (DuS). Hier wird der Vorrang des Denkens oder
des Wissens gegenüber dem Sein ausgearbeitet. Es ist „die
tragende Uberzeugung", daß die Wissenschaft noch nie sich
so über sich selbst höchste Klarheit geschaffen hat wie heute,
und daß darum „die methodisch disziplinierte Wissenschaft
die Ausgangsposition" aller Besinnung bilden muß. Das Sein
ist nicht das erste, sondern das Wissen in der Form des um
sich selbst wissenden Wissens. Denken, Erkennen ist nicht
nur ein „Modus des Seins", sondern völlig sui generis. Eine
unermüdliche Polemik gegen alle Ontologie, die die Gnoseologie
sich einverleiben will, insbesondere gegen Nie. Hartmann
, gegen alle „Abbildtheorie", die Erkennen und Denken
als ein Abbilden des Seins verstellt, durchzieht jede Erwägung»

Breite Selbstanalysen des um sich wissenden Wissens entfalten zunächst
dessen Subjekt. Das erkennende Ich in der Vielfalt seiner Methoden
identifiziert sich aus der Vereinzelung in den menschlichen Individuen zur Allgemeinheit
höherer Ich-Einheit im „Wahren" als dem „ideell Giltigen"; Ich
ist „absolute Allgemeinheit, die ebenso unmittelbar absolute Vereinzelung ist"
(Kap. I Ende). — Der Gegenstand des Wissens gliedert sich als ein sprunghaft
vorrückendes Stufengefüge von Natur, Leben, Seele, und endlich Wissen oder
Geist. Der unendlichen und allumfassenden Ausgedehntheit der Naturwissenschaften
eignet die rein allgemeine mathematisierende Gesetzlichkeit. Die nur
noch im völlig eigenlinig Organischen teilbefassende Lebenswissenschaft sucht
das Zweckmäßige in der gestalthaften Ganzheit, das Intensive im Extensiven.
Die das Extensive schon ganz verlassende Seelenwissenschaft mit ihrer noch
weit geringeren Betreffbarkeit, aber doch noch unreinen Innerlichkeit ist stets
auf der Sinnsuche im Äußern und der Ausdruckssuche in Zeichen, Wort, Sprache
mit den psychologischen Methoden der Analyse und Klassifikation. Endlich
die Wissenschaft des Wissens, die Noologie, die Selbstbesinnung des Denkens
will das rein Identische im giltigen Gehalt als solches mit dem denkenden Ich
als Zentrum einer reinsten Identität des Logischen erfassen (Kap. II—V).