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Ausgabe:

1951 Nr. 7

Spalte:

391-400

Autor/Hrsg.:

Perels, Otto

Titel/Untertitel:

Kirche und Welt nach dem Epheser- und Kolosserbrief 1951

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 7

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scheidenere Bedeutung haben, benutzt und bis zum gewissen
Grade umgestaltet worden zu sein, um dem Kampf gegen die
natürliche Theologie zu dienen, was eine — allen verschiedenartigen
Ausdrucksmitteln zum Trotz — starke Kontinuität in
der gesamten Verfasserschaft Barths offenbar macht. Dies wird
durch einen Blick auf die älteste der genannten Barthschen
„Methoden", die Theologie der Krisis, noch deutlicher werden.

Auch wenn es sich um diese handelt, soll man sich nicht
in erster Linie auf die — mit Barth selbst zu reden — unleugbar
auffallende Schale konzentrieren. Man hat so oft darüber
den eigentlichen Kern vergessen. Oder man hat, um zu diesem
zu gelangen, seinen Charakter von der Form der Schale aus
erschließen wollen. Um Barth zu verstehen, muß man zum
Kern vordringen, ohne sich von der bisweilen merkwürdigen
Schale verwirren zu lassen. Der Kern der Theologie Barths ist
der Gedanke der Souveränität Gottes. Daß Gott souverän ist,
bedeutet, daß er etwas anderes ist als der Schutzpatron unserer
Religion. Es kommt alles darauf an, „daß wir Gott überhaupt
wieder als Gott anerkennen", den Gott, der der lebendige Gott
ist, nicht den Gott, „dem wir in unserem Hochmut und in
unserer Verzagtheit den Turm von Babel errichtet haben". In
dem Vortrag, dem die angeführten Worte entnommen sind,
im Januar 1916 gehalten und an die Spitze der gesammelten
Vorträge gestellt, die unter der Überschrift „Das Wort Gottes
und die Theologie" erschienen sind (S. 13, 15), finden wir die
gesamte Anschauung Barths in nuce. Hier ist die Schale so
dünn, daß man den Kern unmöglich verfehlen können dürfte.
Schon hier in Barths „vor-kritischer" Periode begegnet uns
das, worauf die Theologie der Krisis hinaus will. Ob die Einstellung
des natürlichen Menschen Gott gegenüber von Hochmut
oder ob sie von Verzweiflung diktiert ist, seine Situation
ist jedenfalls durch „immer neue Turm-von-Babel-Bauten"
gekennzeichnet. Alle diese babylonischen Türme müssen eingerissen
werden, um der Wirklichkeit des lebendigen Gottes
Platz zu machen. Darum wird das Gericht über alles Menschliche
gepredigt. „Eben in der unentrinnbaren Schärfe des Gerichtes
stoßen wir auf die Wirklichkeit Gottes." In diesem
Satz liegt wirklich, wie Koepp meint (Die gegenwärtige
Geisteslage und die .dialektische' Theologie, S. 54), der
Schlüssel zur dialektischen Theologie. Aber man muß beachten
, daß der Zweck nicht der ist, die Krise als solche zur
Offenbarung zu machen. Barth entdeckt nicht erst um 1927
herum, daß es etwas gibt, das Gottes Wort heißt. Das Gericht
ergeht über den Menschen, damit Gott selbst mit ihm ins Gespräch
kommen kann. Darum sind Theologie der Krisis und
Theologie des Wortes nicht zwei verschiedene Etappen einer
Entwicklungslinie; die erstere steht von Anfang an prinzipiell
im Dienst der letzteren. „Wenn Gottes Wort eine Krisis verursacht
, so deswegen, weil es die Möglichkeit natürlicher Theologie
ausschließt, und die Krisis bezeichnet also die negative
Seite der Radikalität der Offenbarung." (Hauge, Inkarnasjon
og opstandelse. Til sporsmälet om den historiske äpenbaring
[Skrifter utgitt av Det norske Videnskaps-Akademi i Oslo IL
Hist.-Filos. Klasse 1949 : 3], S. 146) (= Inkarnation und Auferstehung
. Zur Frage der historischen Offenbarung.)

Der Sprengstoff, mit dem Barth den babylonischen Turm
zertrümmern will, den das eigene theologische Denken des
natürlichen Menschen errichtet, ist verschiedener Herkunft.
Von Kant und dem Neukantianismus holt er eine Zeitlang
etliches. Aber seine Verwendung neukantianischer, besonders
Cohenscher, Termini bedeutet nicht, daß seine Anschauung
von dorther erklärt werden könnte. Diese Termini sind nur

Ausdrucksmittel für etwas, das er vorher und unabhängig von
ihnen sagen will. Barth geht nicht vom Neukantianismus aus,
um dessen Anschauung dann in die Schrift hineinzulesen, sondern
er kommt von der Schrift her und kleidet — allerdings
nicht immer mit allzu großem Erfolg — ihre Wahrheiten in ein
neukantianisches Gewand. Im Römerbrief stellt er die Gedanken
des Paulus in „einer merkwürdigen Schale von kan-
tisch-platonischen Begriffen" dar; daß es etwas anderes sein
könnte als die Gedanken des Paulus, die interpretiert werden,
dessen ist er sich jedenfalls selbst nicht bewußt. Wenn er das
neukantianische Begriffsarsenal hinter sich läßt, darf man deshalb
die Verschiebung in seiner Anschauung, die damit eingetreten
sein soll, nicht übertreiben.

Keine der ungleichartigen Methoden, deren sich Barth
während verschiedenen „Perioden" bedient hat, kann zum
Range und zur Würde einer eigenen theologischen Methode
Barths erhoben werden. Im Gegenteil, es gilt von ihnen allen,
daß Barth sie — wenn es gestattet ist, ein Wort der Schrift
abzuwandeln — gebraucht, als gebrauchte er sie nicht. Eben
in dieser Abneigung, sich an eine spezielle Methode zu binden,
einer Abneigung, die eng mit einer für Barth typischen Offenheit
den verschiedensten Systemen gegenüber zusammenhängt,
liegt eine methodische Eigentümlichkeit Barths, deren Nähe
zu dem Problem der natürlichen Theologie offenbar ist. Das
göttliche Wort muß der Verfügungsgewalt des natürlichen
Menschen, die sich ständig in dem Willen manifestiert, die eine
oder andere Methode, das eine oder andere System absolut zu
setzen, unaufhörlich entzogen werden. Damit ist das Wort nur
dann Gottes Wort, wenn Gott es das sein läßt. Das Wort in
seiner menschlichen Gestalt ist der Ort, wo das Göttliche sich
ereignen kann. Das Erstere ist eine Gelegenheitsursache, die,
wenn Gott es so will, den Kontakt mit dem Letzteren vermitteln
kann. Der bedeutende katholische Forscher J. Hamer,
dessen Arbeit über Barth (Karl Barth, Desclee de Brouwer,
Paris 1949) trotz abweichender Ausgangspunkte in vieler Hinsicht
die gleichen Resultate aufweist, zu denen der Verf. gekommen
ist (Den naturliga teologiens problem hos Karl Barth,
Lund 1948 = Das Problem der natürlichen Theologie bei Karl
Barth), sagt, dies sei eine Art von theologischem Okkasionalis-
mus; die Methode Barths könne nicht anders bestimmt werden
denn als okkasionalistisch.

In der erwähnten Arbeit habe ich zu zeigen gesucht, daß
das Interesse, welches Barth zur Bekämpfung der natürlichen
Theologie treibt, reformatorischen Ursprungs ist, daß aber die
Art dieses Kampfes von einer Fragestellung bedingt ist, in der
Zeit und Ewigkeit, Mensch und Gott von Anfang an als absolute
Gegensätze gegeneinander gestellt sind. Es ist auffallend,
daß Hamer die gleiche Fragestellung für eine Ursache dessen
ansieht, was er als Barths Okkasionalismus bezeichnet. Eben
bei dieser Fragestellung nun wird die natürliche Theologie zu
einem Problem, und der Kampf gegen sie, der bei Barth aus-
gefochten wird, ist darum ein Kampf mit dem Feind intra
muros. In diese ererbte, bei Barth aber zugespitzte Entgegensetzung
von Gott und Mensch die Inkarnation hineindenken
und jede natürliche Theologie dabei christologisch hinausmanövrieren
zu wollen, ist ein Unternehmen, für dessen
Schwierigkeit Barths gesamte Theologie Zeuge ist. Soll die
Methode Barths kritisiert werden, so hat es an diesem Punkte
zu geschehen. Die Kritik, die hier einsetzt, ist nicht nur durch
größere Sachlichkeit gekennzeichnet als die übliche verständnislose
Barthpolemik; sie paart sich auch mit der allergrößten
Bewunderung für die gigantische Gedankenarbeit, die Barth
hier niedergelegt hat.

Kirche i

nach dem Ephesei

Von Otto P

Die Frage nach Kirche und Welt hat in unseren beiden
Briefen eine besondere Beantwortung erfahren. Sie stehen in
Auseinandersetzung mit einer gnostisch-dualistischen Religiosität
, in der die gottwidrigen Mächte eine letzte Selbständigkeit
gegenüber der Gottheit behielten und die schlecht-
hinnige Macht Gottes über alles bestritten wurde. War ihr
doch Gott nur die höchste Stufe einer ganzen Folge von Geistwesen
und darum nicht mehr im Gegenüber zu der ganzen
übrigen Welt. So ist unsern beiden Briefen die Verkündigung
des Herrn, der aller Dinge Anfang und Ziel ist, wichtigstes
Anliegen. Gegen den Dualismus ist ihr Wort gerichtet, — und
Zusammenschau will--unsere Zeit und ist auch ein Anliegen
der Theologie unserer Tage. Zusammenschauen Eph. und

ind Welt

•- und Kolosserbrief

erels, Berlin

Kol. Gott, Christus, Kirche und Welt und eben doch auch
jeden und jedes in der Besonderheit. Sie helfen uns zu erfahren
, wie Zusammengehörigkeit und Unterschiedenheit des
Näheren zu bestimmen sind.

I.

Beide Briefe machen schon in ihren Einleitungsteilen das
Entscheidende ihrer Verkündigung zu unserem Thema sichtbar
.

Kol. 1,13: „Er hat uns errettet aus der i^ovata der Finsternis und uns versetzt
in das Reich des Sohnes seiner Liebe, in welchem wir haben die Erlösung,
die Vergebung der Sünden." Hier ist radikaler Unterschied zwischen Kirche