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Ausgabe:

1951 Nr. 6

Spalte:

367-369

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Akert, Ernst

Titel/Untertitel:

Gottfried Kellers Weltanschauung 1951

Rezensent:

Schuster, Hermann

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367

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 6

3G8

Masse von vergänglichen Namen überschüttet werden, so
bleibt doch die Tatsache bestehen, daß die Mehrzahl der wirklich
großen Namen heutiger katholischer Dichtung Konvertiten
sind, Bergengruen vind Gertrud von le Fort (die einst
die hinterlassene Glaubenslehre von Ernst Troeltsch herausgab
!) an der Spitze. Kahles Buch ist rein sachlich gewinnreich
zu lesen, ist aber vor allem deshalb lehrreich, weil es zeigt, wie
tief doch die Denkweise auch eines weitherzigen und für alles
Menschliche aufgeschlossenen Katholiken im Urteil über die
Dichtung und damit über das Menschentum von protestantischer
Denkweise absticht, auch abgesehen vom neuen
Mariendogma.

Dem Bande ist eingefügt ein Blatt, auf dem 14 Berichtigungen verzeichnet
sind. Es finden sich aber noch mehr Schreib- oder Druckfehler, von
denen ich wenigstens einige berichtigen will. Luthers Bibelübersetzung ist nicht
1532 sondern 1534 vollendet. Johann Scheffler ist nicht 1635 sondern 1653 zur
katholischen Kirche übergetreten. Die bekannte Herrnhuterin, Goethes mütterliche
Freundin, war Susanne v. Klettenberg, nicht Klettenburg. Auf Seite 253
ist bei Besprechung des „Wilhelm Meister" wohl die Hamletaufführung gemeint
und nicht Hauptaufführung. Auf Seite 335 wird uns „Friedrich, Prinz
von Preußen" als Kleist's letztes und reifstes Drama vorgestellt, während in
den nächsten Zeilen naturgemäß vom „Prinzen von Homburg" geredet wird.

Hannover-Kleefeld Hermann Schuster

Akert, Emst: Gottfried Kellers Weltanschauung. Seine Stellung zu den
Ideen von Gott und Unsterblichkeit, zu Religion und Kirche. 2. Aufi.
Lugano: E. Akert 1942. 79 S., mehr. Taf. 8°. Pp. sfr. 3.50.

Lukacs, Georg: Gottfried Keller. Mit einer Einleitung. Berlin: Aufbau-
Verlag 1946. 136 S. 8°. Pp. DM 3.75.

Buri, Fritz, Dr. theol.: Gottfried Kellers Glaube. Ein Bekenntnis zu
seinem Protestantismus. Bern: Haupt 1944. 199 S. 8°. sfr. 9.50.

Von Gottfried Kellers Weltanschauung oder Glauben handeln
alle drei Bücher, freilich in recht verschiedener Weise.
Akert versichert uns im Tone des Triumphes, Gottfried Keller
sei durch das Feuerbach-Erlebnis „Atheist und Materialist geworden
und von seinem 30. Lebensjahre bis an sein Ende
Atheist und Materialist geblieben". Diese durch den Druck
hervorgehobene feierliche Versicherung wird in einer Fußnote
dahin erläutert, unter Materialismus sei natürlich nicht das
politische Schlagwort mit dem Vorwurf des Zusammenraffens
von irdischen Gütern, sondern der philosophische Materialismus
gemeint, der lehrt, daß alle Äußerungen von Kraft und
Geist Funktionen der Materie, des Stoffes, seien; die geistigen
Äußerungen also Funktionen des zentralen Nervensystems.
Von da aus wird gegen den Gottesglauben jeglicher Art und
gegen jede Art von Glauben an Unsterblichkeit oder Ewigkeit
heftig protestiert.

Es ist ja bekannt, daß die berühmte Schilderung im
„Grünen Heinrich" von dem gefährlichen Vogel, der den Glauben
an Gott und Unsterblichkeit aus den Seelen der Hörer
wegsang, zurückgeht auf den starken Eindruck, den der junge
Dichter in Heidelberg durch die Vorlesungen des Philosophen
Feuerbach empfangen hat, und dieser Einfluß hat in der Tat
bis an sein Ende vorgehalten. Dafür gibt es Zeugnisse genug.
Es ist beinah tragisch zu nennen, daß der Dichter sich an das
Lied, das ihn in der Heimat berühmt gemacht hatte, das zur
Schweizer Nationalhymne geworden war: „O, mein Heimattand
, O, mein Vaterland", später nur ungern hat erinnern
lassen, weil es mit einem betenden Bekenntnis endet.

Werf ich von mir einst dies mein Staubgewand,
Beten will ich dann zu Gott dem Herrn:
Lasse strahlen deinen schönsten Stern
Nieder auf mein irdisch Vaterland.

Es gibt aber doch schon zu bedenken, daß Keller dieses Lied
mit dieser Strophe in die Sammlung seiner Gedichte, aus der
er so manches ausgeschieden hat, was ihm später nicht mehr
zusagte, doch mit aufgenommen hat. Auch muß der Verf.
unseres Buches, der leidenschaftliche Herold für den Atheismus
seines Helden, einige Zeugnisse vorbringen, aus denen
schon hervorgeht, daß Keller von diesem Gottesglauben, den
er meinte endgültig abgelegt zu haben, nie ganz losgekommen
ist. Wir dürfen doch wohl die Bettagsmandate, die der Dichter
in seinem Amt als Staatsschreiber des Kantons Zürich zu verfassen
hatte, nicht einfach als unredliche Anpassung an alten
Brauch betrachten. Eine von Akert angeführte Stelle lautet:
„Als die Eidgenossen diesen Tag einsetzten, taten sie es wohl
nicht in der Meinung, einen Gott anzurufen, der sie vor anderen
Völkern begünstigen, der sie in Recht und Unrecht, in Weisheit
und Torheit beschützen solle". Diesen Satz wird jeder
christliche Theologe heute aus vollem Herzen unterschreiben;
denn der hier abgelehnten Pseudochristlichkeit sind wir gründlich
satt. Aber in dieser Negation steckt doch auch eine Position
, und zu ihr hat sich Gottfried Keller unwillkürlich bekannt
.

Wir lesen weiter in einem von Akert augeführten Gedicht
Kellers, das mit einer Absage an das Trugbild der Unsterblichkeit
beginnt, die schöne Strophe:

Ich fahre auf dem klaren Strome,
Er rinnt mir kühlend durch die Hand.
Ich schau hinauf zum blauen Dome
Und such' ehi besseres Vaterland.

Hier ist doch der innere Widerspruch beinah mit Händen zu
greifen: Keller lehnt mit Feuerbach und mit aller ernsthaften
christlichen Theologie den flachen Glauben der Aufklärung an
eine natürliche Unsterblichkeit leidenschaftlich ab, er sucht
nach etwas Höherem und Besserem. Die obige Strophe erscheint
mir als eine Bestätigung für die tiefsinnigen Goetheworte
, die uns der Kanzler v. Müller unter dem 29. April 1818
überliefert: „Das Vermögen, jedes Sinnliche zu veredeln und
auch den totesten Stoff durch Vermählung mit der Idee zu
beleben, ist die schönste Bürgschaft unseres übersinnlichen
Ursprungs. Der Mensch, wie sehr ihn auch die Erde anzieht
mit ihren tausend und abertausend Erscheinungen, hebt doch
den Blick forschend und sehnend zum Himmel auf, der sich in
unermeßlichen Räumen über ihm wölbt, weil er es tief und
klar in sich fühlt, daß er ein Bürger jenes geistigen Reiches sei,
woran wir den Glauben nicht abzulehnen noch aufzugeben vermögen
. In dieser Ahnung liegt das Geheimnis des ewigen Fortstrebens
nach einem unbekannten Ziel; es ist gleichsam der
Hebel unseres Forschens und Sinnens, das zarte Band zwischen
Poesie und Wirklichkeit". Es gibt in Kellers Dichtung noch
mehr solche Belege für die tiefe Wahrheit dieses Goethewortes
; man müßte vielleicht sogar sagen, das ganze Werk
Kellers ist ein Zeugnis für dieses zarte Band zwischen Poesie
und Wirklichkeit. Es ist deshalb doch mißlich, Keller als Materialisten
zu bezeichnen. Aber der eifernde Akert, der Lessing,
Goethe und Schiller zu „Freigeistern" und damit zu Vorläufern
des Atheisten und Materialisten Keller macht, hat für solche
Erkenntnisse kernen Sinn.

Das im Aufbau-Verlag erschienene Büchlein von Lukacs
will die ganze Geschichte der Dichtung unter soziologischem
Gesichtspunkt betrachten, also wenn nicht geradezu als ein
Produkt der Gesellschaftsformen, so doch mindestens von
deren Zustand in hohem Maße abhängig. Das ist ein lehrreicher
Versuch, wenn er auch in dieser Übertreibung nicht überzeugt.
So gewiß man durch Gottfried Keller zu dieser Betrachtung
verführt werden könnte, weil er ja ein leidenschaftlicher radikal
demokratischer Politiker war, so kommt Lukacs, der das
Scheitern der deutscheu Revolution von 1848 tief beklagt und
die französische Revolution 1790 verherrlicht (mehrere Male
lesen wir die Wortverbindung: humanistisch-jakobinisch),
doch zu bedenklichen Urteilen: „Darum beleuchtet die hoffnungsfreudige
Sonne der französischen Revolution die Idylle
von Hermann und Dorothea und das Prosa-Epos über Wilhelm
Meisters Lehrjahre". Aber auch Lukacs ist ein Zeuge
gegen die These von Akert: „Keller ist nie ein kriegerischer
Atheist geworden, wie die russischen Feuerbachschüler, hat
sich aber auch nie die flachen Argumente deutscher Materialisten
der fünfziger Jahre, eines Ludwig Büchner oder Vogt
angeeignet ... Als realistischer Schriftsteller geht Keller über
die Grenzen des Feuerbachschen Materialismus hinaus". Gern
lesen wir das folgende Urteil: „Er schuf ohne romantische
Stilisierung, ohne archaisierendes Zurückgreifen auf alte Formen
eine eigenartige Märchenwelt innerhalb der modernen
bürgerlichen Wirklichkeit, eine Welt, die wie die der uralten
Märchen in jedem Einzelzug des Menschen tief realistisch und
wahr ist und doch zugleich die reale Sehnsucht der besten
Menschen dieser Wirklichkeit als überzeugende, als schöne Erfüllung
herstellt".

Fritz Buri macht seinen Lesern die eine Hauptsache
überzeugend klar, weshalb der aus den Kindertagen mitgebrachte
Glaube Kellers vor der Kritik Feuerbachs nicht standhalten
konnte: „Es ist eine ausgesprochene Bedürfuisreligion.
Ihr Gott ist der Deus ex machiua für alle Nöte des Leibes und
der Seele. Bei eigenem Unvermögen hat er helfend einzuspringen
. Das Gebet ist ein Mittel, diesen göttlichen Eingriff
herbeizuführen". „Das erste Hauptstück dieses Glaubens: der
liebe Gott als höchster Schutzpatron und Oberproviantmeister,
bildet nach der Darstellung im .Grünen Heinrich' ein Erbe
der Religion der Mutter". Wir haben hier also geradezu ein
Schulbeispiel für die minderwertige Form vulgärer Frömmigkeit
, die durch Feuerbachs Kritik tödlich getroffen wird. Es
ist eine Frömmigkeit, die vor dieser Kritik nicht standhalten