Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1951 Nr. 6

Spalte:

365

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Bavink, Bernhard

Titel/Untertitel:

Weltschöpfung in Mythos und Religion, Philosophie und Naturwissenschaft 1951

Rezensent:

Mie, Gustav

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

3G5

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 6

366

Geschehen: als Lebensprozeß verstanden, schließt in ihrer Form den höchsten
Inhalt ein; nicht in dem biologisch flachen Sinn des bloßen Blühens und Verwelkens
, sondern in dem tiefen Sinn der sich vollendenden Persönlichkeit, die
noch im Greis und in der Heiligkeit des Greisentums, dem Tode nahe, die Vollendung
ihrer Möglichkeiten als Erfüllung segnen und bejahen kann" (S. 143).

Was Schröter an Spengler bemängelt, ist der Umstand,
daß er es nicht vermocht habe, das „heilige Gesetz der Reife"
gleichmäßig durch das Werden und das Vergehen durchzuhalten
: „Hätte sein Blick sich, statt schon auf den Endpunkt
(das Gewordensem, den Tod), auf den Weg dazu in der Wirklichkeit
gerichtet: auf das Sterben und Vergehen statt auf
das Vergangene, so hätte diese Welt- und Lebensschau eine
weit tiefere Vereinigung erreicht, sie hätte in der Vollendungs-
reife Werden und Vergehen, die beiden Seiten jedes Lebensrhythmus
zu dem Sinn dieses Prozesses zusammengeschlossen
und damit schon in ihm selbst das beharrende Sein und in der
Zeitlichkeit den Untergrund des Ewigen fühlbar gemacht".
Spenglers vielfach getadelter Naturalismus, Skeptizismus, Biologismus
, Pessimismus und Fatalismus sind nur die Folge davon
, daß er mit seiner Metaphysik gleichsam auf halbem Wege
stehengeblieben und die „weitdeutenden Ansätze" nicht ausgestaltet
hat (S. 189—198). Erschütternd und verheerend das
letzte Kapitel über Spengler als Propheten, politischen
Schriftsteller und Erzieher. Ethischer und religiöser Nihilismus
in Reinkultur! (S. 237—256). —

Der Verf. macht es auch dem willig mitgehenden Leser
nicht leicht, bis zum Ende auszuharren. Es ist ein schwer und
zähflüssig geschriebenes, aber doch in die Tiefe der Probleme
hinabsteigendes Buch. Dem Leser wird nichts geschenkt. Ist
Spengler erledigt, wie man bald nach dem Erscheinen des
ersten Bandes vermeinte ? Ich glaube, keineswegs. Wir sind
seither reichlich pessimistischer und — nihilistischer geworden.
Und die Sprüche der Gelehrten, die seinerzeit über Spengler
herfielen, verfangen nicht mehr. Den Versuch, aus Spengler
eine nichtbiologistische „Metaphysik der Reife" herauszuholen
, halte ich freilich nicht für geglückt. Metaphysik der
Reife ohne ethische Kategorien ist und bleibt naturalistisch
und biologistisch. Es gibt, wenn überhaupt „Reife", dann
nicht nur eine Reife des Guten und Göttlichen, sondern auch
eine Reife des Bösen und Gottwidrigen, eine „Maienblüte" der
Sünde. Darüber verlautet aber weder bei Spengler noch bei
Schröter etwas.

Hamburg Kurt Leese

Bavink, Bernhard: Weltschöpfung. In Mythos und Religion, Philosophie
und Naturwissenschaft. Aus dein Nachlaß hrsg. u. mit einem Anhang versehen
von A. Wenzl. München: Reinhardt [19501. 126 S. 8°= Glauben
und Wissen Nr. 4. DM4.20; Lw. DM5.80.

Nach einer kurzen Darstellung der Vorstellungen über die
Schöpfung, wie wir sie in den alten Mythen und in der mittelalterlichen
Philosophie finden, schildert der Verf. ausführlich
die Lehren der heutigen Naturwissenschaft über die Entstehung
der Welt. Der Verf. ist in die moderne Wissenschaft
sehr tief eingedrungen und weiß sie in sehr interessanter und
allgemeinverständlicher Weise darzustellen. Er bringt zum
Schluß die Weltentstehungstheorie von Dirue und Jordan.
Anschließend erläutert der Herausgeber sie noch durch eine
kurze Darstellung der Kosmogonien von Le Maitre und von
C. F. von Weizsäcker.

Freiburg i. Br. Gustav Mie

LITERATURGESCHICHTE

Kahle, Wilhelm: Geschichte der deutschen Dichtung. Münster: Regensberg
1949. 563 S. gr. 8°. Lw. DM 14.—.

In dem ansprechenden Vorwort erklärt der Verf., es
müsse ein Ende gemacht werden mit der einseitigen Verwendung
emer rein formalen Betrachtungsweise; im dichterischen
Kunstwerk müßten neben dem Schönen auch die
Werte des Wahren, Guten und Heiligen ihre Stelle haben. Dies
rTogramm ist durchaus zu billigen, die Ausführung aber gibt
°iter zu ernsten Bedenken Anlaß. Weite Strecken lesen wir
mit ungetrübter Befriedigung an der Kenntnis und dem sicheren
Urteil des Verf.s. Ich nenne z. B. so verschiedene Gegenstände
wie Schiller, Grillparzer, Klaus Groth, Reuter, Gottfried
st ii r' Gerhard Hauptmann und Ernst Wiechert. An anderen
»teilen dagegen macht sich die katholische Gesinnung des
^en.s trübend oder störend bemerkbar. Nicht, als ob ihm
protestantische Gläubigkeit fremd oder minderwertig sein
mußte. Gestalten wie Matthias Claudius, Rudolf Alexander

Schröder und Paul Gerhardt werden mit feinem liebevollen
Verständnis gewürdigt. Doch lesen wir bei Paul Gerhardt den
merkwürdigen Satz: „er sieht, und darin kommt er auch
katholischer Weltschau so nahe, in der Schöpfung Sinnbild
des Ewigen, Unschaubaren, sichtbar das Unsichtbare angedeutet
" — als ob er das nicht von Martin Luther gelernt
hätte.

Es sei bei dieser Gelegenheit ein musikgeschichtliches Mißverständnis abgewehrt
: Gerhardts Passionslied „O Haupt voll Blut und Wunden", sagt
Kahle, ergreift die Herzen nicht nur in der unsterblichen Vertonung des großen
Johann Sebastian. Vertonung darf hier nicht verstanden werden, als habe er
die Melodie erfunden, sie stammt aus einem alten Volkslied, ist von Bach aufs
höchste geliebt und bewundert und deshalb in der Matthäuspassion mit
seinem kunstvollen Satz mehrfach vorgeführt.

An einigen Stellen macht sich die katholische Denkweise
des Verf.s wirklich auffallend geltend und trübt sein
Urteil. Er kann C. F. Meyer nur als Katholikenhasser sehen.
Er benutzt auch die begreiflicherweise abwertende Schilderung
Huttens, um den protestantischen Schweizer Dichter wegen
seiner Verzeichnung des historischen Hutten scharf zu tadeln.
Aus ähnlichem Grunde wird auch offenbar Hans Sachs, trotz
Goethe, über Gebühr gering geschätzt, obwohl doch z. B. „Die
ungleichen Kinder Evae" ein nicht geringes dichterisches
Talent bezeugen und manche semer munteren Schwänke heute
noch den Zuschauer ergötzen.

Die katholische Denkweise des Verf.s ist durchaus nicht
klerikal oder ultramontan, man könnte eher meinen, er vertritt
eine Art von modernistischer Frömmigkeit. Er hat sich
ein Ideal von innerlicher, echt humaner katholischer Frömmigkeit
gebildet und benutzt es als den Maßstab, an dem er alles
mißt.

So lesen wir z. B. mit Erstaunen den folgenden Satz: „Wolfram (von
Eschenbach) vertritt auch die klassische katholische Lehre, daß niemand,
der in gutem Glauben einer falschen Lehre folgt, deshalb verworfen wird, und
die andere, daß niemand mit Gewalt zum Glauben zu führen ist".

Als ob es niemals Ketzerkreuzzüge gegeben hätte, niemals gewaltsame
Bekehrung von Protestanten, Juden und Mauren! Oder er schreibt von Walther
von der Vogelwcide: „Sein gewaltiger Marienieich wie auch seine Kreuzlieder
zeigen ihn als gedanklich tiefen und dogmatisch sicheren Christen, der sich
durchaus auf der Linie des klassischen Katholizismus mit Sicherheit bewegt".
Von diesem „klassischen Katholizismus" ist aber bei Walther alles ausgeschlossen
, was dem protestantischen Menschen Ärgernis bereitet. Deshalb kann
Kahle auch von Stifter urteilen: „alle seine Personen stehen mit Naturstärke
in selbstverständlicher katholischer Gläubigkeit". Diese katholische Gläubigkeit
ist aber bei dem Dichter, der verehrungsvoll von Goethe und Herder gelernt
hat, kaum etwas anderes als schlichte christliche Denkweise. Auffallend
ist auch die Zuversicht, mit der Kahle meint, daß Mystiker wie Meister Eckehart
und Angelus Silesius, von dem er einige blasphemisch klingende Sprüche
zitiert, fest auf dem Boden des katholischen Dogmas stünden. Darin offenbart
sich die eigentümliche katholische Liebe für die Mystik, die dem reformatorischen
Glauben fremd Ist. Katholischer Denkweise entspricht auch das hohe
Lob auf die Kunst des Barock, die bildende sowohl wie die Dichtung (wobei
auch Andreas Gryphius ausführlich gewürdigt wird). Von den klassischen Bildwerken
in Bamberg und Naumburg ist dagegen nirgends die Rede. Endlich
zeigt sich das Eigentümliche katholischer Denkweise in der wiederholt aufklingenden
Ablehnung des paulinisch-lutherischen Glaubens an das Sola
gratia. Das kommt z. B. deutlich zum Ausdruck bei der Betrachtung vom
Faust Teil II. Der Baseler Germanist Walter Muschg hatte gemeint, Luther
hätte, wenn er nicht Reformator geworden wäre, der deutsche Shakespeare
werden können. Kahle bemüht sich, ihm gerecht zu werden, bezweifelt aber
doch seine wirklich dichterische Begabung.

An einigen Stellen finden sich anfechtbare Urteile, die mit konfessioneller
Einstellung nichts zu tun haben. Das betrifft Herder und Goethe in seinem
Alterswerk. Es betrifft Richard Wagner, von dem es heißt: „Er gibt der dürr
gewordenen Zeit die ewige Jugendfrische der nationalen Mythen als Verjüngungstrank
". Ich möchte vielmehr denen zustimmen, die den Ring des Nibelungen
für eine üble Verfälschung der alten Saga halten, die Meistersinger dagegen
für eine wirklich gute Komödie (die aber protestantischen Geist atmet).
Vor allem ist hier das Kapitel über Heinrich v. Kleist zu nennen. Die Penthe-
sllea wird in den Himmel erhoben und Goethe getadelt, weil er sich nicht mit
ihr befreunden konnte. Die Hermannsschlacht dagegen wird als ein Machwerk
des blinden Hasses völlig verworfen, und bei dieser Gelegenheit wird Bismarck
als Träger der Züge Hermanns, dem jedes Mittel der Lüge und des Betruges
recht ist, mit verdammt.

Zu ernstem Nachdenken nötigt den protestantischen
Leser das allerletzte Kapitel: „Dichtung aus erneuertem Christentum
". Hier werden wohl R.A. Schröder und Ina Seidel
(letztere freilich nicht ohne leichten Tadel, weil sie von protestantischer
Bibelkritik angekränkelt ist) lobend hervorgehoben
; aber alles Schwergewicht fällt doch auf die katholische
Dichtung der Gegenwart. Und wenn wir hier auch mit einer