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Ausgabe:

1951 Nr. 6

Spalte:

364-365

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schröter, Manfred

Titel/Untertitel:

Metaphysik des Untergangs 1951

Rezensent:

Leese, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 6

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auf einen unmittelbaren göttlichen Eingriff — also auf ein
Wunder — ziehen . . . Als strenger Wissenschaftler wird er
niemals wundersüchtig, aber ebensowenig wunderscheu sein"
(25). Und darüber hinaus: „Da die Ergebnisse der Theologie
bei dieser Grundhaltung vollen wissenschaftlichen Wert beanspruchen
können, ist es durchaus berechtigt, ihre gesicherten
Ergebnisse als Leitbilder auch in den Profanwissenschaften
zu gebrauchen" (29). Z. B. wird der Anthropologe bei seinem
Forschen nach dem Ursprung der Menschheit sich davon
leiten lassen, daß wir „aus der Offenbarung wissen", „daß alle
Menschen auf ein einziges Elternpaar zurückgehen" (30).
Diese „von Gott garantierte Wahrheit" (30) wird ihn „vor
kraft- und zeitraubenden Irr-und Umwegen bewahren" (31).
Zur Verwirklichung dieser Wissenschaft fordert M. die Errichtung
christlicher Universitäten (34). „Jeder offenbarungsgläubige
Wissenschaftler, der an der Möglichkeit einer natürlichen
Gotteserkenntuis festhält, wäre berechtigt, an ihnen
als Forscher und Lehrer tätig zu sein" (33).

So bestechend der Gedanke einer „christlichen" Universität in der
heutigen Zeit einer sich mehr und mehr verschärfenden Politisierung der Welt-
anschatiungskämpfe wirken kann, so wenig kann doch das M.sche Programm
befriedigen. In dem Begriff der „von Gott garantierten" Wahrheit wird die
ganze Problematik offenbar. Man bedenke, daß einst z. B. das geozentrische
System als „von Gott garantierte" Wahrheit gegolten hat (und im Blick auf
das biblische Weltbild nicht ohne Grund!). Ein Offenbarungsbegriff, der einzelne
Sätze als von Gott „garantiert" ansehen lehrt, führt irre. Wir werden
also wohl Universitäten fordern, an denen christliche Anschauungen sich frei
äußern dürfen und zu denen Im Blick auf die große Bedeutung der beiden
christlichen Konfessionen auch Theologische Fakultäten gehören müssen, —
aber ex officio „christliche" Universitäten im Sinne M.s sind nicht wünschenswert
. Einige böse Folgen solcher „Christlichkeit" sind uns noch in zu lebhafter
geschichtlicher Erinnerung und scheinen sich sogar in unserer Zeit schon
wieder zu zeigen (Bayern! Fall Altaner?).

In dem als Anhang beigefügten Aufsatz über „Christliche
Glaubensgewißheit" vollführt M. gradezu ein Akrobatenstück
sophistischer Dialektik, indem er die Glaubwürdigkeit der
katholischen Kirche aus ihrem Unfehlbarkeitsanspruch folgert
!! (52f.). Und zwar durch folgenden Gedankengang: Religiöse
Glaubensgewißheit gründet sich unmittelbar auf die
Glaubwürdigkeit Gottes; sie ist daher „absolute Gewißheit"
(46). In dem Fall nun, daß Gott nicht unmittelbar zu den
Menschen redet, sondern vermittelt durch Menschenmund,
muß er „die naturgegebene Ulivollkommenheit der menschlichen
Glaubwürdigkeit irgendwie so erhöhen, daß sie seiner
eigenen Vollkommenheit gleichkommt . . ., so daß der Mensch
gnadenhaft — als Charisma — jene Vorzüge besitzt, die Gott
naturhaft zukommen. Aus unserer Überlegung ergibt sich also
die unausweichliche Folgerung, daß . . . Gott den Vermittler
seines Wortes unbedingt mit der Gabe der Unfehlbarkeit ausstatten
muß. Nur dann begegnet den Menschen Gottes Wort
in seiner spezifischen Eigenart und Würde und ist religiöser
Glaube möglich" (50). Da nun die Offenbarung in Christus
„für alle Menschen bestimmt und heilsnotwendig ist" (51),
mußte „Gott wegen der räumlichen Ausdehnung der Menschheit
und der großen Zahl der Menschen eine Vielheit von Vermittlern
berufen und sie dann zur zweckmäßigen Verteilung
wie auch zur Wahrung der Einheit in der Vermittlung unter
eine Zentralleitung stellen" (51). „So ergibt sich aus dem
Moment der Universalität ohne weiteres . . . die Notwendigkeit
eines von Gott gestifteten, unfehlbaren Lehramtes!" (51).
Unter allen uns in der Geschichte begegnenden Kirchen erhebt
aber nur die römisch-katholische den Anspruch, ein unfehlbares
Lehramt zu besitzen, folglich ist sie allein die wahre
Kirche. „Das Lehramt der katholischen Kirche und nur dieses
ist das amtliche Sprachrohr Gottes, mit dessen Hilfe das
Gotteswort in der Gegenwart sinnlich vernehmbar wird" (53).
Quod erat demonstrandum.

Ms. Scharfsinn bemerkt nun sehr wohl die schwache Stelle
in dieser Deduktion. Wird doch die Glaubwürdigkeit des unfehlbaren
Zeugen nur mit „Wahrnehmungsgewißheit" erkannt
(51), und für diese Gewißheitsstufe kommen zwei
Fehlerquellen in Betracht: Irrtum und Sinnestäuschung (46).
M. a. W.: Die Unfehlbarkeit des Papstes begründet zwar eine
absolute Gewißheit, aber die Tatsache der päpstlichen Unfehlbarkeit
selber wird nur mit relativer Gewißheit erkannt. Ist
damit aber nicht die ganze auf die päpstliche Unfehlbarkeit begründete
Gewißheit letztlich doch relativiert? Hierauf antwortet
M.: „Die Gewißheit des Glaubensurteils steht zur Gewißheit der
erkannten Glaubwürdigkeit des Zeugen" in einem besonderen
Verhältais. „Durch die Erkenntnis der Glaubwürdigkeit holt der
Erkennende letztere sozusagen zu sich heran, macht sie sich
gegenwärtig, so daß sie sich im Erkennenden auswirken kann,
und zwar in ihrer vollen Durchschlagskraft" (52). Aber das ist

ja grade die Frage, ob die Glaubwürdigkeit der im Papste
gipfelnden Hierarchie in der von M. dargelegten Weise erkannt
werden kann. Wenn nun diese postulierte Glaubwürdigkeit
nicht der Hierarchie, sondern der Bibel zukäme ?! Bei der
weiten Verbreitung der Bibel würde das Moment der Universalität
durchaus auch so zu seinem Rechte kommen. Da sich
nun aber bereits zwei Möglichkeiten eröffnen, nämlich einerseits
die römische Hierarchie, andererseits die Bibel, führt der
M.sche Gedanke zu keinem positiven Ergebnis. Die Unfehlbarkeit
bleibt bestenfalls Postulat, ohne daß sich ihre geschichtliche
Verwirklichung mit Sicherheit erkennen läßt. Unser theologisches
Denken wird eben nicht von solchen Postulaten ausgehen
können, wie M. sie vorträgt,; sondern nur von der geschichtlichen
Selbstoffenbarung Gottes in Christus.

Dersekow bei Greifswald E. Schott

Schröter, Manfred, [Prof. Dr.]: Metaphysik des Untergangs. Eine kültur-
kritische Studie über Oswald Spengler. München: Leibniz Verlag [jetzt
R. Oldenbourg] 1949. 270 S. 8°. Lw. DM 12.—.

Das Werk besteht aus zwei Büchern. Das Erste Buch
S. 17—158 (Der Streit um Spengler. Kritik seiner Kritiker)
gliedert sich in drei Teile: I. Geschichtsphilosophisch-inhalt-
liche Einstellung. II. Kulturphilosophisch-wissenschaftliche
Einstellung. III. Kulturmetaphysisch-religiöse Einstellung-
Dieses Erste Buch war schon 1922 (fast gleichzeitig mit dem
II. Band des „Untergangs") erschienen und wird nunmehr
„vom Ballast allzuvieler Anmerkungen befreit und wesentlich
gekürzt, jedoch sonst unverändert wiedergegeben". Das
Zweite Buch S. 161—256 (Ergebnis und Bedeutung. Das
Werk und sein Ertrag) ist neu. Es gliedert sich in dieselben
drei Teile, nur in umgekehrter Reihenfolge. Es steigt von der
Höhe der „kulturmetaphysischen" Erörterungen über die
„kulturphilosophischcii" herunter oder heran an die ,,ge-
schichtsphilosophische" Deutung der Gegenwart. Die beiden
ersten Teile des Zweiten Buches waren bereits von dem Ersten
Buch im Jahre 1920 begonnen, aber-dann zurückgestellt worden
. Erst 1945 ward der III. Teil des Zweiten Buches niedergeschrieben
. Ein „Nachwort" vom Jahre 1948 beschließt das
Werk. Nunmehr sind sämtliche Ausarbeitungen des Verf.s
zum Spenglerproblem in dem vorliegenden Bande vereinigt-
Der Verf. hatte geglaubt, daß der II. Band des „Untergangs"
den „erhofften Höhepunkt des ganzen Werkes" bringen würde.
Aber diese Hoffnung habe sich nicht erfüllt. Der II. Band
brachte nicht die erwartete Vertiefung, sondern nur inhaltliche
, geschichtliche Ergänzungen. Der Verf. ist der Auffassung
, daß fruchtbare Keime und Ansätze zu ehier beachtlichen
Metaphysik bei Spengler verborgen liegen, die aber
nicht zu echter Auswirkung gekommen, sondern durch biolo-
gistisches Denken niedergehalten und durch die Untergangs-
these verdunkelt worden sind. Diese echte, nichtbiologistische
Metaphysik herauszuarbeiten und in ihre Konsequenzen zu
verfolgen, ist das Ziel, das sich der Verf. stellt. Er möchte „das
noch uneröffnete gedankliche Vermächtnis Spenglers wahren
und vervollständigen" (S. 12). „Metaphysik, so sagt Schröter,
ist der Ausdruck eines seelischen Vermögens, des Daseins in
seiner Tiefe, seinem Sinn und seinem Wert durch Überwindung
eines möglichst tief gefaßten Gegensatzes innezuwerden"
(S. 102, 166). Der Gegensatz, um den es sich bei Spengler
handelt, ist der von Geschichte (Werden, Zeit, Schicksal,
Weltsehnsucht) und Natur (Gewordenes, Raum, Kausalität,
Weltangst). Der „bildhafte Vergleichswert" seiner aus dem
Bereich des organischen Lebens entnommenen Kategorien darf
nicht dazu verführen, ihn als „biologistischen" oder ^naturalistischen
" Denker abzutun (S. i04ff.).

Der metaphysische Grundton, dem Schröter bei Spengler auf der Spur
zu sein glaubt, ist dieser: „Eine Metaphysik der Zeit scheint damit aufzudämmern
, die aus der Flucht des Werdens und Vergehens selbst den Klang der
Ewigkeit heraushört und so die Notwendigkeit des Werdens und Vergehens
gleichmäßig begreift, ja eben im Gesetz der Reife und ihres Vorüberwandelns
den geheimen Sinn des Seins rechtfertigend erlebt . . . Das Schicksalszentrum
liegt für die Religionen in Gott, indes diese Metaphysik das Zentrum im Schicksalsgeschehen
faßt und hier die Relativität selbst in das Absolute, in den
Sinn dieses Geschehens aufhebt" (S. 138f.). Also eine „Metaphysik des Reifens
", die „Gewordenes und Werdendes und damit Werden und Vergehen
als Urform des Seins in ihrem ewigen Gehalt begriffe. Dann nämlich würde
die .Kultur', als reifste, reichste der faßbaren Daseinsformen, eben im Ver-
gehenmüssen auch des Menschlichen, wie jedes Einzehnenschenlebens, nur die
Urform seines Seins selbst offenbaren, die den heiligen Bogen der Reife als das
innerlich notwendige Gesetz über jegliches Dasein segnend ausspannt und das
Menschliche als höchste Frucht des mütterlichen Erdgeheimnisses, aufbrechend
, blühend und verwelkend, bis zum tiefsten Grund mit dem Sinn der
Totalität erfüllen kann" (S. 140ff., 147, 151). „Auch die Kultur, als heiligstes