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Ausgabe:

1951 Nr. 6

Spalte:

359-361

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Brunner, Emil

Titel/Untertitel:

Religionsphilosophie evangelischer Theologie 1951

Rezensent:

Schott, Erdmann

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 6

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malen Gesichtspunkten aus, zugleich aber spürt er auch den
inneren, durch Kultus, Landschaft, Volkspsychologie (darin
als Schweizer weit unbefangener als wir!) und alte heidnische
Traditionen geformten Wesensinhalten nach. Rußland selbst
ist ihm dabei eine konstante Größe. Er findet deshalb von den
Denkmälern der Kiewer Zeit bis zu den modernsten Bausymphonien
Sowjetrußlands einige wesentliche Typen „mitunter
von einem Anhauch jener innersten Verzückung gestreift
, die das Antlitz Rußlands in fast jeder Metamorphose
behält" (S. 102)! In der Deutung der Ikonendenkmäler erweist
er sich deutlich als Anhänger der ästhetischen, künstlerischen
, immer metaphysische Hintergründe aufdeckenden
Schule. Die Ergebnisse einer solchen Betrachtungsweise werden
immer sehr umstritten sein. Während Verf. z. B. im
Werk des Theophanes Graecus asketische Züge entdeckt
haben will, betont Lazarev, ein Kenner der Kunst Novgo-
rods (Iskusstvo Novgoroda. Moskva-Leningrad 1947, S. 15)
gerade deren weltzugewandte, männliche, ja kämpferische
Züge! Die Ikone entzieht sich im Grunde einer solchen
Deutung kraft des ihr innewohnenden ausgesprochen theologischen
Inhaltes und Wesens! Sie ist zuerst die Exegese der
Schrift auf der Basis der patristischen Hermeneutik, in ständiger
Verbindung zur Liturgie. Dogmatische Kämpfe und Lehr-
entscheiduiigen, die in Byzanz, der Mutter der ostkirchlichen
Ikonographie, immer zugleich geistes- und kulturgeschichtliche
Folgen zeitigten (Hesychasmus und paläologische Renaissance
!) und ihr Einfluß auf die Ikone führen schließlich zu
einem weit tieferen Iuhaltsverständuis, als reine kunstkritische
oder kunsthistorische Begriffskategorien.

In drei Abschnitten: Die altrussische Kunst, die Kunst
des 18. und 19. Jahrhunderts und Ausblick ins 20. Jahrhundert
behandelt Verf. nacheinander jeweils Architektur, Malerei und
Skulptur, wobei ihm die russische Kunst als ganze ein Teil der
gesamteuropäischen zu sein scheint (S. 25: die Mariaschutz-
kirche am Flusse Neri' ,,ein Juwel des gesamteuropäischen
Sakralbaues"!), worin ich persönlich dem Verf. nur beistimmen
kann.

Trotz seines anspruchsvoll-konzentrierten Stiles ist das
Buch genußreich zu lesen. Die Reproduktionen sind bei aller
Kleinheit in den meisten Fällen von überraschender Klarheit
und Schärfe.

Halle/Saale Konrad Onasch

PHILOSOPHIE UND RELIGIONSPHILOSOPHIE

Brunner, Emil: Religionsphilosophie evangelischer Theologie. 2., un-

veränd. Aufl. München: Leibniz Verl. [jetzt R. Oldenbourg] [1948J. 105 S.
gr. 8° = Handbuch der Philosophie. Neu hrsg. v. Manfred Schröter. Kart.
DM 6.—.

Wenn E. Brunner es unternimmt, eine Religiousphilo-
sophie vorzulegen, so kann das zunächst Verwunderung erregen
. Von B.s Voraussetzungen her, wie sie aus seiner Arbeit
über Schleiermacher und anderen Schriften bekannt sind,
kann es nämlich eine Religionsphilosophie im üblichen Sinne
nicht geben. Wenn B. nun gleichwohl unter die Religions-
philosophen geht, so grenzt er sich gegen deren Fragestellung
und Methoden, wie nicht anders zu erwarten, sorgfältig ab.
,,Von einer christlichen . . . Religionsphilosojnüe kann aus
zweifachem Grunde nur uneigeutlich die Rede sein. Erstens
ist der christliche Glaube . . . etwas grundsätzlich anderes als
jede Philosophie. Philosophie ist Besinnung auf den Sinngrund
unter Voraussetzung der Letztgültigkeit des vernunftimmanenten
Begründungszusammenhanges. Christlicher Glaube
aber ist die Erkenntnis von der Durchbrechung dieses
Zusammenhanges durch die Offenbarung" (4). „Religionsphilosophie
im eigentlichen Sinne kann es aber auf dem Boden
der christlichen Theologie auch darum nicht geben, weil es die
Theologie nicht mit der Religion, sondern mit der Offenbarung
zu tun hat. Religion ist, was immer sie sonst sein mag, menschliche
Lebensform; Offenbarung aber ist Selbstbekundung
Gottes" (5). Offenbarung verträgt keine philosophische Begründung
. „Offenbarung begründet sich selbst, oder es ist
keine Offenbarung" (6). Diese Sätze wollen im Auge behalten
sein, wenn B. nun seinerseits programmatisch erklärt: „Im
Unterschied von der übrigen Theologie hat es die .Religionsphilosophie
' mit den formalen und allgemeinen Problemen des
christlichen Glaubens zu tun, nämlich . . . mit dem Problem
der Offenbarung" (7).

Das damit bezeichnete Problem entfaltet B. in der Weise,
daß er zunächst das reformatorische Schriftprinzip als das

christliche Normprinzip darstellt: „das Wort Gottes in der
Schiift identisch mit dem Wort Gottes in der Seele, oder kurz:
Schrift und Geist in ihrer paradoxen, undenkbaren Identität
" (9)- Sodann beobachtet er das Zerfallen dieser paradoxen
Einheit in der Folgezeit (i2f.). Die Orthodoxie macht „aus der
aktuellen Gottesoffenbarung das au sich wahre Bibelbuch"
(13). Rationalismus und Idealismus behaupten eine in der Vernunft
begründete Unmittelbarkeit zu Gott und verkennen die
Einzigartigkeit der Heilsgeschichte (15 ff.). Der „pietistisch-
romantische Subjektivismus" (17) sucht die Unmittelbarkeit
zu Gott im Gefühl, im Erlebnis und entwertet das objektive
Schriftwort (i7ff.). Der Historismus schließlich relativiert mit
der gesamten Geschichte auch die Heilsgeschichte (i9ff.)- Der
Entwicklungsgang der protestantischen Theologie legt es demnach
nahe, die Offenbarung unter vier Gesichtspunkten zu erörtern
: Offenbarung und Schrift, Offenbarung und Vernunft,
Offenbarung und subjektives Erleben, Offenbarung und Geschichte
(23). Für das Problem Offenbarung und Vernunft ist
B.s Lösung die, daß „zwar niemals die Offenbarung innerhalb
der Vernunft, wohl aber die Vernunft innerhalb der Offenbarung
ihren Platz habe" (25). B. versucht zu zeigen, wie der
Gegensatz von Idealismus und Realismus (39 ff.), von formalistischer
ethischer Autonomie und heteronomer Materialethik
(42 ff.) nur im Offenbarungsglauben aufgehoben und
überwunden wird. Freilich „auch dem Glaubenden bleibt die
Offenbarung unbegreiflich" (47). Ähnlich überwindet auch
erst der Offenbarungsglaube den im radikalen Subjektivismus
angelegten Zwiespalt zwischen Skepsis und Mystik (49ff.) sowie
den religionsgeschichtlichen Gegensatz zwischen objektiver
und subjektiver Religion (Kultus und Mystik) (53ff.)- I»
dem Problemkreis Offenbarung und Geschichte konstatiert B.
ein „eigentümlich widerspruchsvolles Verhältnis" „zwischen
der Religionsgeschichte und der allgemeinen Geistesgeschichte.
Die Religion nimmt an ihr Anteil; sie wird selbst .vergeistigt'
durch die Entwicklung des Geistes. Aber sie wird dadurch
nicht religiöser" (74). Diese Krisis, in die die Religion und damit
alle Geschichte gerät, kommt allerdings innerhalb der
bloßen Religionsgeschichte nicht „recht zum Bewußtsein"
(75). Erst in der Christusoffenbarung wird diese Existenznot
als Erlösungsbedürftigkeit offenbar. Und in der Schrift ist die
Offenbarung bezeugt (78). Freilich nur der Glaube kann in der
Schrift die Offenbarung wahrnehmen. „Sie ist Gottes Wort
grade darin, daß sie es der Glaubensentscheidung vorbehält,
dieses Urteil zu fällen" (88).

B.s Gedankengang ist von eindrucksvoller Geschlossenheit
und enthält viele schöne Einzelbeobachtungen, die der
Leser dankbar zur Kenntnis nehmen wird. Aber auch die
Schwächen der B.sehen Position sind unverkennbar. B. verschmäht
es, den Offenbarungsglauben zu begründen. Offenbarung
, Glaube, Kanon sind da! Wer es fassen kann, fasse es!
Gut, wenn damit eine würdelose Apologetik abgelehnt wird, —
aber nicht gut, wenn der Glaube dadurch überhaupt von der
Aufgabe entbunden werden soll, sich selbst und andern
Rechenschaft zu geben. B. verfällt, wie uns scheint, an manchen
Stellen einem recht undialektischen Positivismus. Ist es
z. B. ausreichend zu sagen: „weil der Glaube nicht in der Lage
ist, den Umkreis des Offenbarungswortes innerhalb der Schrift
zum voraus, durch ein Prinzip, festzulegen, nimmt er auch
diesen Umfang als einen kontingent gegebenen hin" ? (93). Der
Glaube ist doch Gerneinschaft mit Gott in Christus; von da
her ist der Glaubende durchaus in der Lage, sowohl über den
Kanon als Ganzes wie auch innerhalb des Kanons über einzelnes
zu urteilen. Denn nach einem bekannten Kählerwort
wird die Autorität Christi für den Glauben nicht durch die
Schriftautontät begründet, sondern umgekehrt die Schriftautorität
durch die Autorität Christi. Ähnlich unzureichend
scheint uns die Entgegensetzung von Offenbarung und Vernunft
zu sein, etwa in dem Satz: „Gegenstand des Glaubens
ist das für die Vernunft Absurde, das Paradoxe, und an allen
echten Glaubensfragen haftet als ihr Kennzeichen das Merkmal
logischer Unmöglichkeit: der Widerspruch" (25). Später
korrigiert sich B.: „Es gibt, recht verstanden, kein Problem:
Vernunft und Offenbarung. Nicht die Vernunft steht da in
einem Gegensatz, sondern die Selbstherrlichkeit des Menschen
in sehi er Vernünftigkeit ..." (98, cf. 47). Aber die Korrektur
kommt zu spät. Inzwischen hat B. bereits die Personhaftig-
keit des Menschen mit der Sünde identifiziert (62 cf. 39) und
sich das Verständnis für das Problem der positiven Bezugnahme
der Offenbarung auf die Vernunft verbaut. In engem
Zusammenhang damit steht die fast ausschließlich negative
Beurteilung der Welt der Religionen durch B. Zwar läßt er
gelegentlich anklingen, daß die Offenbarung nicht nur die
Krisis aller Religion, sondern auch ihre Erfüllung ist (56).
Aber im Ganzen kommt er über eine einlinige Entgegensetzung