Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1951 Nr. 6

Spalte:

358-359

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Matthey, Werner von

Titel/Untertitel:

Russische Kunst 1951

Rezensent:

Onasch, Konrad

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

357

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 6

358

der Gemeinde nach seiner Verheißung offenbaren will, wird man das ,Wie
heilig ist diese Stätte!' auch auf den gottesdienstlichen Raum anwenden dürfen,
ohne sich des kultischen Mißbrauches schuldig zu machen" (S.26)? Ist das
Kirchengebäude wirklich „Gottes-Haus" ? (S. 27). In der Diskussion hat der
Referent seine Auffassung noch präzisiert durch den Begriff der „solemnitas
dieses Raumes" (S. 86). Dagegen aber stehen Luthers Worte: „Gottes Wort
allein macht die Stätte heilig und zu Gottes Stätte und Hause", und: „Wo
Gottes Wort klingt, es sei im Walde oder Wasser, oder wo es ist, da ist Bethel,
daß man darf sagen: da wohnet Gott". Gefährlich aber scheint der Satz, der
im Hinblick auf die Monumentalität vieler Kirchen gesagt wurde: „Groß und
mächtig stellt sich das Ewige hinein in die Zeit" (S. 27). Luther hat gerade
mäßige Kirchen von geringer Höhe gefordert, die großen aber inopportuna genannt
. Die Schriftgemäßheit des Satzes darf überdies bezweifelt werden. Und
schließlich kann hier allzu leicht ungewollt der Weg freigemacht scheinen zu
einer neuerlichen Verdinglichung des Heiligen. Wenn wir von Luther ausgehen
, müssen wir auch konsequent mit Luther sagen: Die Kirche ist reiner
Zweckbau. Kirchbau ist nicht geboten, aber doch „gut für die Einfältigen",
obwohl gilt: „Dem Nächsten dienen ist besser als Kirchen bauen". „Denn keine
andre Ursache ist, Kirchen zu bauen, so ja eine Ursache ist, um daß die Christen
mögen zusammenkommen, beten, Predigt hören und das Sakrament emp-
fahen. Und wo dieselbige Ursache aufhöret, soll man diesclbigen Kirchen abbrechen
, wie man allen anderen Häusern tut, wenn sie nicht nütze sind"
(Kirchenpostille 1527). Freilich kannte man damals noch keine „denkmalswerten
" Kirchen. — Der zweite Vortrag stellt die Prinzipien der reformierten
Kirche für die Innenausgestaltung des Kirchengebäudes klar und fast zu knapp
heraus, leider unter Verzicht auf jede biblische oder bekenntnismäßige Begründung
. Den Nachweis der Notwendigkeit fester gottesdienstlicher Stätten,
wie sie Calvin in der Institutio gab, vermißt man ebenso ungern wie den Hinweis
auf Art. XXII der Conf. Helv. post., die klassische Formulierung dessen,
was der Referent zu diesem Thema vortrug. Der Hinweis auf die Ecclesia
viatorum (S. 37) und die Gleichgültigkeit der Bibel wie des Gesangbuches dem
Raum gegenüber erinnert fast an Zwingiis harte Formulierungen in der Auslegung
der Schlußreden. Unausgesprochen wurde deutlich, daß die reformierte
Kirche keinen Sakralraum, keine solemnitas des Raumes kennen kann. Freilich
hätte man gerne sich das ausführlicher dargestellt gewünscht und dafür die
einführende, an Zitaten reiche Situationsschilderung ein wenig knapper gesehen
. — Das dritte Referat bedürfte einer eingehenderen Auseinandersetzung,
als sie hier möglich ist. Bedeutungsvoll scheint an ihm besonders, daß die Begründung
der katholischen Auffassung vom sakralen Raum hier nicht von der
Weihung des Raumes durch die Hostie her gegeben wird, sondern vom Mysterium
der Inkarnation her, das heiligen Raum geschaffen habe. Hier müßte eine
fruchtbare Auseinandersetzung möglich sein, zumal, wenn man bedenkt, daß
H. Vogel von der Inkarnation das Recht der Kunst in der Kirche herleitet (Der
Christ und das Schöne). Die Richtung, in der eine solche Auseinandersetzung
ertragreich auch für die evangelische Standortfindung gemacht werden kann,
ist durch die gekürzt wiedergegebenen Äußerungen der Diskussionsteilnehmcr
angedeutet (besonders S. 84f. Aland, S. 86 Söhngen). Freilich wird an der
Behauptung der „spezifischen Wachstumsgesetze" der Kirche (S. 48) wie an
der andersartigen Schriftauffassung das Gespräch seine Grenzen finden müssen.
Am Referat hervorzuheben ist noch die Anfügung der Thesen Th. Klausers
zum katholischen Kirchbau, die von ihrem Standpunkt aus vorbildlich dem
Architekten allgemeine Gestaltungsgesetze in die Hand geben.

Diesen grundlegenden Referaten folgte unmittelbar ein weiteres eines
Theologen: „Die deutsche Messe und die Forderungen der liturgischen Erneuerungsbewegung
an den Kirchenbau" (Horn). Wenn hier das Postulat
C Gurlitts: „Die Liturgie ist die Bauherrin", in akzentuierter Form wiederaufgenommen
wird, so sind Bedenken anzumelden, wie das so treffend in der
Diskussion getan wurde (S. 88f. Kahler). Wir werden nicht umhin können,
der Predigt als dem Glauben spendenden und Olauben stärkenden Grundelement
der Kirche den Vorrang zu geben (Rom 10, 17). Und der priesterliche
Dienst der Kirche ist Dienst am Evangelium (Rom. 15, 16). Damit ist der
Kultus zwar nicht abgeschafft, aber aus seiner bestimmenden Höhe entthront.
Sicher ist es richtig, daß es eigentlich keinen Gottesdienst ohne Eucharistie
geben sollte, aber das Sakrament ist verbum visibile, und im Abendmahl liegt
Verkündigung (l.Kor. 11,26). Von daher ist zu Gurlitts von H. aufgenommener
These ein Fragezeichen zu setzen. Und viele Einzelheiten dieses Beitrages
stimmen bedenklich, so z. B., wenn H. in Luthers Wort vom Saustall nur die
Bezugnahme auf eine Notlage sieht, in der die römische Kirche genau so entscheide
(S. 67). Hier sind grundsätzliche Gegensätze: Für die katholische
Kirche kommt Sakramentsvollzug außerhalb des Kultraumes de facto nur im
Notfall in Betracht, für Luther ist der gottesdienstliche Raum Im Grunde
uberflüssig (s. oben). Fraglich erscheint weiter, ob es gut ist, den für jeden
Protestanten so belasteten Ausdruck „Messe" für die Abendmahlsfeier zu
Wahlen, und ob es richtig ist, daß in der Messe implicite die eschatologische
Sicht des Herrn liegt (S. 66). Ferner: Kann man das Abendmahl lediglich von
J - Kor. 11 her statuieren? Das scheint zu einseitig. Die Xoyixil Xatoeia von
Rom. 12, 1 ist zweifellos nicht mit dem Logos im johanneischen Sinne in Verbindung
zu bringen (S. 70), wie es H. will. Die Exegese von 1. Kor. 11 (S. 70f.)
'st gewaltsam, um den Opfergedanken aus der Stelle herauszupressen. Die
leichsetzung des in dyd/tvriaie gegebenen Willensaktes mit aktivem Handeln
■st nicht zulässig, so wird von da ab alles schief. Die altkirchliche liturgische
twicklung schließlich über Justin und Hippolyt (S. 71 f.) ist doch keineswegs
verpflichtend. Was im zweiten Teil des Vortrages dann an Hand dreier Grundrisse
ausgeführt wird, kann weitgehend bejaht werden, soweit es praktische

Anregungen bringt oder Fragen aufwirft. Warum aber wird die Frage nach
dem Recht von Orgel und Sängerchor im Kultraum nur gestellt und vom Litur-
giker nicht beantwortet?! Freilich zum Schluß muß wieder ein klares Nein
gesagt werden: Der Kirchenraum als solcher ist nicht heiligI — Fehlte der
letzte Beitrag eines Theologen - „Stadien auf dem Wege zum modernen Kirchenbau
" (Rutenborn)-, so würde man ihn kaum vermissen. Nun er da ist,
stört er, denn er Ist falsch im Ansatz. Geistreiche Apercus, scharfe Kritik —
man vergleiche die Herabsetzung des Buches von Brathe (S. 131), das gewiß
nicht weltbewegend war, aber seinen Platz ausfüllte als gute historische Übersicht
— und oft allzu gewagt ironisierende Formulierungen können leider
mangelnde Richtigkeit nicht ausgleichen. Kurz zuvor hatte ein Referent die
Schmalkaldener Schloßkirche erwähnt (S. 91), die als erste evangelische
Kirche die Kanzel über den Altar und die Orgel über die Kanzel setzt. Diese
Lösung ist im Protestantismus gar nicht so selten, es sei nur an Furttenbachs
Entwurf (1649) und die Kirchen in Carlsfeld (1684—1688), Hohnstein (1725/26
G. Bähr), Kirchheimbolanden (1745), Großenhain (1748), Ludwigskirche Saarbrücken
(1762—1775), Waltershausen (1723), Paulskirche Frankfurt (1787 bis
1833) erinnert, um einiges Wesentliche herauszugreifen. Für R. aber ist sie
eine Erfindung des endenden 19. Jahrhunderts, der erste Schritt zu neuen,
eigenen Gestaltungsversuchen. Weiter ist der Gedanke, Feier- und Predigtstätte
zu trennen, keineswegs von Bartning erstmalig gefunden. So hat schon
Schinkel seinen Dom auf dem Spittelmarkt geplant. Das mag genügen. Man
sollte eine Geschichte des neuesten Kirchenbaus nicht skizzieren, wenn man den
gesamten evangelischen Kirchbau nicht bis in alle Einzelheiten kennt!

Bei den Architekten ist weniger einzuwenden. Das kurze Referat „Die
Stellung von Altar, Kanzel, Taufe und Orgel im Kirchenraum" (Dobert) gibt
einen ausgezeichneten knappen Oberblick über die Lösungsmöglichkeiten vom
Standpunkt des Baufachmannes. Einen Weg zur Lösung der aufgezeigten
Fragen gibt D. nicht. Hier müßte ernste theologische Durcharbeitung des
Fragenkomplexes einsetzen. — Instruktiv und reich an Anregungen sind das
Referat „Stadtbauplanung und Kirchbauplanung" (Moest) und die Antwort
darauf „Forderungen der Kirche an den Städtebauer" (Dobert). M. ging von
der Berliner Planung aus, D. von grundsätzlichen Erwägungen. Beide Referate
bieten eine solche Fülle von Grundsätzlichem, daß eine Würdigung in diesem
Rahmen nicht möglich ist. Allerdings dürfte das von D. einbezogene Problem
des Lehmbaues, um das auch in der Diskussion gekämpft wurde, zumindest
für einen beachtlichen Teil unserer Kirche an Aktualität wesentlich verloren
haben. — Das abschließende Referat hielt ein Architekt: „Zeitfragen des
Kirchenbaues" (Hampe). Aus der behutsamen Andeutung der Ergebnisse der
Tagung wurde der Weg gesucht in die Praxis, die bestimmt ist von Armut und
Not. Auch hier sind Worte gesagt, die über die Zeitgebundenheit des Kongresses
weit hinaus Geltung haben.

Der größte Gewinn des Berichtes aber ist das nachgetragene Referat, das
damals ausfallen mußte: „Neue Gemeinde — Neuer Kirchenbau" (Hirzel).
Jeder, der sich ernsthaft mit der Frage kirchlicher Kunst heute befaßt, sollte
diese Seiten aufmerksam und dankbar lesen. Es ist schlechthin meisterhaft,
wie hier neben grundsätzlichen Fragen kirchlicher Architektur und Kunst überhaupt
Fragen wie „Wiederaufbau", „Kirchenstil", „Gemeindehaus" usw. mit
knappen Worten ins rechte Licht gerückt werden. Das Referat gipfelt in dem
Satz Rudolf Kochs: „Die Gemeinde allein baut die Kirche. Oott sendet schon
seine Werkleute. Wenn da nur eine Gemeinde ist, die lebt im Gebet und Sakrament
, so hat alle Not ein Ende". Hier setzt alle Theorie und Praxis des Kirchbaues
ein. Möge die Mahnung dieses Beitrages recht gehört werden!

Man hätte wohl gerne in einem ,,Bericht" auch ein Wort
gelesen zu den Wirkungen der Tagung. Aber es gebührt dem
Herausgeber auch so der Dank aller, die von der Not unseres
Kirchbaues wissen und mit ihr ringen, daß er dies Dokument
des Weges zum neuen Kirchbau uns zugänglich gemacht hat.

Berlin Klaus Wessel

Matthey, Werner von: Russische Kunst. Einsiedeln: Benziger [1948].
116 S. m. 85 Abb. auf 48 Tat. 8°. sfr. 10.80; Lw. sfr. 12.80.

Der Autor des vorliegenden Werkes kennt, wie der beigegebene
Prospekt betont, die russische Kunst und ihre Denkmäler
aus eigener Anschauung. In der Darstellung steht er
formal und inhaltlich in der Mitte zwischen den auch in deutscher
Sprache erschienenen Arbeiten von Alpatov und Brunov
einerseits und Ainalov andererseits. Die ersteren verfolgen die
Geschichte der Denkmäler russischer Kunst vor einem weit
gespannten Hintergrund (Landschaft, Volkstum, Kultus),
während der letztere seine Arbeiten nach rein formalen Gesichtspunkten
aufbaut. Die beiden Anschauungen, die bis in
die modernste russsiche Kunstgeschichte hinein zu verfolgen
sind, haben zwar ihren gemeinsamen Vater in Buslaev, gehen
aber in ihren Differenzierungen einmal auf Muratov, SSekotov,
Trubeckoy und vor allem auf den Kreis um Kondakov, "zum
anderen auf die formal-wissenschaftliche Schule eines I. E.
Grabar, Anisimov, Ainalov u. a. zurück. Ein Blick in die vom
Verf. am Ende seines Buches angegebene Bibliographie
scheint die Annahme zu rechtfertigen, daß er um seine Position
innerhalb dieser Fronten weiß. So geht er, insbesondere
in der Darstellung der Baudenkmäler, zunächst von rein for-