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Ausgabe:

1951

Spalte:

348-349

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Stemplinger, Eduard

Titel/Untertitel:

Antiker Volksglaube 1951

Rezensent:

Herter, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1951 Ni. 6

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tung von erhalten gebliebenen 14 Kapiteln der Handschrift
der „Colloquios y doctrina christiana", die Sahagün 1564 verfaßt
hatte, hinterlassen, die von G. Kutscher herausgegeben
wurde. Wie W. Lehmann noch im Vorwort (Nov. 1938) bemerkt
, wurde um 1925 dieses umfangreiche Bruchstück im
Geheimarchiv des Vatikans gefunden, dessen Inhalt von ihm
„als einzigartig" bezeichnet wird. „Der Text spiegelt nämlich
Verhältnisse wider, in denen europäisches Denken und Glauben
mit der altmexikanischen Welt zusammenstoßen, deren
.Götter starben', was in Colloquios der doze frayles mit den
mexikanischen Priestern und Fürsten" erläutert wird (in freilich
höchst naiver Weise, wie ich hinzufügen darf).

Gewiß haben diese spanischen glaubenseifrigen Minoriten,
die 1524 als Truppenseelsorger nach Mexiko kamen, in gutem
Glauben gehandelt, wenn sie katechismusmäßig (ähnlich wie
Franz Xaver in Ostasien) die christlichen Lehren den grausam
besiegten Mexikanern anboten. „Waren es doch zwei
grundverschiedene Glaubenswelten, die einander begegneten,
nachdem Schwert, Kanonen, Reiterei und Stahlpanzer der
Spanier den endgültigen Sieg über die Indianer wenige Jahre
zuvor davongetragen hatten" (W. Lehmann, a. a. O. S. 29).
Wenn nun W. Lehmann in seiner ausführlichen Einleitung aus
den elegisch-verzweiflungsvoll klingenden Worten der mexikanischen
Priester und Fürsten:
Wir (sind) Untertanen,

Wir (sind) vergänglich, wir (sind) sterblich,

Wohlan, laßt uns denn sterben,

Wohlan, laßt uns denn zugrunde gehen!

Sind doch die Götter (auch) gestorben!

(Colloquios, Zeile 923—927)
einen Bekehrungserfolg erschließen möchte und „die geschickte
Einfühlung der spanischen Geistlichen in die Seelen ihrer Täuflinge
" rühmt, so wird der, der die tragische und schwer zu
klärende Missionsgeschichte der Christenheit — namentlich in
den Epochen der Eroberung fremder Länder — überschaut,
dem kaum zustimmen können. Gewiß, es soll nie vergessen
werden, wie unerschrocken P. Fr. Bartolome de las Casas für
die Rechte und die Freiheit der Eingeborenen auf den Antillen
und in Spanisch-Amerika eintrat, ja Papst Paulus II. in seiner
Bulle vom 2. Juni 1537 feierlich erklärte, daß „auch die Eingeborenen
des amerikanischen Kontinents wahre Menschen
und fähig des katholischen Glaubens und der Sakramente
seien" — aber schon diese Erklärung zeigt deutlich, welche
Einstellung die spanischen Eroberer und auch ihre geistlichen
Begleiter den unterworfenen Mexikanern entgegenbrachten.
War es doch um jene Zeit üblich, wie M. Dobrizhoffer in seiner
„Geschichte der Abiponer, einer berittenen und kriegerischen
Nation in Paraguay" (Wien, 1783) berichtet, „die Indianer
mehr unter die Tiere als unter die Menschen zu rechnen" (vgl.
dazu meine Ausführungen über „Anfänge der Erforschung
amerikanischer Religionen" in: „Studi e Materiali di Storia
delle Religioni", Bologna, Roma, Vol. XII, 1936). Diesen Wandel
in der wertmäßigen Einstufung bisher unbekannter Völker
und Religionen müßte man bei religionskundlichen Untersuchungen
von uns erhalten gebliebenen Disputationen zwischen
Vertretern der Religionsgemeinschaften sorgfältig im
Auge haben, um einen tieferen Einblick in die wesentlichen
Unterschiede der einzelnen Religionen zu erhalten.

Leider fehlt uns bisher eine derartige quellenmäßige
Untersuchung, obwohl wertvolles Material dafür vorhanden
ist. W. Lehmann hat selbst auf wichtige Texte hingewiesen
(S. 29) wie die Nestorianer-Texte der chinesischen Tang-Dynastie
auf dem Steindenkmal von Sianfu (vgl. dazu jetzt
G. Rosenkranz, „Die älteste Christenheit in China", 1939), die
Gespräche des Jesuiten-Paters Cosme de Torres mit den Buddhisten
in YarnagucU* aus dem Jahre 1551 (herausgegeben von
P. Schurhammer in „Mitteilungen d. deutschen Ges. f. Natur-
und Völkerkunde Ostasiens", Bd. 24, Teil A, Tokyo 1929), die
erste Ausgabe von klassischen Texten der chinesischen Religionsauffassung
in dem grundlegenden Werk von P. Couplet
„Confucius Sinarum Philosophus" (Paris 1687) und ihren Einfluß
auf das abendländische Denken (s. darüber R. F. Merkel,
„G. W. von Leibniz und die China-Mission", 1920). Nun haben
wir als neues wertvolles Quellenwerk von W. Lehmann den
wichtigen Band „Sterbende Götter und christliche Heilsbotschaft
" erhalten. Doch sei mir auch gestattet auf ein ebenso
religionsgeschichtlich wichtiges Manuskript: „Die achtzehn
Gespräche welche anno 1714 von den dänischen königlichen
Missionarien mit den ostindischen Heiden und Mohammedanern
gehalten" hinzuweisen, die der Indien-Missionar Bar-
tolomäus Ziegenbalg aus Tranquebar 1714 nach Halle/Saale
gesandt hat. Der Text desselben liegt in wissenschaftlicher Bearbeitung
von Prof. D. H. W. Schomerus seit längerer Zeit

vor, konnte aber bisher aus Mangel an Mitteln nicht in den
Druck gegeben werden (über B. Ziegenbalg s. meme Studie:
„Anfänge der Erforschung indischer Religionen im 18. Jahrhundert
" in „Rudolf-Otto-Ehrung", hrsg. von Hell. Frick,
1940, S. 41 ff.).

München-Grünwald R.F.Merkel

Stemplinger, Eduard: Antiker Volksglaube. Stuttgart: Spemann [1948].
247 S., 8Taf. 8°= Sammlung Völkerglaube. Hlw. DM8.—.

Ein zusammenfassendes Werk von Ed. Stemplinger auf
einem Gebiete, das er neben Horaz besonders bebaut hat, heißt
man gerne willkommen, und wirklich fühlt man sich bei ihm
in guten Händen — einige Absonderlichkeiten wie die „Be-
fragerin" Pythia (S. 48), der man auch bei andern modernen
Autoren begegnen kann, fallen kaum ins Gewicht. Das Buch
ist für weitere Kreise geschrieben, und so hat der Verf. zwar
abschnittweise Titel von Sekundärliteratur aufgezählt, die
übrigens sehr zu vermehren wären, aber von der Angabe einzelner
Belege für die vielen von ihm zusammengebrachten
Fakta prinzipiell abgesehen. Nun mag man es zwar für die
Pflicht und Schuldigkeit des klassischen Philologen erachten,
die Stellen mit geschulter Findigkeit aufzuspüren, aber man
kann doch nicht wohl ein Gleiches den Nachbarn von der
Volkskunde und der Religionswissenschaft zumuten. Ich
meine, ein Bogen mit den nötigen Nachweisen als Anhang
hätte den Laienleser nicht gestört und der Wissenschaft einen
guten Dienst getan. Man sollte doch wünschen, daß das Werk
auch auf die Forschung befruchtend wirken könnte, zumal da
es als Stoffsammlung wie als Zusammenfassung noch kein
Seitenstück hat.

Ein erster Versuch wie dieser ist allerdings besonderen
Schwierigkeiten unterworfen. Das weitschichtige Material ist
auf die Hauptabschnitte „Wahrsagung, Zauberei, Chaldäer-
kunst" aufgeteilt; da hört der Volkskundler den Ausdruck
„Zauberei" nicht sonderlich gern, und tatsächlich läßt sich
darüber streiten, ob manches, was St. hierhin stellt, diesen
Namen verdient. Problematisch ist auch der Begriff „Volksglaube
" selbst: er reicht bei dem Verf. bis zu sublimer Ekstase,
beschränkt sich aber gewöhnlich auf das, was der rationale
Mensch als Aberglauben zu bezeichnen pflegt; das Phallos-
wesen wird S. 105 der Sphäre der Religion zugesprochen, aber
S. 152L doch unter dem Stichwort „Amulette" erwähnt. Von
den ewig irgendwie lebendigen superstitiösen Untergründen
menschlicher Vorstellungswelt erhalten wir in dem Buche ein
sehr buntes, in gewissem Sinne sogar zu buntes Bild, denn
mancher Philologe wird erschrecken, wenn er Seite für Seite
und Satz für Satz aufgeführt liest, was „man" alles glaubte. Was
war allein zur Sicherung von Tür und Schwelle nötig: Weißdorn
, Meerzwiebel, Hyänenblut, Pferdehaare, der rechte Vorderfuß
eines Esels, der Penis eines schwarzen Hundes, ein mit
Fuchsblut bestrichener Seestern, Menstrualblut, Nägel, bannende
Inschriften, Türklopfer mit Medusenhaupt, Zaubertiere
aus Holz, Stein oder Bronze, Berührung mit Erdbeer-
strauchzweiglein, dazu bei besonderen Gelegenheiten Be-
schmierung mit Schweinefett bzw. Pech und Bestreichung mit
einem Wolfsfell! Natürlich ist sich auch St. nicht darüber im
unklaren, daß man Zeitalter, Völker und Volksgruppen scheiden
muß, aber es wäre doch gut gewesen, den Leser öfters an
diese Notwendigkeit zu erinnern; wären die Belege jeweils angegeben
, würden sie ganz von selber einschränkend wirken.

Über die Schichtungen der Religiosität hätte das Kapitel über den
Dämonenglauben, das als „Voraussetzung" neben einem Kapitel über Sympathieglauben
vorausgeschickt ist, noch deutlichere Vorstellungen vermitteln
können, die sich an der Geschichte des Begriffs „Dämon" orientieren müßten,
wie ich sie in dem jetzt erscheinenden Rhein. Jahrb. f. Volkskunde behandelt
habe. Sehr interessant ist es zu beobachten, wie superstitiüse Vorschriften,
z. B. die pythagoreischen Symbola, nachträglich allegorisch ausgedeutet
werden; im Anschluß an Pythagoreer und Neuplatonlker symbolisiert noch bei
Kirchenvätern Leinen das Leben oder die Seele und Wolle den Tod oder den
Leib (J. Quasten, Amer. Journ. Philol. LXIII 1942, 207ff.; L. Spitzer, ebd.
LXIV 1943, 98f.; W. J. Burghardt, Traditio II 1944,484ff.). Vereinzelt können
wir noch zum Spiel abgesunkene Zauberei feststellen, z. B. wenn Kinder der
von Wolken bedeckten Sonne unter mechanisch (vielleicht mit Holzklappern)
hervorgebrachtem Lärm zuriefen 10 pÜ? fyJUt (Pollux IX 123 = carm.

pop. 40 Diehl, s. R. Heim, Incantamenta magica, Jahrb. f. klass. Phil. Suppl.
XIX 1893, 513). Die Erklärung der Phänomene hat den Verf. überhaupt
weniger beschäftigt; so erhält der Tanz S. 170 nicht mehr als eine halbe Seite
Raum. Gar nicht genug kann man beachten, daß Amulette und andere Kraftträger
, wie F.Pfister, zuletzt in den Serta Kazaroviana, Bull, de l'Inst. arch.
Bulg. XVI 1950, 249ff., betont hat, zwar (selbständiges oder abgeleitetes)
Orenda in sich haben, aber keineswegs einen persönlich gestalteten Dämon
voraussetzen. Hat man wirklich je geglaubt, daß in der Futterschwinge und
im Kornsieb, das man zu mannigfachen Zeremonien verwendete, „Wachs-