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Ausgabe:

1951 Nr. 6

Spalte:

339-342

Autor/Hrsg.:

Siebeck, Richard

Titel/Untertitel:

Krankheit als Folge der Sünde? 1951

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 6

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vor der Staatenbilduug auftretend vor Augen führt" (S. 91),
unbedingt erwarten, daß der von Noth als Hüter des der
Amphiktyonie anvertrauten Gottesrechtes angenommene
„Richter Israels" in Funktion träte, um so eher, als die Vorbereitungen
zu der durch diese Schandtat ausgelösten Strafexpedition
in 20, 1-13 ziemlich ausführlich beschrieben werden.

Bedenken sind weiter geltend zu machen gegen die Annahme
einer rein geistlich-sakralen altisraelitischen Stämmeorganisation
ohne jede politisch-militärische Zielsetzung. Denn
nach Noth wurde „die Selbstbehauptung im Lande nach der
Landnahme in der Auseinandersetzung mit den älteren Landesbewohnern
und mit den Nachbarvölkern offenbar nicht als
eine gesamtisraelitische Sache betrachtet", sondern den einzelnen
Stämmen überlassen (S. 141); jedenfalls gehörte das
nicht zum Aufgabenbereich des Zwölf Stämmebundes. Nun ist
aber das einzige sicher alte und aus der vorstaatlichen Zeit herrührende
Zeugnis von dem Zusammengehörigkeitsgefühl aller
oder fast aller israelitischen Stämme, das Deboralied, derartig
, daß es gerade den Kampf gegen den Feind als Hauptanliegen
oder gar einzige Pflicht dieser Gemeinschaft betrachtet
. Von einem Auseinanderklaffen der religiösen und der politischen
Sphäre kann hier gar nicht die Rede sein. Beide sind
vielmehr eine Einheit: Israels Feinde sind Jahwes Feinde. Das
paßt zu dem Noth vorschwebenden Bilde von einer altisraelitischen
sakralen Zwölfstämme-Amphiktyonie freilich nicht,
und so ist es wohl kein Zufall, daß Noth nicht nur die Bedeutung
des von diesem Lied bezeugten Geschehens ziemlich
gering einschätzt, sondern ihm auch weithin die Glaubwürdigkeit
abspricht. In Wahrheit seien — meint Noth — an dem
Kampfe nur die Stämme Naphtali und Sebulon beteiligt gewesen
. Die Vorstellung, daß mit Ausnahme der paar außerhalb
des Gefahrenbereichs wohnenden Stämme alle zum
Kampfe gegen Israels und Jahwes Feinde verpflichtet gewesen
und größtenteils dieser Verpflichtung auch nachgekommen
sind, sei ebenso auf poetische Stilisierung zurückzuführen wie
die den Kämpfenden zugeschriebene Gewißheit, daß der Jahwe
ihrer Väter ihnen zu Hilfe gekommen sei. Das Lied — so sagt
Noth S. 130 — „knüpft an die Traditionen von der Vorgeschichte
damit an, daß es eingangs vom Kommen Jahwes vom
Sinai spricht, und feiert dann das große Ereignis so, daß es
dieses Ereignis als eine Angelegenheit eigentlich aller israelitischen
Stämme beschreibt, wobei nur die weitab und einigermaßen
isoliert wohnenden Südstämme außerhalb des Kreises
der Betrachtung bleiben".

An diesem Punkte wird die Besonderheit intuitiver Ge-
schichtsschau mit ihrer unter Hintansetzung der uns vorliegenden
Uberlieferung vorgenommenen Postulierung von
Geschehnissen und ihr Unterschied von einem durch größere
Zuversicht zur Geschichtlichkeit der auf uns gekommenen
Nachrichten bestimmten Geschichtsbilde sehr deutlich, und
zugleich wird klar, daß hier noch tieferliegende Differenzen in
der Gesamtbeurteilung der Geschichte und der Existenz
Israels mitschwingen. Nach Noth stellt Israels in der am Sinai
geschehenen Unterwerfung seiner Vorfahren unter Jahwes Anspruch
und Willen wurzelndes Gesetz das Einmalige dar, das
seine Existenz und Art bestimmt und es nicht nur von anderen
Völkern trennt, sondern auch in seiner eigenen Geschichte
immer wieder in Gegensatz bringt zu den Herren seiner
äußeren Geschicke. Ein harmonisches Zusammenstimmen der
geistlich-religiösen Belange der Zwölfstämme-Amphiktyonie
und der national-militärischen Lebensnotwendigkeiten ihrer

Träger hat es in Alt-Israels Geschichte nur zweimal gegeben,
als nach der 1. Sam. 4 erzählten Niederlage der durch den Angriff
der Philister zunächst betroffenen israelitischen Stämme
„der Gesamtstämmeverband mit seinem zentralen Heiligtum
aufgeboten wurde" (S. 144) und als einige Zeit später Saul
zum Entsätze der Stadt Jabes in Gilead den gesamten Zwölfstämmebund
gegen die Ammoniter aufrief (1. Sam. 11). Im
übrigen klaffen die beiden Sphären auseinander. Insbesondere
bedeutet die Einführung des Königtums in Israel eine zu Israels
eigentlichem Wesen nicht passende und darum von vornherein
als wesensfremd, weltlich und heidnisch empfundene Tat.
..Israel handelte hier nicht mehr als sakraler Stämmebund,
sondern als ,Volk Es beschritt hier, wenn auch zunächst noch
in bescheidenem Rahmen, den Weg zu politischer Machtbildung
und vollzog damit eine Entscheidung, die den weiteren
Verlauf seiner Geschichte ganz wesentlich bestimmte" (S. 148).

In einer Anmerkung zu der Feststellung, daß der Besitz
des Gottesgesetzes das Israels Existenz und Art bestimmende
Einmalige sei, weist Noth darauf hin, daß die von J. Wellhausen
und seiner Schule vertretene Auffassung, „das Gesetz"
sei in Israel eine späte nachprophetische Erscheinung, nur insofern
zutreffend sei, als „die im AT enthaltenen, unter sich
sehr verschiedenen gesetzlichen Partien literarisch zum großen
Teile ziemlich jung sind", daß „das .Gesetz' als Formulierung
des Gottesrechtes an sich aber seine Wurzel und seine Anfänge
in der allerältesten Verfassung des israelitischen Zwölfstämmeverbandes
" habe (S. 91, Anm. 1). In der Tat läßt sich das,
worum es hier geht, wohl am besten durch eine Gegenüberstellung
des Wellhausenschen und des Nothschen Bildes vom
Verlauf der israelitisch-jüdischen Geschichte veranschaulichen.
Wenn Wellhausen im elften und letzten, „Die Theokratie als
Idee und als Anstalt" überschriebenen Kapitel seiner „Prolego-
mena" dem alten Israel die Theokratie als Idee zuerkennt, aber
die Theokratie als Anstalt abspricht, so wendet er sich damit
gegen die damals übliche Meinung, Mose habe die „Gemeinde
der Stiftshütte" und damit eine theokratische Anstalt
begründet. Aber was er dagegen vorbringt, behält seine Bedeutung
auch als Einwand gegen die Annahme einer altisraelitischen
Zwölfstämme-Amphiktyonie, wie Noth sie vertritt
: „Im alten Israel hat in der Tat eine Theokratie als Verfassungsform
nie bestanden. Die Herrschaft Jahwes ist hier
eine ideelle Vorstellung", und vollends gilt das von den Worten,
die er der Meinung, die — auch ihm gewisse — Besonderheit
Israels ließe sich nur bei Annahme einer altisraelitischen theo-
kratischen Anstalt behaupten, entgegenstellt: „als ob es
nicht auch etwas wäre, einen Samen in den Acker der Zeit zu
streuen, den das daraus entspringende Spiel der Wirkungen
und Gegenwirkungen in einer Ewigkeit zur Reife bringt"!

Man sieht: Noths Ausführungen über die altisraelitische
Zwölfstämme-Amphiktyonie und ihre Bedeutung geben zu
tiefgreifenden Erörterungen prinzipieller Art Anlaß, und Ähnliches
wäre von seinen Darlegungen über die Erzväter und
über Mose zu sagen, wenn hier Raum dafür zur Verfügung
stände. Das ist ein Vorzug des Buches. Denn diese Partien des
Buches üben nur darum solche Wirkung aus, weil sie von
gründlichster Erwägung der sich jeweilig aufdrängenden Probleme
getragen sind. So bleibt es dabei, daß Noths „Geschichte
Israels" einschließlich der hier unter die kritische
Lupe genommenen Kapitel eine Leistung darstellt, die freudiger
und dankbarer Anerkennung sicher sein darf.

Krankheit als Folge der Sünde?1

Von R. Siebeck, Heidelberg

Offenbar liegt es dem Menschen jeder Zeit nahe, Krankheiten
nicht nur als natürliche Ereignisse, sondern zugleich als
Strafe, also als Folge von Verfehlung und. Sünde zu begreifen.
In dieser historischen Tatsache ist ein schwer zu verstehendes
Problem gegeben, denn „Sünde kann unter naturwissenschaftlichen
Aspekten gar nicht beleuchtet werden, muß vom Religiösen
her gesehen werden". Es geht dem Verf. also um die
Frage, ob und wie eine „Synthese" naturwissenschaftlicher,
religiöser und philosophischer „Sachverhalte" möglich sei.
Diese Frage kann nur aus der Sache selbst, d. h. aus der Geschichte
eine Antwort finden. In diesem Sinne sammelt Verf.

*) Siebenthal, Wolf von, Dr. med. et phii.: Krankheit als Folge der

Sünde. Eine medizinisch-historische Untersuchung. Hannover: Schmori & von
Seefeld [1950]. 99 S. 8° = Heilkunde und Oeisteswelt. Eine medizinhistorische
Schriftenreihe, hrsg. v. J. Steudel, Bd. 2. DM 4.—.

Berichte aus der Medizingeschichte. Der Primitive lebt im
magischen Weltbild, das Symbol ist etwas Reales, Krankheit
ist Ausfluß einer dämonischen Kraft, der von einem feindlichen
Wesen ausgeht, oder auch Strafe einer beleidigten Gottheit;
Heilung wird von Zauber oder von sühnenden kultischen Gebräuchen
erwartet. Diese „echte religiöse Erfahrung" kann bei
den verschiedenen Kulturvölkern, bei den Indern, den Völkern
des Zweistromlandes und bei den Hebräern aufgewiesen
werden. Im jüdischen, streng monotheistischen Denken, bricht
die Erkenntnis durch, daß Krankheit nicht immer Folge der
Sünde ist, sondern von Gott auch geschickt wird, um den Unschuldigen
zu erschüttern, ja in der Geschichte von Jakob sogar
, um den Menschen auszuzeichnen. Der Verf. sieht, daß die
Frage nach der Grenze von Magischem, Zauberischem und
„Göttlichem, echt Religiösem", die Frage „nach Wahrheit und
Irrtum" gestellt werden muß; aber wie weit kann diese Frage