Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1951

Spalte:

335-340

Autor/Hrsg.:

Eissfeldt, Otto

Titel/Untertitel:

Israel und seine Geschichte 1951

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

335

Theologische Literaturzeituug 1951 Nr. 6

336

Israel und seine Geschichte1

Von Otto Eißfeldt, Halle/Saale

Iii den deutschsprachigen Ländern fehlte seit längerem
eine die ganze israelitisch-jüdische Geschichte umfassende,
also bis 135 n. Chr. herunterreichende Darstellung, die den
doppelten Dienst eines zuverlässigen Lehrbuches für die Studierenden
und eines eingängigen Lese- und Nachschlagebuches
für alle an dem Gegenstand Interessierten leisten konnte. Das
vorliegende Buch Martin Noths1 füllt jetzt diese Lücke aus,
und zwar in einer Weise, die den unterrichtlich-pädagogischen
Belangen ebenso gerecht wird wie den von Seiten der wissenschaftlichen
Forschung zu stellenden Anforderungen, etwa
darin, daß außer der auf S. VI—VIII und S. 43—44 in besonnener
Auswahl mitgeteilten allgemeinen Literatur zur Geschichte
Israels im Laufe der Darstellung bei den zur Behandlung
kommenden Einzelfragen nur wenig Arbeiten genannt
werden, dafür aber durchweg solche, die wirklich zur Klärung
dieser Fragen beitragen und den Leser sachgemäß mit ihnen
vertraut zu machen vermögen.

Eine „Einleitung" (S. 1—44), die in § 1 „Israel" sprachlich
und sachlich zu bestimmen sucht, in § 2 „Das Land
Israels" beschreibt, in § 3 „Die geschichtliche Lage im Lande
um 1200 v. Chr." umreißt und in § 4 „Die Quellen der Geschichte
Israels" vorführt, eröffnet das Buch. Dann folgt die
Darstellung des in vier Teile gegliederten Geschichtsverlaufes,
Der erste, „Israel als Zwölf Stämmebund" (S. 45—120) handelt
in drei Kapiteln von der „Entstehung der israelitischen
Stämme", von dem „Bund der israelitischen Stämme" und
von den „Traditionen des Zwölfstämmebundes", setzt also
nicht etwa, wie man erwarten könnte, mit der Behandlung
der durch die Patriarchen gekennzeichneten „Anfänge" Israels,
sondern mit der Beschreibung der von den Stämmen in Palästina
besetzten Gebiete und der zu diesem Ergebnis führenden
Landnahme ein, um dann den Zusammenschluß dieser
Stämme zu einem Bunde zu erörtern und erst an dritter Stelle
die innerhalb dieses Bundes gepflegten Erinnerungen an die
Beireiung ausÄgypten, an die Erzväter und an den Bund vom
Sinai zu würdigen. Der Zweite Teil, „Das Leben des alten
Israel in der palästinisch-syrischen Welt" (S. 121—217),
schildert „Die Selbstbehauptung der Stämme im Kultur-
laude", den „Ubergang zu politischer Machtentfaltung" (Saul,
David, Salomo) und „Das Nebeneinander der Kleinstaaten
Juda und Israel", umfaßt also etwa die zwischen 1200 und
750 v. Chr. liegenden viereinhalb Jahrhunderte. Der Dritte
Teil „Israel unter der Herrschaft altorientalischer Großmächte
" (S. 218—309), führt die Darstellung weiter bis etwa
200 v. Chr., indem er zunächst „Die Zeit der assyrischen und
ueubabylonischen Herrschaft", dann „Die Herrschaft der
Perser und Makedonen" zum Gegenstand hat. Der Vierte Teil,
„Restauration, Verfall, Untergang" überschrieben (S. 310 bis
384), behandelt „Die makkabäische Erhebung und die Erneuerung
des Königtums" sowie „Die römische Zeit" mit
135 n. Chr. als Schlußpunkt.

Uberall zeichnet sich die Darstellung aus durch lebendige
Anschaulichkeit und farbige Frische. Man merkt es ihr an, daß
ihr Autor — langjähriger Herausgeber der „Zeitschrift des
Deutschen Palästina-Vereins", der „Welt des Alten Orients",
der „Beiträge zur Biblischen Landes- und Altertumskunde"
und Verfasser des 1940 erschienenen und demnächst in neuer
Auflage zu erwartenden Buches „Die Welt des Alten Testaments
" — die den Hüitergrund der israelitischen Geschichte
bildende Geschichte des antiken Vorderen Orients ebenso
gründlich kennt wie die Geographie, Topographie und Archäologie
der Bereiche, die für diesen Geschichtsverlauf in Betracht
kommen. So finden diese vollauf die ihnen gebührende
Berücksichtigung, und in gleicher Weise kommt die Bedingtheit
der israelitischen Geschichte durch die Israels Umwelt
bewegenden Geschehnisse zu ihrem Recht. Weiter erhält das
vorliegende Buch durch das sein Gepräge, was S.39L über
die Art der Auswertung des uns im Alten Testament erhaltenen
Uberlieferungsgutes ausgeführt wird. Es ist — so heißt es hier
— nicht damit getan, daß an der geschichtlichen Glaubwürdigkeit
dieser Uberlieferungen je nach Ermessen gewisse Abstriche
gemacht und die dann übrig bleibenden Elemente als
historischer Kern in die Darstellung eingebaut werden. Auch
die Versuche, „die geschichtliche Glaubwürdigkeit in ein einfaches
und gerades Verhältnis zu dem mehr oder weniger sicher
feststellbaren Alter der verschiedenen Uberlieferungen zu
setzen", führen nicht zum Ziel. Vielmehr gilt es, für jede Uber-

') Noth, Martin: Geschichte Israels. Güttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
1950. VIII, 395 S. 1 Kte. gr.8°. DM 16.50; HIw. DM 19.80.

lieferung zunächst die ihre Entstehung und ihre Erhaltung
bedingenden geschichtlichen Voraussetzungen festzustellen.
Erst wenn das geschehen ist, läßt sich abschätzen, „was sie
mit ihrem Inhalt zu unserer Kenntnis vom äußeren Verlauf
der Geschichte Israels beitragen können und was sie nicht
beitragen können". Da es sich hier um Rechnungen mit vielen
Unbekannten handelt, können die Antworten auf jene Fragen
nicht mit mathematischer Sicherheit und Eindeutigkeit
gegeben werden, vielmehr handelt es sich um intuitiv gewonnene
Ergebnisse, die sich „daran als richtig erweisen, daß
sie als evident einleuchten". Während — von der auch hier
vorhandenen Möglichkeit verschiedener Beurteilung dieser
und jener Einzelheit abgesehen — die seine weitaus größere
Hälfte ausmachenden Strecken des Nothschen Buches, die
durch zuverlässige Auswertung der Geographie, Topographie
und Archäologie Palästinas sowie durch kenntnisreiche Berücksichtigung
der Umwelt des Alten Testaments ausgezeichnet
sind, überall dankbare Anerkennung finden werden, ist
mit Sicherheit anzunehmen, daß die Abschnitte, die wesentlich
durch intuitiv gefundene Antworten auf mehr oder
weniger unabhängig von der Uberlieferung aufgeworfene
Fragen bestimmt sind, mancherlei Bedenken, Kritik und
Widerspruch hervorrufen werden. Nun weisen der Dritte und
Vierte Teil des Buches nur vereinzelte Sätze dieser Art auf und
können, aufs Ganze gesehen, auf allgemeine und freudige Zustimmung
rechnen. Um so weniger dürfte das bei dem Ersten
und bei dem Zweiten Teil zutreffen, und so sollen sich die
folgenden Ausführungen nur mit ihnen etwas näher auseinandersetzen
.

Manche werden vermutlich daran Anstoß nehmen, daß
Noth seine Darstellung mit der Beschreibung der von den
israelitischen Stämmen in Palästina besetzten Gebiete und
der dazu führenden Vorgänge, der Landnahme, nicht aber mit
Abraham, Isaak und Jakob beginnt. Indes hat Noth mit den
S. 45f. zur Begründung dieser Stoff-Anordnung gemachten
Feststellungen ohne Zweifel recht, so daß gegen diese Darstellungsart
an sich Bedenken nicht erhoben werden können.
„Natürlich — so heißt es da — haben die Stämme vor ihrer
Landnahme eine Geschichte gehabt, und im AT sind uns bestimmte
Traditionen der Stämme aus jener Vorzeit erhalten,
deren geschichtlicher Gehalt gar nicht anzuzweifeln ist . . .
Jene Traditionen gehören als ganz wesentlicher und entscheidender
Besitz zu dem uns in Palästina bekannten Israel
und sind für uns in diesem Zusammenhang ein geschichtliches
Faktum von fundamentaler Bedeutung, das seine Wurzeln in
der Vorgeschichte Israels hat. Die Geschichte Israels im
strengen Sinne aber als die Geschichte einer bestimmbaren
und einigermaßen sicher abgrenzbaren Größe beginnt erst auf
dem Boden des palästinischen Kulturlandes". So läßt sich die
von Noth nach dem Vorgang Älterer getroffene Anordnung
des Stoffes schon rechtfertigen. Es fragt sich nur, ob sie wirklich
einen festeren Ausgangspunkt zu gewinnen vermag als die
übliche, die mit den „Patriarchen" beginnt, und ob sie wirklich
die von allen Sachverständigen, auch von Noth, als das
Problem der israelitischen Geschichte beurteilte Frage nach
dem ohne jeden Zweifel schon vor der Bildung des israelitischen
Staates vorhandenen Zusammengehörigkeits- und Besonderheitsgefühl
der israelitischen Stämme überzeugender zu beantworten
vermag, als es sonst geschieht. Noth glaubt in
der von ihm — gewiß mit mancherlei Vorbehalten, aber
dennoch in zuversichtlicher Uberzeugtheit — angenommenen
Institution des von Josua begründeten sakralen Amphiktyonie-
verbandes der israelitischen Stämme mit Sichern als Mittelpunkt
, der Lade als Kultsymbol und dem „Gottesrecht" als
höchstem geistigen Besitz den Faktor gefunden zu haben, der
sowohl das Zusammengehörigkeits- als auch das Auserwählt-
heitsbewußtsein der zwölf israelitischen Stämme, also den tiefsten
Gehalt des Namens „Israel" verständlich macht. Dabei
ist er sich durchaus darüber klar, daß dieses Bewußtsein sich
aus älteren Quellen, eben den von der Befreiung aus Ägypten,
von den Erzvätern und vom Sinai-Bund handelnden Traditionen
nährt. Aber die darin beschlossenen geistigen Kräfte
waren doch vor Begründung der altisraelitischen Amphiktyo-
nie mehr oder weniger latent und sind erst durch diese eine
wirkliche Macht geworden. Die eigentliche Geschichte Israels
beginnt daher mit der sich in Palästina vollziehenden Bildung
der israelitischen Stämme, ihrem Zusammenschluß zur Zwölfer-
amphiktyonie und der von dieser geübten Pflege der Erinnerungen
an große Erlebnisse, die Vorfahren der in der Am-
phiktyonie vereinten Stämme zuteil geworden waren, sich