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Ausgabe:

1951

Spalte:

17-30

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Martin

Titel/Untertitel:

Speners Wiedergeburtslehre 1951

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• 7 Theologische Literaturzeltnng 1951 Nr. t 18

mann — mit Christen zu tun. Sollte er mit dem „was ihr Geschichte Gottes mit dem Menschen ist, schon von dem Men-
wollt" in gleichem Atem rechtes und fleischliches Wollen be- sehen ohne Christus zu behaupten und im Christenmenschen
zeichnen wollen ? Paßt zu der sonstigen Theologie des Apostels I weiterhin lebendig. Rom. 7 ist es das Ich, das mit dem „geist-
der Gedanke, daß der Geist Gottes das hemmte und nicht zur 1 liehen" Gesetze übereinstimmt, Gal. 5, 17 das Ich, das durcli
Verwirklichung kommen ließe, was der Mensch will ? Der Geist | den Geist bestimmt ist — und beide Male, auch Gal. 5, eben
hemmt und bricht, was das Fleisch will. Aber von dem das Ich des Menschen selbst. Das Subjekt des ,,was ihr wollt"
Fleische hat Paulus in Rom. 7 deutlich unterschieden, was das ist der von Gott geschaffene Mensch. Er erweist sich in diesem
Ich „will". Auf Rom. 7, 15.19 werden wir hier unter allen Um- von Paulus gemeinten Wollen als Schöpfung Gottes. Die Erständen
zu blicken haben. Diese Verse sind, wie immer man [ lösung des Menschen durch den Geist Jesu Christi knüpft au

die Schöpfung, an den Menschen, sofern er auch jetzt noch
als Gottes Geschöpf mitten in seiner Sünde sich erweist, an.
Der Geist Christi macht ihn frei aus seiner Verkuechtuug

durch das „Fleisch", frei, das ganz und mit der Tat zu sein,
was er kraft seines r,esehaffenseins durch Gott sein soll und
sein will.

die Frage, ob sie für den Christen gelten, beantworte, eine
Sachparallele zu Gal, 5,170. übrigens zeigen sie auch formell
die gleiche Struktur:

Iva fiij ä läv bihftt ravxa rroiijTt
ol ydg 3 &e.Xco rovxo itQaooi»

In Rom. 7 aber ist das OD.atv uufraglich alle in das rechte, mit ,
Gottes geistlichem (7, 14) Gesetze einige Wollen. Wenn der Die vorgetragene Auslegung von Gal. 5, 17c haben die Reformatoren

Apostel sagt: „ihr wollt", SO meint er nicht das Wollen des | vertreten. Weil sie Rom. 7, 14ff. auf den Christenmenschen bezogen, mußte
Fleisches. „Fleisch" und ,', Geist" stehen in einem ganz ver- j innen onne weiteres die Parallele von Gal. 5, 17c und Rom. 7, 15 auffallen,
schiedenen Verhältnis zuni Ich des Menschen. Es ist daher ] So leK' Luther die Galaterstelle in dem Kommentar von ISIS (2,587) ganz
unmöglich, so, wie es z.B. bei Oepke geschieht, von „Knech- im Sinne vnn Rom. 7 aus: „Non facitis, inquit, quae vultls, propter carnis
tang Oes Willenslebens" durch „das Widereinander von Fleisch 1 " '•«""■■"*■"' le!?i «««tli vestrae et solrltuall voluntatl vestrae".

und Geist", in das die Christen „eingespannt sind", zu sprechen
. Geknechtet wird nach Paulus das Willensleben nicht
durch den Gegensatz, sondern allein durch das Fleisch. Der
Gedanke, den Geist als eine fremd-, „das Willensleben"
knechtende Macht zu verstehen, wäre fiir Paulus absurd. Pau-

U1UUUKUU1, MJ, Wie CS Z..JD. ueiuc^lCKsuusui, >"",,

tang des Willenslebeus" durch „das Widereinander von Fleisch ! rebelllonem, repugnantem legi mentlt vestrae et spirituali voluntatl vestrae".

' „Was ihr wollt" — dieses „Ihr" ist „die Vernunft", das „Gemüt", der vovz
von Rom. 7, „euer geistliches Wollen". Nicht anders versteht Luther den
Text in der 1535 herausgekommenen Großen Galatcrvorlcsung. In dem von
Rörer besorgten Drucke heilit es: „Imo caro obstabit, et ita obstabit, ut non
possitis facere, quae libenter velletis". Audi hier also ist das Wollen, das nicht
lus spricht überhaupt nicht formell und neutral von einem I zur Tat kommt, das des „inwendigen Menschen" von Rom. 7 (40 11,91).
„Willensleben", oder (so Th. Zahn) einem „autonomen j Ebenso bei Calvin, mit bestimmter exegetischer Begründung. „Paulus redet
Willen", zu dem ebenso das böse wie das gute Wollen gehörte, H»- "•♦"-"»»>

sondern er hat allein das inhaltlich bestimmte Wollen des
..inwendigen Menschen" (Röm. 7, 22) im Auge. Daher kommt
der Geist Gottes für das, was „ihr wollt", nie als hemmende

Gläubige an. Daher muß man das Wollen nicht von der natürlichen (sündlichcn)
Neigung, sondern von den heiligen Affekten verstellen, die Gott uns durch
seine Gnade eingibt. Also verkündet Paulus: die Gläubigen, wieviel sie sich
auch anstrengen, erreichen trotzdem, solange sie In diesem Leben sind, nicht
und knechtende Macht, sondern nur als der Erfüller und Be- ! sovie|. daß sie Oott vollkommen dienen. Sie wollen und wünschen es zwar,
freier zu stehen. „Das Gesetz des Geistes . . . hat dich befreit [ aber dem entspricht nicht die volle Wirkung." Auch Calvin weist dann auf
von dem Gesetze der Sünde und des Todes", Röm. 8, Z. (Am j Röm-7, H MS. als die ausführlichere Sachparallele (im Kommentar zu Oal.
Ende seiner Auslegung spricht Oepke das auch aus: durch die ; s. l7>-

„Völlige Hingabe an den Geist" „findet das eigene tiefste | Wir werden, unbeschadet unserer anderen Interpretation von Rom. 7,

W ollen des Menschen Erfüllung". Aber diese Erkenntnis hätte Uff., in dem Verständnis von Oal. 5, 17 zu den Reformatoren zurückkehren
uie übrige Auslegung von V. 17c durch Oepke verhindern

müssen. Unter den neueren evangelischen Exegeten ist mir die richtige Deu-
lnussen.) Paulus spricht nicht von einem neutralen Ich, über | tung nur bei H. W. Beyer (im NTDeutsch) begegnet: „Nicht er, der kraft

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das die fremden Mächte, bald das Fleisch, bald der (reist
kommen. Solidem das Ich ist immer das in Röm. 7, tjii. gemeinte
, und für dieses ist der Geist keine fremde Macht, die
es hindern könnte, das zu tun, was es „will" — denn dieses Ich

lose Mensch mit seinem guten und doch so schwachen Willen, braucht von
sich aus den Ansturm des naturhaften Begehrens abzuwehren. Wenn es so
wäre, käme immer wieder das gleiche Ergebnis heraus: ein Tun, das das Gegenteil
dessen ist, was der Mensch eigentlich will." Ich selber habe das in meiner

will ja in der Richtung des Geistes. Man muß also Gal. 5, 17 Neubearbeitung von Beyers Galaterbrief (5. Aufl. 1949) aufgenommen und

tatsächlich im Lichte von Röm. 7 lesen, auch wenn es sich I unter Hinweis auf Rom. 7, 15.19 die heute meistvertretene Deutung abgelehnt.

Röm. 7 um den vorchristlichen Stand und Oal. 5, 17 um die j Nachträglich fand ich, daß auch R. Bultmann (Christus des Gesetzes Ende.

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Lage des Christenmenschen handelt.

Dabei ist es bezeichnend für die Anthropologie des Apostels
, daß dieses „was ihr wollt" in der inhaltlichen Identität
mit dem „was ich will" von Röm. 7 ein Durchgängiges in der

S. 16 Anm.) das „was ihr wollt" von dem verstehen will, was der Menscli
„eigentlich will, nämlich das, was auch das xve,r</l(i will", und auf Röm. 7,
14 ff. hinweist, wobei Bultmanns nähere inhaltliche Bestimmung dieses Wollen*
hier außer Betracht bleiben kann.

Speners Wiedergeburlslehre

Von Martin Schmidt, Berlin

1.

verbindenden und ausgleichenden Vertrauensmannes, oder
lic«t den verschiedenen Seiten seines Wesens eine tiefere Eüi-
Speners führende und beherrschende Stellung im rieus- -e run(]e p Dje Frage ist dabei nicht in erster Linie bio-
mus gibt dem Nachgeborenen in mehr als einer Hinsicht Fra- .—-^gg, soudern sachlich gestellt. Sie geht dahin, ob Spener
gen auf. Weder die Persönlichkeit noch die Theologie scheint s 1 tbeol' isclle Konzeption besaß, die ihn zu seiner kirchen-
die ungewöhnlich tiefe Wirkung des Mannes zu begründen. llichtl>hcn Roile befähigte, selbst wenn ihre Gestalt nicht

Fehlt es der einen an Kühnheit und Stoßkraft, so der anderen B b hlossener Rei{e odcr begrifflicher Klarheit gelaugt
anyrsprünglichkeitund Geschlossenheit. Spener erweckt viel- £ • .bsorptiouskraft gegenüber den traditionellen Ele-

mehr Acn Eindruck der Milde, der Mäßigung, derZnrtick- ™™*J^$%Ss unvollkommen geblieben ist.

teÄrSle^n^ÄeffiÄ6 Ä, ds Albrecht Ritschis große

seinen, lutherisch-kirchlichen Sinne von Löscher bis Ritsehl bo ene, in. einzelnen >Mld in der^Gwnd

gezollt worden ist, seine vermeintliche dogmatische Gleich- , au fassung T^^^S^nv^erbsTSSSe-
gültigkeit - all das hat sein Bild in der Weise festgelegt, daß hat durch ihre energische Urteilsbildu ig unverlierbar eilige
man in ihm äer einen Vertreter dc" übergangs a?s den An- 1 schärft, daß der Gesainterschemung eine innere Systema

1 zugrunde liegt. Ritsehl bestimmte sie als genaues Gegenbild
EU seinen eigenen dogmatischen Anliegen. Er sah sie im Individualismus
, der einerseits zur religiösen Erotik der mittelalterlichen
Brautmystik, andrerseits zur bentfsfemdlichen

diesem zunächst literarisch gemeinten Urteil steht das sachliche. Die in dtm
genannten Aufsatz nach Goebels und Goeters' Vorgang behauptete literarische
Abhängigkeit der Pia Deslderia von Labadies Schrift „La reformation de
l'eglise par le pastorat" hat Kurt Aland, Spener-Studlen I 1943, 41 ff., umlassend
und überzeugend widerlegt.

') Albrecht Ritsehl, Geschichte des Pietismus. 3 Bde. 1880-IS8». Spener
ist in Bd. 2 behandelt.

länger einer neuen Bewegung sieht1. Auf der anderen Seite
bleiben die im bestreitbaren Tatsachen bestehen, daß er mit
den separatistischen Kreisen des Spiritualismus trotz aller Abgrenzung
sachliche und persönliche Verbindung gehalten, insbesondere
die überragende Gestalt Gottfried Arnolds in ihrem
Werden bestimmt und begleitet hat. Ist er nur Sammelbecken
oder Eklektiker*, eignet ihm nur das persönliche Charisma des

') Vgl. zuletzt Arnold Schleiff, Selbstkritik der lutherischen Kirchen im
17. Jahrhundert 1937, 174 ff.

*) Zum Beispiel Kurt Dietrich Schmidt, Labadie und Spener ZKU XLVI
(N F. IX), 1928, 5S3: „Die Pietisten waren nun einmal Eklektiker". Hinter