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Ausgabe:

1951 Nr. 5

Spalte:

309-311

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Gogarten, Friedrich

Titel/Untertitel:

Die Kirche in der Welt 1951

Rezensent:

Wehrung, Georg

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 5

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Demut, die zu solcher Erfahrung gehört, besteht in der radikalen
Beseitigung aller Zugaben, die der Mensch der Erfahrung
Hinzufügt, damit den eigenen Sinn derselben verdunkelnd.
Erst in der Wirklichkeit, wie sie wirklich ist und sich gibt,
Dezeugt sich Gott. An die Stelle der im Erfahrenen gedachten
Substanz tritt dann nicht ein sogenanntes Existenzielles,
Punktuelles und Funktionelles, sondern das Geschöpf. Freilich
wäre dann zu fragen, ob Luther nicht teilweise noch am Substanzdenken
hängen blieb, etwa in der Lehre vom Menschen
als Leib und Seele.

1 »14 Schließlich fordert die methodische Frage nach dem Verhältnis
von Theologie und Philosophie unsere Aufmerksamkeit.
*.le sollen, sagt der Verf., bei gegenseitiger Abhängigkeit voneinander
lernen. Aber was sie voneinander lernen können, worin
ihre Berührung bestellt, erfahren wir nicht. Dem können
wir nur zustimmen; es muß erst am konkreten Beispiel erprobt
«erden. Blicken wir nun nach gemachtem Versuch auf diesen
f-uruck, so scheint uns, daß Metzkes philosophische Meditation
in allzu großer Nähe zum theologischen Stoff bleibt. Das hängt
«ohl damit zusammen, daß er sich nur auf einen Ausschnitt
oezieht, auf Luthers Sakramentsschriften. Dagegen ist an sich
nichts einzuwenden, aber es kann nur ein Ausgangspunkt sein,
7 dle ganze Weite des Denkens des Reformators zu durchfragen
. Theologie hat einen individuellen Gegenstand, Jesus
J-nnstus, und bezieht alles Allgemeine auf diesen; Philosophie
oewegt sich von Haus aus im Allgemeinen, und nichts wäre
verkehrter als ihr eine christologische Begründung geben zu
wollen. Theologie braucht eine Reihe von allgemeinen Begatten
und Sätzen, die sie der Philosophie oder den Einzel-
wissenschaften entnimmt, und nicht jede Philosophie ist dazu
m gleicher Weise geeignet. Vielleicht stellt es mit Luthers theologischem
Denken so, daß er sich spontan und nur halb bewußt
philosophischer Einsichten bedient, deren adäquater
Ausdruck in der Geschichte der Philosophie noch gar nicht
vorhanden ist. Diese können aber nicht theologisch begründet
nunft611' S°ndem Smd Gegenstand der philosophisch«! Ver-

Diese grundsätzliche Frage findet bei unserm Verf., soweit
wir sehen, kerne Entscheidung. Aber das kann der Anerkennung
semer bedeutsamen Leistung keinen Eintrag tun.
Wtt durten mit Spannung auf die in Aussicht gestellte Arbeit
Luthersawartenamtpr0bleni ^ PhilosoPhiscllen Bedeutung

Paris Theobald Süß

Gogarten, Friedrich, Prof. D.: Die Kirche in der Welt. Heidelberg:

L. Schneider [1948]. 186 S. gr. 8-. Geb. DM7.20.

Es ist eine ethische Frage, auf die der Titel dieses Buches
«maust uhrt. Wie vertragen sich die Kirche und die neuzeit-
tnam ' d- h- die Welt (ler säkularisierten Freiheit, recht-
mauigerweise ? Sie vertragen sich, wenn die Kirche auf eine
'ihr oku ere christ'iclie Ethik, die das weltliche Leben unter
«•lr 1 nehmen will, verzichtet, und wenn die Welt nur
wirklich Welt bleiben will, sich und ihre Ordnung nicht ver-
lPit jWOZU gerade die Kirche helfen kann. Schon im einleitenden
Kapitel bereitet Gogarten diese Absage an eine
; j'ctle Ethik vor, um sie in dem zusammenfassenden letzten
Abschnitt nochmals nachdrücklich zu unterstreichen: es
Kommt mir vor, als wäre das Buch von ihm um dieser These
wiuen, gewissermaßen zur Rechtfertigung einer früheren Haltung
, geschrieben. Seine Gründe: sonst wäre die Kirche selbst
eine welthafte Größe, die zugleich eine ewige Gesetzesmacht

1 Anspruch nimmt. Andererseits genüge zum Verständnis des
^esetzes, von dem die Welt lebt, die vernünftige Erkenntnis.
*S* zw<llte Behauptung könnte sich nur scheinbar auf Luther
siutzen, denn Luther hat die Kehrseite der Münze, die innere
ni^Tf -atik der Vernunft in allen letzten Entscheidungen,

jcnt minder deutlich wahrgenommen, — Verf. weiß davon

icnts zu sagen. Und warum soll es eine christliche Ethik nur
seoen, wenn darin ein offenbartes, von der Kirche auszulegcn-
w!ifUnt,er lhrer Leitung zu befolgendes Gottesgesetz für die
Off geIehrt wird ? Könnte nicht viel mehr in der biblischen
ienbarung eine übergreifende und zielweisende Wahrheit
««leuchten, die den Christen bei ihrem selbständigen Ringen
lir-h ^sachlichen Aufgaben und Nöten der Welt eine wesent-

*-ue Hille wird, wobei ihnen kein vorausgegebenes kirchliches
en f 5 ^ Wagnis des Handelns und die Verantwortung be-

ngt . Gogarten gerät übrigens mit sich selbst in Widerspruch,
wenn er im Kirchengedanken des Epheserbriefes, den er im

leutestamentlichen Abschnitt in den Mittelpunkt stellt, aus-
St-aruckt fmdet, die Kirche sei nicht ein Bereich neben
«uiaeren, sondern sie sei „die Welt", ,,ein die ganze Geschichte
einlassendes, durchhaltendes Geschehen, durch das das Ant-

12 der Erde in allen seinen Zügen verwandelt wird".

Mit dieser Uberantwortung des Lebens in der Welt an
die säkulare, in sich vermeintlich feststehende Vernunft geht
Hand in Hand eine andere These, die sich die johanneischeu
Aussagen von dem ursprünglich jedermann erleuchtenden, zuletzt
personhaft menschgewordenen Logos zunutze macht: es
ist die These von der Einheit des wesentlichen Menschen-
worts, das die Grundverfassung der menschlichen Existenz
ausmacht, und des Gottesworts, das sich in Jesus Christus verkörpert
, also zwischen Gott und den Menschen gesprochen
wird, ,,weil es dieselbe Existenz ist, in der die Menschen vor
Gott leben, wie die, in der sie untereinander leben". Die behauptete
Selbigkeit ist merkwürdigerweise wieder ganz undialektisch
gefaßt. Unter der Brüchigkeit des Menschwortes,
das den Hang hat, uneigentlich, falsch, larvenhaft zu werden,
und dem Verschleiß der menschlichen Existenz durch leeres,
entstellendes Gerede leidet Verf. anscheinend nicht — ganz
anders als der große Sophistengegner Plato vor mehr als
2000 Jahren, man lese seinen Gorgias —; die Notwendigkeit der
Heilung des immer irgendwie falschen Menschenwortes, also
auch der falschen menschlichen Existenz wird auch nicht aufgezeigt
. Wenn W. Schubring einmal als Kennzeichen idealistischen
Denkens außer der Autonomie die Identität genannt
hat, dann berührt sich Gogarten, der sich einst vom Einfluß
Troeltschs freigemacht hat, hier doch sehr mit dem sonst so
verpönten Idealismus.

In diesen Grundgedanken stellt sich eine Position dar,
die in den dreißiger Jahren von einer tatkräftigen Gruppe vertreten
ward, deren bedeutendster Wortführer damals E. Hirsch
war (vgl. Leitfaden 1938 §75: keine christliche Weltorientierung
oder christliche Lebensweisheit; § 102: die sog. christliche
Ethik ein Mißverständnis). Das Buch Gogartens zeigt
uns, daß jene ethische These heute noch aufrecht erhalten
wird. Es hat auch bis jetzt an einer wirklichen Auseinandersetzung
mit ihr gefehlt; eine solche ist dringend vounöten.

Es wären wohl auch hinter einigen anderen Thesen des
Buches Fragezeichen anzubringen. Sind Gesetz und Evangelium
auch bei Luther, vollends bei Paulus einfach eins ?
Sind sie nicht zuerst zweierlei, von tiefer sachlicher Gegensätzlichkeit
? Gewiß gebraucht die Kirche ihr Bekenntnis nur
dann richtig, wenn sie sich nicht mit ihm zu sichern sucht, ist
es aber die Aufgabe eines solchen von Menschen geschaffenen
Bekenntnisses, die Sünde der Kirche aufzudecken ? Sollten
wir das nicht lieber dem Gotteswort selbst überlassen ? Darf
das Bekenntnis überhaupt Gesetz sein wollen ? Oder gründet
sich die Solidarität der Kirche mit der Welt gerade darauf,
daß sie sich selbst noch als Welt erkennt ? Wäre das nicht eine
sehr unfruchtbare Solidarität ? Wie war das bei Jesus Christus ?

Im Titel dieses Buches ist ein Versprechen verborgen, um
dessen Erfüllung Verf. sich in der Tat bemüht: biblische und
kirchliche Begriffe in heutigen Menschen verständlichen Ausdrücken
wiederzugeben. Sünde z. B. wird als Verschlossenheit
der Welt in sich selbst charakterisiert, Glaube als Offenheit
für Gott, Rechtfertigung als Empfangen seines Personseins,
seiner wahren Existenz aus dem Worte Gottes, was nur im
Sich-selbst-verlassen geschieht, — freilich wäre eine Nachzeichnung
dieses Vorgangs dringend erwünscht gewesen. Aber
so bleibt die Sprache durchgängig formalistisch-abstrakt und
monoton, was die Aneignung der Gedanken selbst nicht gerade
erleichtert. Wird der Sinn des Kreuzes uns verständlicher,
wenn gesagt wird, Christus habe nach dem Willen Gottes die
Nichtigkeit der ganzen Welt auf sich genommen, dort habe die
Nichtigkeit Gewalt über ihn erlangt ?

Auf wichtige Fragen erhalten wir mehr nebenbei Antwort
, übrigens eine gute Antwort. Kirche ist das Geschehen
der göttlichen Offenbarung; sie verwirklicht sich durch Hören
und Verkündigen des Evangeliums, sie ist immer in Bewegung
. Sie stellt sich also in der selbständigen Gemeinde dar!
Von einer Amtskirche hören wir billigerweise nichts. Auch die
Rechtskirche ist fern; daß ein wenigstens auf einen mathe-
mathischen Tunkt zusammengezogenes göttlich-kirchliches
Recht dem Evangelium keimhaft einwohne, wie es sich die
besten Juristen, aber auch K. Barth bislang vorstellen, bleibt
ausgeschlossen. „Was an der Kirche institutionell ist, ist ohne
jede Einschränkung ein welthaftes Gebilde." Vergesetzlichung
verkehrt das Wort Gottes! Eine genauere Begründung freilich
fehlt. — Statt sich um die längst erstorbenen Fragen der sog.
Konfessionen zu bemühen, sollten die Kirchen alle Kraft
daran setzen, den heutigen von allen Seiten bedrängten Menschen
zu einer echt personhaften Existenz zu verhelfen. Ab-
zutun ist das Christentum des Gesetzes, das aus dem Wort der
Kirche eine gesetzliche Lehre, aus ihrem Glauben das Fürwahrhalten
einer Reihe von Sätzen macht. ,,Es ist nicht so,
daß es darauf ankäme, an eine Gerechtigkeit zu glauben, die
durch die Tat eines anderen, also etwa durch den Tod Christi