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Ausgabe:

1951 Nr. 5

Spalte:

299-300

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Cassianus, Johannes

Titel/Untertitel:

Weisheit der Wüste 1951

Rezensent:

Chambon, Joseph

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Seite 1

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299

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 5

300

mittel (S. 50, 52 u. ö.) und weist nachdrücklich auf die Bibel
als die Grundlage hin (S. 61 u. ö.). Prinzipiell stimme ich dieser
Einstellung durchaus zu und verkenne auch nicht, daß eine
Fülle richtiger Beobachtungen und methodisch guter Bemerkungen
über den ganzen Abschnitt verstreut sind. Aber
zuweilen macht sich Verf. die Aufgabe doch etwas zu leicht
und unterschätzt die Bedeutung des philosophischen Einschlags
bzw. stellt den Kontakt mit der Bibel zu rasch her.

So bemüht er sich um den Nachweis, daß der „fundauieu-
tele begrip" (S. 56) der oratio das Mysterion sei, der aus
1. Tim. 3, 16 entlehnt sei und dartun solle, daß die Heilswahrheit
verborgen anwesend sei (S. 58 u. ö.). Aber dieser Schluß
ist zu voreilig. Wer die Schriften der Alexandriner kennt, weiß,
welch große Rolle bei ihnen die Termini der Mysterienreligionen
spielen, ohne daß dies inhaltliche Verschiebungen zur
Folge gehabt hätte. Gregor setzt diesen Sprachgebrauch fort,
wofür sich zahlreiche Beispiele aus allen seinen Schriften anführen
ließen. Die Verwendung von Mysterion ist nur ein Beispiel
für diese Einstellung und muß als ein Glied eines übergreifenden
Ganzen gewertet werden. Es wird daher nicht angebracht
sein, in diesem Wort den „fundamentalen Begriff"
des ganzen Systems sehen zu wollen und es ohne weiteres mit
einer Bibelstelle in Zusammenhang zu bringen und aus ihr abzuleiten
.

Ebenso anfechtbar ist das Bestreben des Verf.s, die altchristliche
Eschatologie in Gregor hineinzulesen, ihren Realismus
zu behaupten und alle Spiritualisierung abzulehnen. Man
darf sich dafür aber nicht auf oratio XVII, S. 74, 3 Srawley
berufen, denn die Wendung toi)? ineQxo/iivovt; almvas ist recht
matt und unbestimmt (S. 59). Noch anfechtbarer erscheint es
uns, wenn Verf. das Verlangen nach Enthüllung der göttlichen
Wirklichkeit als Eschatologie im urchristlicheu Sinne bezeichnet
(S. 69). Beim Heranziehen des ganzen einschlägigen Materials
aus allen Schriften Gregors und seiner sorgsamen Auswertung
wäre schon der Gegensatz zur ursprünglichen Eschatologie
deutlich geworden, zumal wenn man bedenkt, daß
Gregor die origenistische Tradition fortsetzt und die Eschatologie
von seinen mystischen Erfahrungen aus umgestaltet.

Endlich darf ein letzter Punkt auch in einer kurzen Rezension
nicht unwidersprochen bleiben. Verf. meint, Gregors
Glaubensleben, wie es sich in der oratio ausspricht, nur dann
recht in der Tiefe erfassen zu können, wenn er es mit zeitgenössischen
liturgischen Formularen vergleicht (S. 69). Methodisch
ist dieses Verfahren recht eigenartig. Näherliegender
und richtiger wäre es natürlich gewesen, die anderen Schriften
Gregors zum Vergleich heranzuziehen, um das gemeinsame
Gut und zugleich die besonderen Formulierungen und Zuspitzungen
der oratio recht erkennen zu können.

Was die Ubersetzung selbst betrifft, so gibt Verf. als
sein Ziel an, in der Wiedergabe eine Kombination von Treue
und einer gewissen Freiheit zu erstreben (S. 20). Auf nieinen
Wunsch hin hat mein Kollege Prof. Dr. E. L. Rapp, der des
Holländischen mächtig ist, die Übertragung genau geprüft.
Sein Urteil geht dahin, daß sie klar und verständlich, sowie
in schöner, gepflegter Sprache geschrieben sei.

Es wäre zu begrüßen, wenn diese so verheißungsvoll begonnene
Reihe in größerem Umfang fortgesetzt würde.

Mainz Walther Völker

Cassianus, Johannes: Weisheit der Wüste. Auswahl und Übertragung von
P.Alfons Kemmer, O.S.B. Einsiedeln/Köln: Benziger [1948]. 199 S. 8"
= Licht vom Licht. Eine Sammlung geistlicher Texte. Bd. VII, hrsg. v.
Prof. Dr. Xavier von Hornstein u. Dr. P. Maximilian Roesle. Lw. sfr. 9.20
Der theologisch ausgezeichnete Verlag Benziger bietet hier
aus der Hand von Pater Kemmer sorgfältig ausgewählte
Quellenstücke aus den kirchengeschichtlich so bedeutsamen
Instituta und Collationes des Abtes Johannes Cassianus von
Marseille (360 bis ca. 434); zu der Ausgabe ist zu vergleichen
die Monographie „Benediktiner Mönchtum", St. Ottilien 1929.
Cassianus war zuerst Mönch in Bethlehem, dann 14 Jahre in
Klöstern Oberägyptens, wurde dann von Johannes Chryso-
stomus in Konstantinopel kirchlich geweiht und schrieb im
letzten Teil seines Lebens als Abt zweier südfranzösischer
Klöster in Marseille dieses Handbuch mönchischer Seelsorge,
er selbst eine lebendige Brücke zwischen dem ältesten Mönchtum
des Orients und dem kommenden Mönchtum des Abendlandes
.

In der geschichtlichen Längslinie der Mönchsidee lassen
sich deutliche Stufen unterscheiden, läßt sich ein fast ruckweises
Fortschreiten durch programmatisierende Persönlichkeiten
beobachten: von Antonius, dem einsamen Wüsten-
Anachoreten, zu Pachomius, dem Vater des koinobitischen,
kollektivisierten Mönchtums; von diesem zu Basilius und
dessen „Regeln" für die Mönche des Morgenlandes, — und dann

im Abendland Benedikt von Nursias „Regeln", bis zum extravertierten
Mönchtum der Exercitien Loyolas. Cassians Handbuch
steht unmittelbar hinter Basilius und hat nach ihm
Benedikt und den Späteren als Unterlage gedient.

Für Cassian ist das Mönchtum der Bereich der „anderen
Mittel" auf dem Weg zur Vollkommenheit. Ein genialer Vorläufer
der Unterbewußtseins-Psychologie unseres Jahrhunderts
, definiert er „die Abhängigkeit aller Seelenzustände
vom Seelengrund" —, denn „die (subjektiven) Formen der
Andacht fließen aus den tiefsten Gemächern der Seele nach
oben". Die Heiligung des Mönches verwirklicht sich erstens
negativ durch Austreibung aller Laster, und danach im
„Tugendbau" durch ein demütiges Leben der Abtötung und
der Askese. Für die letzteren gilt die Regel der „discretio", das
Unterscheidungsvermögen im Sinne des Maßhaltens. In der
seelsorgerlichen Praxis wird großer Wert gelegt auf Selbstprüfungen
, intravertierte Analyse und Klassifizierung erreichter
Grade. Ein großer Teil des Buchs ist der Gebetspraxis gewidmet
, sowohl dem einfachen Gebet, wie dem Vaterunser, als
auch dem „höheren" (mystischen) Gebet. Stereotype Einfonn-
gebete (fast denkt man an jene heidnische Formel von der
Lotosblume) werden empfohlen, gerichtet au den Gott der
Psalmen; der Grundgedanke Cassians ist später in den gehäuften
kurzen Ave-Maria's auf anderer Ebene wieder aufgenommen
worden. Eine besondere Schönheit inmitten mancher
Krankhaftigkeiten erblüht in dem Abschnitt über die
„vollkommene Liebe": die, als Liebe zum Guten (Sohnesliebe
gegenüber Gott) durchaus dem Liebeswerk in Hoffnung auf
Lohn („Taglöhnergeshmung") und erst recht dem guten Werk
aus Furcht vor Strafe („Sklaventum") übergeordnet wird.
Wegen derartiger Heterodoxien ist denn Cassian niemals im
Okzident zur „Ehre der Altäre" erhoben worden; Fenelou
hatte die gleiche Auffassung 1699 durch eine Verdammung
der Bischöfe zu büßen. Es ist aber reizvoll sich zu erinnern,
daß die „petite Therese de Lisieux" dennoch eine große Heilige
dieses Jahrhunderts werden durfte, obwohl sie in ihrer „Geschichte
einer Seele" (Kap. 11) sich in wundervoller Weise von
Lohn- und Werkgerechtigkeit gelöst und ihr Tun auf den
einigen Grund der Liebe gestellt hatte. — In summa ist das
Buch von Kemmer mitsamt Erklärungen und Sondernoten
dankbar zu begrüßen und sehr zu empfehlen.

Saland/Zürich Joseph Chambon

Supplementum Epigraphicum Graecum. Adiuvantibus G. Klaffenbach,
Berolini, et M. N. Tod, Oxonii. Redigendum curaverunt J. J. E.Hondius,
Hagae Comitis, et A. E. Raubitschek, in Universitate Princetoniensi.
Volumen Decimum. Leiden: Sijthoff 1949. X, 174 S., 3 Taf. gr.8".
hfl. 22.50.

Nicht nur die Epigraphiker danken es Hondius, daß er
mit großem Fleiße und einer peinlichen Genauigkeit, die auch
an Jota und Häkchen nicht vorübergeht, die älteren Inschriftensammlungen
laufend ergänzt: die Forscher, die das
Grenzgebiet bestellen und das epigraphische Einzelschrift-
tum nicht immer bequem zur Hand haben, sind dem niederländischen
Gelehrten besonders verbunden. Während die letzten
Bände (VIII und IX) eine reiche Nachlese aus Palästina,
Ägypten und dem übrigen Afrika brachten, kehrt das heute
vorliegende Stück nach Altgriechenland zurück und sammelt
ältere attische Texte: teils neue Funde, teils bereits bekannte
Inschriften, zu denen Ergänzungen geliefert werden oder Literatur
nachzutragen ist. Der Theolog wird hier für die griechische
Sprache der LXX und des Neuen Testamentes nicht viel
lernen. Aber der Ertrag für die Religionsgeschichte ist bedeutend
. Verschiedene der mitgeteilten Urkunden betreffen
Eleusis (z.B. das eleusische Finanzwesen, Nr. 6); auch ein
paar eleusische Weihungen werden behandelt (333ff.). Einige
Texte, leider meist recht verstümmelt, bieten Religionsgcsetze
(38, 42, 64). Der Reichtum vieler Tempel wird dadurch anschaulich
, daß Verzeichnisse der gestifteten Gaben erhalten
sind (i84ff.); für das fromme Brauchtum ist bemerkenswert,
daß sich darunter silberne Becher, silberne Leuchter, silberne
Räuchergefäße und silberne Weihwasserbecken (aporrhanteria)
befinden. Wir erfahren von Grenzsteinen, auch von solchen
heiliger Bezirke (357ff.); einer dieser Steine, mit bemerkenswerter
rasura, legt die heilige Straße nach Eleusis fest. Mehrfach
ist von Eidesleistung die Rede; die Eidesformel wird mitgeteilt
(11, 17). Auch der Fluchzauber fehlt nicht (394/5 zwei
Bleitafeln). An der Spitze des Bandes finden sich gute Bilder
dreier verstorbener Epigraphiker (Hiller von Gaertringen,
P. Roussel, E. Ziebarth). Wir wünschen der Sammlung
rüstigen Fortgang (der nächste Band, mit Inschriften aus der
Pelopounes, ist bereits im Drucke).

Leipzig-Großpösna J. Leipoldt