Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1951 Nr. 5

Spalte:

291-293

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kuhn, Karl Georg

Titel/Untertitel:

Achtzehngebet und Vaterunser und der Reim 1951

Rezensent:

Dietrich, Ernst Ludwig

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

291

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 5

292

Werk Christi und die göttliche Gerechtigkeit dem Menschen
».ugute kommen.

Vielleicht ergibt sich von der Lehre von den zwei Maßen
,,zur Rechten und zur Linken" auch für eine Stelle wie 2. Kor.
6, 7 ein neues Verständnis. Gewöhnlich hat man „zur Rechten
und zur Linken" auf „Waffen" bezogen und dann so ausgelegt
, als sei hier von den Angriffs- und Verteidigungswaffen
die Rede. Es ist aber auch möglich rwv SeI-icöv xal ägiaregviv
als gen. explicativus zu ötxaioavvrjg zu ziehen, wobei etwa zu
übersetzen wäre: Waffen der Gerechtigkeit, die in Milde und
Strenge bestehen. Jedenfalls ist die Studie von Ljungman eine
wertvolle Weiterführung und Korrektur der Arbeiten von Sjö-
berg, Schrenk und K. G. Kuhn. Auch müßten ihre Ergebnisse
bei einer etwaigen Neuauflage des Kitteischen Wörterbuches,
besonders des Art. <5ef«fc von Grundmann, dringend berücksichtigt
werden.

Tübingen H. H. Schrey

Kuhn, Karl Georg: Achtzehngebet und Vaterunser und der Reim.

Tübingen: Mohr 1950. III, 51 S. gr. 8°= Wissenschaftliche Untersuchungen
zum Neuen Testament, hrsg. v. Joachim Jeremias u. Otto Michel. 1. H.
DM 6.80.

Während Elbogen in seiner Geschichte des jüdischen
Gottesdienstes (Der jüdische Gottesdienst in seiner geschichtlichen
Entwicklung, Frankfurt a. Main 1924) die bewußte
Verwendung des Reimes in der hebräischen Gebetsliteratur vor
der Pijjut-Dichtung, also vor dem 6. Jahrhundert n. Chr., in
A.brede stellt, will der Verf. nachweisen, daß schon der Grundstock
des jüdischen Gebetbuches, die Stammgebete aus der
Zeit der Mischna und der Talmudim, den Endreim aufweisen;
ja er findet ihn schon gelegentlich, wenn auch nicht als bewußt
dichterisches Gestaltungselement, im Alten Testament und
führt als Beweis dafür einige poetische Stellen der hebräischen
Bibel an. In den Stammgebeten hingegen soll der Endreim zur
Absieht des Dichters gehören, wie Kuhn an Abschnitten aus
dem Schema' am Morgen, dem Emet we-jassib, dem Schema'
am Abend, dem Haschkibenu, dem Schlüsse des Sabbat-
Musaf, dem Musaf für Neujahr, dem Abinu Malkenu (Anfang
des 2. Jahrhunderts) zu zeigen versucht. Das ist ihm ein Hin-
weis darauf, daß auch das Achtzehngebet in der ältesten uns
bekannten Gestalt den konsequent durchgeführten Reim hat.
Es ist gegen Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. geordnet worden
und reicht möglicherweise in vorchristliche Zeit zurück. Ältere
und bessere Texte davon (in palästinensischer Rezension)
haben wir jetzt aus der Kairoer Geniza, in denen der Reim,
wenigstens in den 12 Berakhot des Mittelstücks, durchgängig
vorhanden ist.

K- knüpft bei seiner These an das Urteil W. Meyers an, das dieser in
seiner 1885 erschienenen Abhandlung „Anfang und Ursprung der lateinischen
und griechischen rhythmischen Dichtung" aufgestellt hat: daß der lateinischgriechische
Reim mit akzentuierendem Metrum, wie wir ihn in der altchristlichen
liturgischen Poesie finden, aus der Poesie der Semiten stammen müsse
(anders urteilte Norden, der ihn aus dem Homoioteleuton der antiken Rhetorik
herleitete). K. glaubt diese Ansicht Meyers jetzt genauer dahin bestimmen zu
können, daß der Reim in den Hymnen der altchristlichen (byzantinischen und
lateinischen) Kirche aus der jüdischen Synagoge stamme. Andererseits rückt
mit der Feststellung, daß das Achtzehngebet gereimt ist, auch das christliche
Vaterunser in seiner aramäischen Urfassung in die Kategorie der gereimten
liturgischen Gebete, was der Verfasser an den Rekonstruktionen des Vaterunsers
von Torrey, Burney, Edelmann, Dalman zu erweisen sucht.

Es ist nicht ganz leicht, sich den Aufstellungen des Verf.s ohne weiteres
anzuschließen, weil es zuletzt darauf ankommt, was man unter Reim versteht.
Von einem solchen als bewußtem Kunstreim im vollen Sinne des Wortes kann
man in der Tat erst, wie Elbogen sagt, bei den Pijjutim reden; diese aber verdanken
ihre Form offensichtlich den sie umgebenden Nationalpoesien, etwa
der arabischen oder — in Italien — der provencalischen Dichtkunst. Daneben
mag eine innerjüdische Entwicklung zum Reim, aber anderer Art, als K- sie
sich denkt, mitgewirkt haben: der Durchbruch vulgärer Sprachforni,
die sich gerne des Reims bedient, hier im Judentum des alten Sprichwort-
reinis, wie er sich in echter Gestalt im hebräischen und aramäischen Sprichwort
schon Im I. Jahrhundert n.Chr. nachweisen läßt: Aboth I, 13 (Hille!!)

nhib -qn «ria -u:

t : —: t : -:

t]io? rptrra sb
ribn sonn TOsnur ti a*n «5up nb" ^b-n

Andere Beispiele:

Jeb. 13a ... O'W'O rfbs D^JS V??

Ber. 44b Nnb/io ^""p t»rpiB» 1 «nbaVia« Nrwa nhu

Ta'an. 25a (Chag. 4b) ''bjWl I ""KB ,)ö

BM 69 b tri3D Nb iTON ''N
t : ~~ t t : -

t : - t t : - • :

Qoh. R. VII s. v. AI tibbahel Vjb PRP'*

bDD ■'ISN b»
■• t

Midr. Mischle XXII NVU-n JWSnb

t • : ■ t • - :

KWfOa trosjb

t ■ : : 1 : it :

u. a. m. Demselben Gesetz — daß vulgäre Sprachform in Zeiten literarischen
Niedergangs hoffähig wird — kann man auch das Aufkommen des Reimes in
der lateinisch-griechischen christlichen Liturgie — an Stelle des altklassischcn
Metrums ohne Reim — zuschreiben: die volkstümliche Freude am Gleichklang
wird maßgebliche Form. Es bedarf hierzu nicht der Herleitung des
Reimes aus einer fremden, in diesem Falle sogar einer semitischen, d. h. dem
griechisch-lateinischen Formsinn ganz inkommensurablen Sprache, deren Gebetsliteratur
hie und da zwar inhaltlich Einfluß auf die christliche geübt hat,
deren literarische Formen jedoch den altchristlichen liturgischen Dichtern im
großen ganzen unverständlich bleiben mußten.

Die Flexionsreime der altjüdischen Stammgebete, die K. als „Reime"
nehmen will, sind in diesem Sinne keine vollgültigen Reime — erst recht nicht
in den von K. aufgeführten Stücken aus dem Alten Testament. Daß die alten
Gebete in der talmudischen Literatur wie Joser Ahaba, Ge'ulla, Widduj,
Schemone 'Esre, solche Flexionsreime aufweisen, ist an sich keine neue Entdeckung
und schon von Franz Delitzsch, Zur Geschichte der jüdischen
Poesie, Leipzig 1836, S. 132, festgestellt worden. Er fügt noch als weitere Beispiele
dafür die Privatgebete großer Lehrer (vorzüglich im Traktat Berakhot),
die rituellen Fürbitten, gegen 50 Stücke des heutigen Siddur, Zauber- und
Abwehrsprüche im Traktat Schabbat, die paar lyrischen Gelegenheitsgedichte
u. dgl. hinzu. Der Flexionsreim der alten Gebete ergibt sich mehr oder weniger
unbewußt und von selbst bei der feierlichen Aufzählung etwa der Ehrenprädikate
der Gottheit im Hymnus (in Form gleichartig geordneter Partizipia oder
Relativsätze), deren Monotonie (gesungen zu denken!) die Feierlichkeit erhöht.
Nicht anders verhält es sich in der byzantinischen Liturgie, wofür P. Kahle
in „The Kairo Geniza" London 1947, S.28ff., einige Beispiele gibt, die nicht
notwendig auf jüdischen Einfluß zurückgehen müssen.

So bedenklich man also der Bezeichnung „Reim" für die aus der Flexion
der Sprache herrührenden Assonanzen der altjüdischen Stammgebete gegenüberstehen
mag, so wertvoll ist doch wiederum die Untersuchung K.s an den
Texten des Schemone'Esre und des Vaterunsers auf Grund dieser Gleich-
klänge. So ist entschieden von Interesse, daß — die restlose Anwendungsmöglichkeit
der Theorie K s auf die Flexionsendungen der Bitten des aramäisch
rekonstruierten Vaterunsers vorausgesetzt —dem äjib tov norrj^ov der7. Bitte
ein aramäisches nj^ilJ 1p „von dem Satan" entsprochen haben könnte, weil
N3t3iB sich auf die Ausgänge der vorangehenden Bitten (SWVOS ■WITI)

ttt t S • t ~ t"

„reimt".

Zu einzelnem: Von allen Theorien, die über emovoiog
(S.35L) aufgestellt worden sind, und denen Kuhn eine neue
hinzufügt („unser Brot, soweit für den Tag nötig, gib uns
[heute]", wobei „soweit für den Tag nötig" absichtlich in der
Schwebe zwischen „Brot" und „gib uns" bleiben soll), dürfte
doch diejenige, die es als „kommend, morgig" auffaßt, noch
die ansprechendste sein; darauf weist einmal der Ausdruck
ertiovoa r'jfiega und irtwvaa vvl- (Act. 7, 26. 23, n), dann das
"ITDO des Hebräer-Evangeliums, das trotz der hier vorliegenden
Rückübersetzung doch ein Zeuge für alte Tradition bleibt. —
Kuhn findet die Doxologie im Hinblick auf die Struktur der
alten Gebete von der Art des Schemone 'Esre und des Vaterunsers
„legitim". Damit macht er aber wahrscheinlich, daß das
Vaterunser von vornherein ein liturgisches Gebet gewesen ist.
also der altchristlichen Gemeinde und ihrem Kultus angehört.
Ob Achtzehngebet und Vaterunser ursprünglich nur tägliches
Gebet des Einzelnen gewesen sind (S.40), um nachträglich
Gebete der Gemeinde zu werden ? Es ist doch eher anzunehmen
, daß sie zuerst tägliche Gebete einer Gemeinschaft
in einem täglich vollzogenen Kultus („unser Vater"), in der
christlichen Urgemeinde also Gebet des kultischen Christus
und der Semen gewesen sind und von da aus erst dem Einzelnen
zum Gebrauch überlassen wurden. Dagegen kann man
nicht Didache 8, 2 geltend machen (wo es sogar heißt: „Ihr
sollt dreimal täglich so bitten"), auch nicht Matth.6, 5L, denn
das da genannte „Kämmerlein" ist Gleichnis. Eine andere
Gemeinschaft als eine kultisch zusammengehaltene ist für jene
Zeit schwer vorstellbar.

Bedenken erregt es, wenn Kuhn ,,Eschatologie im strengen
Sinne wie bei Jesus" im Achtzehngebet nicht finden will.
Die jüdische Eschatologie dürfte sich von der urchristlichen
in der Vorstellung von der Endzeit kaum wesentlich unterscheiden
; der einzige Unterschied dürfte darin gelegen haben,
daß für das pharisäische Judentum — und nur für dieses —
der Termin weiter hinaus gerückt war als für das Urchristentum
, eben weil der Messias dort noch erwartet wurde, während
er hier schon gekommen war und seine Parusie in Aussicht
gestellt hatte. Auch die christliche Urgemeinde jedoch denkt
sich genau wie die jüdische Gemeinde das Eschatologische
„successive" hinter dem jetzigen Aon und auf derselben Ebene