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Ausgabe:

1951

Spalte:

290-291

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ljungman, Henrik

Titel/Untertitel:

Guds barmhärtighet och dom 1951

Rezensent:

Schrey, Heinz-Horst

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289 Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 5____290

Schema aufgebaut sind, das mit antiker Geschichtsschreibung
nichts zu tun hat. So auch die Synagogenpredigt des Paulus
in Antiochien. Ihre breite Einleitung berührt — wohl bewußt —
sozusagen allgemein synagogal. Um so stärker wirkt dann die
neue Kunde, die Paulus bringt. Damit ist das Verständnis der
Stephanusrede vorbereitet. Ob Lk. sie in ein ihm bereits vorliegendes
Martyrium eingeschoben (so D.) oder das Ganze auf
Grund irgendwelcher Tradition frei geformt hat, würde ich
dahingestellt sein lassen. Das Auffallendste ist die Beziehungs-
losigkeit des Häuptteils und der unvermittelte Ubergang zur
Polemik. D. möchte die Zusammenfügung so heterogener Bestandteile
aus der literarischen Absicht erklären, die Bedeutung
des Übergangs einer solchen Persönlichkeit wie Stepha-
nus zum Christentum zu beleuchten und die Schilderung des
Konflikts zwischen Christentum und Judentum (Act. 6—12)
einzuleiten. Die ständige Wiederholung der gleichen Stoffe
habe aber vor allem einen kerygmatischen Grund. Der politische
Zweck der antiken Historie ist durch den Zweck der
Predigt und Lehre ersetzt. In den Reden predigt Lk. selbst. Kr
hat weniger kirchenpolitische als theologische Interessen. Dahin
gehört auch die häufige Hervorhebung des Aufcrstehungs-
gedankens, gerade auch jüdischen Hörern gegenüber, besonders
in den letzten Reden der Apostelgeschichte. Lk. will zeigen,
daß das Christentum die legitime Fortsetzung des Judentums
ist.

Mit dem allem meint Verf. genügend gezeigt zu haben,
daß die meisten der großen Reden der Apostelgeschichte
weniger aus der historischen Situation als aus dem Zusammenhange
des Buches heraus zu verstehen sind. Von einer Bearbeitung
der noch ausstehenden Reden sieht er ab. Abschließend
arbeitet er ein doppeltes nochmals heraus: 1. In
einem Teil der Reden besteht Verwandtschaft mit der antiken
Geschichtsschreibung hinsichtlich der relativen Situations-
fremdheit und literarischen Zweckbestimmtheit, woraus sich
gelegentliche Diskrepanz zwischen Bericht und Reden oder
der Reden unter sich erklärt. Hirschs bekannte Auffassung der
Berichte über die Bekehrung des Paulus wird deshalb mit
Fragezeichen versehen. 2. In einer anderen Gruppe erkennen
wir die Verschiedenheit, die aus der christlichen Tendenz, dem
Zeugnischarakter des Doppelwerkes sich ergibt. Wohl sind gewisse
Kunstmittel beiden Gruppen gemeinsam: die gewaltsame
Unterbrechung, die Vernachlässigung der Sprachenfrage, die
für Lk. aber nicht, wie bei antiken Autoren, aus dem Streben
nach Einheitlichkeit des Stils erklärt werden kann. Die Predigtaufgabe
, die Lk. sich gesetzt hat, verbietet die Anwendung
der sonst häufigen oratio obliqua. In dem allem wird ein Abstand
der Reden von der antiken Geschichtsschreibung sichtbar
, mit dem auch die Unvollständigkeit des Berichts z. B.
hinsichtlich der Konflikte innerhalb der Gemeinde zusammenhängt
. Es fehlen ferner zwei Elemente, die die Reden der
Historiker füllen: das deliberative und das epideiktische. Aber
daß Lk. als echter „Historiker" gar nicht die Absicht hat, den
Wortlaut wirklich gehaltener Reden genau wiederzugeben,
selbst wenn er ihn einigermaßen gekannt hätte, bleibt davon
unberührt. Die Reden sind indirekte, und zwar gute
Quellen für das Typische, aber nicht direkte Quellen für das
Konkrete.

Der Uberblick zeigt, wie besonnen Verf. zu Werke geht.
Sind die Gesichtspunkte nicht alle neu, so doch ihre so sachkundige
und sorgfältige Durchführung. D. hat hier überwiegend
Neuland gepflügt. Ich bin allerdings geneigt, die
Doppelheit von literarischer Absicht und zuverlässiger Darstellung
etwas weniger gegensätzlich zu sehen, frage mich
außerdem, ob nicht im Urchristentum ein andersartiges Interesse
an dem wirklich Geschehenen wirksam gewesen sein mag,
als in der antiken Historie. Die Möglichkeit, daß Lk. für einzelne
Reden schriftliche Vorlagen gehabt hat oder auf Grund
v?n Ohreuzeugenschaft redet, läßt auch D. offen, ohne freilich
die Frage entscheiden zu können. Aber wie dem auch sei: das,
was er überzeugend herausgestellt hat, muß zumindest auch
gesehen werden.

Ein Anhang behandelt noch die literarischen Anspielungen
in der Apostelgeschichte. Daß die bekannten Irrtümer in der
Gamalielrede auf flüchtige Josephuslektüre zurückgehen, hält
D- für „äußerst unwahrscheinlich". Das Zitat aus Arats Phae-
nomena in Act. 17, 28 führt er auf Kenntnis des ganzen Gedichts
zurück, während die Ableitung der vorhergehenden,
nicht als Zitat gekennzeichneten Worte aus Ps-Epimenides
nach den Ausführungen von Pohlenz (a. a. O.) nicht mehr aufrecht
erhalten werden kann. Daß Lk. Act. 24, 14 in die aramäische
Himmelsstimme eine von griechischen Dichtern mehrfach
bezeugte sprichwörtliche Wendung eingefügt hat, wird
durch neue Belege sichergestellt. Die Zitate bezeugen den

Bildungsanspruch des Lk. So lautet das Ergebnis wiederum:
die Reden der Apostelgeschichte können gar nicht verstanden
werden, wenn man sie nicht als Werke des Schriftstellers
würdigt.

Leipzig Albrecht Oepke

Ljungman, Henrik: Guds barmhärtighet OCh dom. Fariseernas lära om
de tvä „matten" (Gottes Barmherzigkeit und Gericht. Die Lehre der Pharisäer
von den zwei „Maßen"). Lund: C. W. K. Gleerup [1950]. 190 S. gr. 8».
Kr. 9.—.

Ljungmann behandelt in dieser Monographie die rabbi-
nische Lehre von den „zwei Maßen" Gottes, dem Maß der
Barmherzigkeit (middat rachamim) und des Gerichts (middat
ha-din), die auch Maß des Guten und Maß der Strafe genannt
werden. Es handelt sich bei dieser Lehre nicht um Sondergut
gewisser Rabbinenschulen, sondern um eine allen gemeinsame
Lehre, die nichts anderes sein will als Auslegung der
Schrift. Diese Lehre meint nicht eine Spekulation über Gott,
sondern eine Beschreibung seiner Wege und Taten: wenn Gott
in der Geschichte handelt, dann bedient er sich der zwei Maße.
Schon im AT findet sich die Vorstellung, daß Gott sich einer
Meßschnur bedient, wenn er richtet (Lam. 2, 8; Arnos 7, 7ff.),
aber auch als der Schaffende hat er sein Maß (Hiob 38, 5;
Ps- 39. 5 usw.). Uber die Feststellung der zwei Maße hinaus
führt die Frage nach dem Verhältnis der beiden zueinander.
Hier führt die vorliegende Studie über die Arbeiten von
Schreuk (Art. dtxmoavvt} im ThW II, 194) und Sjöberg (Gott
und die Sünder im palästinischen Judentum, 1938) hinaus, indem
es L. gelingt nachzuweisen, daß es sich dabei nicht um
einen Ausgleich, eine Modifikation des Gerichts durch die
Gnade, überhaupt nicht um einen Gegensatz der beiden handelt
, sondern um ein Nebeneinanderbestehen der beiden Maße.
Dabei ergibt sich, daß hier der Quellort für die Lehre von den
zwei Reichen ist, denn den beiden Maßen entsprechen der
Garten Eden und Gehinnom, das Reich des Lebens und das
des Todes, das Himmelreich und das irdische Reich. Keines
kann zugunsten des anderen aufgehoben oder disqualifiziert
werden. So ergibt sich die dialektische Aussage, daß das Böse
zugleich das Gute ist. „Das irdische Reich ist gewiß böse in
der Gestalt Roms, aber es ist auch gut als das Reich, welches
das Himmelreich für den Menschen auf Erden fordert, postuliert
" (161). So ist auch der Tod ein Übel, aber zugleich eine
Ordnung, die Gott für alle festgesetzt hat, auch für die Gerechten
, und so wird er gut, weil er zu dem Leben gehört,
durch das Gott für den Menschen ein Ziel hat. Beide Maße
fordern sich gegenseitig und dienen pädagogisch Gottes Plan
mit der Welt. Daraus ergibt sich nun ein wichtiger Beitrag
zum Verständnis des Begriffs der göttlichen Gerechtigkeit:
diese umfaßt Barmherzigkeit und Gericht, und besteht nicht
in einer Verkleinerung des Gerichts gegenüber der Barmherzigkeit
. Gott ist gut, weil er gerecht ist, und er ist gerecht,
weil er gut ist. Dies wirft nun ein bedeutsames Licht auch auf
die Lehre von der Rechtfertigung. Gott bezähmt seinen Zorn
und das middat ha-din, indem der Mensch es „über Gott gewinnt
", d. h. umkehrt von seiner Sünde und so Gott die
Möglichkeit gibt, daß die andere Seite der Gerechtigkeit, di"
Barmherzigkeit, zum Zuge kommt. Es sind also die guten
Werke, die Gott umstimmen, daß er sein Gericht nicht an
den Sündern vollstreckt. Die chaesaed des Menschen fordert
als ihre Entsprechung die chaesaed Gottes.

Von daher wird der Blick sofort auf die Rechtfertigungslehre
bei Paulus gelenkt. „Der Unterschied zwischen den Rab-
binen und dem NT liegt nicht in der Meinung der ersteren,
daß Gott zum Teil der Gerechtigkeit nachgibt, während im
NT Gottes Gerechtigkeit intakt bleibt, vielmehr liegt der
Hauptunterschied in der verschiedenen Art, die Gerechtigkeit
aufzufassen. Oder besser: die Barmherzigkeit wird im NT in
einer anderen Sphäre der Gerechtigkeit angewandt. Barmherzigkeit
und Gericht und ihre Verbindung bekommen im
NT einen neuen Sinn, weil der Begriff der Gerechtigkeit hier
ein anderer ist" (170). Ob hier der Sachverhalt ganz richtig
beschrieben ist, erscheint zweifelhaft. Jedenfalls scheint der
Hinweis darauf zu fehlen, daß für Paulus Christus an die Stelle
tritt, die im Judentum das Gesetz und des Gesetzes Werke
einnehmen. Es wäre jedoch auch für das NT die Annahme
falsch, als sei die göttliche Gerechtigkeit als ein Kompromiß
von Gericht und Gnade zu verstehen; sonst hätten Stellen wie
Rom. 2, 6; 2. Kor. 5, 10 keinen Sinn. So ist das allgemeine
Schema des Denkens bei Paulus kein anderes wie bei den
Rabbinen, doch tritt Christus als Versöhner ins Mittel. Von
daher wird auch die sog. „Christusmystik" verständlich: sie ist
nicht die primäre Vorstellung bei Paulus, sondern die notwendige
Ergänzung seiner Rechtfertigungslehre, denn nur
wenn Christus und die Gläubigen ganz eins sind, kann das