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Ausgabe:

1951 Nr. 5

Spalte:

271-276

Autor/Hrsg.:

Wolf, Ernst

Titel/Untertitel:

Martin Luther und die Prinzipien des Protestantismus in katholischer Sicht 1951

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 5

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Selbstverständnis eruieren. Diese Untersuchungen können
nur im engsten inneren Zusammenhang mit der Tatsache
durchgeführt werden, die für unseren Glauben selbstverständlich
ist: in das Christusgeschehen ist das alttestamentliche Geschehen
einbeschlossen, denn Christus hat gesagt, daß er dies
Geschehen erfülle. So muß die Untersuchung im Glauben an
den, der uns diesen Zusammenhang verbürgt, ausgedehnt
werden auf die Frage, inwiefern dieses ,,Einbeschlossensein
" gilt. Es muß in jenem Zeugnis der alttestamentlichen
Menschen von uns das Wort Gottes an mich und an dich erspürt
werden. Denn nur wenn das geschehen kann, ist für mich
persönlich jener Zusammenhang faktisch, also erfaßbar, also
darstellbar. Ein solches Forschen ist kein frömmigkeitsgeschichtliches
mehr, sondern ein grundsätzlich dogmatisches1.
Hier wird im Rahmen der alttestamentlichen Wissenschaft
„die selbstherrliche Autorität der Offenbarung"2 in Jesus
Christus als Grund aller theologischen Aussage vorausgesetzt.
Das muß sein. Damit die alttestamentliche Wissenschaft sich
in die Theologie einordnet! Sie kann nur an dieser Stelle die
grundsätzliche Einordnung, in der Behandlung ihrer Materie
und aus ihr, vollziehen. Und sie kann nur in Rückwirkung
von dieser Stelle aus hinein in die phänomenologische
und frömmigkeitsgeschichtliche Arbeit und hinein in die Exegese
ihrem ganzen Wissenschaftsgebiet den theologischen Charakter
geben. Aber das muß auch gesagt werden: so sehr für
die vorgeschlagene Entfaltung der „Alttestamentlichen Theologie
" die systematische Theologie Gesichtspunkte liefert, liefern
muß, so wenig ist die zu gebende Darstellung der „Theologie
des Alten Testaments" mit der Darstellung identisch, die die
systematische Theologie inbezug auf das Alte Testament gestaltet
. Die „Alttestamentliche Theologie" entwickelt ihre

') Man vgl., was Althaus, Orundriß der Dogmatik [, 2. Aufl. 1936, S. 10,
über die Aufgabe der Dogmatik, „den Gehalt des biblischen Zeugnisses in
seiner Gegenwartsmächtigkeit" darzustellen, sagt.

>) Vgl. Althaus, a. a. O., S. 12.

Darstellung aus der Exegese. Diese läßt „die Geschichte des
Kerygmas und des Dogmas der Kirche unbeachtet". „Die
Dogmatik aber kann es nicht, weil sie sich umgekehrt aus der
Geschichte der Kirche über die Entstellungen und Irrtümer
belehren läßt, denen eine nur auf sich selbst gestellte Exegese
verfallen kann und tatsächlich immer wieder verfallen ist".
„Die stellvertretende Aufgabe der Dogmatik besteht ferner
darin, daß sie die Ergebnisse der anderen Teilgebiete auf die
für das kirchliche Kerygma wesentlichen Bestandteile reduziert
. Nur durch eine solche Vereinfachung kann der Mittelpunkt
und der Schwerpunkt der Sache gefunden werden, die
von Theologie und Kirche gemeinsam zu vertreten ist"1. Die
systematische Theologie muß von der alttestamentlichen
Wissenschaft verlangen, daß sie ihr aus ihrer Sicht eine systematische
Darstellung des Gehalts unterbreitet, bei der das
Geltungsmoment berücksichtigt ist; wie sollte sonst die systematische
Theologie erkennen, wie für den Alttestamentler die
Exegese basiert ist, und mit welchem scopus sie arbeitet, der
doch wohl ein theologischer scopus sein muß, und welche Rückwirkung
dieser scopus seinerseits für die Exegese in der Schau
des Alttestamentlers hat, die Exegese, aus der auch die systematische
Theologie lebt! An der Darstellung aber, die der Alt-
testamentler in Gestalt der „Theologie des Alten Testaments"
über den Gehalt des Alten Testaments ihr unterbreitet,
hat die systematische Theologie dann ihre genannte stellvertretende
Aufgabe zu vollziehen. In der Frage des Geltungsmomentes
hat die systematische Theologie das letzte Wort —
auch für den Alttestamentler2.

J) Eiert, Der christliche Glaube, 1940, S. 38f.

2) Die in diesem Aufsatz entwickelten Gedanken habe Ich bereits, in
verkürzter Form, bei meiner Antrittsvorlesung in Erlangen am 9. Febr. 1946
vorgetragen. — Am Rande sei bemerkt: die hier vorgelegte Auffassung würde
für die kirchliche Verkündigung und für den Religionsunterricht notwendig
Schwerpunktsverlagerungen bei der Behandlung des Alten Testaments nach
sich ziehen.

Marlin Luther und die Prinzipien des Protestantismus in katholischer Sicht1

Von Ernst Wolf, Göttingen

H. Boehmer hat in seinem noch heute wertvollen Bericht
über „Luther im Lichte der neueren Forschung" (5. Aufl.
1918) den ersten Eindruck, den die gewaltige Lutherliteratur
erweckt, eingangs dahin ausgesprochen: „es gibt so viele
Luthers, als es Lutherbücher gibt". Er weiß allerdings, daß
dieser Satz nun doch nicht wörtlich zu nehmen ist, daß innerhalb
der zunächst verwirrenden Mannigfaltigkeit sich klar ablesbare
Typen abheben. Inzwischen hat für das katholische
Lutherbild bis zur Gegenwart und nicht nur in Deutschland
Adolf Herte in Aufarbeitung von mehr als einem halben
Tausend von Werken und Artikeln den einwandfreien Nachweis
erbracht, daß sie allesamt mehr oder minder bewußt „im
Bann der Lutherkommentare des Cochläus" stehen und daß
sie im wesentlichen, wie es W. Köhler einmal formulierte,
keine „katholische Lutherbiographie" darstellen, „sondern nur
kritische Untersuchungen über den Anspruch Luthers, Reformator
zu sein" (A. Herte, Das katholische Lutherbild im Bann
der Lutherkommentare des Cochläus, 3 Bde., Münster 1943).
Auch das katholische Lutherbild ist so ein Spiegel der konfessionellen
und koufessionspolitischen Auseinandersetzung
seit der Reformation und zeigt daher seinerseits ebenfalls für
die Zeit der Aufklärung die charakteristische Entschärfung
des Urteils. Noch stärker gilt das bekanntlich vom protestantischen
Lutherbild, weil es im Wandel der geistesgeschichtlichen
Entwicklung jeweils der Rechtfertigung der eigenen
Position dienstbar gemacht wird. H. Boehmer hat das kurz
skizziert; Horst Stephan hat dem gleichen Thema 1907 ein
Büchlein über „Luther in den Wandlungen seiner Kirche" gewidmet
, das Zeeden, dem Boehmer entgangen zu sein scheint,
etwas zu stark abwertet, und Otto Wolff hat in seiner gründlichen
Studie über „Haupttypen der neueren Lutherdeutung"
(1938), die Zeeden nicht nennt, in sorgfältiger Analyse zu
zeigen versucht, wie von v. Hofmann und Ritsehl bis Holl
und Aulen die theologische Anknüpfung an Luther neu aufgenommen
wird. Er greift damit über den Rahmen des Zeeden-

') Zeeden, Ernst Walter, Dozent: Martin Luther und die Reformation
im Urteil des deutschen Luthertums. Studien zum Seibstver-

ständnls des lutherischen Protestantismus von Luthers Tode bis zum Beginn
der Goethezeit. I.Band: Darstellung. Freiburg: Herder 1950. XI, 389 S.
gr. 8». Lw. DM 14.—.

sehen Buches hinaus, sofern dieses sich wesentlich dem 17. und
18. Jahrhundert zuwendet.

Das Verdienst dieses neuen Buches bestellt in der viel
breiteren Vorführung des Materials, das auch H. Stephau
weithin vor Augen hatte — und insofern wird der noch ausstehende
Quellenband besonders zu begrüßen sein! —, in der
aufschlußreichen Beachtung Friedrichs von Preußen und
J. Mosers sowie in dem weitgreifenden Eingehen auf Herder,
nicht durchgängig freilich in der Analyse selbst, obwohl sie
da und dort wohl vertieft ist. Das Eigentümliche, Anregende,
aber auch zum Widerspruch Nötigende ist der Versuch einer
geistesgeschichtlichen Deutung der Wandlungen des protestantischen
Lutherbildes aus letzten, in Luther selbst aufzudeckenden
Prinzipien. Hier meldet sich auch die Grenze
alsbald. Sie ist von vornherein bestimmt durch den katholischen
Standpunkt des Verf.s und die ihm gemäße Wahl des
Maßstabes (wodurch auch er zum Teil in die Nähe von
„Cochläus" gerät!), ist aber auch bestimmt durch die einseitige
Erfassung der Moderne von Luther und seinen Wirkungen
her. Daß und in welchem Umfang gerade auch die
katholische Renaissance am Aufbau des rationalistischen und
individualistischen Geistes der Moderne beteiligt ist, daß die
Schwärmer und Spiritualisten ein Drittes neben dem Katholizismus
und der Reformation bedeuten und nicht als Konsequenz
der Reformation zugerechnet werden dürfen, wird nicht
in Sicht genommen. Die Schwäche des Buches besteht formal
in einer vielfach nicht zu rechtfertigenden Breite und in so
manchen dem Anspruch des Ganzen nicht konformen Unklarheiten
der Begriffssprache, auch in gewissen Mängeln des
Stiles. Darauf soll aber nicht eingegangen werden.

Den Schlüssel zum ganzen Buch bilden die Vorbemerkung
(1—8), die Einleitung zum 1. Teil (Luther über sich selbst,
11—21) und der Schluß (367—389). Es vertritt die These, daß
das letzte Motiv für die Umwandlung des Lutherbildes vom
17. zum 18. Jahrhundert, vom dogmatischen zum pietistisch-
aufklärerischen Bild, von der kirchlichen Bindung zum Luther
der subjektiven Gewissensfreiheit, der menschlichen Persönlichkeit
, des aufgeklärten Staatsabsolutismus „der große
abendländische Vorgang der Säkularisation" (375) sei, d. h.
die Verdünnung des Christentums zur privatisierten natürlichen
Religion, wobei (dem eben auf die Reformation nicht