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Ausgabe:

1951 Nr. 4

Spalte:

231-232

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Zerwick, Maximilian

Titel/Untertitel:

Graecitas biblica 1951

Rezensent:

Debrunner, Albert

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 4

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liehst alle Zitate bis zur Durchführung der karolingischen
Reformen zu erfassen, um so den Ubergang von Vetus Latina
zur Vulgata klar zu stellen. Doch scheitert das an der Mangelhaftigkeit
der Ausgaben von wichtigen Autoren, wie etwa
Beda Venerabiiis. Immerhin wurden wohl alle lateinischen
Texte der patristischen Zeit erfaßt und die meisten Texte der
folgenden Zeit, von denen kritische Editionen vorhanden
sind." (S. 7f.)

Das vorliegende Heft bringt nach einer Einleitung (S.8
bis 10) ein vorläufiges Verzeichnis der Hss der Vetus Latina
(S.n—34), eine Liste dieser Hss nach Teilen der hl. Schrift
(S.35) und nach den Bibliotheken (S.36—39) geordnet, eine
Ubersicht über die von Sabatier verwerteten Hss und Drucke
(S.40—42), endlich das Verzeichnis der Abkürzungen für die
Kirchenschriftsteller (S. 43—104).

Dieses Verzeichnis gibt uns erst eine Vorstellung von dem
Umfang der zu bewältigenden Aufgabe. Galt es doch das gesamte
Material auszuziehen ausetwa8oBänden derMigneschen
Patrologia Latina, mehreren Bänden der Series Graeca, dem
Wiener und Berliner Corpus, den Monumenta Germaniae, den
Konzilicnsammlungen, aus der Fülle von Abhandlungen in der
Revue Bencdictine, dem Journal of Theological Studies; dazu
war noch Vieles andere aus entlegenem und verborgenem
Winkel aufzustöbern. Zwar erscheint in der langen Liste auch
einiges, bei dem man sich umsonst fragt, warum es Aufnahme
fand. So könnten S.69 von der Collectio Avellana viele Nummern
(z. B. 3—44) oder S. 71 bei Cyprian ep. 22—24, 36—53 ausscheiden
, da sich in diesen Stücken auch kein einziges Bibelzitat
findet; und lieber als ein Siglum für den Kaiser Justinian,
das doch wohl schwerlich zur Anwendung kommen wird, sähe
man eine freigebigere Mitteilung von Verweisungen, etwa auf
S. 103 zu Tyconius einen Hinweis auf Caesarius und Beatus,
bei Viktor v. Vita auf Eugenius, bei Victoriu v. Pettau auf
Ps. Tertullian u. dgl. Aber auch so wie sie vorliegt, wird die
Liste der patristischen Forschung wertvollen Dienst leisten. Sie
erspart viel mühsames Suchen und kann bereits manches
zweifelhafte, unrechtmäßige oder herrenlose Gut dem Eigentümer
zurückerstatten.

Gewiß wird die Liste hier und dort noch einer Ergänzung
bedürftig sein. So wäre vielleicht zu erwägen, ob nicht auch
Ado v. Vienne, Agobard v. Lyon, Elipandus v. Toledo, Ethe-
rius v. Osma u. a. berücksichtigt werden sollen. Doch Ist mir
eine wichtige Lücke nirgendwo begegnet. Bei Beatus wäre
statt der neuen Ausgabe von Sanders die freilich sehr seltene
alte von Florez zu vergleichen. Bei Beda fehlt die Angabe PL
90—95, bei Eugenius CV 7, 46—79. Bei Severus findet sich der
gleiche Text auch PL 41, 821—832, von dem übrigens auch
der verzeichnete Titel de virtutibus usw. übernommen ist.

Die Arbeit ist mit vorbildlichem Fleiß durchgeführt und
sauber gedruckt. Kleinere Versehen wie S.25 (VIII .statt VII),
S.47 (Invehtio statt Adventio), S.64/I (208 statt 280), S.64/II
(1035 statt 1038) oder Druckfehler wie S.22/II (del), S.44/II
(expositio), S.62/II (Apollinaris), S.76/II (Fatali) sind das
Einzige, was mir bei wiederholter Durchsicht begegnete.

Zusammenfassend dürfen wir urteilen, daß die schwierige
Aufgabe in guter Hand liegt und dieses vorzüglich ausgestattete
Heft uns ein Werk verspricht, das der patristischen,
kirchengeschichtlichen und darüber hinaus aller theologischen
Forschung noch viel unentbehrlicher sein wird als der alte
Sabatier.

Bonn Heinrich Vogels

Zerwick,rMaximiiianus: Graecitas biblica exemplli Illustrator. Editio altera
aueta et emendata. Rom: Pontificium Institutum Biblicum 194Ü. XI,
119 S. 8°= Scripta Pontificii Instituti Biblici 92.

Zerwick, der sich schon durch seine „Untersuchungen zum
Markusstil" (Rom 1937) als tüchtigen Kenner des neutesta-
mentlichen Griechisch erwiesen hat, veröffentlicht hier zum
zweiten Mal, in Buchform, eine Erweiterung von Artikeln, die
in der Zeitschrift ,,Verbum Domini" 1943 erschienen waren.
Es ist ein interessanter Versuch, die Ergebnisse der syntaktischen
Erforschung des Griechischen des Neuen Testaments
für die genauere Exegese vieler Stelleu fruchtbar zu machen.
Den Grund für dieses Verfahren drückt er z.B. auf S.70 so
aus: „Mirum est hoc interdum non .sah's attendi idque ne a peritissi-
mis fquidem"; das hoc bezieht sich auf die Bedeutung von
ä c. nid. im Neuen Testament, gilt aber leider auch für
andere Gebiete der neutestamentlichen Grammatik.

Wie manche Feinheit durch Zerwick so gewonnen wird, zeigt besonders
schön der Abschnitt über Aorist und Imperfekt (S. 55—64). Z.B. (S. 64):
L. 2, 42 üvußaivövTCOf avTwv - xai re?.EicoadvTU)v rag rj/ÜQag - iv tu>
VTtoaTQeqjeiv avTOvg vnifiuvEV 'Itjoovg „während sie hinaufzogen — und
nachdem sie die Tage (dort) fertig zugebracht hatten — während sie

auf der Heimreise waren, blieb Jesus zurück": die beiden ersten Partizipien
ergeben in ihrer Reihenfolge einen Widersinn (es wird ja gar nicht
gesagt, was während der Hinreise passiert); das Rätsel lost sich, wenn ävaßal-
vetv als technischer Ausdruck für die Pilgerfahrt nach Jerusalem (mit Einschluß
der selbstverständlichen Rückkehr) verstanden wird. Also: „seine Eltern
gingen jedes Jahr zur Zeit des Passahfestes nach Jerusalem (Vers 41); und
als Jesus zwölf Jahre alt war, da passierte bei der gewohnten Pilgerfahrt
(ütHißaivövTCOV avröjv xarü to e&oq trjq ioqrfjg) folgendes . . .". — Ein
anderes Beispiel (S. 40; ich präzisiere die Ausführungen von Z.): Eph. 2, 5
und 8 wird erst recht klar, wenn der Unterschied der Artikelsetzung beachtet
wird: Vs. 5 yäqiti eaze (TearixT/ievoi „Gnade ist es, was euch gerettet hat"
(nichts anderes) — Vs. 8 rfj yäg xdoni iate, oeooMJfie'voi diu nlaxEmi;
„denn die (in Vers 5 erwähnte) Gnade hat euch auf dem Glaubensweg gerettet
, nicht auf Grund von Werken (ovx i!; eoy(»v)". Ohne Rücksicht auf
den Artikel übersetzen z.B. zwei peritissimi: „ja aus Gnade seid ihr gerettet
durch Glauben . . . nicht die (!) Werke (machen es)" (Dibelius); „denn durch
Gnade seid ihr gerettet worden durch Glauben" (Michaelis, wo auch das „worden
" das Perfekt unrichtig übersetzt). — Zu der berühmten Frage des
dtJStOffduSVOi Acta 25, 13 bringt Z. (S. 61 Anm. 3) eine gute Parallele bei:
Philostratus Vita Apollonii I 22 spricht von den Spatzen in der Ilias(II 308ff.),
o{Sg 6 önaMov ■ . . eSai'oaro („verspeiste") oxrd) övraq, ivvdrt}V in
avrolg tfJV /iTpina ikdäV „wobei er zu den acht Jungen hinzu ihre Mutter
packte" (Aorist ■ Vollzug); das bestätigt die längst vorgeschlagene Auffassung
von äo}taori/ievoi: „wobei sie auch die Antrittsvisite bei Festus erledigten"
(Blaß-Debrunner7 § 339 Anhang). — Zu S. 57 Anm. wäre zu bemerken, daß
die Auffassung von /irj /tov iimov Mc. 14, 9 als „berühre mich nicht weitcrl"
(„noli me tenere") nicht erst bei K. Rösch (Bibl. Ztschr. 14, 1916/17, 333ff.)
zu finden ist, sondern seit Blaß1 (1896!) S. 192 in allen Auflagen steht, nur
daß Blaß korrekt noch eine andere mögliche Erklärung in Betracht zog: „was
also bereits geschehen oder versucht" (war).

Bemerkenswert ist die kritische Art, mit der der Verf.
zu Werke geht. Oft kämpft er von dem grammatisch korrekten
Verständnis her gegen eine ungenaue oder falsche Übersetzung
der Vulgata und gegen Fehler und Ungenauigkeiten moderner
Übersetzer und Exegeten. Zugleich aber ist er sich bewußt:
„cavendum est a quadam superstitione vocabulorum1, (S. 29; ein Satz,
der auch auf die Vorliebe mancher moderner Theologen für Aufbau
von Theorien auf — meist veraltete oder selbsterfundene
— Etymologien anzuwenden wäre); so ergibt sich z.B. nach
Zerwick (S.30) der Sinn des mannigfach schillernden iv Xotortf
nicht schon aus dem iv.

Also im ganzen ein sehr nötiges und sehr gut unterbautes
Buch. Seine Brauchbarkeit wird erhöht durch einen ,,Epi-
logus" (S. 106—108), der die behandelten sprachlichen Eigenheiten
des Neuen Testaments auf die zwei volkssprachlichen
Grundtendenzen Expressivität und Vereinfachung aufteilt,
ein Verzeichnis der behandelten Stellen (S. 109—113) und einen
originellen Anhang (S. 115—119). der capita selecta praeparata
secundum numeros huius grammaticae (Matth. 5—7, Mark. 5—7,
Luk. 1—2, Joh.15, Apg. 17, Phil., I. TheasJ enthält — was
theologischen Studenten und Lehrern als Hilfe zur bessern
grammatischen Erfassung des neutestamentlichen Griechisch
gute Dienste leisten wird.

Bern A. Debrunner

Valli, Erkki: Zur Verfasserfrage der Königsberger Apostelgeschichte.

Helsinki 1947: Druckerei d. Finnischen Literaturgesellschaft. 63 S. gr. 8« =
Suomalaisen Tiedeakatemian Toimituksia. Annales Academiae Scientiarum
Fennicae, B LXI, 1.

Die vorliegende Arbeit behandelt ein nicht unwichtiges Einzelproblcm
aus der Geschichte der vorlutherschen Bibelübersetzungen. Die sog. Künigs-
berger Apostelgeschichte (K) ist (neben einer poetischen Paraphrase des Buches
Hiob) mit einer Prophetenübersetzung, die als Verfassernamen den des Franziskaners
Claus Cranc trägt, seit langem in einer Prachthandschrift des (ehemaligen
) Königsberger Staatsarchivs vereinigt. Der Herausgeber beider Werke,
Walther Ziesemer (1927 bzw. 1930) hat auf Grund mancher sprachlicher Indizien
, tatsächlich aber wohl durch die Vereinigung beider in einer Handschrift
suggestiv beeinflußt, auch K auf Cranc zurückführen wollen. Valli bestreitet
diesen Schluß, da die zwar nicht zu leugnende Verwandtschaft des allgemeinen
Sprachgebrauchs auf die annähernde Einheit der Entstehungszelt
und der Heimat im Deutschen Orden zurückzuführen sein könnte. Manche
Eigentümlichkeiten verbinden beide um die Mitte des 14. Jahrhunderts entstandenen
Übersetzungen sogar mit Luther, obwohl hier von Identität der
Verfasser natürlich keine Rede sein kann und selbst direkte Abhängigkeit mehr
als fraglich ist. Beweisend wären vielmehr nur die persönlichen Stlleigcntüm-
lichkeiten der Übersetzer. Diese unterzieht Valli einer minutiösen Untersuchung
, mit dem Ergebnis ausgeprägter Verschiedenheit. Während Cranc gewandt
und selbständig, knapp und vielsagend verdeutscht und dem Verständnis
des Lesers einiges zutraut, zeigt K ein ängstliches Bemühen um pedantische,
oft durch Umschreibungen und erklärende Zusätze ins Weitschweifige verfallende
Wiedergabe des Wortlautes. K wird auch kaum eiii Jugendwerk von
Cranc sein, obwohl dies zeitlich allenfalls möglich wäre, da die Entstehungszeit
von K sich nicht genau fixieren läßt, während die Prophetenübersetzung um
1348 entstanden sein dürfte. Die Verschiedenheiten sind zu ausgeprägt und zu