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Ausgabe:

1951 Nr. 4

Spalte:

225-226

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hartmann, Richard

Titel/Untertitel:

Islam und Nationalismus 1951

Rezensent:

Fück, Johann

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 4

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Dienst eines Gottes, eines Tempels ein: die einen binden sich
selbst freiwillig, sei es im religiösen Bewußtsein, sei es geradezu
in einem Dienstvertrage; andere werden als Kinder von den
Eltern dem Gotte geweiht, wie im Bereiche der babylonisch-
assyrischen Kultusformen die sirku. Hier möchte ich auf verwandte
Fälle in Ägypten hinweisen, die S. Morenz in dieser
Zeitschrift 1949 Nr. 7, 423 besprochen hat (Neue Urkunden
zur Ahnenreihe des Klosters). Art und Dauer des heiligen
Dienstes war verschieden. Auch die sog. Katochoi des Sara-
peums in Memphis gehören irgendwie in diesen Zusammenhang
: ihr Verhältnis zu Gott und Tempel wird auf der einen
Seite vom Begriff des Asyls, auf der anderen von der Gottergriff
enheit bestimmt. Jedenfalls muß man sich hüten, auf
solche Gottesdiener das Wort „Sklave" anzuwenden, das nur
allzuoft von jeder Bindung gebraucht wird, sie sei welcher Art
sie wolle. Wer die Urkunden kennt, wird sich erinnern, daß es
in der Alten Welt zwar Titel und Amtsbezeichnungen gibt; sie
sind aber nicht so scharf begrenzt, wie wir es voraussetzen.
Menschen, deren Tätigkeit als „fegen und besprengen" im
Heiligtum beschrieben wird, können niedere Diener, aber auch
vornehme Herren sein, die mit jenen Worten ihre innerliche
Bindung an Gott und Kultus ausdrücken. Als klarstes Beispiel
dafür erörtert Otto Namen und Begriff des Neokoros, an
dessen hohem Rang wie an seiner Beziehung zum griechischen
Kultus kein Zweifel besteht. Im weiteren Bereiche hilft auch
das koptische Viktor-Martyrium weiter, dem der Verf. wichtige
Ergebnisse abgewinnt, die zum christlichen Kloster und
zu den Klosterknechten hinüberleiten. Die säubernde kritische
Arbeit, die Otto in dieser Schrift nicht nur am Begriffe der
Hierodulie, sondern an Kultusträgern und -dienern überhaupt
'eistet, darf man wohl, um in der Sprache der Urkunden zu
Weiben, als die wissenschaftliche Art des „Sprengens und
Fegens", als einen vornehmen Laiendienst wie den des Neokoros
bezeichnen. Verf. und Herausgeber haben mit dieser Abhandlung
ebenso zum Verständnis der äußeren Ordnungen der
Tempel wie zum Einblick in religiöse Bindungen des Altertums
beigetragen.

Halle/Saale W. Schubart

Hartmann, Richard, [Prof. Dr.]: Islam und Nationalismus. Berlin:

Akademie-Verlag 1948. 47 S. 4°= Abhandl. der Deutschen Akademie der

Wissenscharten zu Berlin. Jahrg. 1945/46. Philos-hist. Klasse Nr. 5. DM 4.75.
Die islamische Staatstheorie kennt keinen anderen Staat
a,s den, der auf der Gemeinsamkeit des Glaubens an Allah
un[l seinen Gesandten begründet ist. Das schließt jeden Nationalismus
so sehr aus, daß noch in der alten Türkei die Begriffe
Nationalität und Glaubensbekenntnis zusammenfielen. Erst
unter europäischem Einfluß drang im 19- Jahrhundert der
begriff „Nationalismus" in die islamische Welt ein. Die Proteine
, die sich daraus ergeben, werden von R. Hartmann 111
uer vorliegenden schönen Studie (die ohne Verschulden des
Rezensenten erst jetzt angezeigt wird) gründlich und umsichtig
erörtert. Hartmann weist auf die verschiedenen Ansätze in der
's'ainischen Entwicklung hin, die zum Nationalismus führen
Klinten: die Hinwendung des von seinem Stamme zurückgestoßenen
Propheten an alle Araber, die dann den Islam als
arabische Sache betrachteten und die der ersten islamischen
ötaatsgründung den Stempel eines arabischen Reiches aufdruckten
, bis 750 u. Chr. ihr Reich von dem abbasidischen
r*J»*t abgelöst wurde, in welchem alle Untertanen gleichberechtigt
nebeneinander lebten, ohne daß die theokratische
^aatsidee das Gefühl eines jeden Volkes für seine Eigenart,
uie gelegentlich bis zum Fremdenhaß sich steigernde Ab-

eigung (lcr enien (}ruppe gegen die andere, und die wechsel-
iiä(!Re Rivalität der verschiedenen Nationen, jemals ganz

aue unterdrücken können. Selbst als Ägypten, von Napo-
daj,w ''Spedition 1798 westlichen Ideen erschlossen, durch
w b Reformwerk Mehmed Alis zu einem modernisierten Lande

" üe. kam es zu keirlem arabischen Nationalismus, teils
. gen der Stärke des islamischen Gemeingefühls, teils wegen
j>r volksfremden Herkunft der aus Albanien stammenden
GrrVr?Stle- Erst die nach dem Krimkrieg unter dem Druck der
ern"'"achte von dem türkischen Sultan Abdul-Madschid 1856
v',^"6 Verfassung, welche u. a. die bürgerliche Gleichstellung
Volt sllms 11,1,1 Nichtmuslims aussprach, gab den Begriffen
Sin, " • Vaterlaud einen neuen Inhalt, freilich zunächst im
der p V'10* P()1'tischen Kurses, der die Völker der Türkei unter
Niti 1L' von Freiheit und Fortscliritt zu einer osmanischeu
wi,-i,rl zusa«"menscliließeii wollte. Aber die nach den Türken
Wirkt8 Nation des Reiches, die Araber, Muslims wie
niani ' Wollten ihre völkische Eigenart einem solchen Os-
■etateiki? ju"gtürkischer Prägung nicht opfern. Gleichzeitig
läudk 1 mancnen Muslims eine Reaktion gegen die abend-
clle These von der angeblichen Rückstäudigkeit des

Islams ein. Man sah im richtig verstandenen Islam die wahre
Religion des Fortschritts und der Zukunft und erhoffte von
einem Zusammenschluß aller Muslims unter einem mächtigen
Kalifen die Befreiung aus der augenblicklichen Schwäche und
Rückständigkeit. Diesem Panislamismus tat jedoch die
reaktionäre Politik Abdul-Hamids II. und die Besetzung
Ägyptens durch England 1882 schweren Abbruch, während
lokale Sonderbestrebungen allenthalben an Boden gewannen
und dem Nationalismus kräftig vorarbeiteten, bis schließlich
der erste Weltkrieg ein türkisches Nationalreich entstehen
ließ und auch den arabischen Nationalismus als wirksames
politisches Mittel erwies, wenn auch die Friedensverträge das
Arabertum auseinanderrissen. Auch nach dem zweiten Weltkrieg
sind diese Auseinandersetzungen, wie vor allem die
Kämpfe um Palästina zeigen, noch nicht zum Abschluß gekommen
. Zum Schluß behandelt Hartmann die Salafiya, eine
modernistische Richtung im heutigen Islam, welche das
Nationalitätenprinzip in die politische Theorie des Islams einzubauen
versucht. Hartmann verkennt nicht, daß die Salafiya
keine Massenbewegung ist und daß man die konservativen
religiösen Kräfte im Islam nicht unterschätzen dürfe, hält es
aber immerhin für wahrscheinlich, daß an die Stelle des bisherigen
Dilemmas „Islam oder Nationalismus" eine Synthese
Islam und Nationalismus treten werde.

Halle a. S. J.W. Fück

Strothmann, R.: Ismailitischer Koran-Kommentar hrsg. Lfg. 1-3.

Göttingen: Vandenhoeck <S Ruprecht 1944 u. 1948. VI u. 184 arab. S.
gr. 8° = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Oöttlngen.
Philolog.-hist. Klasse, 3. Folge Nr. 31. Lfg. 1 u. 2 je DM 6.— ; Lfg. 3 DM 7.50.

Die Ismailiten, jene extrem-schiitische Sekte, welche
einst in dem glanzvollen fatimidischen Gegenkalifat von Kairo
969—ii 71 dem sunnitisch-orthodoxen Kalifat der Bagdader
Abbasiden schweren Abbruch tat, heute aber auf geringfügige
Reste zusammengeschmolzen ist, haben ihre Schriften vor
Nichteingeweihten so gut verborgen gehalten, daß sehr wenig
von ihren Geheimlehren bekannt geworden ist, welche im allgemeinen
auf einer Vermischung der gemeinschiitischen Lehre
vom Anspruch Alis und seiner Nachkommenschaft auf das
Imamat (die religiös-politische Leitung) mit den neuplatonischen
Emanationstheorien und anderen Elementen des
orientalischen Hellenismus zu beruhen Schemen. Die Veröffentlichung
eines ismailitischen Kommentars zum Koran
(wenn auch nur zum mittleren Drittel, Sure 9—29) durch
Strothmann, einen der besten Kenner der Schia, auf Grund
einer 1914 aus dem Yemen nach Mailand gelaugten Handschrift
darf deshalb auf besonderes Interesse rechnen. Es
handelt sich dabei um ein 1756 von dem damaligen Oberhaupt
der Sulaimaniyagruppe (welche bei dem Schisma des Jahres
1589 im Yemen abgespalten war) verfaßtes Werk, welches den
Koran mit Hilfe einer allegorischen Interpretation auslegt und
dem einfachen Wortsinn das Lehrsystem der Sekte unterlegt.
Der dunkle Inhalt, die Verwendung eines Geheimalphabets
zur Schreibung besonders wichtiger Namen und der schlechte
Zustand der ehizigen Handschrift stellten den Herausgeber
vor eine schwierige Aufgabe, die er mit viel Einfühlungsgabe
und Sachkenntnis zu meistern wußte. Die drei ersten Lieferungen
reichen bis Sure 15. Eine Schlußlieferung soll außer
Indices auch eine deutsche Einleitung in das Werk bringen.
Möge sie bald als krönender Abschluß des Ganzen erscheinen.

Halle a. S. J. W. Fück

Kerschensteiner, jula: Piaton und der Orient. Stuttgart: Kohlhammer

1945. VIII, 236 S. gr. 8°. DM 9.G0.

Piatons Verhältnis zum Orient, seine Abhängigkeit sowohl
von der Philosophie des Ostens wie auch sein Weiterwirken
im orientalischen Denken, macht einen wesentlichen
Problemkreis philosophiegeschichtlicher Forschung aus. Zumal
hinsichtlich der ersten Frage, ob und inwieweit in Piatons
Werk Außerhellenisches nachzuweisen sei, divergieren die Meinungen
ganz beträchtlich. Das hellenisierte Judentum und die
Kirchenväter nahmen Vertrautheit Piatons mit dem Alten
Testament an, dessen Gedanken somit implizite in der griechischen
Philosophie wiedergefunden werden könnten, aber auch
die Neuplatoniker bemühten sich, die von ihnen gefundene
Synthese von griechischem und orientalischem Gut auf ihren
Archegeten zurückzuführen. In neuerer Zeit ist diese Orienthypothese
in verfeinerter Form wieder aufgenommen worden,
und nach den Übertreibungen der Hegelianer Roth und Gla-
disch, welche die gesamte griechische Philosophie aus der
Weisheit des Ostens ableiteten, sucht man heute nach ägyptischen
, chaldäischen und vor allem iranischen Spuren in Piatons
Werk. Jula Kerschensteiner gibt einen Überblick über
den gegenwärtigen Stand der Forschung, indem sie das um-