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Ausgabe:

1951 Nr. 4

Spalte:

219-220

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Festschrift, Dr. theol.

Titel/Untertitel:

Dr. Phil. h.c. August Reatz, Rektor Magnificus der Johannes Gutenberg-Universität, o.ö. Professor der Theologie, Hausprälat Sr. Heiligkeit zu seinem 60. Geburtstag dargeboten 1951

Rezensent:

Biundo, Georg

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219

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 4

220

Festschrift für Prof. Dr. Dr. August Reatz (- Jahrbuch für das Bistum

Mainz 4. Bd., 1949). Hrsg. v. Dr. A. Schuchert. Mainz: Bischöfl. Stuhl
1949. 418 S. m. Abb., Taf. u. Ktn. gr. 8». Hlw. DM 16.—.

Der 4. Band des seit 1946 erscheinenden Jahrbuches des
Bistums Mainz ist als Festschrift dem Mainzer Dogtnatiker
und Dogmengeschichtler Prof. Dr. Reatz, dem ersten Dekan
der katholisch-theologischen Fakultät und zweiten Rektor der
Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, zum 60. Geburtstag
gewidmet. Der eigentliche Zweck des Jahrbuches, das nicht
zu verwechseln ist mit den üblichen Schematismen der Diözesen
, die Chronik des Bistums (36 S.) bringt den Personal-
staud der Bischofstadt, die Chronik 1947/48, zusammengestellt
von August Schuchert, und die Rundfunkansprache
Pius' XII. anläßlich des Mainzer Katholikentages.

Den weitaus größten Teil des Buches (über 380 Seiten)
nehmen die wissenschaftlichen Beiträge ein. Nur der erste von
ihnen ist rein theologisch-philosophischen Inhalts: Prof. Dr.
Hermann Schwamm-Mainz, Zur theologischen Deutung des
existentiellen Denkens (S. 38—49). Alle übrigen Beiträge behandeln
geschichtliche und kunstgeschichtliche Fragen. Der
größere Teil der Aufsätze befaßt sich mit der Kirchen- und
Geistesgeschichte des Mainzer Bistums im 19. Jahrhundert.
Doch sollte der Historiker, der Kirchenhistoriker und der
Territorialkirchengeschichtsforscher an diesen speziellen Mainzer
Studien nicht achtlos vorübergehen.

In seinen ,,Beiträge zur Reformationsgeschichte im Erz-
stift Mainz" (S. 346—360) zeigt Heinrich Büttner an zwei
hessischen Gebieten (Niederroden bei Dieburg und Babenhausen
und Herrschaft Schlitz im Vogelsberg) im Bereich des
ehemaligen Erzstifts Mainz, wie mannigfaltig und wechselnd
die Vorgänge im einzelnen waren, in denen sich die Glau-
bensentscheiduug vollzog. „Das Bild aus den neu erschlossenen
Akten über die Reformation und die Religionsübung in Niederroden
im 16. Jahrhundert ist sehr viel reicher, als man es nach
den nüchternen Zahlenangaben der Hassia Sacra (von Wilhelm
Diehl) vermuten möchte." Der Verlauf der Reformation im
Schlitzer Land aber zeigt deutlich, wie die Entwicklung sich
nicht mit einem Schlage vollzog, sondern schrittweise. Einen
interessanten Einblick in die Geistigkeit, die kirchliche Rechtslage
und die Seelsorgemethode zu Anfang des 16. Jahrhunderts
gibt Adam Gottron in dem Lebensbild des P. Franz
Wenzel, O.Praem., der im hohen Taunus eine neue Seelsorgerstelle
einzurichten versuchte (S. 272—302).

Der Mainzer Historiker Leo Just behandelt Görres Bruch
mit Preußen, eine Nachlese aus den Akten über die Beschlagnahme
der Papiere des geflüchteten Görres im Oktober 1819
(S. 256—271). Die Studie von Anton Brück über den Mainzer
„Lullismus" im 18. Jahrhundert (S. 314—338) zeigt deutliche
Beziehungen von Mainz zur alten Kurpfalz, die auch die Beschäftigung
mit Raimundus Lullus zeitweise förderte. Wertvolle
geistesgeschichtliche Aufschlüsse bieten die kurze Würdigung
„Der Mainzer Bischof Burg und die Aufklärung" von
Jakob Franz (S. 251—255) und das Lebensbild von Petrus
Leopold Kaiser, des von „Glauben und Milde" geprägten
Mainzer Bischofs in Sailers Geisteshaltung, von Ludwig Len-
hart (S. 188—250). über die katholische Bewegung um die
Mitte des 19. Jahrhunderts geben die folgenden Arbeiten
mancherlei Einblicke und Anregungen: Das Lebensbild des
Geistl. Rates Prof. Dr. Kaspar Riffel, des „Mobilisators" der
katholischen Bewegung in Mainz, von Johannes Kraus (S. 115
bis 170), die neue Beleuchtung von Christoph Moufangs Lehrtätigkeit
als Moraltheologe von Ludwig Berg (S. 101—114)
und die Studie von Hugo Stumm über die gescheiterte Kandidatur
des Gießener Univ.-Prof. Leopol Schmid zum Mainzer
Bischof 1849 (S. 171—187). Die „Katholikentage in Mainz" behandelt
der Beitrag von Hermann Wieseotte (S. 83—100).

An kunsthistorischen Beiträgen enthält die Festschrift
einen Aufsatz von Karl Gruber über das architektonische
Bild von Mainz, zur Gestaltung der Domumgebung (S. 50
bis 67), ein Lebensbild des Dombaumeisters Ludwig Becker
von Johannes Sartorius (S. 68—82). Heinz Leiterinann
behandelt die inhaltlich und kunstgeschichtlich bedeutsamen
Deckengemälde der Kirche St. Peter und Paul in Hochheim
am Main (S. 303—313) und ihren Schöpfer, den aus Donauwörth
stammenden Maler Joh. Baptist Endcrle (1725—1798),
der auch in Mainz tätig war. Adolf Geßn er bringt „Bemerkungen
zur Topographie und Ikonographie zum Schönbornepitaph
Matthias Rauschmüllers".

Unter den Arbeiten, die den Territorialkirchengeschichtler
stark interessieren, bringt die Arbeit von Carl I. H. Villinger
über „Die Patrozinien der Altäre in den Kirchen und Kapellen
im Gebiete des ehemaligen Bistums Worms" (S. 374—413)
eine Erweiterung der seinerzeit von Hermann Schmitt so verdienstvoll
zusammengestellten Ubersicht der Patrozinien der
Kirchen und Kapellen des Bistums Worms (Wormatia Sacra
1925). Die Arbeit hält sich ziemlich genau an Schmitts Schema
und bietet interessante Vergleiche zwischen den Kirchen- und
Altarpatrozinien. Wie am Oberrhein müßte auch im Mittel-
rheinraum die Patrozinienforschung intensiver betrieben werden
. Ich verweise nur auf die grundlegende Bearbeitung der
Kirchen- und Altarpatrozinien der Diözese Konstanz vor 1250
durch Hermann Tüchle (1949) und für den ganzen südwestdeutschen
Raum auf Heinrich Feuerstein („Zur alten Missionsund
Patrozinienkunde im alemannischen Raum", Zeitschr. f.
Gesch. d. Oberrheins 97. Jg. [1949]. S. 1—52). Solche Patro-
zinienstudien müßten für die mittelrheinischen Diözesen allgemein
durchgeführt werden.

Eine Würdigung des Gelehrten „Florentius Diel und die
geistigen Strömungen in der Frühzeit der Mainzer Universität"
gibt Karl Diel (S. 361—373). Dieser aus Speyer stammende
Gelehrte wurde später Domvikar zu Mainz und war an der
1477 gegründeten Mainzer Universität Professor der Philosophie
. Seine Werke, über die der Aufsatz ausführlich berichtet
, erschienen teilweise bei Peter Drach in Speyer, teilweise
in Mainz in Druck. Diel war eine Zeitlaug Regens der
großen Burse, in der die von ihm vertretene via moderna die
herrschende war.

Zwei kleine Berichte über den Fund einer römischen Mauer
im Mainzer Domkreuzgang (von August Schuchert) und das
Johannisberger Lesepult, eine Steinfigur eines pulttragenden
Diakons, eines sog. „Atzmann" (von Adolf Geßner) schließen
die Festschrift ab. Neben den vielen gehaltvollen Beitragen
ist auch die gute Ausstattung des Bandes hervorzuheben. Die
würdige Festschrift für Prof. Reatz verdient weit über Mainz
und seine unmittelbare Nachbarschaft hinaus volle Beachtung
und besonderes Interesse.

Mainz Oeorg Biundo

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Mühl mann, W. E.: Mahatma Gandhi. Der Mann, sein Werk und seine
Wirkung. Eine Untersuchung zur Religionssoziologie und politischen Ethik.
Tübingen: Mohr 1950. VIII, 298 S. 8«. DM8.— ; Lw. DM 10.80.

Der Völkerkundler Mühlmann legt als Erster in deutscher
Sprache ein so umfassendes wissenschaftliches Werk über
Gandhi vor. Nirgends wird erwähnt, daß der Verf. Gandhi persönlich
begegnet sei. Es ist aber alle verfügbare Literatur eingesehen
worden, deren Angabe, auf 15 S., eine willkommene
Beigabe des Buches ist, zumal hier erstmalig alle deutschen
Veröffentlichungen über Gandhi genannt werden, abgesehen
von kleineren Aufsätzen und Zeitungsartikeln.

Mit großer Sachkenntnis und erstaunlich sicherem Urteil
führt der Verf. zunächst in die geschichtliche Umwelt des
Mahatma ein, schildert sodann seine Jugend und sein Werk
in Südafrika und zeigt die Vorgeschichte und den Ablauf der
indischen Freiheitsbewegung, wobei auf S. 81 auch Gandhis
Brief an Hitler abgedruckt wird (23. 7. 1939). Der Hauptwert
des sehr willkommenen Buches liegt in den folgenden Kapiteln
: „Der religiöse Mensch Gandhi" (seine religiöse Welt,
jainistische und buddhistische Wurzeln, Verhältnis zur
Bhagavadgita, seine Stellung zum Christentum); „Gandhis
politische Methoden" (die Lehre von der Gewaltlosigkeit, die
Methoden der politischen Aktion, Strategie, Steuerung und
Ablauf der Aktion, Ziel der Aktion); „Gandhi und das Problem
der politischen Ethik" (Beurteilung der Methode des gc-
waltlosen Widerstandes, Gesinnungs- und Verantwortungs-
ethik, seine politische Ethik und die indische politische Theorie
); „Gandhis Stellung zum Kultur- und Gescllschaftspro-
blem"; „Das Phänomen Gandhi". Dem folgen sechs Seiten
Anmerkungen, die Biographie und das Register.

Eine nähere Darstellung des stofflich und gedanklich
reichen Inhalts ist unmöglich: hier liegt das deutsche Staudardwerk
über das Phänomen Gandhi vor. Erfreulich ist u. a.
die Erwähnung (S. 149) von Gandhis Humor und der Hinweis,
daß „in unserem Ideal der Heiligkeit der Humor als Stufe
übersprungen wird". Dem wäre einmal nachzugehen unter Berücksichtigung
der Tatsache, daß der „sense of humour" in
der englischen Literatur und Personenbesclireibung eine
wesentlich andere Rolle spielt als bei uns und auch als eme
nötige missionarische Charaktereigenschaft angesehen wird.
Neu und gut ist auch, daß auf S. 219 die Rede von der angeblich
unpolitischen Sinnesart der Inder und damit auch das
gängige Bild von dem sanft dahinträumenden Hindu eine
Korrektur erfährt.