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Ausgabe:

1951

Spalte:

218

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Veritati 1951

Rezensent:

Schultz, Werner

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Theologische Literaturzeltving 1951 Nr. 4

218

FESTSCHRIFTEN

[Dibelius-Fcstschrifti: Die Stunde der Kirche. Dem evangelischen
Bischof von Berlin D. theol. Dr. ]ur. Dr. phil. Otto Dibelius zum 15. Mai
1950. Dargereicht von den Oeneralstipcrintendcnten der Evangelischen
Kirche in Berlin-Brandenburg in Gerneinschaft mit Fr. Bartsch, H. Held,
H. Lilje, H. Lokles, A. Nygren, K. Scharf, H.Vogel, Th. Wenzel. Berlin:
Evang. Verlagsanstalt [1950|. 240 S. 4«. Lw. DM 15.—-.

Der stattliche Band, eine der Festschriften, welche Bischof
Dibelius zu seinem 70. Geburtstag überreicht wurden, enthält
Beiträge von den Generalsuperiutendenteu der Evangelischen
Kirche in Berlin-Brandenburg sowie von Dr. Friedrich
Bartsch, Präses D. Held, Bischof D. Lilje, Kirchenrat Lokies,
Bischof D. Nygren, Präses Scharf, Prof. D. H. Vogel, Kirchenrat
D. Dr. Wenzel.

Vor etwa 25 Jahren ist der Jubilar se lbst mit einem Buch
..Das Jahrhundert der Kirche", das die Folgerungen für die
Evangelische Kirche aus den Ereignissen beim Ausgang des
ersten Weltkrieges ziehen wollte, vor die kirchliche Öffentlichkeit
getreten. Es begegnete mit seinem damals anspruchsvoll
erscheinenden Titel vielfacher Kritik. „Die Stunde der Kirche"
sucht die kirchliche Entwicklung im deutschen Raum von damals
bis zur Gegenwart an einigen konkreten Beispielen und
Arbeitsgebieten zu skizzieren, eine Entwicklung, an der
Bischof Dibelius stärksten Anteil genommen und die er durch
aktiven Dienst, wie durch reiche literarische Produktivität
mitgestaltet hat. Es ist darum verständlich, daß eine Reihe
von Beiträgen die Persönlichkeit des Jubilars würdigen.
D.- Lilje hebt die dreifache kirchliche Erfahrung hervor, durch
die Dibelius auf sein gegenwärtiges hohes Amt vorbereitet
wurde. „Es ist der Dienst in der Evangelischen Kirche der
AltpreulMschen Union, also in einem geordneten Kirchenregiment
, dann die Zeit im Dienst der Bekennenden Kirche und
ga Kirchenkampf und endlich die führende Aufgabe in der
Periode des kirchlichen Wiederaufbaus nach dem Zusammenbruch
." Mehrere Beiträge zeichnen dieses Lebenswerk im einzelnen
, und Bischof Nygren zieht die Linie in die ökumenische
Arbeit, ,,er ist ein Vermittler sowohl der Kenntnis von
und der Gemeinschaft mit anderen Kirchen gewesen, es mögen
die schottische Kirche, die Evangelischen Kirchen Nordamerikas
oder andere gewesen sein". Alle betonen, daß den
Jubilar zweierlei besonders auszeichnet, einmal die Fähigkeit
, das Wesentliche in den wechselnden Bildern der kirchlichen
Ereignisse zu erkennen und die verschiedenen Frömmigkeitsprägungen
zu würdigen, ohne die eigene lutherische
Glaubenshaltting zu verleugnen, sodann die menschliche Nähe,
mit der er Erlebtes und Erschautes darzubieten weiß.
. . Der zweite Teil greift eine Reihe wichtiger Probleme des
Kirchlichen Dienstes auf. Der stellvertretende Vorsitzende der
Kammer für Evangelisches Schrifttum, Dr. Bartsch, legt den
Zusammenhang zwischen der Offenbarung Gottes und dem
«ifentlichkeitsdienst des gedruckten Wortes dar. Besondere
«eachtung verdienen die Ausführungen über Gotteswort und
Uichterwort. Prof. Heinrich Vogel verankert in eingehenden
theologischen Erörterungen die politische Verantwortung der
grelle im „Gnadengrund des Machtrechts Gottes", weil die
Kirche von dem „zu Gott-Hin-Sein" des Menschen weiß.
Wanrend Geueralsuperintendent Walter Braun am Beispiel
uer Wendenmissioii zwischen Elbe und Oder auf die Versuchungen
der Kirche aufmerksam macht, die Botschaft des
Briedens mit der Politik zu vermengen, fordert andererseits
^eneralsuperintendcnt Lic. G. Jacob stärkste Verwurzelung
aller Geschichtsdeutung im christlichen Kerygma und stellt
acr Kirche die Aufgabe, „in einer Zeit planetarischer Brände
pnü globaler Katastrophen nicht abseits zu leben und fremden
.Geschichtsbildern «las Feld zu überlassen; sie müsse vielmehr
S11 Frci,u'it und Würde ihres Dienstes auch auf dem
^ciilachtfeld der gegenwärtigen Weltgeschichte als Kirche der
fi "meiie vom dritten Ort her die Zeichen der Zeit voll-mäch-
2| "rthüllen". Diakonat und Katechetik behandeln als wich-
smi ebenszeugnisse der heutigen Kirche, die zugleich in be-
•"iicierer Weise die Zukunft bestimmen werden, Kirchenrat
mit 1 zel 1111(1 Kirchenrat Hans Lokies. Den Spannungen
tl . 1 eilrcn der reformatorische Kirchenbegriff geladen ist und
«m naulig nicht scharf genug gesehen werden, widmet General-
r J7mtcndent D. Jacobi seinen Beitrag, indem er sich mit
unri v zu dem bleibenden Spannungsverhältnis zwischen Sem
eeH 2re¥ali 1111 Begriff Kirche bekennt und davor warnt, die
ChiuS? larK(' dicta so leichthin mit dem lebendigen Leib
vwati zu identifizieren.

Eisel,S° ist das Persönlich Biographische mit dem theolo-
■ Ien un<l dem praktischen Dienst der Kirche in anregender

und beispielhafter Weise verbunden. Uber das ganze könnte
man einen Satz von Präses Scharf setzen: „Eigenen Wert hat
die Historie nicht; das auf Gott bezogene Stück der geschichtlichen
Wirklichkeit hat seinen Wert von ihm, von Gott selbst
und damit dann allerdings höchsten Wert. Das ist der Vorbehalt
, unter dem die Darstellung im einzelnen gelesen zu
werden bittet".

Greifswald von Scheven

iHessen-Festschrlft]: Veritati. Eine Sammlung geistesgeschichtlicher,
philosophischer und theologischer Abhandlungen. Als Festgabe für Johannei
Hessen zu seinem 60. Geburtstag dargebracht von Kollegen, Freunden und
Schülern. Hrsg. v. Dozent Dr. Willy Falkenhahn. München: Reinhardt
1949. 195 S., 1 Titelb. gr. 8«. DM9.50; Hlw. DM11.—.

Johannes Hessen steht von den neueren katholischen Reli-
gionsphilosophen der evangelischen Theologie am nächsten,
wie seine Gesamthaltung eine überkonfessionelle Tendenz erkennen
läßt: „Katholik sein heißt das Wahre und Gute, das
Schöne und Heilige bejahen, wo immer es sich findet" (Luther
in katholischer Sicht, 1944, S. 7). Diese überkonfessionelle
Tendenz kommt auch in den vorliegenden, ihm gewidmeten
Abhandlungen zum Ausdruck, in denen Theologen aller
christlichen Konfessionsfonnen und Philosophen der unterschiedlichsten
Richtungen zu Wort kommen. Beginnend mit
einem Glückwunsch Werner Jägers, in welchem der gemeinsamen
Aufgabe, der Erhaltung der geistigen Tradition des
Abendlandes gedacht wird, gipfelt das Ganze auf in der Darstellung
Carola Barths von den Bestrebungen Hessens und
Rudolf Ottos, einen „religiösen Menschheitsbund" zu begründen
, nicht um eine „Union der Religionen" oder eine
„Universalreligion" herzustellen, sondern um die Eigenart der
verschiedenen Religionsformen tiefer zu verstehen und ihre
Beziehungen untereinander in solchem umfassenden Verstehen
zu pflegen.

Damit ist zugleich der Name genannt worden, mit dessen
theologischen Anliegen sich Johannes Hessen am stärksten
verbunden weiß: Rudolf Otto. Beiden gemeinsam ist das Bestreben
, die Religion als Phänomen sui generis zu verstehen
und vor dem Zugriff philosophischer Verdeutungen zu
schützen. Dies Bestreben hat Hessen immer stärker weggeführt
von der mittelalterlichen Scholastik und ihrem
Hauptvertreter Thomas v. Aquin und hingeführt zu Augustin,
dessen religiös mystische Gotteserkenntnis er zuerst herausarbeitete
. Und diese Gabe, fremdes religiöses Leben aus sich
zu verstehen, das Verbindende und Trennende in feiner Abwägung
sehen zu lassen, gab ihm auch die Möglichkeit, ein
Bild des deutschen Reformators zu geben, „wie kein Katholik
vor ihm es bisher zu geben vermochte". Das ist mit Recht von
Paul Althaus in seiner Abhandlung: Das Bild Luthers bei
Johannes Hessen (Festschrift 162 ff.) hervorgehoben worden.
Hatte Hessen bereits in seiner wertvollen Arbeit „Piatonismus
und Prophetismus" (1939) den prophetischen Charakter der
Religion Luthers im Gegensatz zu dem Platonikcr Thomas
mit einer für einen katholischen Christen erstaunlichen Feinfühligkeit
herausgearbeitet, so zeigt er in seiner neueren
Schrift „Luther in katholischer Sicht" (1947), daß Luther
weder als Subjektivist noch als Individualist gewertet werden
darf, sondern nur als honio propheticus, dem es nur um Gott
ging und seine Gnade. Und das durch das ganze Lebenswerk
Hessens hindurchgehende Motiv, nur der Wahrheit zu dienen,
findet jetzt seinen deutlichen Ausdruck in der Feststellung,
daß Luthers Botschaft nicht nur in seiner historischen
Situation für die Kirche notwendig und heilsam war, sondern
auch für den modernen Katholizismus „wegweisende Bedeutung
" hat.

Es würde zu weit führen, auf die Abhandlungen der Festschrift
im einzelnen einzugehen. Sie nehmen zum größten Teil
Stellung zu Grundproblemen der Philosophie und Theologie
oder zu besonderen Gegenstandsgebieten dieser Disziplinen
wie Friedrich Heilers aufschließende Abhandlung über „Wertung
und Wirksamkeit der Frau in der christlichen Kirche"
oder Fedor Stepuns interessante Erzählung über „Nicolai
Berdjajew im bolschewistischen Rußland". Das Ganze ist getragen
von der Hochachtung vor dem Forscher, von der Verehrung
für den vorbildlichen Lehrer und Menschen Hessen,
von dem echten Geist der una saneta. Viele evangelische
Theologen werden sich in dem gleichen Gefühle mit dem verbunden
wissen, dem diese wertvolle Festgabe dargebracht
wurde.

Kiel Werner Schultz