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Ausgabe:

1951 Nr. 4

Spalte:

207-216

Autor/Hrsg.:

Hupfeld, Renatus

Titel/Untertitel:

Wege zur Überwindung der heutigen Ehekrisis 1951

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207

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 4

20S

h of sehen Buches einen Eindruck zu vermitteln. Es ist ein durchaus
theologisch gemeintes Buch, das mit Wertungen nicht zurückhält
. Der Verf. macht daraus kein Hehl, daß ihm die
calvinistische Auffassung der kirchlichen Freiheit und Theo-
kratie, vermehrt um das Gebot der Toleranz, schlechterdings
richtig und biblisch geboten erscheint. Die Kämpfe des 4. Jahrhunderts
waren sicher ein glücklich gewähltes Feld, um den
positiven Sinn dieser Forderungen geschichtlich zu erläutern.
Aber es scheint mir zum Schluß doch notwendig daran zu erinnern
, wie viele Probleme nicht nur politischer, sondern auch
kirchlicher Art bei dieser Sicht der Dinge überhaupt nicht in
den Blick kommen und wie wenig das geistige Wollen der
Epoche mit diesen drei Formeln tatsächlich erschöpft ist. Es
genügt, das Mönch tum zu erwähnen, dessen radikale Entscheidung
ein Verhältnis zur Welt (und damit auch zur politischen
Welt) erkennen läßt, von dem in unserem Buch, soweit
ich sehe, nirgends die Rede ist. Auch die Darstellung
Augustins, die bezeichnenderweise nur anhangsweise gegeben
wird, kann nicht ganz befriedigen. Der Verf. wundert sich
selbst, daß in De civitate Dei, der großen, weltgeschichtlichen
Abrechnung mit dem do-ut-des-Prinzip der politischen Tradition
, so wenig „theokratische" Äußerungen zu finden sind,
und sucht diesen Tatbestand mit der rückschauenden Betrachtung
des Buches zu erklären (S. 206). Aber es handelt
sich hier schwerlich nur um einen literarisch, psychologisch
(S. 209) oder auch zeitgeschichtlich bedingten Zufall. Augustin
kennt in De civitate Dei tatsächlich wohl Pflichten eines
christlichen Herrschers, aber er kennt keinen Staat, der als
solcher in die von der Kirche gepredigte Ordnung hineingenommen
würde, und die wirkliche Gerechtigkeit ist (wie
gegenüber der Darstellung auf S. 208 betont werden muß) für
ihn überhaupt kein Wesensmerkmal der Staatlichkeit. Der
„Staat" bleibt ihm seinem Wesen nach eine heidnische oder
bestenfalls eine neutrale Größe, in der sich die Kirche vorfindet
und die sie zu durchwandern hat. Augustin denkt nicht
-„theokratisch" wie das Mittelalter, sondern eschatologisch,
und gerade diese Haltung, die ihn von seiner späteren Zeit
scheidet, schließt ihn mit dem Urchristentum zusammen.
Diese weltgelösten, urchristlichen oder auch asketischen Züge

wird man in der Beurteilung des byzantinischen politischen
Systems gleichfalls wohl etwas stärker in Rechnung stellen
dürfen, um dessen relatives Recht nicht so völlig zu verkennen
, wie es der Verf. tut.

Vgl. hierzu auch den Aufsatz von A. Kartaschow über „die Entstehung
der kaiserlichen Synodalgewalt unter Konstantin dem Großen, ihre theologische
Begründung und ihre kirchliche Rezeption" in: Kirche und Kosmos
(Orthodoxes und evangelisches Christentum, Studienheft 2, 1950, S. 137 ff.). —
Umgekehrt beurteilt der Verf. das „theokratische" Mittelalter merkwürdig
positiv. Er stößt sich kaum an der gesetzlichen Gefahr, überhaupt nicht an
dem grundsätzlichen Klerikalismus als solchem und verwirft nur entschieden
die direkte päpstliche Einmischung in die weitlichen Macht- und Hcrrschafts-
kämpfc. Vom Luthertum, das nicht „zu einem neuen theokratischen Verhältnis
dem Staat gegenüber gelangen konnte", heißt es natürlich wieder einmal,
es sei „der Obrigkeit gegenüber nicht über die passive Haltung hinausgekommen
" (S. 213).

Allein solche Erwägungen und Differenzierungen führen
von dem Ziele ab, das sich unser Buch gestellt hatte. Es ist
keine bloß historisch gemeinte Untersuchung zur „Geistesgeschichte
" des 4. Jahrhunderts, sondern es ist ein 1942 in den
Niederlanden geschriebenes Buch und als solches ein Bekenntnis
. Damals mußte der Verf., wie er uns eingangs berichtet,
vorübergehend „untertauchen", und in dieser unfreiwilligen
Muße entstand dies Buch als ein „Zeitvertreib" und zugleich
als eine „historische Rechtfertigung der Haltung der Kirche
während der Besetzung gegenüber den damaligen Macht-
habern" (S. 5). Es ist zu bedauern, daß eine Besprechung erst
heute erfolgen kann (der Rez. trägt daran keine Schuld). Wir
haben es in den vergangenen Jahren ja alle erlebt, was es bedeutete
, wenn früher fern liegende Ereignisse der Vergangenheit
, etwa des Interims und der Hugenottenkriege oder
auch des Investiturstreits und des Kulturkampfs, mit einem
Mal sich gleichsam von selbst aktualisierten und damit in ein
ganz bestimmtes Licht traten. Aber kaum ein zweites Mal
hat dieser aktuelle Bezug zu so starken und gehaltvollen
Leistungen geführt wie hier in Berkhofs Buch. Es wird
darum noch lange aktuell bleiben.

Heidelberg H. v. Campenhausen

Wege zur Überwindung der heutigen Ehekrisis

Von R. Hupfeld, Heidelberg

Die unübersehbar anschwellende Literatur über die Ehe
offenbart deutlich, daß die Krisis, in die sowohl die Ehe, wie
die Familie heute geraten ist, noch längst nicht überwunden ist.

Diese Krisis hat verschiedene Wurzeln. Romantische
Ubersteigerung der Anforderungen an die Liebesintensität
einerseits, naturalistischer rein auf Auskostung der Lust ausgehender
Eudämonismus andererseits haben dazu geführt,
daß der Glaube daran, daß die Ehe in der überlieferten Form
der Dauer- und Einehe noch durchführbar sei, ins Wanken
geraten ist. Praktisch zeigt sich diese Verzweiflung an der
Möglichkeit der Ehe zunächst in der ungeheuren Zunahme der
Ehescheidungen. Ferner aber haben dieselben Ursachen, wozu
noch die heutigen schwierigen Lebensverhältnisse, vor allem
die Wohnungsnot, kommen, auch den Willen zum Kind, d. h.
zur Familie, in einem unheimlichen Maße — man könnte fast
sagen — zum Ersterben gebracht, so stark, daß, ganz abgesehen
von der Gefahr der Vergreisung, d. h. der Gefahr, daß
eine viel zu geringe Schicht von arbeitsfähigen Jüngeren eine
viel zu große Schicht von nicht mehr arbeitsfähigen Alten ernähren
muß, was zu schwersten sozialen Nöten führen kann, —
sogar die Gefahr einer Art von Völkerselbstmord besteht, der
vielen vor allem westlichen Völkern mit ihren relativ hohen
Lebensansprüchen droht.

Es liegt auf der Hand, daß hier nicht Gesetze entscheidend
helfen, sondern nur innere Umstellungen. Irgendwie ist ja doch
diese gesamte Entwicklung ein Symptom dafür, daß unser
Menschentum selbst im Begriff ist abzusinken. Es ist infolgedessen
kein Wunder, wenn solche Persönlichkeiten, die sich
als Seelsorger, Ärzte oder Erzieher in besonderer Weise für die
Erhaltung des „Humanuni" verantwortlich fühlen, zur Feder
greifen, um Hilfe und Rat zu geben. Die im folgenden zur
Besprechung kommenden Bücher sind alle in der Diagnose
und in der Sorge um die heute aufgebrochene Ehenot einig.
Sie stehen zum Teil auf sehr verschiedenen Standpunkten,
aber sie treffen doch vielfach in entscheidenden Einsichten —
das sei vorausgeschickt — zusammen.

Es ist vielleicht kein Zufall, wenn fast die Hälfte der zur
Besprechung vorliegenden Bücher von katholischer Seite

kommt. Einmal ist das durch die große Bedeutung, die schon
immer die Behandlung von Ehenöten in der Beichtstuhlseel-
sorge gehabt hat, bedingt, ferner dadurch, daß die kirchengesetzliche
Verweigerung der Ehescheidung und der Ge-
burtenverhütung dem Katholiken gerade unter den schwierigen
heutigen Verhältnissen besondere Lasten auferlegt und
deshalb hier das Problem, wie man die Gemeinde richtig
unterrichtet, besonders brennend ist. Dazu kommt, daß sich,
nachdem die päpstliche Enzyklika: „Casti connubii" dazu das
Tor geöffnet hat, eine eigenartige Neuorientierung der katholischen
Sexualethik durchzusetzen begonnen hat. Während die
frühere Moraltheologic die Ehe in erster Linie unter dem Gesichtspunkt
der Kindererzeugung für gerechtfertigt hielt und
nur unter diesem Gesichtspunkt auch den Geschlechtsverkehr,
ist man jetzt auf dem Wege, die Ehe auch als selbständige
Lebensgemeinschaft zu werten. Dadurch sind aber eine Reihe
von neuen Problemen entstanden, die die Federn katholischer
Autoren in besonderer Weise in Bewegung gesetzt haben.

Neben einigen von mir schon früher (ThLZ 1948, Heft 10)
besprochenen Schriften (von Breidenstein u. a.), neben dem
hier eine führende Stellung einnehmenden Buch von Herbert
Doms, Vom Sinn und Wert der Ehe, möchte auch das hier
zu besprechende Büchlein von Stephan Wildemann1 indieser
Richtung verstanden werden. Schade ist, daß er in seiner Einleitung
vor allem Luther verantwortlich macht für das heutige
Versinken der Ehe im Nur-Naturhaften und daß er mit einem
reichlich überspannten Selbstbewußtsein behauptet, daß die
katholische Kirche die „einzige Kirche sei, die die Ehe für
heilig und darum unauflöslich hielte". Es müßte doch einem
katholischen Theologen bekannt sein, warum die Reformatoren
den sakramentalen Charakter der Ehe leugneten, daß
das auf dem strengeren Sakramentsbegriff, den sie anwenden,
beruht, nicht aber den Sinn hat, die Ehe in ihrer Heiligkeit
zu entwerten: im Gegenteil, gegenüber der Wertung allein des
Priesters und des Mönchs als heiligen Ständen liegt ihnen
daran, die Heiligkeit der bisher für rein weltlich erachteten

') Wildemann, Stephan: Ehe und Jungfräulichkeit. Karlsruhe:

Badenia Verlag [1049). 87 S. R«. Kart. DM2.80.