Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1951

Spalte:

203-208

Autor/Hrsg.:

Campenhausen, Hans

Titel/Untertitel:

Die Entstehung der byzantinischen und abendländischen Staatsanschauung des Mittelalters 1951

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

203

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 4

sierung von Laien-Heiligen wie des Thomas Morus und der
Jungfrau von Orleans vollzogen sieht und nennt die kommende
Geschichte der Kirche geradezu die Geschichte des Laien in
der Kirche, die „Kirchengeschichte der Laien". Auch auf die
liturgische Bewegung sowie auf die katholische Bibelbcwegung
weist er mit Nachdruck hin, wobei er jedoch ausdrücklich bemerkt
, daß es bei derartigen Bewegungen keineswegs um
„Neuerungen", sondern um Erneuerung gehen müsse.

Wir kennzeichneten die von Lortz proklamierte „katholische
Evangelizität" als die katholische Antwort auf jene
evangelische Katholizität, die mit den Namen bedeutender

Erotestautischer Theologen wie Heiler, Stählin und Karl Beru-
ard Ritter verbunden ist. Lortz bezieht sich in seinem Buche
einmal ausdrücklich auf Wilhelm Stähliu, der ja lange Jahre
hindurch mit ihm gemeinsam Professor der Theologie in Münster
, der Stadt des Bischofs von Galen und — der Wiedertäufer
war.

Wir können in diesem Zusammenhang auch auf ein soeben
neu erschienenes Buch verweisen, das sich bis in Einzelheiten
als eine evangelische Antwort auf die von Lortz aufgeworfenen
Fragen darstellt. Es handelt sich um den Band „Geschichtliche
Verantwortung" von Otto Heinrich von der Gahlen tz1,
der heute zu den bedeutendsten Vertretern des evangelischen
Laientums in Deutschland zählt und zudem als Glied der
Michaelsbruderschaft dem Kreis um Stählin zugehört.

Das Buch von der Gablentz' ist eine Sammlung von Aufsätzen
, die um die Frage des christlichen Geschichtsverständ-
nisses kreisen. Sie handeln im einzelnen von recht verschiedenartigen
Themen, aber es ist bei näherem Zusehen erstaunlich,
wie einzelne Aufsätze dieses ganz unabhängig von Lortz entstandenen
Buches unmittelbar wie Antworten auf die Vorträge
von Lortz erscheinen. So entspricht der Aufsatz „Kirche in
der Reformation" bis in Einzelheiten der Formulierung den
Vorträgen über Luther und die Ursachen der Reformation.
Die von Gablentz in „Gottesdienst und Weltgestaltung" gegebenen
Hinweise auf die Berneuchener Bruderschaft und ihre
Evangelische Messe muten wie ein aktueller zeitgeschichtlicher
Kommentar zu dem an, was Lortz über die Rolle der Bruderschaften
bei der innerkirchlichen Reform des 16. Jahrhunderts

') Gablentz, Otto Heinrich von der: Geschichtliche Verantwortung
. Zum christlichen Verständnis der deutschen Geschichte. Stuttgart:
Kiett [1949]. 179 S. 8°. HIw. DM 6.80.

sagt. Und eine ganze Reihe von Aufsätzen, ja im Grunde das
ganze Buch von Gablentz ist der Frage nach einem Verhältnis
zwischen Kirche und Welt gewidmet und zielt damit in die
gleiche Richtung, die Lortz mit seiner Formel von der Ent-
klerikalisierung und Laisierung der Kirche andeutet. So hat
man, liest man die beiden Bücher hintereinander, die Vorstellung
, in einem ganz besonderen Sinne Zeuge eines geistigen
Responsoriums zwischen den seit vierhundert Jahren getrennten
Konfessionen zu sein.

Das Erstaunlichste an diesem Responsorium ist die für
einen Außenstehenden vielleicht schon beinahe verwirrende
Tatsache, daß bei näherem Zusehen oder besser Hinhören gar
kein zu großer Abstand zwischen den Aussagen der beiden
Konfessionen mehr bestehen bleibt. Wir begegnen bei Gablentz
Formulierungen, die durchaus von Lortz stammen könnten
und ebenso umgekehrt. Und fast noch bedeutsamer ist es,
daß die konfessionelle Selbstkritik bei beiden einen viel breitereu
Raum einnimmt als die polemische Auseinandersetzung
mit der Gegenseite. Auch hier ist es höchst reizvoll, in den
beiden Büchern einander korrespondierende Äußerungen festzustellen
: wie sich etwa Lortz gegen eine gewisse „Hurrabegeisterung
" der deutschen Katholiken für den Vatikan wendet
, so Gablentz gegen die Auffassung der Reformationsfeier
als eines Siegesfestes, als „eine jener kränkenden Siegesfeiern
wie der Sedantag, die man in gedankenloser Unritterlichkeit
vor den Augen und Ohren des wirklich oder angeblich Unterlegenen
abhielt".

Gablentz tritt dem Ausschließlichkeitsanspruch der Konfessionen
mit der Feststellung entgegen, daß „die beiden Reformationen
", die von Wittenberg und die vonTrient, unvollendet
geblieben seien und daß daher das Reformationsfest für
Protestanten und Katholiken eine fortdauernde Mahnung sein
müsse, diese Reformationen zu vollenden, jede im Hinblick
auf die andere. Und er wagt in diesem Zusammenhang den
kühnen Satz: „Es könnte doch sein, daß wir die Väter lieute
besser verstehen, als sie sich selber verstanden, daß wir inzwischen
eine gemeinsame Sprache gefunden haben, in der
wir thomistische Formeln den Evangelischen und reformatorische
Formeln den Katholiken deutlich machen könnten".

Vielleicht sind wir in dieser Hinsicht in der Tat schon viel
weiter, als die große Menge des Kirchenvolkes auf beiden Seiten
weiß oder ahnt. Gerade das „responsorische" Nebeneinander
von Büchern wie Lortz und Gablentz erscheint uns hierfür
als ein ebenso tröstliches wie zuversichtförderndes Zeichen.

Die Entstehung der byzantinischen und abendländischen Staatsanschauung des Mittelalters

Von Hans Frhr. v. Campen hausen, Heidelberg

Im Jahr 1939 erschien „Die Theologie des Eusebius von
Caesarea" von H. Berkhof und wurde in dieser Zeitschrift
noch von H.-G. Opitz eingehend gewürdigt (1939, Sp. 452 —
456). Das glänzend geschriebene Werk war viel mehr als eine
wertvolle „dogmengeschichtliche" Monographie. Nach den
ähnlich gerichteten Studien von Baynes, Eger und Opitz
selbst glückte es hier in größerem Rahmen die innere Beziehung
aufzudecken, die zwischen der origenistischeu, analysierenden
Kulturtheologie Eusebs und seiner „politischen
Theologie" besteht und die bis dahin nur Erik Peterson geistreich
, aber viel zu konstruktiv gedeutet hatte. Sie liegt nicht,
wie dieser gemeint hatte, in dem monotheistischen (statt trini-
tarischen) Gedanken als solchem beschlossen, sondern in der
umfassenden Deutung der Heilsgeschichte als „Erziehung des
Menschengeschlechts" mit innerweltlichen, kosmopolitischen
religiösen Zielen. Jetzt faßt das neue Buch Berkhofs die
Gesamtentwicklung des 4. Jahrhunderts unter einem ähnlichen
Gesichtspunkt ins Auge und konzentriert sich dabei
noch entschiedener auf die kirchenpolitische Seite des Problems1
. Dem Kenner der Epoche wird es vielleicht nicht im
gleichen Umfang neue Erkenntnisse vermitteln. Dafür wendet
es sich bewußt an einen weiteren Leserkreis und kann alles in
allem als eine ausgezeichnete historiographische Leistung anerkannt
werden von einer Art, wie wir auf dem Gebiet der
Kirchengeschichte leider nur wenige besitzen. Geschrieben
unter großen, theologisch klar formulierten Gesichtspunkten
auf Grund einer sicheren Beherrschung des zum Teil recht
komplizierten Materials, bleibt die Darstellung nirgends bei
bloßen Quisquilien stecken, sondern umreißt in spannender,

■) Berkhof, Hendrik: Kirche Und Kaiser. Eine Untersuchung der
Entstehung der byzantinischen und der theokratischen Staatsauffassung im
vierten Jahrhundert. Aus dem Holland, übers, v. Oottfried W. Locher.
Zollikon-Zürich: Evang. Verlag 1947. 223 S. gr. 8'. sfr. 12.80.

fast journalistisch lebendiger Schreibweise die Entstehung und
Entfaltung einer Frage, die die europäische Geschichte
seitdem nicht mehr losgelassen hat: es geht um das Problem
von „Staat und Kirche", das im 4. Jahrhundert grundgelegt
wird, und zwar in seiner doppelten östlich-byzantinischen wie
in der westlich-theokratischen, „mittelalterlichen" Gestalt.
Die Lektüre des Buches ist ein Genuß; es bringt auch dem
Fachmann Anregung und Gewinn, und es zwingt zur Stellungnahme
.

Den Ausgangspunkt bildet eine kurze Skizze des römischen
Reichsgedankens und seiner Entwicklung seit Augustus,
die Ausbildung des universalen, monarchisch orientierten
Weltreichgedankens, der sich mit einer religiösen Ideologie
verbindet, die als solche immer wesentlicher wird und im Gedanken
eines (verschieden gesehenen) „höchsten Gottes" ebenfalls
einer monarchischen Krömuif, zustrebt. Nur das exklusive
Christentum läßt sich dieser kulturpolitischen Entwicklung
nicht einfügen; die großen Verfolgungen des 3. und 4. Jahrhunderts
werden also zu einer Unvermeidlichkeit. Mit Recht
wird der politische Glaube, der sie hervorruft, als solcher ernst
genommen. • Die staatliche Forderung eines einheitlichen
öffentlichen Kultus ruht, wie der Verf. immer wieder betont,
auf der alten römischen Uberzeugung des „do ut des" im Verhältnis
zu den Göttern: nur wenn sie zufriedengestellt werden,
ist ihr Schutz und Segen für das Reich gewonnen. Es erscheint
also als religiöse und politische Pflicht, für den rechten, einheitlichen
Gottesdienst zu sorgen und ihn notfalls auch mit
Gewalt zu erzwingen.

Zwei Momente scheinen mir in dieser Betrachtung allerdings
nicht genügend berücksichtigt zu sein. Gewiß ist das
stillschweigende Absehen von der persönlichen Gläubigkeit oder
Ungläubigkeit im öffentlichen Gottesdienst des Reiches traditionell
und bis zu einem gewissen Grade selbstverständlich;
aber angesichts der Ungeheuerlichkeit der Christenverfolgungen