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Ausgabe:

1950 Nr. 3

Spalte:

164-165

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Schweinsberg, Fritz

Titel/Untertitel:

Stimmliche Ausdrucksgestaltung im Dienste der Kirche 1950

Rezensent:

Stier, Alfred

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 3

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ratur. Vielleicht ist dies der Unmittelbarkeit der Gedanken
auch zugute gekommen, die warmherzig und mit innerer Anteilnahme
, frei von Polemik vorgetragen werden. Trotzdem
scheint es mir eine Beeinträchtigung für den Wert dieses „philosophischen
" Buches zu sein, daß seine Ergebnisse eigentlich
von den ersten Sätzen an feststehen und — dastehen.

Göttingen Wolfgang Trillhaas

Lechler, Alfred, Dr. med.: Seelische Erkrankungen und ihre Heilung.

Baden-Baden: Fehrholz 1948. 103 S. 8°. Kart. DM3.20.

„Wenn auch immer wieder die Erfahrung gemacht werden
kann, daß die Macht der Vererbung bei neurotischen Erkrankungen
durch einen lebendigen Glauben besiegt wird, so ist es
doch Tatsache, daß auch der Christenglauben oft genug den
Ausbruch der Neurose nicht völlig zu verhindern vermag."
Dieser Kernsatz gibt gleichsam die Grundtendenz der Schrift
wieder. Aber diese Grundtendenz ist nicht unanfechtbar.
Neurose selbst wird nicht vererbt, sondern nur eine Bereitschaft
dazu, eine gewisse Disposition. Was an vererbter Anlage
vorliegt, wird nicht „besiegt" — auch nicht durch einen lebendigen
Glauben. Was „besiegt" werden kann — wenn man mit
Lechlers Worten so sprechen will —, ist lediglich dies, daß aus
der Bereitschaft zur Neurose ein neurotisches Geschehen selber
wird. Das ist das eine. Und das andere ist dies: wo echter,
lebendiger Christenglaube ist, da hat Neurose keinen Platz.
Da kann die Neurose auch nicht zum Ausbruch kommen.
Denn Neurose ist „falsche Lebensbewältigung". Der Christ
aber, wenn und soweit er Christ ist, wird auf die Schwierigkeiten
des Lebens nicht neurotisch reagieren, sondern so das
Leben „bewältigen", wie es einem Christen in der Liebe Gottes
und im Vertrauen auf die Gnade Jesu Christi geschenkt wird.
Die Schwierigkeit liegt nur darin, daß Christenglaube ja kein
fester, ein für allemal erworbener Besitz ist, sondern daß er
täglich, ja stündlich neu erworben werden muß. Im bekannten
Lutherwort ist das so ausgedrückt, daß wir nicht im „Frommsein
" stehen, sondern — allenfalls — im „Frommwerden". In
dem Moment aber, als wir aus dem „Sein" oder „Werden"
herausfallen, stehen wir auch der Neurose offen. In der Sprache
der Psychotherapeuten heißt das: Neurose tritt nur bei brüchiger
Religiosität auf. Soweit der Christ im Glauben nicht
feststellt, sondern labil geworden ist, soweit ist er für die
Neurose anfällig geworden. Es wäre zu empfehlen, wenn der
Verf., dessen Schrift sonst gute Dienste tun kann, bei der nächsten
Auflage, deren sie schon mehrere erlebt hat, solche Unklarheiten
beseitigen würde.

Berlin Kurt Böhme

Rotthaus, e.: Das Sittliche eine Kraft des menschlichen Unbewußten.

Psychologische Abhandlungen aus der psychotherapeutischen Praxis. Stuttgart
: Klett [1949J. 109 S. 8°. Hlw. DM 5.50.

Daß der Seelsorger auch die Grundprinzipien der Psychologie
beherrschen sollte, ist in den letzten zwei Jahrzehnten
oft gesagt worden; wirksam aber sind solche Appelle in der
Regel nicht geworden, und man kann es verstehen; denn viele
psychologische Systeme trugen geradezu den Stempel einer
Pseudoreligion, und bei allen war schwer zu erkennen, wie sie
sich mit einem religiösen Weltbild vereinen ließen. Hier scheint
das Buch von Rotthaus eine Brücke zu schlagen. Rotthaus
ist praktischer Psychotherapeut aus der Schule von Jung.
Seine These geht dahin, daß unser Unbewußtes nicht der
Schutthaufen unserer Individualität sei, aus dem nur Störendes
und Nachteiliges in unser Tagleben hineinwirke; er meint
vielmehr, daß gerade durch das Unbewußte das Göttliche
spricht. Da er dieses weitgehend mit dem Sittlichen gleichsetzt
, sieht er im Traum vor allem einen sittlichen Appell;
den Traum zu deuten heißt diesen Appell verständlich machen,
ihn befolgen heißt gesunden. Das Buch enthält reiche Belege
aus der Praxis des Verf .s, die seine Thesen glaubhaft machen.

Es mag hier dahingestellt bleiben, ob neben dem sittlich
gebietenden Traum nicht auch andere Träume aufleuchten;
denn der Reichtum scheint hier gewaltig; neben dem erkenntnisbringenden
Traum (Kekule — Benzolring) steht der trostbringende
, steht endlich wohl auch der ov?.os Svayog Homers.
Richtig aber ist, daß der sittlich gebietende Traum bisher verkannt
oder kaum beachtet worden ist. Welche Bedeutung dem
Hinweis Rotthaus' auf den sittlichen Traum zukommt, erfährt
der Leser selbst, indem ihm aus eigener Beobachtung
eine Fülle bestätigender Traumerlebnisse zufließt. — Die Erkenntnisse
des Buches reichen aber weit über das Psychotherapeutische
hinaus, sie greifen über in den Bereich der Religions-

Esychologie: aus dem Unterbewußtsein oder durch dasselbe
indurch stiegen in vergangenen Zeiten die Urbilder ins Licht
des Tagdaseins; hier wurden sie bewußte Religion, die dennoch
in lebendigen Epochen in dauernder Wechselwirkung mit dem

speisenden Urquell blieb. Heute werden die wachen Bilder der
religiösen Vorstellung nicht mehr genährt; der „Mythos" verblaßt
, während der innere Urquell neue Bilder formt, deren
Deutung weitgehend über die psychologische in die priesterliche
Sphäre hinüberreicht.

Das Buch rührt an den Kern. Es zieht eine Fülle weiterer
Fragen nach sich und läßt den Leser nicht los. Nach seinem
Inhalt wie nach seiner sittlichen Haltung muß es vor allem den
Theologen lebhaft ansprechen. — Die Schrift von Rotthaus
erscheint als ein großer Wurf.

Mainz Adalbert Erler

KIRCHENMUSIK

Grolman, Adolf von, D.Dr.: Johann Sebastian Bach. Heidelberg: Lambert
Schneider £1948]. 223 S. 8°. Pp. DM6.—.

Grolmans Buch geschähe zu viel Ehre, wenn sein Inhalt
an dieser Stelle einer auch nur ganz kurzen sachlichen Besprechung
unterzogen würde. Es ist indiskutabel; sowohl was
den Stil, wie auch was seine geschichtlichen oder künstlerischen
Aussagen angeht. In majorem gloriam Bachs wird von
der „Wüste der Wiener Klassiker" geredet, in deren „Zwangsvorstellungen
" heute noch viele „dahindämmern". Mozarts
Musik ist „Trällerei". „Wenn es dröhnt und Radau macht",
dann ist es „Beethoven"; seine Werke werden als „Lustmusik
für Geheimräte" bezeiclmet. Wagner, ein „irrationaler Zirkusdirektor
", liebte ihn, da er „seiner Effekthascherei entspricht".
Brackner „preßte hinter seiner Orgel schlechte Wagnersche
Erinnerungen nochmals in Klavierauszüge". — Genug der
Beispiele aus einer Uberfülle ähnlicher.

Bach allein bleibt bestehen und wird in den Himmel gehoben
. Leider fehlen dem Verf. zur Beurteilung Bachs aber
die elementaren Vorkenntnisse. Es ist ein erschütterndes
Zeichen für die Geisteslage der Gegenwart, daß ein Verlag wie
Lambert Schneider dies Manuskript annahm. Jeden, der sich
ernsthaft um ein kirchliches, theologisches Verständnis Bachs
bemüht, berührt zudem Grolmans frömmelnde Art (Romantik
im schlechtesten Sinn des Wortes) einfach peinlich.

Berlin F. Smend

Schweinsberg, Fritz: Stimmliche Ausdrucksgestaltung im Dienste

der Kirche. Ein Werkbuch für die Wiederaufbauarbeit. Heidelberg: Kerle
1946. 524 S. gr. 8°. Hlw. DM12.—.

Dies umfangreiche Buch will ein „Werkbuch für den Wiederaufbau
" sein. Es bietet den Stoff, die Anleitung für die
methodische Arbeit und ausführliche Hinweise auf die wissenschaftliche
Fachliteratur für ein „neues" Unterrichtsfach bei
der Ausbildung der Prediger, nämlich für die „Sprecherziehung
", welches Gebiet aber hier mit dem umfassenderen
Namen „stimmliche Ausdrucksgestaltung" benannt ist. Es ist
erstaunlich, daß dieses Fach bei der Ausbildung der Prediger
eine völlig unbedeutende oder gar keine Rolle bis jetzt gespielt
hat, obgleich doch dieser Beruf wie kaum ein anderer auf die
Wirkung der Stimme gestellt ist. Das vorliegende Buch dürfte
in der Wertung der sprachlichen Ausbildung des Geistlichen
gründlich Wandel schaffen. Seiner wissenschaftlichen Beweisführung
, getragen von einer ganz außergewöhnlichen Kenntnis
der Fachliteratur, wird sich kaum jemand entziehen können.

Das Buch zerfällt in drei Hauptteile. Der erste behandelt das technische
Zustandekommen von Stimme und Sprache, die Funktion des Stimmorgans.
Diese sehr komplizierten Vorgänge sind mit einer seltenen und überzeugenden
Klarheit dargestellt. Eine sichere Grundlage für das methodische Arbeiten ist
damit gegeben. Methodische Anweisungen zur Stimmerziehung werden allerdings
nur ganz allgemein angedeutet. Es ist vermieden, einzelne Übungen zu
beschreiben, weil diese nur im lebendigen Gegenüber von Lehrer und Schüler
ganz begriffen werden können und im Unterricht verschiedenartig auszuwerten
sind. Doch hätte der Verf. hier etwas weniger zurückhaltend sein sollen. Daß
er damit nicht Schaden angerichtet hätte, beweist das Beispiel der auf S. 116
beschriebenen, ausgezeichneten Art, falsche Atemführungen zu berichtigen.
Man geht wohl nicht fehl, wenn man vermutet, daß gewisse grundlegende
Übungen der Stimmbildung auch bei dem Verf. an Urfunktionen der Stimme
(Staunen, Seufzen, Stöhnen u. a.) anknüpfen, die als unwillkürliche und oft
völlig unbewußt geschehende Stimmäußerungen ein Gefühl für die richtigen
Muskelfunktionen beim Singen und Sprechen vermitteln können und zugleich
die Funktion der Muskeln kräftigen. — Der zweite Teil behandelt Singen und
Sprechen als nachschaffende Ausdrucksgestaltungen. Im Abschnitt
„Singen" verdienen die Ausführungen über das Choralsingen (Gregorianischer
Choral, das Buch kommt aus dem Bezirk der katholischen Kirche) größte Aufmerksamkeit
. Der Verf. wendet sich hier ausdrücklich unter Herbeiziehung
vieler fachmännischer Urteile gegen die falsche Objektivität beim Singen des
Chorals, die oft nur durch Vergewaltigung der lebendigen Sprache erreicht
wird. Diese Ausführungen sollten alle die sehr gründlich lesen, die heute Im