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Ausgabe:

1950 Nr. 3

Spalte:

160

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Erasmus, Desiderius

Titel/Untertitel:

Vertraute Gespräche 1950

Rezensent:

Stupperich, Robert

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 3

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Gegensatz zu Luther gesetzt (S. 280) und dessen Unabhängigkeit
von Wittenberg in seiner Bibelübersetzung scharf betont
wird (S. 313). Die von Luther übernommenen Prologe und
Glossen rechtfertigen nach S.s Ansicht die Unterdrückung der
Tyndaleschen Ubersetzung (S. 322 u. ö.). Daß bei einer derartigen
Grundhaltung die Bedeutung des Luthertums für die
Anfänge der englischen Reformation unter Heinrich VIII.
nicht richtig gewertet werden kann, dürfte klar sein.

Darüber hinaus wird der „servile Respekt" (S. 334) der
Engländer vor den „Ergebnissen" (S. 204ff.) der deutschen
Wissenschaft, der bis in die Gegenwart hineinreiche, getadelt.
Diese Urteile erklären den Tatbestand, daß S. bei seinem sonst
umfassenden Literaturstudium deutsche Quellen nicht benutzt
hat.

Die Geringschätzung der deutschen Wissenschaft gegenüber
führt nun aber dazu, daß S. die Wiederentdeckung der
„Wittenberger Artikel" von 1536 durch Georg Meutz (Leipzig
1905) entgangen ist. Infolgedessen stellt er die These auf, die
13 Artikel, die das Ergebnis der Verhandlungen von 1538
waren, seien bereits 1536 entstanden. Damit kommt er zu
falschen Schlüssen betreffs der Bekenntnisbildung (S. i36ff.).
Daß das zeitweilige Eingehen Heinrichs VIII. auf die lutherische
Theologie nur aus politischen Gründen zu erklären ist,
daß der König vielmehr gar nicht daran dachte, von der Lehre
der mittelalterlichen Kirche abzugehen, soweit sie den päpstlichen
Supremat nicht berührte, wird mit Recht scharf herausgestellt
. Das ändert freilich nichts an der Tatsache, daß die
Verhandlungen mit den deutschen Lutheranern von Cranmer
und seinen Gesinnungsfreunden ernst gemeint waren. Ihre
Nachwirkungen auf die Formulierungen der auch heute noch
offiziell gültigen Bekenntnisse und Gottesdienstordnungen des
Anglikanismus sind größer, als man in weiten Kreisen dort heute
zuzugeben bereit ist. Man darf allerdings auch nicht in den entgegengesetzten
Fehler verfallen und „die deutschen religiösen
Anregungen nach Punkten werten", wie es Hans Leube einmal
ausdrückt (Reformation und Humanismus in England.
Leipzig 1930. S. 7).

Erwähnt sei schließlich, daß S. eine geschickte, von
Seckendorff (III, 228L) bereits aufgedeckte Fälschung von
1539 wieder ans Licht zieht, wonach Luther und Melanchthon
angeblich in wesentlichen Punkten zur mittelalterlichen
Kirchenlehre zurückgekehrt sein sollen. S. stellt das Dokument
als Produkt der Diplomatie des sächsischen (nicht hessischen
, s. S. 141) Vizekanzlers Burkhart hin und spricht die
Vermutung aus, Burkhart habe in England aus politischen
Gründen für sein Vaterland lügen müssen (S. 143f.).

Eine derartige Darstellung der deutschen Reformation in
einem sonst sehr wertvollen, wissenschaftlich einwandfreien
Werk ist im Zeitalter der ökumenischen Annäherung besonders
zu beklagen. Abgesehen davon ist aber die Lektüre des Buches
gerade dem deutschen Theologen, der sich über den heutigen
Anglikanismus ein Urteil bilden will, sehr zu empfehlen, da es
in äußerst lesbarer Form in das Selbstverständnis dieser Kirche
einführt. Hier werden alle die Punkte behandelt, auf denen für
den Anglikaner unserer Tage die Hauptakzente liegen, die aber
dem deutschen Protestanten zum Teil peripherisch erscheinen.
Erwähnt seien lediglich die Bemühungen, die Kontinuität der
heutigen Kirche von England mit der mittelalterlichen Kirche
in England zu beweisen, sowie die immer wieder betonte entscheidende
Wichtigkeit der apostolischen Sukzession der anglikanischen
Bischöfe. Gerade aus solchen Punkten erklärt sich
ja die oft bei uns mißverstandene Stellung anglikanischer
Christen zu den Reformationskirchen des Kontinents.

Für den Bibliographen interessant ist die Zusammenstellung der Forschungsergebnisse
über die Herkunft der englischen Reformationsdrucke, die
das Impressum „Hans Lufft, Marburg" tragen und die jetzt allgemein dem
Antwerpener Drucker Hochstraten zugeschrieben werden (S. 305 ff., S. 424).

Münster/W. Erich Thür mann

Pf ister, Rudolf, Pfarrer Dr. theol.: Zwingli, der Theologe. III. Teil be-
arb. Zürich: Zwingli-Verlag [1948]. VI, 364 S. m. Abb. kl. 8° = Zwingli-
Hauptschriften, bearb. v. Prof. Dr. F. Blanke, Prof. Dr. O. Farner, Pfr. Dr.
R. Pfister. Bd. 11. Lw. Fr. 12.—.

An sechster Stelle in der Folge des Erscheinens liegt mit
diesem 11. Bande der Gesamtreihe ein weiterer Teil der
Schriftengruppe vor, die Zwingli dem Theologen gilt. Er enthält
die Schrift „Von dem Touff" von 1525, „Ein klare Unde-
richtung vom Nachtmal Christi" von 1526, die „Fidei ratio" =
.Huldrych Zwingiis Rechenschaft des Glaubens' von 1530 und
die „Expositio fidei" = .Kurze und klare Erklärung des von
Huldrych Zwingli gepredigten Glaubens' für Franz I. von
Frankreich von 1531. — Jeder Schrift ist eine kurze geschichtliche
Einleitung und Inhaltsangabe vorgesetzt, sowie ein Bild

zeitgenössischen Ursprungs (bei Karl V. ist die Herkunft des
Bildes nicht angegeben).

Die deutschen Schriften sind wörtliche, jedoch glücklicherweise
keine buchstabengetreuen Abdrucke der Originalfassungen
; die größere Nähe des modernen, deutschsprachigen
Schweizers zur Sprache seiner Reformatoren läßt dieses Verfahren
auch bei einer „Volks-Ausgabe", d. h. einer Ausgabe
für den gebildeten Laien, als zulässig erscheinen, zumal auch
von sprachlichen Erläuterungen im Anschluß an die große
Ausgabe im Corpus Reformatorum starker Gebrauch gemacht
wird.

Manchmal meint man, es sei des Guten zuviel getan, zuweilen vermißt
man Erläuterungen: z. B. „harintretende", S. 8 Mitte; dem ganzen Bibelzitat
widmet CR eine umfangreiche sprachliche Erläuterung! Und ob der heutige
Schweizer ohne weiteres weiß, was eine „Bergrüfe" ist (S. 13)? — Auch der
Wert der kurzen geschichtlichen Anmerkungen ist unterschiedlich: daß Ambrosius
seit 347 Bischof von Mailand gewesen sei, ist wohl eine Verschreibung
(ebenso wie Alexander von „Abonnteilas" [S. 8], der freilich als solcher auch
Im Register erscheint!), daß ihm aber auch der Kommentar zu 1. Kor. zugeschrieben
wird, S. 237 Anm. 250 und S. 283, ist schon störender.

Die Übertragung der lateinischen Schriften ist durchweg
sorgfältig und in modernem Deutsch abgefaßt. (.Auctoritas'
[S. 263] heißt einfach .Schriftwort'.)

Zu dem Inhalt der Zwinglischriften ist an dieser Stelle
nichts zu sagen. Aufschlußreich für die gegenwärtige Situation
sind jedoch zwei Feststellungen der Einführungen: einmal die,
daß „die täuferische Behauptung, die Säuglingstaufe habe mit
der Taufe im Neuen Testament nichts zu schaffen" „zu Recht"
bestehe (S. 4)., zum anderen die Feststellung über die Fidei
ratio: „Mannhaft und frei vertritt Zwingli in der „Rechenschaft
" seine Uberzeugung, nichts vom kriecherischen (!)
Wesen wie bei der Augustana ist zu bemerken. Denn Zwingli
steht fest auf dem Wort Gottes" (S. 254).

Halle/S. Ernst Kähler

Erasmus von Rotterdam: Vertraute Gespräche (Colioquia Familiäre).
Übertr. u. eingel. v. Hubert Schiel. Köln: Pick 1947. XIII, 644 S., 1 Abb.
kl. 8°.

In den letzten Jahren sind bereits mehrere Arbeiten über
Erasmus durch das neuaufgelebte Problem des Humanismus
angeregt worden. Die Gestalt des Humanistenfürsten wird
nicht nur biographisch behandelt. Das Interesse gilt vor allem
wieder seiner Gedankenwelt. In diesem Lichte haben wir auch
den Versuch zu sehen, ein größeres Werk des Erasmus in
deutscher Ubersetzung herauszubringen. Der Herausgeber, der
in seiner Reihe bereits die Utopia des Thomas Morus in deutscher
Ubersetzung vorgelegt hat, ist der Ansicht, wie er in
seiner Einleitung ausspricht, daß gerade die Colioquia fami-
liaria dazu geeignet sind, Erasmus „den Rang eines gelesenen
Schriftstellers zurückzugeben, der ihm zukommt" (S. VIII).
Nach seiner Auffassung enthielten die Colioquia familaria gerade
soviel Zeitloses, daß sie als gegenwartsnah aufgenommen
werden müßten. Dazu wäre zu sagen, daß dieses Werk des
Erasmus auch stark zeitgebunden erscheint, so daß die vorliegende
deutsche Ubersetzung auch um der kulturgeschichtlichen
Bedeutung des Werkes zu begrüßen ist.

Die genannte Ausgabe bietet das ganze Werk unter teilweiser
Kürzung einzelner Gespräche. Die Übersetzung ist
flüssig und gewandt, wenn auch zuweilen zur Verdeutlichung
manche modernen Begriffe verwendet werden. Die Einleitung
ist zu knapp ausgefallen. Sie beschränkt sich auf wenige technische
Angaben. Uber die lateinische Vorlage und deren Ausgaben
wird leider nichts mitgeteilt. Auch die Kürzungen
hätten aufgeführt werden sollen. Im übrigen ist zu wünschen,
daß die Hoffnungen, die der Herausgeber auf sein Unternehmen
gesetzt hat, und die immerhin ein Wagnis bedeuteten,
in Erfüllung gehen und der Boden für eine gründliche Eras-
musforschung in Deutschland weiter vorbereitet wird.

Münster Robert Stupperich

SEELENKUNDE

J e 1 k e, Robert, Prof. d. Dr.: Grundzüge der Religionspsychologie. Heidelberg
: Jedermann-Verlag 1948. 213 S. 8°. Kart. DM 3.50.

Der eigenen Darstellung der Religionspsychologie schickt
J. einen historisch-kritischen Überblick über die Entwicklung
der Religionspsychologie voraus. Hierbei unterscheidet er die
angewandte Religionspsychologie von der „reinen". Mit
ersterer meint er eine Arbeitsrichtung, welche im Grunde
anderen Interessen dienstbar ist, also entweder der Theologie,
wie J. das bei Schleiermacher, Wobbcrmin, Rudolf Otto, Pfennigsdorf
und Schlink gegeben sieht, oder der Anthropologie,